Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Mit herzliches Mitfreude fassete sie die Nachricht der durch Lederer promulgierten Standeserhöhung auf: denn sie hatte die sämtlichen Pfarrleute so lieb, daß sie allemal, wenn sie nach Hause kam, sich über ihr herablassendes Wohlwollen Gewissensvorwürfe machte, weil sie zwar gebrüstet kam, aber weichherzig schied. Sie legte unbefangen – der gewisseste Beweis ihres Herabsehens – dem Adjunkt die Bitte vor, sich nach einer Adjunktin umzuschauen: ohne Mariage sei er zu empfindlich für die Reize ihres Geschlechts. Das war richtig: der Adjunktus konnte keiner weiblichen Seele je einen härtern Text lesen als den Hochzeittext, sein Herz war immer ein Weiber- oder Kunkellehn, und sein Auge lebte in einer Kryptogamie und Cicisbeatura gegen alle auf einmal, Wassernixen und Sibyllen und Täuflinge eingerechnet. Solche Männer und Männchen stellet gegen den Glanz der über halb Europa hinstrahlenden Schönheit nichts als eine ordentliche Hausfrau sicher, wie im nächtlichen Blitzen nur Leute nicht erblinden und leiden, die ein Nachtlicht angezündet haben. – Der Adjunktus versetzte: »falls nur einmal sein Herz verdiente, ein weibliches zu fesseln: so wär' er wohl den Augenblick bei der Hand.« Er glaubte fest, nur ein Gott verdiene eine Göttin, nämlich eine Frau, nur ein Großkreuz eine Kreuzdame, nur ein Apostel eine Marie, und er fassete die Vermessenheit wenig, sich zu verloben; – und hierin sticht er allerdings zu seinem Nachteil gegen unsere Libertins und sabinischen Räuber ab, worunter keiner so wurmstichig, morsch und rissig ist, der nicht seine gichtbrüchige Hand mit Freuden einer Gebenedeieten gäbe; ein fatales Aufblähen, das leider die Bedingung großer Vorzüge ist, denn (nach Rochefoucault) notre orgueil s'augmente souvent de ce que nous retranchons de nos defauts.

Überhaupt liebt der Mensch heißer und treuer bei gleicher Gegenliebe und Tugend die Seele über ihm als die Seele unter ihm; das seh' ich nicht nur aus dieser Neigung der Libertins zu rechtschaffenen Mädchen, sondern auch aus der ähnlichen, die Affen mehr gegen unsere Weiber als gegen ihre tragen: so ist auch der Hund mehr Menschenfreund als Hundsfreund; und den Teufel kann ich mir als Misanthropen gar nicht gedenken.

Fräulein Gobertina streckte dem Pfarrhaus einen halben Truthahn vor als Konsistorialvogel für den Konsistorial-Brieftauber Lederer: sie hätte noch eine halbe Woche am Vogel zehren können. Ihr Appetit war größer als ihre Pension: gleichwohl kam nichts auf ihre Tafel, das nicht ein Herr von Hofe hätte fordern können, gesetzt auch, er hätt' es nachher dem hungrigen Menschen hinter dem Sessel gelassen. Es wär' ihr zu verächtlich und hofwidrig gewesen, andere Tauben und Schweine auf ihr Tischtuch zu lassen als wilde; denn sie wußte, daß man Herrentafeln nicht gern mit etwas Zahmen (die Gäste ausgenommen) besetzt.

