Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Vierter Hirten- oder Zirkelbrief

worin die drei versprochenen Ausschweifungen gemacht werden

 
Mein Lieber!

Hier folgen endlich die drei verheißenen Abhandlungen. Indes steh' ich nicht dafür, daß ich nicht einmal in einem meiner neuesten Werke öffentlichen Gebrauch davon mache. Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde; Briefe sind nur dünnere Bücher für die Welt.

Ich will wie Heyne und Heidenreich die Abhandlungen Exkursus nennen.

Mein erster Exkursus über den Kirchenschlaf ist dieser:

Viele wollen ihn nur auf lange Buß- und Fasttage einschränken, weil nach den Ärzten Schlaf Hunger und Durst und Sedes nimmt. Ich glaube aber gerade umgekehrt, eben weil man bei leerem Magen am gesündesten und ruhigsten schläft, wird das Essen an Bußtagen verboten.

Ja Kirchenschlaf ist das erste, worein ein Kanzelredner einen Menschen bringen muß, den er aus dem Gewissensschlafe haben will. Denn will er Zuhörer, die hereinkommen, um sich nach acht Tagen geistlich zu häuten – wie der Frosch sich nach ebenso vielen körperlich ausbälgt –: so kann er ihnen den alten Adam wie Kindern nicht besser als im Schlummer ausziehen, wie man dem Dalai Lama die Nägel nur beschneiden darf, wenn er schnarcht. Will er seine Beichtkinder beobachten: so sagt Lavater, daß Schlafende am besten physiognomischen Observationen halten und dienen. Will er wie Alexander erhärten, daß der Mensch ein Mensch sei (nämlich etwas Gebrechliches): so hat er von den drei Beweis-Mitteln, womit es jener dartat, nur eines übrig, den Schlaf, und er kann dem wachen Mitbruder den entschlafnen von der Kanzel zeigen. Will er einem unbußfertigen Schächer die Hölle recht heiß und den Teufel schwarz abmalen: so wird sich dieser Donner im Nachhall des Traums um vieles verstärken, und der Sünder erwacht getroffen und in Morgenschweißen; so erzählt auch IsibordBreviar. num. 26., daß bei einem Benediktiner die geträumte Einnahme einer Purganz, die er im Wachen nehmen wollen, so gut an- und durchgeschlagen, daß er am Morgen gar nicht nötig hatte, die rezeptierten Pillen zu nehmen. – Ein anderes ist, wenn er eine Trauungsrede auf dem Altar hält: hier kann niemand schlafen, der steht.

Dieses führet mich unvermerkt auf den zweiten Exkursus von Traureden.

Wenige aus den höhern Ständen treten in die Ehe, ohne die Absicht, solche nachher ordentlich, wenn nicht zu brechen, doch aufzuheben; – und dennoch versäumen es die meisten im Ehezärter und setzen darin (wie sie offenbar sollten, wie Rekruten in längern Kapitulationen) es mit keinem Worte fest, wenn sie eigentlich wieder auseinandergehen wollen. Daher laufen ebenso viele trockne Scheidungen durch Feuer vor der nassen durch Dinte voraus; daher die jahrelangen Martern, daher die offnen Schäden des Herzens; daher der Henker und seine Großmutter. Warum bereitet denn, wenn nicht der Strohkranzredner, doch der Trauredner das junge Paar mit keinem Wort auf die Scheidung vor, die der Tod und das Konsistorium drohen? – Könnt' er es nicht zum geduldigen Ertragen dieser Ehe-Wetterscheide ermahnen? – Könnt' er nicht sagen, was der Zweck der Ehe sei, nämlich der, sie abzustellen, wie der Zuckerbäcker seinem Lehrjungen die Süßigkeiten nur erlaubt, um ihm alle zu verleiden? Kann er nicht wie Epiktet die Brautleute bitten, nie ihr Herz aneinander zu hängen, sondern ans Scheiden zu denken? Ist dem Hochzeitredner der Zweck einer lutherischen Ehe so wenig bekannt, daß er vergessen kann, daß eben die Trennung unter die Unterscheidungslehren unserer Konfession gehört, eine Fundamentallehre, die in unsern Zeiten der papistischen Proselyterei ein jeder eifrige Lutheraner durch seinen Wandel in erhabener Schrift gleichsam mit Punzen aussticht? – Allerdings liegt ein katholisches Ländchen oft mitten zwischen protestantischen Ländern, und die Stimme der Wahrheit geht ungehört darüber hinweg, wie in elliptischen Sprachgewölben gerade der kein Wort vernimmt, der nicht an den zwei Polen, sondern in der Mitte steht; aber welche Schande, wenn der Irrtum lauter wäre als die Wahrheit, die Pest ansteckender als die Gesundheit! – Ists zuviel, wenn ich von einem Hochzeitredner erwarte, daß er den Brautleuten nicht nur die Gefahren einer gegenseitigen Liebe aufdecke, sondern daß er auch die besten Mittel dagegen an die Hand gebe? Denn die gemeinen sind unkräftig: gute Pädagogen raten an, man solle Jünglinge und Jungfrauen oft einander sehen und sprechen lassen, um ihre wechselseitige Allmacht abzuschwächen, und auf diese Abschwächung durch Umgang wird in guten Ehen hingearbeitet; aber wie ist das in den weiten Palästen der Großen zu erreichen, die wie die Lazarette (wegen ähnlicher Bestimmung) gebauet sein müssen, welche nach Pringle gerade noch einmal so viel Raum, als die Patienten darin füllen, der Gesundheit wegen enthalten sollen? – Kann sich denn nicht der Trauredner, gesetzt er hätte einen schwachen Kopf, damit helfen, daß er die theologischen Gründe, die gegen die romantische Liebe vor der Ehe sprechen, versammelt und gegen die in ihr aufstellt? Denn alsdann könnt' er dem Bräutigam zeigen, daß Liebe einem Manne nicht anstehe, daß sie ihn so weich mache wie ein Weib, daß sie ihn sowohl gegen die Mängel des Gegenstandes als gegen alle Vorteile verblende, die auf einem Scheidebriefe liegen..... Das ist ein kleiner Predigtentwurf von einer Traurede meiner Art, und ich schicke ihn so gleichsam wie die hamburgischen Pastoren am Sonnabend in der Stadt herum. – –

