Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Dritter offizieller Bericht

Deus ex machina – und dessen schöne Supplik

Natürlicherweise schreib' ich ewig fort. Ja, es hälfe dem Tode nichts, wenn er mich ein halbes Säkulum am Schreibpult stehen und dann erst durch eine gütige venia aetatis, d. h. venia exeundi aus der Schreibstube der Erde laufen ließe: ich wende mich doch noch unter der Stubentüre um und sage, mehr lebens- als schreibenssatt: »Nur den dritten Teil lasse mich gar liefern, ich weiß, wie die Rezensenten sind.« – Als JupiterArnob. advers. Gent. I. 5. den Atys wieder beleben sollte: ließ ers bleiben und beseelte nichts daran als den kleinen Finger, der darum in einem fort vibrierte:... auf eine ähnliche Weise bleiben, wenn der Strom der Zeit einen Autor wie der Karlsbader Sprudel ganz übersintert und versteinert hat, doch seinen Schreibfingern die motus vitales unbenommen. Man gewinnt nichts über sich, wenn man sich täglich vorhält, wie leicht man es zwar habe, die köstlichsten Gedanken aus sich zu schöpfen, aber wie ungemein schwer auch hernach, solche Gedanken aus dem Kopfe aufs Papier zu heben mit dem Schreib-Arm, so wie ein gefüllter Eimer, solang' er im Wasser steigt, ohne Schwere aufwärts geht, aber, sobald er heraus soll, kaum zu heben ist. Wie gesagt, man lässet nicht nach.

Da man nun Voltairen glücklicherweise vorgeworfen, daß er in seinem Alter Einfälle gehabt, die er schon in seiner Jugend geprägt und deponiert hätte in einem Spartopf: so bewerb' ich mich um diesen Vorwurf und lass' in meinen jungen Tagen einen ähnlichen Spartopf von meiner Töpferscheibe laufen. – Kurz ich reise, um im Alter eine Reisebeschreibung zu liefern: diese grünt im Glashaus meines Museums unter andern Früchten, die auch erst im Eismonat meines Lebens, wie die Venusbrust (eine Birn) im physischen, reifen und gelben. Diese Reisebeschreibung betrifft nur Länder, die ich selber wie andere Seefahrer zuerst gesehen und getaufet habe, nämlich die drei sündlich vergessenen biographischen Fürstentümer Scheerau, Flachsenfingen und Haarhaar. Ich dachte, wenigstens der treffliche Fabri würde dieses wichtige Länderkleeblatt berühren; aber auch er regt sich nicht. Deswegen reise ich nun jedes Jahr darin herum, um einmal mit grauen Haaren nicht als Menschen-, sondern als Länder-Biograph aufs Theater zu treten. – Und eine solche eines Herodotus werte Bestimmung führte mich nun nach – Neulandpreis, nur einige Tage früher als die Kaffee-Lektorin. Schon seine schönen Ziegeldächer, die eine gehäufte Schüssel roter Krebse formieren, ziehen einen Geographen an. Rote Dächer stellen gleichsam eine befestigte eingebrannte frohe Morgenröte vor, sie spannen einen purpurseidenen Sonnenschirm über die verhüllten Bewohner. Ich ging anfangs nur müßig um die Fenster des Orts; aber da man in einem Dorfe zuerst nach der Kirche sieht – bloß in einer Stadt zuletzt – und da gerade dieses um den Bethesda-Teich gebauete Brunnenhaus offenstand: so ging ich hinein. Es war nichts darin als auf dem Altar zwischen den Wachskerzen der Schulmeister Scheinfuß, der eine lange, oben mit einem Borstwisch infulierte Stöhrstange zu regieren suchte. Der Plan des Schuldieners war, mit der verlängerten Zahnbürste die gesamten himmlischen Heerscharen aus Holz, was nämlich von den neun Hierarchien herabhing, sauber abzureiben samt einem und dem andern Apostel. Ich trat grüßend ans Altargeländer und fragte höflich, warum er die Engel so mühsam abbürste. Der Altarfeger senkte den langen Spinnrocken auf den nächsten Apostelkopf und sagte: »Ich wische schon seit voriger Woche, und es tut wahrlich not – Sonntags, geliebts Gott, begeht unser Herr Senior sowohl sein Amts- als Ehejubiläum zum Wohlgefallen hiesiger Pfarrgemeinde und sämtlicher eingepfarrten Imparochierten: wenn es nun hinkte, so legten es viele dem Kantorat zur Last. Dort drinnen wäscht Mamsell Dea auch....«

