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IV.

Katharina war eine despotische Natur, eigensinnig, stolz, äußerst heftig. Sie hatte ihre Mutter ganz früh, ihren Vater, als sie sechzehn Jahre alt war, verloren. Geschwister besaß sie nicht. Für ihres Vormunds Schwester empfand sie keine Neigung. »Was brauchst denn den Leuten Kratzfüß' zu machen, wennst sie gut bedienst?« rief sie ihr oft zu. »Küß d' Hand hin, und küß d' Hand her. Wofür denn? Daß sie sich herbeilassen, bei dir z' wohnen und dei guts Essen schnabulieren? Kost's dich etwa nix? Kriegst deine Waren umsonst? Is dei Zeit weniger teuer als die ihrige?« Und wenn dann die Wirtin ihr vorstellte, daß sie bescheidene Leute wären und die andern »Herrschaften«, röteten sich Katharinens Wangen. »Warum sind denn die Herrschaften? Weil's ihren Müßiggang auf Reisen führen? Weil's sich nicht einmal ohne Hilfe anziehen können? Weil's sich in seidne Taschentücher schneuzen? Oder etwa gar, weil sie großmütig bezahlen, was sie verzehren?«

Katharina war in ihrem siebzehnten Jahr von wunderbarer Schönheit. Damals hatte sie den Zug der Härte noch nicht um die Lippen. Auch mußte sie auf Wunsch der Wirtin sich städtisch tragen, was ihrer schlanken Gestalt sehr vorteilhaft stand. Sie wurde von Anbetern und Bewunderern auf Schritt und Tritt verfolgt. Besonders von solchen vornehmerer Stände, die für die Eigenart ihrer Schönheit Verständnis besaßen. Die Herren, die im Hotel aus- und eingingen, traten nicht selten zu ihr in die Küche, um, wenn sie einen Augenblick allein war, ihr zärtliche Anträge ins Ohr zu flüstern. Katharina bemerkte, daß sie ganz anders mit ihr verkehrten wie mit den Fräulein ihres eigenen Standes. Das reizte ihren Zorn noch ärger. »Zwickens doch dort die Prinzessin in die Backen,« sagte sie einmal ganz laut im Gastgarten zu einem Kavalier, der ihr vertraulich begegnen wollte. Die Prinzessin saß mit ihrer Gesellschafterin nicht weit von ihnen und hörte die laut gesprochenen Worte. – –

Einige Monate später erklärte Katharina kurz, sie wolle wieder in ihre Heimat auf ihren Berg zurück. Sie reiste nach Hause. Der Vormund kam nun mit Heiratsvorschlägen. Da sie Abscheu vor allen »Feinen« empfand, so solle sie sich einen tüchtigen Bauern aussuchen, der ihr die Wirtschaft führe. Sie allein würde doch nicht damit fertig werden können. Katharina ließ mit bäuerlicher Sprödigkeit alle die ihr zugedachten Gatten den Berg hinaufklimmen, bewirtete sie und entließ sie wieder. Damals schuf sie sich viele Feinde.

»Was hast denn gegen mich einzuwenden?« wurde sie manchmal von einem oder dem andern der Bekorbten gefragt. »Ich hab' an Hof und mei Auskommen, du hast das deine; gefallen thust mir auch, also?«

Da nun selten ein Mensch vollkommen ist und Katharina dies wußte, so beutete sie ihre Erkenntnis in schlauer Weise zu ihren Gunsten aus. »Du trinkst mir zu viel,« sagte sie zum einen, »du bist mir ein zu großer Betbruder« zum andern, »du hast mir zu viel Techtlmechtl mit die Weibsleut',« oder: »du bist mir a zu großer Raufbold«. Weil nun alle auf den prächtigen Besitz und die Hand der schönen Bäuerin hofften, so geschah es nicht selten, daß einer oder der andere seine Gewohnheiten ließ, um ihre Gunst zu erwerben. Aber wie sehr sich auch ihre Freier anstrengten, sie hatte immer noch etwas an ihren Charakteren zu tadeln.

Schließlich riß auch den Unverzagtesten die Geduld, und man ließ sie.

Sie hatte ihr fünfundzwanzigstes Lebensjahr überschritten und schien immer stolzer und unzugänglicher zu werden. Sie wird a ledige Bas bleiben, sagten die Leute. Sie glaubte es selbst. Ohne sich über die Anforderungen klar zu sein, die sie an den Mann, den sie heiratete, stellen würde, wußte sie doch instinktiv, daß es einer sein müsse, dessen Charakter dem ihren ähnlich wäre. Und so einer war noch nicht um sie gekommen.