Ingenuin zog fort; aber zu Hause verlas er den Schenkungsbrief des Truthahns nur vor einer trüben Seele. Alithea hatte ihren goldenen Ring, weil er ihren in der Wärme aufgedunsenen Finger zu sehr quetschte, mühsam abgeschraubt und den Faden, der ihn verengte, abgewickelt und ihn bis auf weitere Zurüstung, unter der Kochstunde für den Boten, hingelegt. In diesem stillen reinen Hause drehte nie der Argwohn sein Katzenauge. Sie ging hinaus und fand wiederkommend den Zirkularboten in einer Koppeljagd hinter dem Starmatz, der, wie er sagte, auf den Tisch geflogen sei und den Ring in den Schnabel genommen und verschleppet habe. Der schöne Ring war so wenig zu finden wie Salomons Siegelring: mir ists glaublich, daß ihn der Embaxador zu seinem Gebrauche gestohlen hat. Inzwischen nannte der Bote den Star immerfort einen Spitzbuben, und der Vogel, ein gefederter Fiskal oder Frevelknecht, retorquierte die Injurie auf der Stelle und hieß den Boten einen Dieb. Die Mutter hielt aus Achtung für die Menschheit, die Pflegetochter aus Achtung für das Konsistorium den Star für den Schnapphahn. Alithea, die doch den Doppeldukaten so gern von ihrem Halse abgelenkt hatte, konnte ihre Tränen über den ausgeraubten – Ringfinger nicht mehr mit der Kochschürze abtrocknen; und als der Senior vorbeiging, so maß sie – da er trotz seiner grauen Jahre noch über Unvorsichtigkeiten und über irdische und unfruchtbare Tränen auffuhr – dem Rauche der Küche das bewölkte Auge bei und schloß daraus leicht auf – trübes Wetter.

Als der Bote nach der Füllung der Magen-Montgolfiere und nach der metallischen Einsprützung seines Beutels endlich Abschied genommen: so hob eine feierliche stumme Wonne die vier befreundeten Herzen empor. Der Senior gehörte zur königlichen Linie jener Menschen, die gerade im Freudengesang oder vielmehr im Lied der Freude aufwärts steigen und die in den Himmel streben, wenn ihn die Wolken verlassen, wie die gefangne Lerche in der Stube ihre mit Fäden gebundene Flügel ausstreckt und aufspringt, wenn sie zu singen anfängt. Schwers streckte seinen Arm wie einen bemalten Arm am Wege aus und zeigte damit auf die Blumenstaub- und Sonnenwege der Vorsehung, die gerade sein Jubiläum mit der Adjunktur zusammenbringe. Theodosia setzte noch dazu: »Und unsere Silberhochzeit feiern wir ja doch auch.« – Ingenuin blickte Alitheen an, und ihr Auge drückten größere Tropfen, und beide dachten an den vertragnen Ring; aber Dea weinte weder aus Freude noch Rührung noch Trauer fort, sondern aus allen Gründen auf einmal: alle ihre Nerven waren frische Zweige einer Sinnpflanze, die noch unter keinem zu häufigen Betasten erschlafft und gesunken waren.

Das junge Paar hielt eine scheinbare und fliegende Abendmahlzeit vom Abhub des Boten und wirkte sich die Erlaubnis einer Abend-Wallfahrt aus. Auf dem Dorfe gibt man jungen Leuten Freiheitsmützen und Handels- und akademische Freiheit; in Städten gewinnen sie kaum einige rules um ihre Kings-Benchs, kaum vier neue Luft- und Schießlöcher im alten Sklavenschiff oder Burgverlies – keine Freiheit wird aber öfter verletzt und verscherzt als die eingeschränkte. Beide eilten aus dem eingebaueten Dorfe, das in lauter frischen Einfassungsgewächsen stand, nämlich in Birken, hinaus und hinauf auf einen runden Hügel, der drei aneinander gedrängte Hänge- oder Trauerbirken trug, aus denen die Landpreiser nicht viel machten, weil aus ihnen nicht wie aus andern Birken Stubenbesen zu binden waren. Der Birken-Dreifuß war mit einer hölzernen Bank und Gurt gerändert, auf die sich das Paar niederließ.

Der abendrote Zauberring des Horizonts lag wie ein glimmendes Feuerrad um sie – ihre Augen schaueten über alle lichtgrünen Gipfel hinab – Das weite Oratorium der Erde war um ihre grüne Empor umhergezogen – und über ihnen schwebte ein arbeitendes, an den Enden anglimmendes Gewitter, das auf dem Purpur-Zirkus und Feuerrade des Horizonts aufstand und wodurch das Brausen einer Waldung ohne die Erdstöße des Donners zog – und das sanfte Sonnenauge stand verhangen vom Regentuche des Gewitters – – Die Wolke warf keine Katarakte, sondern nur einen warmen Staubbach auf den Herbstflor der Erde, und statt der Feldschlange und Zündrute des Blitzes überfloß nur die schimmernde Naphthaquelle eines sanften Heiligenscheins die ganze Nebelbank.

