Washington Irving
Erzählungen von der Eroberung Spaniens
Washington Irving

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorrede.

Wenige geschichtliche Begebenheiten sind in ihren Hauptzügen so hervorstechend und anziehend, in ihren Folgen so bedrückend und dauernd gewesen, wie die Eroberung Spaniens durch die Sarazenen; dennoch waren Triebfedern, Charaktere und Handlungen der Hauptpersonen selten in größere Ungewißheit und in größere Widersprüche gehüllt. Wie bei der denkwürdigen Geschichte des Falles von Troja müssen wir, so gut wir können, die wahren Einzelnheiten aus dem Dunkel poetischer Fiction herauszufinden suchen; allein das poetische Element ist mit jeder Thatsache so verschmolzen, hat ihr seine magischen Farbentöne in so hohem Grade geliehen, daß die Geschichte, desselben entkleidet, ein mageres Gerippe und aller ihrer Reize verlustig würde. Der Sturm des moslemitischen Einfalles, welcher so plötzlich über die Halbinsel daherbrach, machte die schwache Stimme der Muse eine Zeitlang verstummen und trieb die Gelehrten aus ihren Zellen. Die Feder wurde weggeworfen, und Schwert und Speer in die Hand genommen; man war zu sehr damit beschäftigt, gegen die von allen Seiten andringenden Unfälle zu kämpfen, als daß man Zeit oder Neigung gehabt hätte, sie niederzuschreiben.

Als sich die Nation einigermaßen von den Wirkungen dieses betäubenden Schlages erholt oder vielmehr an den furchtbaren Wechsel, den er hervorgebracht, gewöhnt hatte und weise Männer die Einzelnheiten zu erforschen und niederzuschreiben suchten, war es zu spät, sie nach ihrer strengen Wahrheit zu vergewissern. Die Düsterheit und Schwermuth, welche sich über dem Lande gelagert hatte, erzeugte tausend abergläubische Phantasiegebilde; die Wehen und Schrecken der Vergangenheit wurden in übernatürliche Wunder und Ahnungen gekleidet, und die Helden des furchtbaren Drama's hatten bereits den zweifelhaften Charakter der Dichtung angenommen. Unternahm es aber auch einer der Eroberer, dem Gegenstande seine Feder zu leihen, so verschönerte er ihn mit all den wilden Ausschweifungen einer orientalischen Phantasie, welche sich später in die ernstern Werke der mönchischen Geschichtschreiber einschlichen.

Daher haben die frühesten Chroniken, welche von dem Falle Spaniens reden, gar leicht den Beigeschmack jener Heiligenwunder, welche die frommen Bemühungen der Klöster nicht verläugnen können, oder jener phantasiereichen Dichtungen, die ihre arabischen Verfasser verrathen. Demungeachtet sind aus diesen sehr apokryphischen Quellen die anerkanntesten und geglaubtesten spanischen Geschichtsdarstellungen entsprungen, wie man klare Ströme bis zu den Pfützen und verschlammten Wassern eines Sumpfes verfolgen kann. Es ist wahr, ihre Verfasser haben mit vorsichtigem Urtheile die Einzelnheiten, deren Unwahrscheinlichkeit zu sehr in die Augen sprang, zu beseitigen gesucht und nur solche gesammelt, welche wegen ihrer Wahrscheinlichkeit und Angemessenheit als historische Thatsachen mit gutem Gewissen angeführt werden konnten; doch ist kaum eine einzige unter ihnen, welche nicht ursprünglich mit irgend einer romantischen Fiction verbunden gewesen wäre, oder, selbst in ihrem aller Dichtung entkleideten Zustande, nicht Spuren des früheren Schmuckes an sich trüge.

Allein alles Phantastische und Wunderbare aus diesem Theile der spanischen Geschichte ausscheiden, hieße viele ihrer schönsten, belehrendsten und nationalsten Züge ausscheiden; es hieße, Spanien nach dem Richtmaas der Wahrscheinlichkeit beurtheilen, das zahmeren und prosaischeren Ländern zukommen mag. Spanien ist ganz eigentlich ein Land der Poesie und Phantasie, woselbst das Alltagsleben etwas Abenteuerliches hat und wo die geringste Erregung und Bewegung Alles zu hohen Thaten und Bühnen-Unternehmungen hinaufspannt. Die Spanier waren zu allen Zeiten aufwallend, hochfahrend, geistesschwungreich in Gedanken, pomphaft in Worten und tapfer, obgleich großsprecherisch und eitel, in Thaten. Ihr heldenmäßiges Streben ließ das kühlere Trachten ihrer Nachbarn weit hinter sich zurück, und ihre rücksichtlose Kühnheit trieb sie zu Unternehmungen hin, welche kluge Thatkraft niemals hätte vollbringen können. Auch hat seit der Zeit der Eroberung und Besitznahme ihres Landes durch die Araber eine starke Beimischung orientalischer Pracht ihrem Nationalcharakter sich zugesellt und den Spaniern etwas Eigenthümliches gegeben, das sie von allen andern Nationen Europa's unterscheidet.

Der Verfasser hat daher in den nachstehenden Blättern es versucht, sich tiefer in die bezauberten Brunnen der alten spanischen Geschichte zu versenken, als die zu thun pflegten, welche die begebnißreiche Periode der Eroberung behandelt haben; er hofft jedoch, er werde dadurch den Charakter des Volkes und die Zeiten zu einer klaren Anschauung bringen. Er hat es für räthlich gehalten, diesen Ueberlieferungen die Gestalt von Erzählungen oder Sagen zu geben, indem er die Wahrhaftigkeit der nüchternen Geschichte nicht für sie in Anspruch nimmt, aber auch nichts gibt, das ohne historische Begründung wäre. Alle hier mitgetheilten Thatsachen werden, so seltsam auch manche derselben scheinen mögen, in den Werken weiser und ehrwürdiger Chronikenschreiber aus alten Zeiten, wo sie mit lange anerkannten Wahrheiten Hand in Hand gehen, gefunden und können durch gelehrte und eindringliche Citate an dem Rande außer allen Zweifel gesetzt werden.

 
Der Verfasser.


 << zurück weiter >>