Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Appendix des Appendix
oder
meine Christnacht

Männer, die gegenwärtigen Nachsommer des eben geendigten Herbst- und Jubelfestes den fünften Hirten- und Zirkelbrief an den Leser nennen, haben Verstand: denn die vier andern waren wirklich an diesen gestellt, und er ist der verkappte Freund. Der Leser kann sich, so gut wie jener Kühhirt zu Chaunay unter Heinrich dem Vierten, den Jedermann oder tout le monde nennen. – Ich glaube nicht, daß ein Autor etwas lieber schreibt als seine Vor- und seine Nachrede: hier darf er endlich reden, was ihn letzt, seitenlang von sich, und was am meisten labt, von seinem Werk – er hat aus dem Raspelhaus und Sklavenschiff des Buchs den Sprung auf diese beiden Spielplätze und Lustlager getan und hat zwanzig akademische Freiheiten bei sich und eine Freiheitsmütze auf dem Kopfe und lebt da froher als sein Leser. Vom grauen Altertum sind uns diese Saturnalien zuerkannt und eingeräumt, und keiner von uns muß sich seine zwei Freiheitsfeste nehmen lassen: werden nicht deswegen noch immer zwei leere Blätter, eines an die Vorrede, eines an den Beschluß, vom Buchbinder vor- und nachgestoßen, gleichsam als weiße Türspäne zum Zeichen der Immission, zum Zeichen, das nächste Blatt sei ebenso unbewohnt und ebenso offen beliebigen Schreibereien? Doch sind diese den Garten des Buchs einfassende leere Hahas auch die Wüsteneien, die ein Buch vom andern sondern müssen, wie große leere Räume die Reiche der Germanier oder die der Nordamerikaner oder die Sonnensysteme auseinanderstellen.

Daher wird mirs niemand verdenken, daß ich mir meine Vorredner und Beschlüsse – denn ich spitze mich darauf vom Titelblatt an – für besondere Tage aufspare, für utopische, für Tage, die ich von den Rheingegenden der Hoffnung umzogen sehe, namentlich für Neujahrs- – und Schalttage – für die längsten – für die kürzesten Tage – für die Geburtstage meiner geliebtesten Menschen – und auch für einundzwanzigste Märztage (woran ich selber auf unsere glatte Kugel heraustrat) und für erste Christtage...

Einen der letztern begehen wir heute, und alle Kirchen singen eben um mich. – – –

Es könnte viel Stichhaltiges angeführet werden, um es zu verteidigen und zu verschanzen, daß ich mir gegenwärtigen Appendix des Appendix für den ersten Feiertag wie anderes Lagerobst aufbewahrt. Besonders möcht' es sich hören lassen, daß ich darum das Christfest abgepasset, um daran so gut meine Weihnachtsfreude zu haben, als wär' ich mein eigner Sohn und würde vom guten alten Vater reichlich beschenkt und beschüttet: wenigstens können Männer, die Doxologien und Appendices machen und sich selber ein Weihnachtsgeschenk bescheren als ihre eigne Christkindlein – man ist ohnehin sein eigner Ruprecht oft genug –, sich keck mit jauchzenden Kleinen messen und solche fragen: »Seht her, ob man nicht ebensogut seine Weihnachts-Belustigung haben kann, wenn man so viele Jahre wie Zähne und Ahnen hat und seine Jubelseniores beschließet, als wenn man ein Jubeljunior ist und mehr Zuckerwerk und Gaumen hat als Gebiß, seht nur her, Schäker!« Das tun sie aber schwerlich: o eine gute LimoniadeDie Nymphe der Auen. bringt ihnen jetzt auf der Schwelle der Gartentüre des Lebens – wie Hofgärtner tun – einen großen Blumenstrauß zum Geschenk entgegen, ob sie gleich nachher im langen dicken Hofgarten des Lebens mehr zu besehen als abzublatten, abzupacken und abzubeeren kriegen.

Was inzwischen mich bewog, den heutigen Tag dazu auszustechen, war hauptsächlich der gestrige: – der magische Christheilige Abend ist nicht schöner zu genießen als durch eine Hoffnung; daher macht' ich mir die, ihn heute auf meine papierne Kupferplatte einzuätzen mit der Ätzwiege und mir gestern zu seinem Aufriß und zu diesem Appendix die schönsten Züge und Farbenkörner einzutragen... Ach unsere Fruchtstücke sind unsere Früchte, unsere Tuschschalen sind unsere Zuckerdosen und Regenbogenschüsseln und Zutschkännchen, und der Dinten- und Farbentopf ist unser Blumentopf.