Ich wandte mich links herum: im Pfarrgitterstuhl bürstete parterre selber ein Engel. – Der Engel war mir lieber als ein silberner in einer Kathedralkirche, er gab dem Teiche Bethesda eine offizinelle Bewegung. Alithea, obwohl eine Landhonoratiorin, war doch knapper, weißer und fester eingekleidet und eingeschnürt, als sonst die Kameradschaft ihres Standes ist. Ein Herr von Esenbeck und von Hofe hätte nichts an ihr rügen und meistern können, als daß die zwei Schneeballen oder zwei magdeburgische Halbkugeln, womit die Guerike die Versuche der Kohäsion anstellen, anstatt in das goldne, von der griechischen Helene hergeschenkte Käsenäpfchen zu gehen, etwan eine Kürbisflasche füllen konnten. Mehr hätte Esenbeck nicht vorwerfen können. Aber wie himmlisch und gleichsam aus Glas über die Seele geblasen war der Rest! Denn wiewohl sie am kirchlichen Jalousieladen bügelte und bohnte und sich ein wenig unter den umgekehrten Holzfächer wechselnd niederbückte: so nahm ich doch den glatten Guß ihres (Schnür-) Leibchens um die Seele wahr, ja ich konnte durch das schwarzseidene Spitzen-Fallgatter – denn eine breite rabenschwarze Samtbinde umschloß ihre neugewaschene gleitende Bürgershaube – einige von den schweren Tropfen fallen sehen, die die Kelter des Schmerzes über das erwähnte Jubelfest aus dem zerquetschten Herzen warf. Sie antwortete dem Schulmeister nicht, sondern tauchte sich bloß tiefer zum Fußschemel des Gitterstuhles mit dem wollenen Bügeleisen unter, um zwei Vergißmeinnicht-Augen, in die Huysum und Mignon keine schönern Tautropfen legen konnten, betauet hinter die Dämmerung zu verstecken. Nasse Augen sind allmächtig über stummen Lippen: die gütige Natur nimmt der gelähmten Zunge des Bedrängten die Krankengeschichte seines gepeinigten Busens ab und erzählet sie uns mit einer einzigen Träne. Alithea drückte sich immer tiefer nieder, weil sie wußte, der Schulmeister werde nun vor dem Fremdling auf ihre Leidensgeschichte kommen und sie werde dann stärker weinen.

Er näherte sich wirklich der Historie und sagte: »Ganz Neulandpreis freuet sich auf den großen Jubeltag; aber man hatte sich davon hier und da noch ganz andere Dinge versprochen, die nun klar kapores gehen.« Der Schulmeister setzte sich auf den Altar und stattete mir die bisherigen zwei offiziellen Berichte noch weitläufiger ab als ich dem Leser. Er wußte alles: auf dem Lande werden alle einheimische Angelegenheiten auswärtige, und jedes Familienschauspiel wird auf einem Nationaltheater abgespielt. Wenn auf zwei Bergen, z. B. auf dem Horeb und Sinai oder auf den zwei Gipfeln des literarischen Gesetzberges, des Parnasses, nur zwei Menschen wohnten, auf jedem einer: so würd' es dem einen Älpler ebenso wichtig sein, ob sein Nachbar drüben raucht oder obs der Ätna tut, und er würde mit dem Fernrohr die silbernen Westenknöpfe desselben wie ein Herschel eichen oder zählen. Der sonderbare Anteil, womit auch der weise und gute Mensch die kleinen Stadt- und Stubenneuigkeiten des andern aufnimmt, ist bisher mehr satirisch und moralisch angefochten als philosophisch erforscht und geschonet worden.

Schon ehe Scheinfuß sein Zeitungskollegium zu lesen anhob, war die eingepreßte Heldin gebückt aus dem Gitterstuhl in die Sakristei und aus dem Dom entwischt; sie floh vor dem Augen- und Ohrenzeugen ihrer Wunden: in dem Leben wie auf Gemälden duldet der Kummer nur wenige Nebenfiguren.