Ingenuins Liebe gegen Alithea wuchs heute immer tiefer und fester in sein Herz, und wurzelte immer weiter hinweg von der Zungenwurzel, nicht nur darum, weil er heute so feierlich war wie die Natur über ihm, noch weil sein Vater ihr eine emporhebende Achtung zuwog – ihn aber liebte die Mutter mehr –, sondern besonders, weil das Schicksal in der einen Hand ihm einen Freudenkelch und in der andern ihr einen Leidenskelch gereicht und weil Alithea so gern ihr Gold für ihn vom Halse abgebunden hatte. Er legte immer statt des Gelübdes der Liebe das des Stillschweigens ab. Endlich entsann er sich des Nachmittags und erzählte ihr, daß heute seine Mutter von ihrem grünen Zilizium, von ihrer seidenen Dornenkrone, nämlich von dem aus Draht und grüner Seide und welker Myrte gebundenen Brautkranz den antiken Staub weggeblasen habe, um vor ihm, wegen der Nähe der Silberhochzeit, diesen falben Nachflor ihrer davongezognen Lebens-Sommermonate aufzudecken. Hier tat Alithea fröhlich eine kleine Sammlung von Briefen heraus, die sie der Mutter, die dem Trotze zu wenig und der Bitte zu viel gewährte, zum Lesen abgeschmeichelt hatte. Es waren die Liebesbriefe des Seniors an Theodosia. Alithea bat den Sohn, die veralteten Handzüge vorzulesen. Einem guten Kinde ist es nicht nur schwer, sich seinen Vater in den wilden Renommistenjahren des Jünglings oder auf Akademien oder als Lichtgießer von Brautfackeln zu denken, sondern auch angenehm: die Achtung rückt der süßern Liebe zu. Ingenuin gewann unter den Vorlesungen nicht bloß seinen Vater lieber aus dem vorigen Grunde, sondern auch seine Dea aus dem kommenden: am Morgen, wo ein Freund heiratet, wollen alle seine männlichen Bekannten, und am Nachmittage, wo eine Schwester sich verlobt, wollen alle ihre jüngern Schwestern es nachtun – wie viel mehr ein leiblicher Sohn, der die erotische Brieftasche seines Vaters durchsieht! – Dea machte bloß, sooft in den Briefen ein Trauring vorkam, einen eingesperrten Seufzer aus ihrem Busen frei, und ihr Auge glänzte feuchter, und sie sah beschämt auf ihre nackte Hand. Ingenuin blickte sie fragend und mitleidend an; »ach nur mein Ring! und ich wollte doch nichts sagen, hätten Sie ihn an!« sagte sie unschuldig; und ebenso unschuldig erwiderte er: »Wahrlich, Sie sollten ihn dann wieder haben und meinen dazu!«

