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V.

Indes Katharinens Stolz sich darüber empörte, daß man beständig ihren Namen mit dem eines andern zusammen nannte, erging es diesem nicht besser. Es schien, als ob die Leute geheime Verbindungsfäden zwischen den beiden erblickten, die sie enger zusammenziehen wollten. »Laßt's mi mit dem hochmütigen Frauenzimmer aus,« sagte er barsch, wenn sie ihm, dem Ledigen, Heiratsvorschläge machten und immer wieder der einen erwähnten. »I bin froh, wenn i mit meiner Wirtschaft ins Reine komm.«

In der That machte ihm das erworbene Anwesen unendlich viel Mühe und Arbeit, und ein weniger Energischer wie er hätte verzagt die Hände sinken lassen. Die Felder, seit Jahren nicht umgeackert, waren von Steinen und Unkraut bedeckt. An einigen Stellen lag das zu dicht gesäte Korn platt auf dem Boden, daß es mühsam mit der Sichel geschnitten werden mußte. Die Kühe waren von dürftigem und schlechtem Futter abgemagert, wie ihre berühmten Vorgängerinnen zu Pharaos Zeiten. Von den Gebäuden bröckelte die Mauer ab, die Schornsteine rauchten, die Böden und Keller waren von Ungeziefer, Ratten und Mäusen voll. Alois nahm Maurer auf, dingte zu den Knechten noch Feldarbeiter, und plagte sich selbst noch redlich mit. Er ließ neue Ställe mit großen Fenstern nach Schweizer Muster aufführen, das Wohnhaus um ein Stockwerk erhöhen und frisch anstreichen. Sein bester Bekannter und Ratgeber war Mathes, der Gemeindeschreiber, ein aufgeweckter vernünftiger Mensch, der sich früher ein wenig in der Welt herumgetrieben hatte und mancherlei Erfahrungen besaß. Seine kurzen Amtsstunden ließen ihm Muße zu allerhand Sport. Am leidenschaftlichsten betrieb er die Gärtnerei. Das Gärtchen vor dem Hause, das er bewohnte, war ein Muster der Blumenzucht. Er widmete demselben seine meiste freie Zeit. Als er Alois' Gefallen daran sah, erbot er sich, den verwilderten kleinen Garten vor dessen Hause ebenso hübsch herzustellen. Der Lukasbauer erhielt die aus Stuttgart bestellten Pflanzen. Nun arbeiteten die beiden, gruben und setzten, und hatten bald die Freude, üppiges Gedeihen ihrer Pfleglinge zu sehen. Hinter dem Gärtchen erhob sich das nun stattlich aufgebaute Haus. »Aber die weiße Wand g'fallt mir nit,« sagte kopfschüttelnd Mathes, so oft er die helle, glatte Façade sah, »da muß was hin.« Und er grübelte und sinnierte. Der Lukasbauer lachte. »Laß doch gut sein, i bin zufrieden, daß es einwendig freundlich is.« Die inneren Räume waren wohnlich und sauber hergestellt. Unten lag das Wohnzimmer, die Schlafkammer Alois' und die große geräumige Küche. Oben waren noch drei schöne helle Stuben. Der Bauer konnte sich nicht entschließen sie zu möblieren. »An Fremde gieb i sie nit her, und i selber wohn ja herunten. Warum soll i Geld für Möbel auslegen?« »Aber wennst heiratst! Dei Frau und d' Kinder,« warfen die Bekannten ein. »Narrenspossen,« sagte dann der Bauer und begann zu pfeifen. Er konnte es nicht leiden, wenn man ihm von Heiraten sprach oder mit Vorschlägen kam. Er war eine verschlossene, scheue Natur, die ihre eigenen Wege ging und sich von niemand beeinflussen ließ.

