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Faustina und Faust

(Ein Fragment)

Erstes Kapitel

Eine Zelle in einem Nonnenkloster. Im Hintergrunde
ein einfaches Lager, auf dem ein Totenkopf und eine
Geißel liegen. Im Vordergrunde ein großes Kruzifix.

Faustina

(steht am offenen Fenster)

Nein, darin ist kein Christentum zu finden,
Zerknirschung nicht noch seufzendes Gestöhn,
Nicht Myrrhenrauch und schwere Psalmennebel. –
O welch ein Abend doch, wie wild und schön!
Nicht Heilgenblut ist in des Westens Farbe,
Und mit dem Düster keine Ruhe kam,
Kein Beten ist in diesen Flötentönen,
Hier knirschet nicht des Kreuzes trockner Stamm.
Zur Sonne, diesem flammenroten Moloch,
Die dunklen Wolken senken sich mit Lust,
Und liebestrunken birgt ihr Haupt die Erde
An dieses Dämmers geiler Buhlenbrust.

(geht vom Fenster zum Kruzifix)

O, weshalb forderst du so mild, mein Heiland,
Beständig vom Armseligsten in mir?
Was kommst du nicht, so wie dein starker Vater
Kam zu Maria? Sieh, ich biet mich dir!
Ach, krank und leidend an dem Kreuz du hangest
Und willst nur Tränen oder schwer Gestöhn,
Still soll es um dich sein, wie bei dem Kranken,
Still – und ich bin so heiß und stark und schön!
O komm in deiner Schönheit als ein Buhle,
Greif feurig oder wild nach deinem Raub!
Froh werde ich in deine Arme eilen,
Von dir zerschmettert sink ich in den Staub.

(Sie löst die Nonnentracht und steht nackt da)

Du willst mich nicht! Nein, niemand mich begehret.
Wozu doch diese reiche Formenpracht?
Ich hätte lieber diese blanken Glieder
Den Bissen eines Geiers dargebracht ...

1870?


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