Das Mitleiden mit der getäuschten Familie führte in meiner Seele von weitem ein Gerüste zur Reparatur ihres baufälligen Lustschlosses auf. Man soll mehr davon hören; dem Schulmeister aber konnte nichts mitgeteilt werden als der flüchtigste Umriß einer Hoffnung. Ich schrieb vor ihm mit einer wichtigen Physiognomie alle Namen ins Souvenir und sagte kalt: »Es ist gut – der maitre de plaisirs, Herr v.Esenbeck, soll viel hören – Sein Vorgesetzter, Herr Kantor, hat Ihm viel Dank zu wissen für den Dienst, den Er ihm bei mir erwiesen. Gegen das Ende der Woche dürften sich Dinge zutragen, Herr Scheinfuß, die Ihn frappieren. Von hier nach Flachsenfingen rechn' ich in jedem Falle 24 Wersten, wenigstens 12 englische Meilen, oder doch 6 französische.« Und so reist' ich, von Planen glühend, zurück. Ach, wenn es dir gelänge, dacht' ich, das grobe Geschütz, womit noch das Schicksal den Hafen euerer Ruhe, ihr Alten, bestreichen kann, wegzufahren oder zu vernageln! –

Noch denselben Abend flog ich mit andern Sphinxen und Phalänen ins Esenbecksche Haus, um aus dem Brief der Fräulein v.Sackenbach fortgesetzte Aufschlüsse zu holen. Dieser Herr, der in meinem für edlere Gegenstände pulsierendem Adernsystem nichts wert hält als meine dünne satirische Hohlader, war eben aus Karlsbad zurück und freuete sich unendlich, mich zu sehen, ob er sich gleich nicht so sehr betrübte, mich zu entbehren. Ich hatte einen guten Vorwand, nämlich eine Bitte um die Produktenkarte oder den Passagierzettel der Karlsbader Kurgäste bei der Hand, der dieses Mal so lang war wie die Pränumerantenmatrikel vornen vor Klopstocks Gelehrtenrepublik. Esenbeck öffnete die während seiner Kurreise aufgehäuften Briefschaften; und als er auf das Sackenbachsche Schreiben stieß, warf ers verschlossen beiseite. »Ich weiß schon, was diese will« (sagte er) – »nichts als mich. Die Sackenbach hat ein außerordentliches Gedächtnis – sie weiß sich noch völlig ihrer Jugend und meines Pagenstandes zu entsinnen. Die Götter haben mich mit ihr in einen wahren Schlözerischen Briefwechsel verwickelt, worin man nur Briefe bekömmt, aber nicht beantwortet. Länger ists nicht, lieber J. P., als ungefähr zwanzig Jahre, daß ich und sie einander nicht einmal gesehen haben. Aber nachgerade wird sie mir lästig.« Mit Freuden steckt' ich ihren Wechsel- und Hirtenbrief, den ich mir erbat, als einen Kreditbrief, als ein Notariatssiegel der scheinfußigen Erzählung ein.

Ich las ihn daheim: es war alles richtig, und mich dauerte nicht nur das getäuschte Brautpaar, sondern auch die sehnsüchtige fille d'honneur. Es wurde nun meine Pflicht, das Unmögliche, wie einige das Mögliche nennen, zu versuchen. Ich ging zu dem flachsenfingischen Fürsten, den die auf den Hesperus eingepfarrten Leser unter dem Namen Jenner schon seit Jahren kennen.