Nun sank die von Blitzen genährte Sonne feuertrunken aus dem roten Gewitter heraus, und tausend Flammen flogen aus der widerscheinenden nassen Erde auf. Ingenuin deckte mechanisch von weitem seine durchbrochene scharlachene Hand vor ihr Angesicht. Sie kehrt' es von den fünf durchsichtigen Fächerstäben weg gegen ihn und schauete ihm recht voll und herzlich ins geblendete Auge. Und als sie einander lange anblickten, in der blinden Einsamkeit des Glanzes und verloren in den Donner und in die Sonne: so bewegten sich schmerzlich-süß ihre jungen unerfahrnen Herzen, und jedes sah am andern die aufquellende Träne unter dem zuckenden Augenlid, und jedes wunderte sich über das andere. »Ach Sie!« sagte Ingenuin mit einem neuen Tone, den er von sich selber noch nicht gehört hatte. Sie antwortete: »Auch mir tut das ganze Herz so weh, aber ich hab' es gern – Sie wollten was?« – »Nein, nein!« sagte Ingenuin; und als er ihr die väterlichen Blätter wiedergab und die pulsierende Hand berührte: sank das entkräftete Gewölk mit einem langen nachdonnernden Falle in Osten darnieder und den gereinigten entblößeten Abend durchschnitt die nackte Sonnenlohe und aus dem Gewitter warf eine Engelshand kleine Rosenknospen oder weiche Rubinen herüber und die Wälder bogen sich und brauseten und der Wolkenhimmel floh nach Morgen und donnerte. – Nicht die zwei Liebenden, sondern die Liebe drückte ihre Hände ineinander, und Ingenuin sagte: »Ja ich werde heute unsern Vater fragen, ob ich Ihrer würdig bin: denn ich liebe Sie unsäglich; ja! – Nicht?« – Alithea erwiderte: »Nein: er wird schon sagen, wie wenig an mir ist, wenn ich Sie auch liebe.« – »O Teuerste, können Sie das?« fragte hastig Ingenuin, zu sich kommend. – »Ach Sie haben ihn ja nicht gefragt« (sagte Alithea) – »kommen Sie lieber, es kühlt!« – –

Großer Genius der Liebe! ich achte dein heiliges Herz, in welcher toten oder lebendigen Sprache, mit welcher Zunge, mit der feurigen Engelszunge oder mit einer schweren, es auch spreche, und ich will dich nie verkennen, du magst wohnen im engen Alpental oder in der Schottenhütte oder mitten im Glanze der Welt, und du magst den Menschen Frühlinge schenken oder hohe Irrtümer oder einen kleinen Wunsch oder ihnen alles, alles nehmen!

Sie stiegen langsam vom erleuchteten Pindus ihrer Seelen nieder. Das Dorf lag verschattet in seiner weiten Birkenlaube und Gartenwand. Die Sonne fassete schon das Nachtstück der Erde in den goldenen Rahmen glimmender Wolken. Die Abendglocke läutete die ermüdende Messe des Tages aus – und die Abendschmetterlinge wacher Träume und dunkler Wünsche fingen ihren müden Flug durch die Seele an. –

Die zwei Kinder fanden ihre matten Eltern in einem einsamen leisen Abendgesang, gleichsam im Konduktgesang des erblasseten Tags. Sie störten die harmonische Erhebung nicht, sondern begleiteten sie leiser. Nach dem Ende traten sie vor den verherrlichten Greis, dessen Seele in jedem Jahre um die überirdische Sonne, wie die veraltende Erde um die irdische, hinaufgezogen kürzere und nähere Kreise beschrieb. Der Vater erriet aus der Hand, die der Sohn genommen hatte, die Bitte desselben; denn die Mutter hatt' alles noch eher aus der Erweiterung des Ringes vermutet und dem Vater ihre Beobachtungen mitgeteilt. Denn sie hing ihrem Gatten auf eine ungewöhnliche Weise noch stärker als ihren Kindern an, und alle Strophen ihres langen Ehestandes gingen, wenige weibliche Reime ausgenommen, nach der Sphärenmelodie des Flitterjahrs. Sie hatte nur eine fehlerhafte Weiblichkeit – den Haß und Argwohn jeder fremden. Theodosia endigte ihre andächtige Rührung mit einer mütterlichen über die liebende ihres Sohnes und brach in süße Tränen aus. Der Vater erschwerte durch eine Aufmerksamkeit, womit er einen neuen Kanarienvogel aushörte, das Exordium des Sohnes, und als dieser anfing, wollte Alithea sich aus seinen Fingern winden und fliehen. Aber die lebhafte Mutter sagte gerade heraus: »Segne sie nur ein, Vater, denn sie wollen doch einander.« – Als er kaum gesagt hatte: »Unser aller Vater geb' euch seinen Segen, und werdet so glücklich und alt wie euere Eltern« – – so ließ ihm eine erstickende Wehmut nur die stummen Buchstaben der Mienen, bis Theodosia sowohl die Entdeckung der Einbuße des Ringes als die zarte Überspannung durch den Rat verhütete: »Aber Verlobung und Ringwechsel sollt ihr bis zu unserem Hochzeittage verschieben, wenn meine andern Kinder zugegen sind.« Wie gern setzten sie nach dem innern Verein den äußern hinaus! –