Der belogne Lügenprophet, der Mensch, hebt seine besten dicksten Schinkenknochen für die Jahre auf, wo ihm die Zähne ausfallen; ja nicht bloß dem falben Herbste unsers entlaubten Seins werden die schönsten Freuden aufgespart – wie auf den meteorologischen Herbst alle Kirmesse warten –, sondern auch dem Ende des bloßen Kalender-Jahrs, dem Ende und Schwanze eines Buchs, eines Epigramms, eines Gastmahls, eines Krebses wird das beste Fleisch, das Dessertservice, kurz Weihnachten aufgehoben. Ich würde gestehen und versichern, so etwas sei toll und zweifelhaft, es sei nicht gescheut gedacht, würd' ich fortfahren, die Knochen im Fleischfaß des Lebens wie in einem andern obenauf zu schlichten und solche vor allen Dingen und allen Fettstücken wegzukochen und wegzuessen, weil auf den Sterbelisten so wenig Hoffnung sei, das Fleischfaß nur bis auf die mittlern Reifen auszuleeren, ich würde das gestehen (gestand ich), wenn nicht jeder Mensch gerade so glücklich wäre, als er zu werden glaubt, wenn nicht, mein' ich, das Sparen nur ein geistigeres Verschwenden und Genießen wäre, wenn nicht das innere Auge weiter reichte als der innere Gaum, kurz wenn nicht, da unser Sternen- und unser Wolkenhimmel sich nirgends wölbt als unter unserer Gehirnschale, es weniger gleichgültig als nötig wäre, daß der innere Himmel den äußern, der selten einer ist, erstatte, reflektiere, verbaue. Und das ists, warum ich niemand schelte und warum ich glaube, daß sich das Aufbewahren eines Genusses in nichts vom Antizipieren und Verlängern desselben trenne als (vorteilhaft) in der Geistigkeit.

»Aber zurück zur Sache!« wollt' ich jetzt sagen, und sah erst unbeschreiblich-vergnügt, daß ich gar von meiner Sache nicht abkommen kann, ich mag mich verbreiten, worüber ich will.

Den gestrigen heiligen Abend genoß ich durch die Hoffnung, daß ich ihn heute am Christtage beschreiben würde: diesen genieß' ich jetzt dadurch, daß ich mich des gestrigen Tags erinnern will. Nicht nur die Logik hat ihren Zirkel, den philosophische Dürer leicht und fertig machen: auch die Freude hat ihren Zauberkreis, ihren glänzenden Ring um den bleifarbigen Saturn der Zeit.

Fast alle Menschen lieferten gestern Zuckerrohr in die Zuckerraffinerie meiner Lust, bloß die Schneidermeister in den preußischen Staaten ausgenommen: denn diese mußte ich bedauern. Diese Gewerkschaft hat noch am heutigen Festtag die Nadel in der Hand, übermorgen fädelt sie wieder ein, weil ihr die Gesetze den dritten Ton aus dem Fest-Dreiklang, den dritten Feiertag, wegnehmen; also bleibt ihr nur einer übrig, gleichsam ein bloßer Sonntag. Das ist nicht viel für ein hohes Fest; aber genug. Denn ob man gleich der produzierenden Klasse als Ersatz für die drei Grade der Tortur ebensoviel Himmel, nämlich Feiertage gönnen möchte – besonders da ihr Lebens-Frühling gerade dem Frühling des Mondes gleicht, der nie länger währt als drei Tage –: so muß man doch auch hören, was die Vernunft sagt. Diese sagt aber ganz laut, daß die gemeinen Leute Gott danken sollen, wenn ihnen der Staat nur noch Werkeltage lässet, geschweige Sonntage: hohe Feste gehören eigentlich für den hohen Adel, Sonntage für den niedrigen, Apostel- und Marientage für Honoratiores und etwan ein halbierter Aposteltag fürs Volk. Nehmen denn nicht die höhern Klassen die Feier der heiligen Ruhetage, die man den niedern erlässet, mit Freuden auf sich und geben dafür diesen solche her, an denen etwas zu verdienen ist? Denn ein Kammerherrnstab, ein Hofmarschallsstab, kurz ein Hofstab bewahrt vielleicht noch die schönsten Sittenreste der alten, von Tacitus abgezeichneten oder vielmehr abbossierten Deutschen; wenigstens weiß ich nicht, wo ich eine größere altdeutsche Liebe zum freien Leben und zum Spiel, eine schönere, allen freien Wilden gemeine Flucht der Arbeit, die ihnen bloß Jagd und Krieg erlaubt, noch suchen soll. Nicht nur die freien Nationen, z. B. Griechen und Römer, verbrachten drei Viertel des Jahrs in hohen Festen, sondern auch noch jetzt die freien Leute auf der Kurial-Heide.

