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II.

Blau und wolkenlos war der nächste Tag über den mächtigen Zillerthaler Bergen aufgegangen. Auf dem schmalen Fußweg, der sich auf halber Bergeshöhe von Zell nach Mairhofen hinzieht, ging, einen derben Knotenstock schwingend, ein junger Mensch. Dann und wann blieb er stehen und holte tief Atem. Es war der Schulmeister, den eine eifersüchtige Regung nach Braunbichl trieb, dem Hof der Kofler, der hoch oben zwischen beiden Ortschaften lag.

Mertens und Mathes fürchtete er nicht als Nebenbuhler, aber dem stillen Lukas war nicht zu trauen. Zudem war er ein Neuer hier und deshalb gewiß interessanter für die Koflerin als die andern, die sie schon kannte. Severin Stengel, aus einer bäuerlichen Familie im Vorarlbergischen entsprossen, hatte in Innsbruck seine Studien absolviert und war hierher als Lehrer versetzt worden. Er fühlte sich sehr einsam unter den kühlen, hochmütigen Zillerthalern und sehnte sich leidenschaftlich nach der Hauptstadt und seinen Freunden zurück. Da hatte er eines Tages bei einem Ausflug, den er mit einigen Bekannten machte, Katharina Kofler kennen gelernt. Als er von ihrem Berg niederstieg, wußte er, daß sein Herz dort oben geblieben war. Seither war ein Jahr vergangen, und je mehr die andern über die hochmütige Bäuerin schimpften und klagten, um so heftiger wuchs seine Bewunderung und Verehrung für sie. Was er ihr heute sagen würde? Er besaß keine Ahnung davon, er hatte sich instinktiv aufgemacht zu ihr. Er war schon zufrieden, wenn er nur den Lukasbauer nicht oben bei ihr traf und sie ihm ein freundliches Gesicht zeigte.

Nachdem er etwas über eine Stunde gegangen war, wurde der Weg breiter und breiter, der Wald trat nach rechts zurück und eine prächtige Wiese lag vor ihm. Ziemlich hart am Abhang derselben, wo ein Obstgarten terrassenförmig nach unten zu sich hinzog, standen die Ökonomiegebäude und das Wohnhaus der Kofler.

Es war ein uralter Bauernsitz, dessen erste Insassen sich urkundlich bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurück verfolgen ließen. Katharina bewahrte in einer alten rostigen Eisentruhe die vergilbten Dokumente, in denen ein Kofler im Jahre 1497 das Gut unter seine beiden Söhne teilte. Die jeweiligen Nachkommen hatten immer, je nach ihrem Bedarf und Geschmack, den Hof umbauen oder durch Anbauten vergrößern lassen, und so kam es, daß Braunbichl den Eindruck einer kleinen Festung machte, mit unregelmäßigen Fenstern, niedern und hohen Eingängen, einem ganz ansehnlichen Turm, den ein besonders baulustiger Kofler hatte errichten lassen, allerlei Erkern und Wendeltreppen, die heute ebenso überflüssig als interessant erschienen.

Severin zog sein buntgemustertes Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirne, dann zupfte er seine Kravatte zurecht. In diesem Augenblick schlug der Hofhund an und stürzte auf ihn zu. Er hatte alle Mühe, sich der stürmischen Zärtlichkeit seines Bewillkommers zu erwehren.

»Ist die Bäuerin zu Haus?«

Der ihm entgegenkommende Knecht nickte.

»Sie thut einsieden, geh nur hinein.«

Severin fuhr sich nochmals mit dem Taschentuch übers Gesicht, dann trat er in die große Küche, aus der ihm ein appetitlicher Duft entgegenströmte. Eine mittelgroße Gestalt stand am lodernden Herdfeuer und rührte in einem brodelnden Kessel.

Bei Severins Eintritt wandte sie sich um.

»Oha, der Schulmeister.«

»Grüß Gott, Bäuerin.«

»Magst a Muaß?«

Sie fuhr ihm mit dem tropfenden Kochlöffel unter die Nase.

»Naa, dank schön.«

»Hübsch warm heut!«

»Ja, besonders hier herinnen. Mußt das selbst machen?«

»Müssen nit, aber i thu's gern.«

»Kirschen?«

Er beugte sich über den Kessel.

»Ja, Kirschen.«

»Aber nit gar zu viel Zucker dazu.«

Die Rührende lachte hell auf.

»Weißt was vorhin die Magd gemoant hat? ›Bäuerin‹, hat's gemoant und's Muaß kost, ›thu Zacherlin eini, dös süßt noch mehr als der Zucker und is billiger.‹«

»›Der tausend,‹ sag ich, ›Burgl, das is ja 's Wanzenpulver.‹«

»›Was d' nit redst,‹ begehrt sie auf, ›der Naz hat's in der Zeitung verkünd' glesen.‹«

»Weißt, was 's gemoant hat? Saccharin. Siehst, so is, wenn d' Bauern gscheidt wern.«

Beide lachten herzlich.