Der Anfang war gar nicht unangenehm: denn ich fand im Vorzimmer den Herrn von Esenbeck höchst verdrüßlich, der mir sagte, der Fürst sei es noch mehr, er habe ihm gerade eine Bitte rund versagt. Esenbeck hatte das Kabinettssekretariat für einen jungen vortrefflichen Menschen, aber zu andringend und mit zu großer Rechnung auf die gerechte Sache nachgesucht: hätte der Mensch die Stelle nicht verdient, so würde Esenbeck sie vorsichtiger geworben und sie also erstanden haben. Das war mir lieb: denn Januar gehörte nicht zu den Fürsten, die sich vom Darius unterscheiden, der befahl, in 30 Tagen alles von ihm, und nichts von Gott zu bitten, und die umgekehrt gern nur von diesem alles zu verlangen erlauben: er machte lieber ein Nein gegen den einen durch ein Ja gegen den andern wieder gut. Ich konnte hoffen, der Ablaßkrämer für die Sünde gegen seinen heiligen Geist zu werden. Ich fand ihn in seinem Boudoir, das der gebrochene Schimmer aus einer mattgeschliffenen Kabinettslaterne von Beinglas in eine weiße Rosenlaube umkleidete. Ich erzählte alles, eh' ich etwas bat; ich machte zwar nur einen flüchtigen pragmatischen Auszug aus den Pfarr-mémoires und nur einen kurzen Wundzettel ihrer Schmerzen, aber ich war dafür in der Prospektmalerei des Jubelfestes und der Familien-Wonne desto reicher, die das Pfarrhaus durchströmen würde, brächt' ich wirklich die Ratifikation der Adjunktur zurück. Glücklicherweise blickt' ich im Kabinett umher und sah den Kupferstich der schönen, über die vergeltende Zurückkunft eines mildern Geschicks entzückten Familie des Jean Calas vor mir hängen. »Nein,« (sagte ich) »die Gruppierung eines solchen Entzückens über eine dreifache Jubelfeier wäre gar noch nicht gemalt; aber – – wohl« (ich wies auf den Stich) »hier in Kupfer gestochen.« Ich finde in dieser Prozedur nichts, als was mir gefällt: nichts greifet stärker und schöner in einen Eigentümer ein, als wenn er dem harten trocknen Aaronsstecken der alltäglichen Nachbarschaft um sich durch eine geistreiche Wendung plötzlich eine transzendente Blüte gegeben sieht.

»Der Sohn soll die Pfarrei bekommen,« (sagte der Fürst) »und ich goutiere die Idee so sehr, daß ich am Jubelsonntage selber kommen und den Effekt bemerken will, den die Vokation auf alle macht. Recht gern unterschreib' ich sie.« Das setzte mich nicht sonderlich in Freude: denn ich selber wollte allein die Vokation einhändigen, um ins zitternde Herz, wenn es sich weit und gewaltsam zur Aufnahme der großen Wonne öffnen muß, tief hineinzusehen. Da aber die Menschen, besonders die Großen und die Weiber, hundertmal eine Bitte erhören oder auch versagen, bloß weil sie eine frappante Idee ist – oder weil ihnen ein Bonmot dazu beifällt – oder eine Lustpartie von einer Minute – oder weil der Bittsteller gerade nieset, hustet, lächelt – oder weil sie schon einmal dasselbe getan haben – oder weil sie keine geringere Ursache dazu haben als die Freiheit des Gleichgewichts (libertas aequilibrii): so war weiter kein Spaß und zum Einwenden kein Ort; ich hätte den Adjunktus mit drei dummen Worten um Braut und Kanzel bringen können.

Ich verfiel vielmehr auf etwas noch Besseres: ich konnt' unmöglich die armen büßenden Brüder und Schwestern bis auf den Sonntag nachmittag in ihren Mortifikationen lassen, ohne einer einzige Maiblume ihres künftigen Wonnemonats, nämlich ohne eine einzige Hoffnung. Ich gestand also dem Fürsten, ich würde den Scherz ansehnlich verstärken, wenn ich am Sonnabend nach Neulandpreis abreisete und mich da bei dem obsoleten Fräulein für den Herrn von Esenbeck ausprägte – das mußte ich tun, denn unter meinem eignen unbekannten Namen würde mich das ganze Dorf bloß für einen Nachflor, Postlapsarier und Adjunktus des Spitzbuben Lederer genommen haben – und wenn ich also für die guten, vom Glatteis des Nachwinters überzognen Seelen den Frostableiter und den Frühling abgäbe, um bei ihnen den warmen Sommer einzuleiten, da der Mensch so leicht am schnellen Wechsel der Temperatur umkommt. Ich wollte nur zwei, drei hoffnungsvolle Winke fallen lassen und der schwimmende Seetang und Seevogel sein, womit auf dem leeren Meere eine blühende Insel ihre Nähe ansagt.

Jenner hatte nicht das geringste darwider.