Nehm' ich aber, wie gesagt, die preußischen Schneider aus, so ging vor meinem Fenster kein Mensch vorbei, der nicht eine vergrößerte Zuckerfigur für meine Phantasien wurde...... Ich sehe aber nicht, warum ich nicht den ganzen Sonnabend abmale. – Es muß schon in den mannheimischen Wetterbeobachtungen verzeichnet stehen, daß gleich gestern am Morgen das Wetterglas stieg, der Schnee fiel und der Wind umsprang und vor den heiligen drei Königen vorauslief als Stern. Dann ging der Tag und die Arbeit an, der ich zusah, um heute eine zu haben. Ich sah auf der Gasse keinen einzigen Menschen, der schlich, sondern lauter Luftspringer, Sturmläuferinnen mit dem Läuferschurz und Renner nach dem dreitägigen Leben, das, wie Christi dreitägiger Tod, der Exponent einer Ewigkeit war. Der arme Teufel, die arme Teufelin, die vormittags säen und abends ernten und zwischen deren Saatkorn und Brotkorn der kleinste Unterschied der Zeit und des Ertrages ist, erzwingen und erbeuten nicht nur durch den Überschuß ihrer Anstrengung drei ruhende Tage, sondern auch drei verschwendende – so daß also der Staat oder Fürst – d. h. der Staat im Staat – nichts dabei verlieren kann.....

Bei Gott! warum soll meine Brust nicht so gut warm und unmutig werden wie Mösers seine? Warum soll ichs nicht ohne alle ironische Umschweife – denn der ironische Bogenschuß wird verziehen, aber nicht der ernsthafte Kernschuß, weil die Hohen und Höchsten der Erde lieber sich die größten Wahrheiten sagen lassen, als den Niedrigen und Niedrigsten ihres schweren Throns die kleinsten – warum soll ichs nicht heraussagen, daß es erstlich entsetzlich hart ist, nicht nur den überladenen, nicht für alte, geschweige für neue Arbeitstage besoldeten Schulleuten – den befrachteten gekrümmten Dikasterianten – den sogenannten weißen Christensklaven oder Dienstboten, die, wie die schwarzen, besondere eigne Allodial- und Freietage zu eignen Arbeiten haben, nämlich Fest- und Feiertage, letztere gänzlich bis den letzten unerbittlich wegzureißen – daß es zweitens noch härter ist, die hebenden Hoffnungen niedergebeugter Fröner des Geschicks und ihre religiösen Wünsche zugleich zu verkürzen und anzufallen und ihre Arbeiten ohne ihre Kenntnisse, sondern die alten Irrtümer zugleich mit neuen Seufzern zu verdoppeln – daß es drittens nicht bloß unmoralisch. sondern auch unnötig, wenn nicht finanzwidrig ist (und dieses berührt den wahren einsichtigen Staatsmann schon näher), unsere einzigen Volksfeste (das sind die Kirchenfeste) zu schmälern, da die Freude, nicht die Notdurft, da nicht Wasser und Brot, sondern Meisterbier und Meisteressen oder gebranntes Wasser und Himmelsbrot die Muskeln und Flechsen der Arbeit spannt und stähltEin Mensch, der nur nicht verhungern will, braucht und tut nicht viel: das zeigen die Bettler und die Italiener und Spanier und Portugiesen. , da ferner die Sterbelisten der westindischen Neger es verbieten, die Kraft wie etwan in der Mechanik durch die Zeit zu ersetzen, da endlich die ähnliche oder größere Blüte anderer protestantischer Länder voll Feste und die natürliche Auswanderung gezwungner Sabbatsschänder und Schanzarbeiter in jene feiernden Länder und die Reichsunmittelbarkeit und Machtvollkommenheit der Handwerkspursche den metallischen Ertrag aufgehobener Festtage um die Hälfte verkleinern? – –

Und doch glaub' ich kein Wort von allem vorigen. Denn was könnt' ich einem Etatsminister mit Grund antworten, wenn er mich fragte: ob nicht die Menschen bloß dann so denken lernen wie Esel, wenn sie ebenso tragen müssen wie diese, und ob nicht, wenn man das Mühlenroß verfinstert, damit es besser umlaufe und ziehe, umgekehrt der schnellere Umlauf und Zug ebensogut Verfinsterung und Schwindel verspreche? – Denn in der Tat, die Finken blendet man zwar, damit sie singen, aber die Menschen offenbar, damit sie schweigen.

