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Wendet man sich von der Ausmündung der Rue de la Régence in die Place Poelaert ostwärts durch die Rue de Quatre-Bras, so blickt man von der Kreuzung des Boulevard de Waterloo aus gerade vor sich den grandiosen, in eine duftige Ferne sich verlierenden Straßenzug der Avenue Louise hinab, auf dem die Brüsseler zu einem ihrer herrlichsten Waldasyle, dem berühmten »Bois de la Cambre«, hinauszupilgern pflegen. In ihrem kerzengeraden Verlaufe ist diese Allee zu beiden Seiten nicht nur von prunkvollen Wohnpalästen umsäumt, sondern auch mit einer Reihe großartiger Bildwerke geschmückt; so folgen hier auf Th. Vinçottes »Rossebändiger« Diese Gruppe ist für die Dauer der Weltausstellung 1910 an der Ausstellungs-Avenue aufgestellt worden. in buntem Wechsel L. Samains Sklavenjagdgruppe, Van der Stappens Ringergrabmal und am Waldausgange der Avenue die Reiterkampfgruppe Jacques de Lalaings. Wir bleiben jedoch vorläufig im Weichbilde der Stadt Brüssel und wandern nunmehr den Boulevard de Waterloo südwärts hinab bis zu der schon früher erwähnten, breit hingelagerten mittelalterlichen » Porte de Hal«, in der jetzt das staatliche »Museum für Waffen und Rüstungen« untergebracht ist.
Im Jahre 1869 restauriert und neu ausgebaut, zeigt dieses Bauwerk in seinem gegenwärtigen Zustande nur noch ziemlich schwache Anklänge an die ursprüngliche Physiognomie jener alten Stadttore, die seinerzeit in den Mauerring der äußeren Befestigungswerke vom Jahre 1357 eingebaut wurden. So ist es denn in seiner halbkreisförmig vorspringenden Grundrißanlage und in seiner nach dem landläufigen Festungstortypus des Mittelalters von nur wenigen schmalen Schießscharten durchbrochenen Frontansicht mehr nur als ein phantastisch zugestutztes Erinnerungszeichen an vergangene Zeiten denn als ein mit wirklich historischer Treue rekonstruiertes mittelalterliches Baudenkmal zu betrachten. Schon mehrmals hatte man im Laufe des 19. Jahrhunderts Projekte zu einer seine fernere Erhaltung rechtfertigenden Nutzbarmachung des alten Torbaues ausgearbeitet; älteren Bewohnern Brüssels wird er in der Tat noch sehr wohl als Gefangenendepot in Erinnerung sein. Jedenfalls gibt er in seiner Eigenschaft als ehemaliges Kriegsarsenal eine wahrhaft ideale Umrahmung ab für die jetzt in methodischer Übersichtlichkeit hier aufgestellten Waffensammlungen. Völlig neu angebaut ist die prächtige steinerne Wendeltreppe, die mit ihrem offenen Turmgehäuse ihrem Schöpfer, dem Architekten H. Beyaert, alle Ehre macht und mit ihren bis zum Dache emporführenden Schneckenwindungen in der Unteransicht einen höchst reizvollen Anblick gewährt.
Den Eindruck der Waffensäle selbst schildert der Militärschriftsteller General Van Vinckeroy in treffendster Weise mit den Worten: »Schweigend stehen sie beieinander unter den Spitzbögen der ernst stimmenden gotischen Deckenwölbungen, bisweilen auch durch einen wuchtigen Gewölbepfeiler in dämmernden Halbschatten gerückt, alle diese zum Kampfe fertig ausgerüsteten trotzigen Kriegsgesellen; seit Jahrhunderten schon scheinen sie gleichsam festgebannt Spalier zu bilden an den Wänden dieser weiten Waffenhalle, die man ihnen, einer glücklichen Eingebung folgend, als Ruheasyl angewiesen hat.« – So wird der Hauptsaal des Museums der Porte de Hal in seiner pittoresken Ausschmückung mit Ritterrüstungen, Waffengruppen und alten Kriegsfahnen nicht verfehlen, den Besucher aufs höchste zu fesseln und sogar Erinnerungen an die weltberühmte Waffenhalle von Windsor Castle in ihm wach zu rufen.
