Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Prodromus galeatus

Eine Vorrede soll nichts sein als ein längeres Titelblatt. Die gegenwärtige braucht am meinigen bloß das Wort Appendix zu erläutern, und weiter nichts.

Eine Biographie oder ein Roman ist bloß eine psychologische Geschichte, die am lackierten Blumenstab einer äußern emporwächset. Es gibt kein ästhetisches Interesse ohne Schwierigkeiten und Verwicklungen, d. h. keine Neugierde nach Dingen, die man – weiß. Nun kann der Dichter, wie das Schicksal und Fürsten, nur über die materielle Natur auf seinem Papier gebieten, nicht über die geistige; er kann aus dem Glückshafen und der doppelten Jupiters-Tonne seines Dintenfasses Registerschiffe, Quinternen, Pestilenzen, Sonnenschein, Gewitterwolken und ganze Inseln ziehen und damit seine Leute aus Papier und Dinte beschenken oder bestrafen, aber er ist niemals imstande, in einem Lovelace mit allem Weihwasser seines Dintenkessels den Teufel zu ersäufen, oder einen Tom Jones zum puritanischen Durchbruch und Klosterprofeß zu bringen, oder das heilige Feuer eines Agathons mit Dinte auszugießen. Der Dichter – das Widerspiel des Menschen – ändert die Form an der materiellen Welt mit einem Schlage seines eingetunkten Zauberstabs, aber die der geistigen nur mit tausend Meißelschlägen; er kann – als sein eigner Gegenfüßler – z. B. leichter reich machen als gut. Daher bedanken wir uns auch nicht bei ihm, wenn er noch so viele Leute tot macht oder gesund – oder arm – oder elend; d. h. wenn er physische Knoten zerschneidet, anstatt moralische aufzuknüpfen. Daher ist den Dichtern die materielle Welt, d. h. das Reich des Zufalls, nur eingeräumt als Grundierung – ferner als Folge und Wirkung moralischer Ursachen – ferner nimmt ihnen kein Mensch den Zufall, wenn dieser den geistigen Knoten vergrößert, aber nicht lösetOhne alles Bedenken kann ein Dichter morden, rauben, krönen, heilen, wenn er dadurch die Schlingen seines Helden, kurz die moralischen Rätsel verwickelt und verdoppelt. – ferner wenn der Eidotter und die ganze materia medica und peccans des Zufalls, der hinten alle Schwierigkeiten besiegt, schon vornen in der Exposition, obwohl ungesehen, verborgen lag usw.

Gleichwohl muß sich die moralische Ver- und Entwicklung hinter die materielle verhüllen – wie der Schöpfer der Natur hinter die Gesetze der Natur –: die innere Kausal-Kette laufe verdeckt unter der äußern fort, die Motive kleiden sich in Örter und Zeiten ein, und die Geschichte des Geistes in die des Zufalls.

Diesen romantischen Polyklets-Kanon und Dekalogus, dieses herrliche Linienblatt haben die meisten Deutschen entzweigerissen, und sogar in den Märchen von 1001 Nacht find' ich die Allmacht des Zufalls schöner mit moralischen Mitteltinten verschmolzen als in unsern besten Romanen, und es ist ein großes Wunder, aber auch eine ebenso große Ehre, daß meine Biographien hierin ganz anders aussehen, nämlich viel besser. Meine unvergeßlichen Splitter-, Fem- und Kunstrichter hab' ich leider durch meine Digressionen irre gemacht, obgleich Digressionen die psychologische Geschichte nur verschieben, nicht verfälschen, indes andere Schreiber sie durch ihre Zufälle vernichten und durch ihre Episoden verdoppeln.Eine Episode macht aus einem Kunstwerk oder Interesse zwei, und die spätere Verbindung vergütet ja die frühere Zertrennung nicht, sondern es ist geradeso, als wenn man Nicolais Nothanker darum an Thümmels Wilhelmine binden und löten und beide für ein Kunstwerk geben wollte, bloß weil jener auf diese fundieret ist. O, gutes Schicksal! verleihe mir einmal ein Halbjahr, um darin sowohl meine biographische Kameradschaft als meine akademische Gerichte weniger satirisch anzufahren als ernsthaft!

So, nach einem solchen ästhetischen Metrum muß der von der Natur wie von einem übenden Schullehrer zerworfne Vers der äußern Geschichte zusammengeschoben werden. Aber etwas anders ist freilich ein Appendix.