In diesem Augenblick kam der Knecht herein.

»Bäuerin, deine Kolli aus Stuttgart sein ankommen.«

»O mein, die Pflanzen. Die müssen heut noch ausgepackt und eingesetzt wern.«

Sie legte die Hände an den Mund und rief: »Zenzi!«

Ein junges Dirnlein kam laufend herbei.

»Da rühr, aber schleck nit zu viel.«

Katharina warf ihr den Kochlöffel zu.

»Mei armer Schulmeister, du bist grad an unrichtigen Tag kommen, nu muß i aussi.«

»Darf ich mit?«

»Gwiß, schaug zua, kannst was lernen.«

Sie traten miteinander in den Hof.

Erst jetzt konnte der verliebte Jüngling das Gesicht seiner Angebeteten deutlich erblicken. Katharina besaß die feinen, geradlinigen Züge der Zillerthaler, die lauter als andere historische Beweise für ihre norddeutsche Abkunft zeugen. Ihr dichtes, braunes Haar war in einen Zopf geflochten und mehreremale um den Kopf gewickelt. Die feingezeichneten Augenbrauen wölbten sich über einem Paar großer grauer Augen, die je nach ihrer Stimmung Farbe und Ausdruck verändern konnten. – Nur einmal diese trotzigen roten Lippen küssen, dachte der Schulmeister, neben ihr hergehend und sie mit den Augen verschlingend.

»Schau, da sein die Pflanzen,« sagte sie, sich zu fünf sauber in Leinwand eingenähten Körben kauernd. Sie löste den Stoff behutsam, und bald kamen eine Reihe niedlicher Blumen in kleinen Töpfchen zum Vorschein. Severin half ihr beim Auspacken und stellte die Blumen auf das Bänkchen vor ihnen. So oft Katharinens Hand die seine streifte, schauerte er zusammen und senkte den Kopf.

»Was hast denn?« fragte sie, »brennst ja, als wennst aus mein Kirschenmuaß g'stiegen wärst. Was hast denn?«

»Ja, ich brenn' wirklich,« sagte er und nahm ein Pflänzchen zwischen die Finger, »du bist grausam, Koflerin.«

»Was sagst? I grausam? Was meinst denn?« Sie wandte ihm erstaunt ihr schönes Gesicht zu. »Bist wo einkehrt?«

»O nein, ich bin ganz nüchtern,« rief er, und plötzlich sanken seine Hände wie gelähmt an ihm nieder; er stand auf und ließ sich neben den Blumen auf das Bänkchen nieder. Katharina warf einen raschen, forschenden Blick auf ihn. Dann erhob auch sie sich.

»Magst Platz machen?«

Er rückte ein wenig zur Seite.

»Ich bin freilich nit nobel genug anzogen, um neben so ein feinen Herrn zu sitzen,« sie fuhr glättend mit der Hand über ihre Schürze, »betrachst mi halt als alte Bas, gelt, und beichst ma. Also was hast denn?«

»Dich als alte Bas?« lächelte er wider Willen, »nit einmal als junge, weilst mir viel mehr als a Bas bist.«

»O du mei, Schulmeister, weißt auch, was d' redst?«

»Gewiß, Bäuerin, weiß ich das, aber was draus wird, weiß ich nicht. 's steht bei dir, ob ich verderb', oder – selig werd' – – –«

Katharina fuhr sich mit einer heftigen Geberde an die Schläfe.

»Also da habn ma's. Weißt was i mit ein andern thät, der so zu mir redat? Pfiat di Gott, thät i sagen und: aus is. Mit eim abgewiesenen Freier verkehr i nit mehr, weil's doch nit zur alten Herzlichkeit mehr kommt, aber – dir vergess i, was d' g'sagt hast, weil – –«

»Weil ich dich so furchtbar gern hab, Koflerin,« er packte mit seinen beiden Händen die ihren und preßte sie.

»Na, weil du soviel jung und dalket bist.« Sie lachte mit ihrer metallischen Stimme auf. »Schau, Severin, das, was d' für mich fühlst, is doch nix weiter als eine Art Sohnesliebe; 's is immer so, wenn ein Jüngerer eine Ältere liebt ...«

»Du bist keine Ältere, du Narr du.«

»Freilich bin i's. Wie du auf die Welt kommen bist, war i schon ein fünfjährig Madel.«

»Aber ich liebe dich so, als ob du viel jünger wärst als ich, so verzehrend –«

»Sei stad, Severin.«

Sie legte ihm ihre hübschgeformte bräunliche Hand auf den Mund.