Ich schied und ging sofort zu Esenbeck und brachte ihm die Nachricht, daß mir Ihro Durchlaucht gern verstattet hätten, über seinen Namen zu disponieren.Die hieher gehörige Digression, daß es weit weniger Egoisten gebe, als (besonders) diese glauben, ist im dritten Zirkelbriefe befindlich. Anfangs verstand er mich, nachher nicht mehr. Anfangs dachte er – und das billigte er ganz –, ich hätte nichts als ein erotisches Aal- und Schifferstechen nach dem Herzen der Neulandpreiser Gesellschaftsdame unter seinem Namen vor: er gehörte zu den unter den höhern Ständen gewöhnlichern Koketten mit einem Bart, die gleich der schwermachenden Materie des Baron Wolfs (materia gravifica) alles (nämlich jedes weibliche Herz) schwer machen und durchdringen, selber aber ohne Schwere sind. Er begriff mich indes sogleich nicht mehr, als ich sagte, ich tät' es der Pfarrleute wegen: er zählte diesen Einfall zu den vielen Moresken und Bambocchiaden, die er auch aus meinen Schriften streichen möchte. Bloß mit der Beredsamkeit nicht eines Cicero, sondern eines Demosthenes bettelte ich ihm ein Handschreiben an Gobertinen ab, worin er ihr auf den Sonnabend seine – nämlich meine – Himmelserscheinung mit drei Zeilen verbürgte. Es war ihm gar nicht beizubringen, was ein Adjunktus oder eine Pastorhaushaltung sei. Die Großen schöpfen zwar aus schalen unmeublierten gallischen Idyllen – und aus der Nachbarschaft ihrer Landsitze – eine matte Idee von dem Landmann, die sie nachher skandieren und singen; aber vom Kriegs- und Friedensetat eines Armenkatecheten, Kammersekretärs, Weginspektors und Zolleinnehmers ist ihnen zehnmal weniger bekannt als diesem Personale von ihrer Hofhaltung. Man erlaube mir, dieses gelehrt zu erklären.

Schon die Peripatetiker und mit ihnen PlotinusDie Stelle lautet in Scalig. de Subtilit. ad Cardan. exercitat. CCCVII. sect. 2. so: superiores intelligentias ab inferioribus intellectione comprehendi, non inferiores a superioribus. – Die Endabsicht davon steht oben im Texte. erweisen: daß zwar die niedern Intelligenzen (z. B. die Menschen) die höhern (z. B. die Cherubim) fassen, aber nicht diese jene; ja nicht einmal von der Materie wird Engeln ein Begriff zuteil – – und zwar darum, weil vorauszusehen ist, daß die höhern Intelligenzen am Ende das würden, was sie dächten. Das Nämliche gilt, wenn man von der andern Welt auf die erste geht: die Großen können sich, ohne ihren eignen Nachteil, keine Idee von den Kleinen machen, obwohl diese von ihnen. Hohe Orte, z. B. Thronen, Berge, tragen zwar kleinere Geschöpfe als die Ebene, aber diese werfen, wie man auf dem Brocken und Ätna sieht, ein vergrößertes und mit einem Heiligenschimmer umfaßtes AbbildAuf dem Berge Buet z. B. sah jeder an sich alles verlängert. Bourrits Reise auf d. apenninisch. Gebirg. in den Nebel des Gipfels; sie können also im Nebel leicht eine Gruppe von Riesen sehen, aber der Dunst sowohl als die Ferne verbergen ihnen das infusorische Chaos des Volks, das unten wimmelt.

Allein welche Last warf ich auf meine Schultern! Es war so viel, als kroch ich in eine Felsenhöhle und bäumte mich darin auf, um den Felsen aus seinen Wurzeln zu treiben. Ein Mensch, der den Freudenmeister (maitre de plaisirs), den Herrn von Esenbeck, geschickt vorstellen will, muß schon dazu geboren, d. h. dazu erzogen sein. Es fehlte mir (seine Glatze, Magerheit und sein Längenmaß und eine auf zwanzigjährige Abwesenheit gegründete Ähnlichkeit ausgenommen) fast alles dazu; besonders die Seele und das tragbare Ammeublement. Ich war im Falle des Malers Klinsky, dem, als er bei der Prager Ephorie um die Erlaubnis nachgesucht, die Landschaft um Töplitz aufzunehmen, die obrigkeitliche Einwilligung sogleich zuteil ward mit der durch die militärische Kautelarjurisprudenz der Taktik notwendigen Einschränkung: »doch möchte er bei der Abzeichnung der Landschaft sich hüten, einen Berg, Fluß, Wald oder ein Tal mit abzureißen und zu porträtieren.«