Anfänglich hatte ihr die Bewirtschaftung ihres Hofes viel Mühe gekostet. Und wenn nicht manchmal die knorrige Faust ihres Vormundes, der selbst Großbauer war, hineingegriffen hätte, sie wäre mit den Knechten und Mägden, die der jungen Herrin nicht gehorchen wollten, kaum fertig geworden. Heute war das anders. Ihre Erfahrung, ihre Festigkeit, ihr unerschrockener Mut, vielleicht nicht zum mindesten die hohen Löhne und Geschenke, die sie ihren Dienstboten gab, machten ihr alle unterwürfig.

Katharina kam wenig von ihrem Berg. Sie hatte genug zu schaffen und zu arbeiten, und wenn sie einmal feierte, streifte sie durch ihre Wälder, oder sie griff zu einer Zeitung. Sie war, gleich vielen Bauern ihres Thales, eine eifrige Leserin und hielt sich mehrere Tagesblätter und Zeitschriften. Sie grübelte viel und baute sich in ihrer einsamen Phantasie allerlei Welten zurecht, die oft nicht die schlechtesten waren. Eine ihrer Wunderlichkeiten war der Zorn über die Verhimmelung des Arbeiterstandes, die sie als schreiende Ungerechtigkeit empfand. »Uns singt keiner a Lied,« sagte sie oft zu ihrem Vormund, wenn er zu kurzem Besuch hinauf kam, »uns will niemand a Lichtl anstecken. Die bladen Bauernlümmel sollen bleiben wie's waren. Sie verdienen nit mehr, sie werfen keine Bomben und striken nit. Sie essen ihr Muaß und plagen und schinden si, daß die Herrschaften drin in der Stadt seine Semmerln kriegen.«

Heute war Katharina sehr verstimmt. Die Offenheit, zu der sie sich vor dem Bauern, den sie zum ersten mal sah, hatte hinreißen lassen, ärgerte sie.

Solchen verschwiegenen Naturen passiert es zuweilen, daß wenn sie einmal zu reden beginnen, auch manches mit heraussprudelt, was sie lieber für sich behalten hätten ... Sie ging früh zu Bette. Am andern Morgen erhob sie sich mit demselben Gefühl des Unmuts.

Um dieser widerlichen Stimmung ein Ende zu machen zog sie ihr Sonntagskleid an, drückte das zierliche Zillerthalerhütchen auf ihr üppiges Haar und stieg den Berg hinunter. Kommissionen gab's immer in einem so großen Anwesen zu machen, und statt einen andern zu schicken, wollte sie heute selbst gehen. Im Hofe hatte sich unterdessen blitzschnell die Kunde verbreitet: »die Bäuerin is ausgangen.« Die Knechte warfen die Heugabeln weg und zogen die Pfeifen aus der Brusttasche. Die Mägde hockten sich vergnügt zusammen und begannen zu schwatzen. Ein Ausgang der Bäuerin galt immer als Sonntag für das Gesinde. Leider ereignete sich das Begebnis sehr selten. Katharina wußte es, daß oben jetzt gefeiert und jubiliert wurde, und ein gutmütiges Lächeln umspielte ihren Mund. Sie hatte etwas Großmütiges an sich und lachte nicht selten über Streiche, die sie hätten erzürnen müssen. –

Sie mochte etwa eine halbe Stunde gegangen sein, als ihr plötzlich bei einer Biegung des Wegs ein Mann entgegentrat.

»In Gotts Nam',« er schlug die Hände zusammen »die Bäuerin! das hätt i nit erwart. Wo willst denn du hin?«

»Abi.«

»Das seh i wohl, aber wohin denn?«

»Strumpfbandl kaufen,« rief sie schelmisch.

»Da geh i mit,« sagte er und ging neben ihr her.

»Gelt ja, und wohin hast denn du wollen, Mertens?«

Er spielte mit der dicken Nickelkette, die sich auf seinem Bäuchlein schaukelte.