»Siehst, du verehrst mi, weil i mehr erfahren hab als du, weil d' siehst, daß mi auch andere gern möchten, weil i gut gegen dich bin, auf deine kindische Art eingeh', dir mehr Interesse entgegen bring als die jungen Madeln, die dich noch als Unreifen behandeln, und weilst fühlst, daß i dir a feste Stütz sein könnt, wenn dich a Unglück träf'. Du – sei stad und laß mi ausreden, das is so, wie d' dich auch dagegen wehren magst, und schön und gut is es, aber – Lieb is es keine, und die Koflerin – na, du weißt ja ...« sie sprang auf, und warf scherzend die Arme um ihren Leib – »die will, daß sie einer in die Höh tragt, wie der Adler sein Diebstahl, und nimmermehr aus den Krallen laßt.«

»Aber – ich möcht' ja das, laß mich's doch,« flüsterte der Schulmeister.

Katharina schüttelte lachend den Kopf.

»Nit wahr is. Weißt, was d' möchst? Dein Kopf möchst in mein Schoß legen und dir die Haar krauen lassen von mir und Busserl auf die Augen geben lassen, und liebe Namen möchst hören von mir, und die Weg' sollt ich dir ebnen und glätten, das möchst, a schönere, jüngere, zärtliche Mutter möchst in mir haben – – –«

»Katherl, du hast mir ja noch kein Recht geben –«

»Ka Recht, du einfältiger Mensch, moanst, daß a richtiger Mann 's Weib, das für ihn 's richtige is, lang fragt? O du Narrendatl, wenn nix anderes, dei Red thät ma zeigen, wie richtig i dei Lieb zu mir abschätz'.«

Sie hockte sich kichernd zu ihren Pflanzen und begann einen neuen Korb auszupacken. Severin saß etliche Minuten mit gesenktem Kopf auf dem Bänkchen, dann erhob er sich seufzend.

»Na, dann geh ich halt wieder. Es war umsonst. Denken hätt ich mir's können. Nix für ungut.«

Er hielt Katharinen, ohne sie anzublicken, die Hand zum Abschied hin.

»Laß di wieder anschaun, und sei guten Muats, hast a treue Freundin in mir.« Sie schüttelte ihm kräftig die Rechte.

Langsam stieg er den Berg hinab.

»Freundin? Auf die pfeif' ich,« murmelte er vor sich hin, »zum Weib hätt' ich sie wollen.«

Unten in Zell begegnete ihm Riegl. Sie begrüßten einander.

»Wohlauf, Lukasbauer?«

»Ja, Schulmeister, du auch? Siehst sehr erhitzt aus, hast wohl viel Ärger mit deinen Rangen g'habt?«

»Heut is ja keine Schul', ich war bei der Bäuerin oben.«

»Ah so.«

Die beiden blickten sich einen Augenblick in die Augen.

»Wie geht's ihr denn? Wollt' ja auch heut hinauf, hab's aber wieder vergessen.«

»Sie setzt Pflanzen,« sagte Severin nachlässig, »und hat alle Händ' voll zu thun.«

»Dann is ja gut, daß ich nit oben war,« meinte Riegl. Sie gingen noch ein Stückchen nebeneinander hin, dann begab sich Severin ins Schulhaus, wo er seine kleine Wohnung hatte. Er zündete sich seine Pfeife an und warf sich auf das harte, mit buntem Kattun überzogene Sofa. Sein Gesicht brannte, am liebsten hätte er geweint, an ihrer Brust sich ausgeweint über den ersten Schmerz, der seinem weichen, zärtlichkeitsbedürftigen Herzen zugefügt worden war. An ihrer Brust. Wie seltsam! Sollte sie am Ende gar ... recht gehabt haben? Liebte er sie weniger oder – mehr als eine Geliebte? Er erinnerte sich jetzt der Träume seiner Schuljahre. Damals hatte er sich vorgestellt, wenn er einmal ein Mädchen lieb gewänne, und sie brächte ihm keine Gegenliebe entgegen, würde er sich unfehlbar erschießen. Nun kam ihm kein derartiger Entschluß, nur tiefe Wehmut hatte sich seiner bemächtigt. Also so heiß war seine Leidenschaft doch nicht.

Er sann lange vor sich hin.

Dann erhob er sich, trat zum Wandschrank, öffnete ihn, nahm eine Flasche alten Weines heraus, und goß sich ein Glas voll ein. Auf dein Wohl, Koflerbäuerin! Und indem er es leerte, tropften zwei große Thränen aus seinen Augen, aber – sein Herz fühlte sich erleichtert und wieder froh.


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