Ihrer Stückzahl nach keineswegs von überragender Bedeutung, verdient die Brüsseler Waffensammlung gleichwohl die ernsthafte Beachtung aller Geschichtsfreunde. Im Erdgeschosse des ehrwürdigen Torbaues sind alte Festungs- und Belagerungsgeschütze aufgestellt, darunter auch mehrere aus dem Zeitalter der Schießpulvererfindung selbst: Falkonette, Feldschlangen, Mörser, bisweilen noch mitsamt den alten Originallafetten. Fast alle diese alten Geschütze entstammen Ausgrabungen, die beim Schleifen der alten Festungswälle von Marche, Bouvigne usw. vorgenommen wurden; andere fand man in den Flußbetten bei Mecheln, bei Oudenaarde und namentlich auch in der Scheldemündung vor Antwerpen, darunter höchst merkwürdige Schiffsgeschütze sowie tragbare Belagerungsmaschinen, – sonderbarerweise jedoch kein einziges Stück aus jenen berühmten belgischen Gießerwerkstätten des 16. Jahrhunderts, aus denen Kaiser Karl V. seine besten Kriegsgeschütze bezog. Unter den außerbelgischen Geschützgießern dagegen findet man hier die berühmtesten Namen vertreten, wie z. B. den Züricher Keller (den Lieferanten König Ludwigs XIV. von Frankreich), den Neapeler Castronovo, den Wiener Weinbrenner. Bemerkenswert ist auch die im Jahre 1811 unter Napoleonischer Ägide in Douai gegossene, 4,25 m lange Riesenkanone »Le Formidable«. In diskreter Weise sind mit dieser interessanten Gruppe schließlich verschiedene Henkerwerkzeuge und Richtutensilien vereinigt, unter denen auch der rote Mantel des einstigen Scharfrichters der guten Stadt Brüssel seinen Platz gefunden hat.
In dem das gesamte erste Stockwerk des Tormuseums einnehmenden Rüstungssaale findet man von den Kettenpanzerhemden des 12. Jahrhunderts an sämtliche Epochen der Harnischschmiedekunst bis herab auf das 17. Jahrhundert in trefflichen Stücken vertreten. Ein Glanzstück ist hier zunächst eine prächtige Turnierrüstung aus Maximilianischer Zeit; sicherlich spanischer Herkunft, soll diese Rüstung der Überlieferung nach dem Besitze König Philipps II. bzw. der Madrider Armería Real entstammen. Bei dieser Gelegenheit sei übrigens erwähnt, daß Brüssel bis zum Jahre 1794 eine der reichsten Waffensammlungen ganz Europas besaß; die Mehrzahl dieser von den früheren belgischen Fürsten und Statthaltern zusammengebrachten alten Kriegs- und Turnierreliquien, in deren Inventar Stücke von höchstem historischen Interesse aufgezählt sind, befindet sich jetzt in der wundervollen kaiserlichen Waffensammlung zu Wien. Unter den in Brüssel verbliebenen Rüstungsstücken jener alten Sammlung sei der Beachtung des Museumsbesuchers fernerhin besonders empfohlen eine selten schöne, nicht weniger als 45 kg schwere deutsche Turnierrüstung vom Ende des 15. Jahrhunderts, deren flachköpfiger Helm auf den Brustharnisch aufgeschraubt wurde und als Visier nur einen in Augenhöhe angebrachten schmalen Spalt aufweist. Eine italienische Rüstung mit reichen Gravierungen auf schwarzem Grunde und mit den Wappenemblemen des Generals Collalto auf der Halsberge ist auf ein geharnischtes und mit prunkvollen Satteldecken behangenes Streitroß gesetzt, das in der Schlacht von Quatre-Bras (am 16. Juni 1815) den an jenem Tage verwundeten Prinzen von Oranien (späterhin König Wilhelm II. von Holland) auf seinem Rücken trug. Dazu kommen noch: Die Halbrüstung eines reitenden Kriegsknechtes, schöne Nürnberger Arbeit aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit prachtvollem Blumen- und Palmenzweigdekor auf schwarzem Grunde, – Brustpanzer und Sturmhaube aus gebläutem Stahl mit vergoldeten Nagelköpfen (angeblich aus dem Besitze König Gustav Adolfs von Schweden), – ein Paar fingerlose Panzerhandschuhe mit vergoldeten Ornamentgravierungen auf schwarzem Grunde (zu einer Prunkrüstung Kaiser Karls V. gehörend), – ein nicht minder reich ornamentierter Panzerhandschuh aus dem Besitze des Erzherzogs Albrecht von Österreich.
Weitere Reste der ehemaligen Kaiserlichen Waffensammlung sind auch die ausgestopften Häute zweier Leibrosse Albrechts und Isabellas von Österreich. Diese beiden kleinen spanisch-arabischen Halbblutrassepferde, von denen dasjenige des Erzherzogs Albrecht im reichsten Turnierschmucke paradiert, waren vom Statthalterpaare bei dessen Brüsseler Regierungseinzug geritten worden. Eine lange, in spanischer Sprache abgefaßte Inschrift belehrt uns außerdem, daß wir hier das Schlachtroß »Noble« vor uns haben, das den Erzherzog auch bei der denkwürdigen Belagerung von Ostende im Sattel trug: »Dereinst trug ich auf meinem Rücken den Erzherzog Albrecht, nämlich damals als bei Ostende der Kriegsgott Mars seine Wut austobte. Mitten aus dem Schlachtgetümmel habe ich den Kämpfenden vor den Mordwaffen der Feinde durch eilige Flucht gerettet, denn einem von uns beiden war der Tod zugedacht. Ich namentlich wurde beständig von den Kriegsknechten verfolgt, weil sie über meiner schneeweißen Stirn eine Mähne so lichtfarben wie das Haupthaar einer Jungfrau flattern sahen ... Ich entkam, entführte meinen Reiter der drohenden Gefahr und wurde unverwundet von ihm heimgeritten ... Aber genau am gleichen Tage des nächstfolgenden Jahres mußte ich, Noble, den Tod erleiden. Siehe hier, was ich war!« – In der Tat läßt das Fell des edlen Tieres am Halse die Spur einer Schußwunde erkennen. Wo das Roß sein Ende fand, hat sich bisher nicht feststellen lassen. Man weiß nur, daß ein kostbares Leibpferd des Erzherzogs Albrecht bei Nieuport in Gefangenschaft und damit in den Besitz des Herzogs Moritz von Nassau geriet; das Konterfei dieses Streitrosses findet man im Museum zu Amsterdam.