Mein dritter Exkurs soll den vornehmen Unglauben berühren.

Es muß auffallen, daß ich ihn gar leugne, Bester! – Man darf nur zwei verschiedene Zeiten nicht vermischen, die vorige und die jetzige.

Unter der Regierung Rochesters und seines Königs – und nachher unter der Regierung La Mettries und seines Königs, sollte man denken, habe reiner echter Unglaube geherrscht; man höre aber weiter. In Johnsons vortrefflichem Rambler, der für uns flüchtige Deutsche viel zu ernsthaft ist, hab' ich gelesen, daß der Ritter Matthias Hale, der ein religiöser guter Mann war, sich öffentlich für einen Bekenner des Unglaubens ausgegeben, um, sagt' er, mit seinen Schwachheiten keinen Schatten auf die Religion selber zu werfen. Das ist für mich der Schlüssel zum Erraten der damaligen Weltleute. Rochester, La Mettrie und tausend Welt- und Hofmänner wußten recht gut, daß sie einem Adam, Petrus und den lieben Engeln in nichts weniger unähnlich waren als im – Fallen; aber sie hatten im Herzen ungemein viel Tugend und Religion: das seh' ich daraus, weil sie, um solche nicht durch ihre Handlungen zu beschimpfen, sich wie der obige Ritter Hale gerade für das entgegengesetzte Glaubensbekenntnis nicht ohne Schein erklärten. Dadurch gewannen sie noch dazu den Vorteil, daß sie mit allen Eisen- und Rostflecken ihrer Praxis nachher ihre Maske der irreligiösen Theorie beklecksen konnten, und sie erlebten das reine Vergnügen, zu lesen, wie die Geistlichen die Sünden dem Bekenntnis aufluden, die den Bekenner belasteten. An Höfen ist der Fall oft, daß man sich für eine Sache erklären muß, die man nicht anders hintertreiben kann als durch Ratgebungen, die sie zu unterstützen scheinen.

In unsern Tagen hat das aufgehört: man zeige mir einen Maulunchristen oder Maulchristen von Erziehung. Ein Pastor primarius, ein Frühprediger, ein Zionswächter kann tagelang ohne Sorge mit einem Weltmann reiten, karten, sprechen: kein Wort über die Religion wird diesem entfahren, ja er wird nur höchst ungern die Wörter Gott, Unsterblichkeit, Keuschheit, SchamhaftigkeitDaher Cicero sagt, die Schamhaftigkeit werde nicht gern von einem Schamhaften genannt; – die Keuschheit nicht von einer Keuschen, sagt irgendeine fühlende Schriftstellerin. auf die Zunge bringen. In England wird jetzt leicht der Test geschworen, und jeder nimmt sein Abendmahl und sein Amt und beugt die Knie vor dem einen und dem andern – es gibt keinen Hofmann, der sich ein Bedenken machte, ein geistlicher Kurfürst zu werden, weil er vor der Mittagstafel des neugekrönten Kaisers ein reichsherkömmliches Gebet verrichten muß – oder der sich weigerte, König in Polen zu werden, weil dieser den Beisatz »der Orthodoxe« führen muß – ich sehe vielmehr täglich, wie die feinsten Leute nach dem Ruhm, orthodox oder gar allerchristlich von ganz Europa genannt zu werden, jagen und greifen. – –

Aber genug, mein Bester! Mehr als dreimal hatt' ich nicht auszuschweifen. Meine Geschäfte halten mich ab, Ihnen künftig so fleißig zu schreiben wie bisher. Noch hab' ich auf meine vier Zirkelbriefe keine Zeile Antwort. Sind Sie krank? Leben Sie gesund!

Ihr
Jean Paul.

N. S. Melden Sie mir nur mit drei Zeilen, ob Sie gegenwärtigen Hirtenbrief erhalten haben oder nicht: ich richte mich darnach.


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