»Aufi.«

»Das hätt i mir völlig denken können. Was hast denn oben wollen?«

»Na so ... fragen wie der Haber steht.«

»Hm – na, 's macht si. Wie geht 's denn bei dir?«

»Alleweil 's Gleiche. Die Mutter hust' und greint, und es is immer no nur a Bett in meiner Stuben.«

»Das hängt ja von dir ab.«

»Meinst?« sagte er, sich zu ihr beugend; »i mein, das hängt von – zwei ab.« Die Bäuerin schüttelte den Kopf.

»Wenn a Mannsbild klug is, und zu der geht, die ihn gern hat, holt er si kein Korb.«

»Ja, gern hat,« wiederholte Mertens sich hinterm Ohr krauend, »das is so a Sach. Die Lieb kommt oft bei d' Madln erst in der Eh'« ...

»So?« Katharina fing an schneller zu gehen, das Gespräch begann sie zu langweilen.

»Warum laufst denn so, Bäuerin,« sagte er mit gutmütigem Vorwurf, »schau, i derschnauf 's kaum.«

»Nimm a Schweningerkur.«

»Ah wos, wenn ... i mein so a netts Weiberl thät mir besser als die Schweningerkur.«

»So nimm dir do eins.«

»Ja wenn mi aber das, was i möcht, nit mag?«

»So? Das is freili traurig.«

»Gelt Bäuerin? Oder – irr i mi am End?«

Er wollte nach ihrer Hand fassen. Sie runzelte die Brauen.

»Wie kann i das wissen?«

»Weil – du selber das Weiberl bist, Koflerin.«

»Das wär' wohl unfein für di,« sagte sie kühl, »weißt ja, daß i nit heiraten mag.«

»Ja, weil der Rechte halt no nit da war.«

»Und meinst, du wärst der Rechte?«

»Warum nit?«

»Erstens hast viel zu an durschtigen Schlitz unter der Nasen –«

»Mein, wegn dem bisserl Trinken, das gewöhnt si leicht ab, wenn man verheirat' is.«

»Dann möcht i mein Lebtag kein Viehhändler zum Mann.«

»Also z' gering bin i dir?«

»Herrgott ... alleweil die alten dummen Gschichten. Laßt 's mi do. 's laufen gnug Madln auf der Welt herum, die gern heiraten thäten. Gehts doch zu denen.«

»Willst also durchaus a alte Jungfer wern?«

»Das geht di nix an, und wenn i ane wer?«

»Also. Jetzt wird sie giftig. Friß mi nit glei'.«

»O na, i mag 's Fette nit.«

»Wer weiß, ob 's di nit nach a paar Jahrln danach lust.«

»Dann krieg i alleweil no das, was nach mein G'schmack is.«

Sie ließ sich auf einen Baumstrunk nieder und sah lachend zu Mertens auf. Um sie herum war dichter Wald, über dessen grünen Wipfeln das Weiß der nahen Gletscher hereinleuchtete.

»Du bist a höllisches Weibsbild,« rief er, sie zornig und verliebt zugleich betrachtend, »dich müßt a Mann erst halbtot schlag'n und dann brat'n.«

»Ei der Tausend, und s' Essen möcht'st du besorgen, gelt?«

Er lachte.

»Dei Mund is a Pfeffermühl.«

»Dann hüt di, daß er di nit dermahlt.«

Sie erhob sich und schritt wieder weiter. Der Weg wurde sehr schmal. Mertens trottete ihr voran. Sie maß seine dicke, kurze, unförmliche Gestalt und lächelte still in sich hinein. – Nach einigen hin- und herfliegenden Worten, die scherzhaft klangen, aber hinter denen sich namentlich bei ihm tiefer Mißmut verbarg, langten sie in Zell an. Bei der Holzbrücke, die über die reißende Ziller führt, blieben sie stehen:

»Also, nix für ungut.«

»Beileib.«

In diesem Augenblick nickte Mertens jemandem zu, der jenseits der Brücke ging.

»Schau, dort geht aner, der eigentlich zu dir passen thät, der is no stolzer und herrischer als du, der thät di schon klein kriegen.«

»Meinst? Und wer is es denn?«

Sie blickte hinüber. Es war der Lukasbauer. Er sah herüber und ging ruhig, ohne zu grüßen, seines Weges weiter.

»Der,« sagte sie geringschätzig.

»Will ihm nach,« rief Mertens, »pfiat di Gott.«

»Pfiat di.«

Sie fühlte alles Blut nach dem Herzen drängen und trat in das Wirtshaus an der Brücke.