Ingenuin sah jetzt auf dem einfarbigen Meere seines Lebens eine ganze blühende neue Welt vor sich hinliegen: die Unruhe und der innere Lärm seiner Freude und der Preßzwang, da er jetzt so voll wachsender Liebe verstummen mußte, trieben ihn mit Alitheen von den stillen Eltern, die der Sonnabend und die Müdigkeit der Freude in die Arme des Schlummers legte, weg auf den alten Göttersitz zurück. Wie war alles seit dem Wandelglöckchen des Abendgeläutes verwandelt und vergöttert! Der Herbst war ein Frühling geworden – die weißen Schlösser in der grünen Ebene waren zu schillernden Eispalästen und Sonnentempeln verklärt – über die weiße Landstraße krümmte sich die himmlische Milchstraße, und beide schienen einander auf dem fernen Gebirge zu berühren, und die Wolken waren wie Portalflügel des Himmels weit zurückgelehnt – –

Aber in Alitheens Seele stiegen weiße Nebel, wie auf dem dunkeln Strome unter ihr, so groß wie Gräber auf, und unter den abgeteilten Hügeln aus Rauch lagen ihre Eltern – das eindringende Glück erschreckte ihre Nerven und richtete ihre Augen nach den Alpen, unter deren Fuß ihr Vater und ihre Mutter sich abblätterten und der schwarzen Erde Rinde und Mark und Wurzeln wiedergaben.

Der Nachklang eines in den Wäldern verschallenden Posthorns und die Rauchsäulen verglimmender Feuerhaufen der Hirten auf den Feldern und zwei fliegende Irrlichter richteten im Geiste der beglückten Tochter die alten umgefallenen Grabmäler der teuern Eltern wieder auf, und sie weinte daran ohne Maß. Sie begriff sich nicht, und sie fragte sich immerfort selber: »Wie bist du gerade heute nicht aufgeräumt?« – Endlich fragte auch Ingenuin die Stille, weil er ihre Trauer fälschlich keiner Freude zuschrieb. »Ich denke eben,« versetzte sie, »meine guten seligen Eltern sollten mich heute in meiner Freude sehen, und das macht mich betrübt.« Und hinter dieser Spitzenmaske drangen alle ihre kindlichen Tränen hervor; aber der schuldlose reine Freund ihrer Seele hielt jeden Rebentropfen des zerschnittenen vollen Herzen für heilig und nahm jeden sanft hinweg, aber nicht mit den Lippen: denn er sah den kindlichen Gram über die entflognen Eltern für zu fromm und ehrwürdig an, als daß er ihn mit den Wünschen seines verbündeten Herzens hätte stören mögen. So ruhten sie lange vor dem stummen Nachthimmel, und ein Stern und eine Träne nach der andern sank hinab; aber die unschuldigen und unwissenden Geliebten schlossen den ersten Maiabend ihrer heißen Liebe ohne den ersten Kuß derselben, und die schönen Lippen hatten einander alles gegeben, nur sich selber nicht.....

O schließet eueren Abend willig so und brecht am Zauberschloß der Liebe das Gerüste des Körpers ab! – Trunkner Mensch, du bleibst es nicht, sondern wirst nüchtern, wenn du deine Geliebte nicht suchst und liebst wie die Tugend, die keinen Körper annimmt, wenn nicht Blicke deine Worte und deine Wünsche bleiben, da doch die Hyazinthe der Liebe so leicht blühend über dem Blumenglase, das zwei Tränen füllen, schwebt! – Unbesonnener, der du nicht weißt, daß die reine Liebe gleich dem Gletscherwasser am besten genossen wird, ehe sie die Erde berührt, und daß unsere höchsten Empfindungen den Paradiesvögeln gleich sind, die sich selten mehr vom Boden erheben, sobald sie auf ihn gesunken sind!


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