Der erste und älteste Appendix, wovon uns die Literaturgeschichte Nachricht gibt, steht hinten in meinen biographischen Belustigungen und ist, wie bekannt, vom Schöpfer dieser neuen Dichtungsart selber gemacht, nämlich von mir. Der zweite Appendix, den unsere Literatur aufweiset, tritt in diesem Buch in Druck und erscheint sogleich nach dieser Vorrede. Jetzt, da ich einmal das Muster eines Appendix geliefert habe und hierin selber als die Akademie und das lebende Modell auf dem Gestelle bleibe, ists den Ästhetikern leicht gemacht, aus wirklichen Appendixen eine Theorie und Heilsordnung und brauchbare Vorschriften für diese Dichtungsart abzuziehen und festzusetzen und nach meiner ausübenden Gewalt ihre gesetzgebende zu modeln und zu mustern, so wie auch in allen unsern Staatsverfassungen nicht die Gesetze die Macht, sondern diese jene geben oder doch zähmen. Nun liegen, dünkt mich, sowohl im ersten als im zweiten Appendix – hab' ich anders die beiden einzigen Protoplasmata dieser ganz neuen Dichterform genug studiert – folgende Regeln und Richtscheite deutlich gegeben: ein guter Appendix erzählt wenig und scherzt sehr – er wendet wie Voltairens Klio den historischen Bildersaal nur als Vehikel und Narrenschiff reicher Ladungen von Einfällen und Scherzen an – der echte Appendix verachtet die Malerei der Charaktere und das Bonnetsche Entwicklungssystem einer innern Geschichte, er spielet aber unter dem leichten Schein von beiden uns die wichtigsten Satiren in die Hand.

Schon aus dieser flüchtigen Poetik des Appendix erhellet, daß ich die schönen Wissenschaften mit einer dramatischen Gattung bereichert habe, die nur eine sehr entfernte Seitenverwandte des Romans, ja wenn nicht dessen feindliche Stiefmutter, doch Stiefschwester ist. In der Tat ist das im Appendix Ziel und Schmuck, was im Roman Irr- oder Ausweg und Makel ist. Die Schmetterlingsflügel bunter Einfälle, die das Insektenkabinett oder den Glaskasten des Appendix putzen und füllen, durchziehen nur als fremdes Einschiebsel den solidern deutschen Roman, so wie wahre Schmetterlingsflügel nach Buffon als unverdauliche residua aus den Exkrementen der Fledermäuse schimmern. Die Digression ist nie im Roman Hauptsache, darf hingegen nie im Appendix als Nebensache behandelt werden; dort ist sie wartendes Auskehricht, hier ist sie ein musivisch in den Stubenboden eingelegtes, ein poetisches Asaroton, so wie die Alten auf ihren Fußböden musivisches Vexier-Stroh, Knochen und dergleichen, kurz die Stube des Auskehrichts wegen hatten.

Es ist zwar sehr schwer und mißlich, aus so wenigen Mustern von Appendixen, deren wir leider nur zwei haben, schon für die ganze Gattung Gesetzbücher zu entwerfen, und man läuft überall Gefahr, individuelle Zufälligkeiten des Kunstwerks als allgemein geltende Maximen der Gattung aufzustellen, Überbeine als Tiergerippe – und Aristoteles war vielleicht als epischer Theorist in keiner größern Schwierigkeit, da er auch nichts weiter vor sich hatte als die Ilias und die Odyssee –; aber was mir hilft, ist, daß ich in dieser Sache zwar den Aristoteles vorstelle, aber auch den Homer.

Ich müßt' es feiner anfangen, wollt' ichs verstecken, wer mir zu dieser schönen Erfindung die ersten Winke gegeben: in der Tat ist der Appendix, der die Entwicklung der Charaktere und der Seelengeschichte wichtigern Schönheiten aufopfert, viel zu sehr mit dem jetzigen deutschen Roman verwandt, der jene Entwicklung vergisset, als daß ichs einen Augenblick verdecken könnte, wie nahe mir eine so glückliche Textur des deutschen Romans meine Erfindung legte. Doch mußten es ganz andere als die englischen oder auch die von Schulze, Wieland und Thümmel sein, es mußten solche mit historischen und psychologischen Zäsuren und Hiatussen von Belang sein, wenn ich auf einen Appendix fallen sollte, so wie die roten Färbkräfte der Orseille nicht wären ausgemittelt worden, hätte sich nicht im 14ten Säkulum ein Florentiner Handelsmann auf einen levantischen Felsen gestellt und auf besagte Steinflechte – gepisset. Die Muster, die ich meine, waren gleichsam die Schweinsrüssel, die den Bauriß zum Zisterzienser-Kloster Eberbach im Rheingau wühlten – gleichsam die dumpfigen Mauerflecken, von denen da Vinci (der Aristoteles der Zeichner) malerische Ideen zu entlehnen rät. – –

Jetzt nehme nun der Leser den zweiten Appendix, der in der Welt ist, den Jubelsenior, selber vor, halte aber der Odyssee den Abstand von der Ilias zugute. Er freue sich mit den Freuenden im Appendix und weine mit den Weinenden! Das Schicksal fasse den Leser wie einen Kanarienvogel stets mit warmen Händen an! Es stecke ihm immer ein Stückchen Zucker zwischen die Stäbe seines Käfigs und verhänge letztern nie mit etwas Dunklerem als mit dem grünen Hühnerdarm der Hoffnung und schenk' ihm, wie der russische Kaiser dem Kosciuszko und den 14052 verwiesenen Polen, Freiheit, ferner Freiheit, endlich Freiheit! – Hof im Voigtland, am frohen Tage, als ich die Baireuther Zeitung las und letzteres darin fand.

Jean Paul Friedr. Richter


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