»Bäuerin, siach i schlecht, oder bist 's wirkli,« rief ein altes Mütterchen der Eintretenden entgegeneilend.

»I bin's wirkli, Lechnerin, was wundert di dran? I muß Schürzenzeug kaufen, die alten werden schleißig. Gieb mir a Viertele und an Schnitz Brod, i hab Durscht und Hunger.«

Die alte Frau holte Wein und Brod und stellte es vor Katharina; dann ließ sie sich neben ihr nieder.

»Und wie geht's dir alleweil? wirst alle Tag' säuberer. Und no kan Mann nit. Unrecht is von dir.«

»Laß mi mit die Mannesbilder aus, die ... Warum bist denn du heut da und nit die Leni, dei Tochter?«

»Die hat gestern an Buabn kriegt.«

»Ei der Tausend, und der Wirt treibt wohl d' Wiagn an?«

»Na, der is in Fügen am Viehmarkt.«

»Ah so. Du, dei Wein thut mir wohl, mir is ganz schwach gewesen in die Füaß beim Heruntersteigen.«

»Mei, bist a a Häuterin Arme Haut.; a Madl is zum Heiratn, und wenn's das nit thut, derkrankts.«

»Meinst, i kriag kein,« rief Katharina, übermütig ihr Hütchen vom Kopf reißend und neben sich auf den Tisch legend. Die Hitze und das schnelle Gehen hatten ihre Wangen glühend gefärbt und das Haar über ihrer Stirne zu kleinen Kräuseln verwirrt. Sie sah wunderschön aus.

»Kriagn schon, aber der Richtige is halt no nit kommen, gelt?«

»Ja der Richtige. Ös habt's es immer mit dem Richtigen z' thun.«

»Ja, Bäuerin, aber etwas muaß der Mensch do auf der Welt habn. Die ein' thun beten, die andern haushalten; s' beten hat di nie gfreut.«

»Wer sagt dir das?«

»Mei, ma sieht di doch nur an die höchsten Festtag' in der Kirchen, und da schaust so zerstreut und kalt aus, als wär' dein Sinn derweil, Gott weiß wo.«

Katharina ließ den Kopf auf die Brust sinken.

»Wennst wüßt', Wirtin, wie schwer mir's worn is, von dem allen Abschied z' nehmen, aber ... heucheln will i nit und glauben ...?«

Die Alte hielt sich die Ohren zu.

»Heilige Maria, heiliger Joseph, an Mann, Bäuerin, brauchst, an Mann, der dir die gottlosen Sachen ausred'. Der Lukasbauer, das wär' so aner für di, fromm und fest im Glauben ...«

Katharina runzelte die Brauen. Schon wieder der!

»I komm scho ohne Mann aus,« sagte sie sich erhebend, »aber jetzt heißt's auf die Füaß, sonst dermach i meine Gschäfte nit mehr.« Sie zahlte ihre kleine Zeche, schüttelte der Wirtin die Hand und ging. Beim Krämer machte sie eilig ihre Geschäfte ab! Als sie schon unter der Thür stand, sagte die Krämerin:

»Bäuerin, zu an Hochzeitskleid hätt' i a feins Stofferl. Magst d'rs anschaun?«

»Na, dank schön, eilt nit,« scherzte Katharina.

»Hast d'r no alleweil kan ausgsucht?«

»Wohl, 's Mondmanderl, aber 's will nit abi kommen, 's is so viel stolz.«

»Da wüßt i dir an Bessern, der völli verschmacht nach dir.«

»Ah –«

»Den Mertens –«

»Den! Das is freili a feiner, aber z' mager is er mir, i will an Dicken.«

»Na, na, der is nix für d' Koflerin,« lachte der Kaufmann, »den Lukasbauer muß 's nehmen, der paßt zu ihr ... völli ähnlich schaun thun's einander.«

»Dank schön, bleibt's gsund.«

Katharina entfernte sich eilig. Sie sah nicht rechts noch links, als sie durch den Ort ging; sie fürchtete ihn zu erblicken, dessen Namen ihr ununterbrochen ins Ohr gerufen wurde. Sie begann ihn zu hassen, diesen »Dahergelaufenen«, den man, sie wußte nicht warum, mit ihr in Verbindung brachte.

Als sie in die Nähe Braunbichls kam, strömte ihr der Duft von Schmalzgebacknem entgegen. »Na, die habn heut praßt heroben,« lachte sie.


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