Stücke ersten Ranges enthält die Sammlung der Degen, der dreischneidigen Dolchmesser und der kleinen Handdolche und ebenso diejenige der Lanzen und der Partisanen. Unter den Degenklingen sind mehr als fünfundvierzig mit den Meistermarken der berühmtesten spanischen Waffenschmiede des 16. Jahrhunderts signiert, und ihre Stichplatten und Handgriffe sind so kostbar gearbeitet, daß man bei ihrer Betrachtung kaum noch an die mörderische Bestimmung dieser Kampfwerkzeuge denken dürfte. Einer dieser Degen ist eine eigenhändige Arbeit des Lopez Aguado, eines der gesuchtesten unter den Klingenschmieden Toledos. Aber auch unter den etwa hundert Degen italienischer und deutscher Herkunft befinden sich zahlreiche Stücke von bedeutendem Kunstwert.
Den wertvollsten plastisch-architektonischen Dekor der Waffenhalle des ersten Stockwerkes bildet neben einem schönen Renaissance-Kamine eine vom ehemaligen Innungshause der Brüsseler Fischergilde stammende Türumrahmung; ihre Inkrustierung mit köstlich durchgebildeten und ingeniös angeordneten Fisch- und Schaltierfiguren erinnert an ähnliche Wunderwerke der Kleinplastik, die der berühmte Bildhauer Quellinus im Amsterdamer Königspalaste auszuführen hatte.
Im zweiten Obergeschosse der Porte de Hal sind Waffen und Kriegsausrüstungen aus jüngeren Zeiten ausgestellt, militärische Uniformen, Ordensabzeichen, Ehrendegen, persönliche Erinnerungen usw. Auch diesen Saal schmückt ein Steinkamin vom Ende des 15. Jahrhunderts, mit prächtigem Weinlaubdekor; in der reich skulpierten Rauchfangnische dieses Kamines hat eine Sondergruppe kostbar ausgestatteter orientalischer Waffen Platz gefunden. Mehrere Vitrinen beherbergen die vom König Leopold II. dem Museum überwiesenen Waffen und Uniformen König Leopolds I. und seines Neffen, des Prinzen Balduin, der im Jahre 1891 im Alter von 22 Jahren ein vorzeitiges Ende fand; auch ein Bronzeabguß der Totenmaske König Leopolds I. ist hier mit ausgestellt. Charakteristische Zeitdokumente sind die Uniformstücke des Begründers der belgischen Dynastie; namentlich der mit einem ganz unwahrscheinlich hohen Raupenkamme versehene antikisierende Oberstenhelm eines englischen Reiterregimentes gemahnt uns an jene merkwürdige Phase der militärischen Uniformentwickelung zurück, wo sämtliche europäische Armeen einander zu übertrumpfen suchten in der Höhe des Federschmuckes ihrer Offiziershelme. Unter den Reliquien aus dem Besitze des schon 1869 verstorbenen belgischen Kronprinzen fällt uns ein deliziös gearbeiteter kleiner Bogen nebst Pfeilen besonders ins Auge, eine Ehrengabe der Brüsseler St. Sebastiansgilde, deren Ehrenmitglied der Verstorbene altem Brauche gemäß gewesen war. Von den Ehrendegen dieser modernen Waffensammlung verdient spezielle Hervorhebung derjenige des Generals Hauchart (1793 nach der Schlacht bei Hondschote diesem Heerführer überreicht) mit den republikanischen Emblemen der phrygischen Mütze, des Lictorenbündels und der »charte des droits de l'homme« am Degengriffe, ebenso auch derjenige des »citoyen« Fontaine, der diesem Major-Adjutanten »am 18. Brumaire des Jahres VIII vom Ersten Consul selbst überreicht wurde.
Schließlich sei der Besucher des Museums der Porte de Hal noch auf einen in der Erdgeschoßhalle nicht weit vom Eingange aufgestellten riesigen Belagerungsschild aus dem 15. Jahrhundert hingewiesen, wie er auf alten Schlachtenminiaturen so häufig, in Originalresten dagegen nur sehr selten anzutreffen ist. Der Schütze, der durch diesen rechteckigen, doppelt mannshohen Schild vollkommen gedeckt wurde, zielte durch eine in Augenhöhe angebrachte enge Dreiecksöffnung und beobachtete den Feind außerdem durch seitliche Gucklöcher.