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XI.

Der Winter verging langsam, unendlich langsam. Das ganze Thal schien gestorben zu sein. Kaum daß einmal wöchentlich der Postwagen die tief verschneiten Wege furchte. Die Bauern verkrochen sich in ihre winzigen Holzhütten. Sie saßen die längste Zeit im Dunkeln, denn aus Ersparnis brannten sie kein Licht. Nur in den ganz reichen Höfen gab's den Luxus einer Petroleumlampe.

Eines Morgens ging ein seltsamer Wind. Er brachte allerlei Gerüche von fernen Blumen und frischer Erde mit. Tags darauf regnete es. Die Leute steckten frohlockend die Nase zu ihren winzigen Fenstern heraus. Also! Endlich! Etliche Wochen später war der Schnee im Thale weggewaschen. Auf den Höhen gings freilich langsamer her. Die Sonne that rüstig ihr Werk. Eine Fülle kleiner Schneeglöckchen drang aus der gelockerten Erde hervor. Die Kinder kletterten bloßfüßig, jauchzend auf die Hänge und steckten sich kleine Büschelchen davon hinters Ohr. Und eines Tags war auch der Schnee von oben fort, nur die höchsten Häupter hatten noch ihre blitzenden Helme auf.

An einem solchen Frühlingsabend war's, als Alois Riegl, die Pfeife zwischen den Lippen, auf seinem Stammplatz im »Stern« saß und, ohne selbst zu sprechen, teilnahmlos den Worten der andern Gäste lauschte. Es waren lauter Einheimische. Plötzlich schlug ein Name an sein Ohr. Er senkte den Kopf tiefer, um sein Erblassen zu verbergen.

»Wer kriagt eppa 'n Hof,« fragte ein Bauer seinen Nachbar, »wann d' Koflerin stirbt? Hat's Verwandte?«

»I woaß net, aber i moan na. Schad um das schöne Anwesen. A so a jungs Frauenzimmer. Die muß alleweil was extras habn, selbst 's Sterben hat sie si b'sunders eing'richt. In dena Jahrln. Und ledi.«

»Was fehlt ihr denn?« fragte eine tonlose Stimme.

Alle sahen auf. Alois Riegl hatte sich wie müde in seinen Sessel zurückgelehnt und blies mächtige Wolken vor sich. Durch das Blau des Rauches sah man sein todblasses Gesicht.

»I woaß nit, was ihr fehlt, aber sterbn muß's. Sie ka scho nimmer redn, sagn ihre Leut.«

Da fiel der Stuhl gegenüber dem Sprecher am Tische um. Der Lukasbauer hatte sich erhoben und war hinausgegangen.

Seine Zähne schlugen wie im Fieber aneinander. Er lief nach seinem Stall. Der Knecht starrte ihn erschreckt an.

»Sattl mir schnell 's Bräunl ...«

»Was is g'schegn?«

»Schnell, schleun di.«

Etliche Minuten später raste der Bauer über die Straße dahin, dem Eingang des Innthals zu. Auf seiner Stirne standen Schweißtropfen. Er sah kaum den Weg vor sich. Er wußte nicht, daß ein Stöhnen, wild und klagend wie das eines verwundeten Tieres, aus seiner Brust drang.


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