– Die Wolken ballen und spalten sich jetzt immer schöner und größer, und der hohe ferne Himmel schauet blauäugig durch sein Nebel-Gitter auf unsern schnellen Freudentag herein... warum keif' ich und groll' ich und seufz' ich? – Kann ich denn nicht den gestrigen wieder vornehmen und malen und damit den heutigen erleuchten? – Ich fahre also fort. Ich sagte schon, daß jeder gestern lief. Die Schweißtropfen der Anstrengung flossen über lauter erheiterte Gesichter, und die Arbeit und die Hoffnung zugleich verdoppelten den Herzensschlag; – ich sah auf der Gasse lauter galoppierende Kinder und plaudernde soeurs servantes, nämlich Mägde, aber zu Hause saßen jene und liefen diese, um für die künftige Wohltat schon ebensowohl zu danken als zu werben. – Meine Phantasie tat Haussuchung und fand die jüngern Kinder mit einiger Werkheiligkeit in einem neuen Leben wandelnd, indes die ältern mehr durch Glauben als gute Werke selig werden wollten; ja sogar die Eltern fand ich – ich sah wie der heilige große Christophel in die Fenster – aus einem Revolutionstribunal in bloße Gesetzprediger verkehrt, die die frommen Kleinen nicht mehr zum aktiven Schiffsziehen, sondern nur zum passiven, nämlich mildern Kielholen verurteilten. Ich sah in Häuser, worin die Kinder, als englische Kopiermaschinen ihrer Eltern, mit aufgewärmten Spielwaren voriger Christtage sich einander Titular-Christgeschenke bescherten und vorher einander als alternierende Ruprechte entsetzlich erschreckten. Ich hörte alle Mutterherzen lauter schlagen und sah die Mutteraugen länger wach – und in jeder ermüdeten sorgenden Mutter kam mir der alte Gedanke und die alte Freude entgegen, daß die Mütter unserem Geiste Wärme geben und die Väter Licht, daß wir jenen die frühere Anbrütung und warme Belebung des Herzens durch Liebe früher verdanken als diesen die Bereicherung des Kopfes, wie die neugeborne Taube einige Tage nur erwärmet werden muß, ehe sie geätzet zu werden braucht. Die Ärmste, deren Lebensfaden sich aus der Wolle dreht, die sie spinnt, will ihren guten Kleinen wenigstens einen Morgen lang etwas Weißeres zu brocken und zu beißen geben als Haus-Brot – und die Menschenställe, deren Klausner in der wilden Schweinshaut, die ausgebreitet als Vorgrund schöner Zimmer den Schmutz abputzt und wegbürstet, selber stecken, sind mit goldnem Regen und silbernen Schneeflocken gestickt und punktiert – und die junge Mutter will den erstgebornen eingewindelten Säugling mit seiner dunkeln Seele vor den beladenen, mit den Goldquasten von Äpfeln und mit den Nuß- und Fruchtschnüren und Häng-Zucker illuminierten Baum des Erkenntnisses tragen, weil das gebende sehnsüchtige Mutterherz die Jahre nicht erwarten kann, worin der reifere Liebling das pränumerierte Geschenk genießet und begreift. – Und so fielen in den Veilchensirup aus gesammelten verblühten Veilchen, den meine Phantasie verdeckte und blau kochte, keine Stiele und versprungnen Kohlen, ausgenommen die durchpassierenden Rekruten, die keinem andern abgehauenen Christbaum entgegenmarschierten als dem, woraus der Korporal seinen Stock ausbricht, und die am Christmorgen noch vor tags mit den Werbern aus dem Gasthofe, vor lauter erleuchteten, mit Gold gestickten Fenstern vorbei, ins Freie wandern mußten: die Postknechte ritten doch am Morgen zu ihren entgegenhüpfenden, neu drapierten Kindern zurück.

Was mich gestern so sanft anklang wie das gewöhnliche Fest-Einläuten, waren drei fremde Kinder, die ich belog. Ich gesteh' es Rezensenten und Atheisten, ich befestigte die drei gläubigen Jünger, so sehr ich konnte, im erwiesenen Irrtum eines existierenden – Christkindleins: es fliege hoch und golden (macht' ich ihnen weis) über die Häuser und schaue herab auf gute und böse Taten der Kinder und belohne jene und bestrafe diese. Ich zeigte ihnen ohne Bedenken eine entfallne Pfauenfeder desselben (wie man in mittlern Zeiten des Erzengels Michael Federkiele wies), da es auf der umkreisenden Turmfahne die Schwingen ausdehnte und wieder zusammenschlug....


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