Von braven, tüchtigen Eltern erzogen, hatte er sich in früher Jugend wie sein Vater dem Bergführerdienste gewidmet. Hoch oben auf unzugänglichen Felsen, inmitten der großartigen Einsamkeit der Gletscherwelt, hatte er sich am wohlsten gefühlt. Auch wenn er niemand zu begleiten hatte, kletterte er aus dem Thal hinaus in die stille Welt des Hochgebirges. Dort legte er sich auf den Rücken und schaute mit verliebten Blicken aus die flimmernden Eishäupter um sich, deren Namen und Eigentümlichkeiten er alle kannte. Er wußte selbst nicht, ob und was er in solchen Momenten dachte. Sein Zustand war ein seliges Losgelöstsein von allem. Nicht selten blieb er etliche Tage fort ohne heimzukehren. Die Eltern befürchteten, er könnte ein Taugenichts und Träumer bei dieser Lebensweise werden, und überließen ihn gern dem englischen Reisenden, der ihn mit glänzendem Gehalt für ein Jahr zu großen Touren in Amerika engagierte. Sie hofften, die Reise und all das Neue, das er zu sehen bekäme, würden den Hang zur Träumerei, die den Bauern das schrecklichste Laster dünkt, in ihm ersticken. Alois blieb vier Jahre aus. Er kam als ernster, sonnenverbrannter Mann wieder. Er erzählte nicht allzuviel von seinen Reisen. Nur daß er manch' wunderbares erlebt hätte, durch viele herrliche Gegenden gekommen sei und seinem Herrn, der sich zuletzt nach Indien eingeschifft hatte, sehr zugethan war. Aber kaum etliche Tage in der Heimat, begann er wieder das alte Träumerleben zu führen. Er blieb Tage lang aus, und als man ihn suchte, fand man ihn droben auf seinem alten Platz zwischen den Felsen. Der Vater wurde kleinmütig und fragte den Pfarrer in Zell, seinen Bruder und besten Freund, um Rat, was er mit diesem trägen Einsiedler beginnen sollte.

»Verheirat' ihn, oder versetz' ihn in die Notwendigkeit, arbeiten zu müssen. Hier wär' ein billiges Gütl zu haben,« schrieb der Pfarrer zurück, – »sehr verwahrlost, aber das Richtige für einen Menschen, der Thätigkeit braucht.«

»Herrgott,« meinte der alte Riegl, »das wär' das Beste.« Und er antwortete dem Bruder: »Wenn's nicht zu teuer ist, so kauf' es.« Der Pfarrer erstand die ganze Wirtschaft um einen sehr geringen Preis. Der Alte nahm nun den Sohn ins Gebet. Dort gäb's zu zeigen, was ein tüchtiger Mensch leisten könne, so eine Art Schöpfungsthat zu verrichten, aus einem Nichts ein Etwas herzustellen. Und der Onkel sei dort, der ihm mit Rat und That zur Hand ginge. Und so unübel sei's im Zillerthal auch nicht. Der Sohn, der den Vater über alles liebte, gehorchte ihm. »Nur was das Heiraten anbetrifft, Vater,« sagte er, »laßt's mi meine eigenen Weg' gehen.« – »Die geh' du, da hab' ich nix drein zu reden,« antwortete der kluge Alte.

Der Kauf wurde abgeschlossen, und Alois übersiedelte ins Zillerthal. Die große Verwahrlosung des Anwesens reizte ihn. Hier gab's zu denken, zu tifteln, zu gestalten. Alois hatte zu viel von der Welt gesehen, um sich unter dem engen Horizont der Bauern wohl fühlen zu können. Er verstand sich mit ihnen, aber ein guter Teil in ihm blieb übrig, wo er niemand Zutritt gestattete, wo er einsam hauste mit seiner träumenden, saugenden Phantasie. Ohne es zu beabsichtigen, begegnete er den anderen mit großer Überlegenheit. Trotzdem gewann er die eigensinnigen Gemüter der Bauern durch seine Tüchtigkeit und die Güte seines Wesens. So lange er arbeitete, fühlte er sich zufrieden, sowie er aber feierte, beschlich ein Gefühl großer Einsamkeit sein Inneres. Mit dem Pfarrer, seinem Onkel, stand er sich ganz gut; aber zu einem wärmern Verhältnis war es nie gekommen. Der alte Herr verbreitete ihm zu viel Weihrauchgeruch um sich, und obwohl Alois selbst gottesfürchtig war, so konnte er einen gewissen Abscheu gegen allzudeutlich zur Schau getragene Frömmigkeit nicht überwinden. Er besaß jene Keuschheit der Seele, die sich dagegen empört, ihre letzten, heiligsten Gefühle offenbaren zu sollen. Am liebsten ging er zur Kirche, wenn ihn niemand sah. Gegen die Frauen war er spröde und kalt, vielleicht um die Verlegenheit zu verbergen, in die ihn der Verkehr mit ihnen versetzte. Sie waren ihm gleichgiltig. Nur eine nicht. Die haßte er beinahe: die Bäuerin von Braunbichl. Warum, wußte er nicht genau. Aber so oft ihr Name an sein Ohr schlug, färbte sich sein Gesicht mit tiefer Röte. Vielleicht haßte er sie deshalb.


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