Noch dazu hing dem Freudenmeister gerade mitten über die Stirn ein dünnes Purpur-Feuermal von der Gestalt eines Minutenzeigers herab, das auf die Nase hinzuweisen schien. Der Zeiger soll davon auf seine Stirne wie eine steilrechte Falte gekommen sein, daß seine Frau Mutter, als sie gerade sich einer dunklen Kammer (camera obscura) bediente, um wenigstens eine von den Attitüden der Lady Hamilton nachzubringen, entsetzlich zusammenfuhr, da sein Herr Vater (der junge Esenbeck kann damals kaum ein hüpfender Punkt gewesen sein) im Finstern vor ihr stand und ein Turiner Lichtchen schnell zerbrach, um sie anzuleuchten: diese fürchterliche Flammen-Spitze brachte nachher, von der Enkaustik des Schreckens eingebrannt, der neugeborne – maitre de plaisirs an der Stirn mit auf die Welt.

Da ich sehe, daß ich den Herrn von Esenbeck (zumal künftighin) in ein immer lächerlicheres Licht stelle: so bitt' ich jeden, der weiß, wie er heißet – denn Esenbeck ist fingiert –, den wahren Namen bis zur zweiten Auflage – entweder meines Buchs oder des Herrn v.Esenbecks – schonend zu verschweigen: ist das so schwer, und tu' ichs nicht auch? –

Ich habe bloß aus ästhetischer Teleologie und Absicht einen solchen Lärm über die Schwierigkeiten, den Freudenmeister mit der Kopiermaschine meines Körpers zu machen, aufgeschlagene: denn mit einigen Schmink-Bezetten oder Färbeläppchen konnt' ich mir das Kainszeichen des roten Minutenzeigers auflinieren – die Equipage und Garderobe konnt' ich, wie andere Schauspieler, aus der ganzen Stadt zusammenborgen – und was den innern Esenbeckschen Menschen und Weltmann anlangt, der mir zu machen oblag, so braucht' ich ihn auf dem Lande gar nicht zu machen, sondern bloß zu entstellen. Auf dem Dorfe, wo man Welt- und Hofmännern noch nirgends begegnet war als auf Romanenpapier und auf hölzernen Bühnen, hätte eine reine Kopie, die kein Vergrößerungsspiegel gewesen wäre, mich gerade in den Verdacht gebracht, daß ich betröge und das nicht wäre, was ich spielte – welches ohnehin seine Richtigkeit hatte. Meine Pflicht war, den Hofmann bald mit dem langen, bald mit dem kurzen Ende des Storchschnabels abzumalen, um gleich den Romanen-Malern desselben durch ein alternierendes zweckmäßiges Umwenden des Fernrohrs den Mann bald größer, bald kleiner zu zeigen, als er ist. – Ich arbeitete die ganze restierende Woche als Maschinenmeister und Dekorateur und Rollenschreiber an meiner hohen opera seria – dasselbe tat man in Neulandpreis, wo man Kothurne und Chöre und Theatervorhänge zum Jubeldrama anschaffte – Die Komödienproben liefen gut ab – der Sonnabend erschien – das Intrigenstück begann – und der dritte offizielle Bericht beschloß.

Der vierte sperret die vier heiligen Jubelpforten auf und zeigt den Menschen alles. Aber jetzt in diesem dritten Bericht ist der Leser noch glücklich durch Hoffen auf den vierten: hat er diesen ausgenossen und ausgelesen, so ist seine Freude (aber auch das Buch) zu Ende; so zeigt uns das Fernglas der Hoffnung wie ein anderes die weiten Gegenstände in einen bunten Regenbogen-Kreis gefasset; so entkräftet den Rosmarin die Blüte, die man ihm daher ausrauft.... Noch lebt der Leser im dritten Bericht....


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