Wilhelm von Humboldt
Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen
Wilhelm von Humboldt

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X

Um – wie es jetzt geschehen muß – dem Menschen durch alle die mannigfaltigen Verhältnisse des Lebens zu folgen, wird es gut sein, bei demjenigen zuerst anzufangen, welches unter allen das einfachste ist, bei dem Falle nämlich, wo der Mensch, wenngleich in Verbindung mit andren lebend, doch völlig innerhalb der Schranken seines Eigentums bleibt und nichts vornimmt, was sich unmittelbar und geradezu auf andre bezieht. Von diesem Fall handeln die meisten der sogenannten Polizeigesetze. Denn so schwankend auch dieser Ausdruck ist, so ist dennoch wohl die wichtigste und allgemeinste Bedeutung die, daß diese Gesetze, ohne selbst Handlungen zu betreffen, wodurch fremdes Recht unmittelbar gekränkt wird, nur von Mitteln reden, dergleichen Kränkungen vorzubeugen; sie mögen nun entweder solche Handlungen beschränken, deren Folgen selbst dem fremden Rechte leicht gefährlich werden können, oder solche, welche gewöhnlich zu Übertretungen der Gesetze führen, oder endlich dasjenige bestimmen, was zur Erhaltung oder Ausübung der Gewalt des Staats selbst notwendig ist. Daß auch diejenigen Verordnungen, welche nicht die Sicherheit, sondern das Wohl der Bürger zum Zweck haben, ganz vorzüglich diesen Namen erhalten, übergehe ich hier, weil es nicht zu meiner Absicht dient. Den im vorigen festgesetzten Prinzipien zufolge darf nun der Staat hier in diesem einfachen Verhältnisse des Menschen nichts weiter verbieten, als was mit Grunde Beeinträchtigung seiner eignen Rechte oder der Rechte der Bürger besorgen läßt. Und zwar muß in Absicht der Rechte des Staats hier dasjenige angewandt werden, was von dem Sinne dieses Ausdrucks soeben allgemein erinnert worden ist. Nirgends also, wo der Vorteil oder der Schade nur den Eigentümer allein trifft, darf der Staat sich Einschränkungen durch Prohibitivgesetze erlauben. Allein es ist auch zur Rechtfertigung solcher Einschränkungen nicht genug, daß irgendeine Handlung einem andren bloß Abbruch tue, sie muß auch sein Recht schmälern. Diese zweite Bestimmung erfordert also eine weitere Erklärung. Schmälerung des Rechts nämlich ist nur überall da, wo jemandem ohne seine Einwilligung oder gegen dieselbe ein Teil seines Eigentums oder seiner persönlichen Freiheit entzogen wird. Wo hingegen keine solche Entziehung geschieht, wo nicht der eine gleichsam in den Kreis des Rechts des andren eingreift, da ist, welcher Nachteil auch für ihn entstehen möchte, keine Schmälerung der Befugnisse. Ebensowenig ist diese da, wo selbst der Nachteil nicht eher entsteht, als bis der, welcher ihn leidet, auch seinerseits tätig wird, die Handlung – um mich so auszudrücken – auffaßt oder wenigstens der Wirkung derselben nicht, wie er könnte, entgegenarbeitet.

Die Anwendung dieser Bestimmungen ist von selbst klar; ich erinnere nur hier an ein paar merkwürdige Beispiele. Es fällt nämlich diesen Grundsätzen nach schlechterdings alles weg, was man von Ärgernis erregenden Handlungen in Absicht auf Religion und Sitten besonders sagt. Wer Dinge äußert oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen und die Sittlichkeit des andren beleidigen, mag allerdings unmoralisch handeln, allein sofern er sich keine Zudringlichkeit zuschulden kommen läßt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem andren unbenommen, sich von ihm zu entfernen, oder macht die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche Unbequemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren und darf nicht vergessen, daß vielleicht auch jener durch den Anblick von Seiten gestört wird, die ihm eigentümlich sind, da, auf wessen Seite sich das Recht befinde, immer nur da wichtig ist, wo es nicht an einem Rechte zu entscheiden fehlt. Selbst der doch gewiß weit schlimmere Fall, wenn der Anblick dieser oder jener Handlung, das Anhören dieses oder jenen Räsonnements die Tugend oder die Vernunft und den gesunden Verstand andrer verführte, würde keine Einschränkung der Freiheit erlauben. Wer so handelte oder sprach, beleidigte dadurch an sich niemandes Recht, und es stand dem andern frei, dem üblen Eindruck bei sich selbst Stärke des Willens oder Gründe der Vernunft entgegenzusetzen. Daher denn auch, wie groß sehr oft das hieraus entspringende Übel sein mag, wiederum auf der andren Seite nie der gute Erfolg ausbleibt, daß in diesem Fall die Stärke des Charakters, in dem vorigen die Toleranz und die Vielseitigkeit der Ansicht geprüft wird und gewinnt. Ich brauche hier wohl nicht zu erinnern, daß ich an diesen Fällen hier nichts weiter betrachte, als ob sie die Sicherheit der Bürger stören? Denn ihr Verhältnis zur Sittlichkeit der Nation und was dem Staat in dieser Hinsicht erlaubt sein kann oder nicht, habe ich schon im vorigen auseinanderzusetzen versucht.

Da es indes mehrere Dinge gibt, deren Beurteilung positive, nicht jedem eigne Kenntnisse erfordert und wo daher die Sicherheit gestört werden kann, wenn jemand vorsätzlicher oder unbesonnener Weise die Unwissenheit andrer zu seinem Vorteile benutzt, so muß es den Bürgern freistehen, in diesen Fällen den Staat gleichsam um Rat zu fragen. Vorzüglich auffallende Beispiele hievon geben teils wegen der Häufigkeit des Bedürfnisses, teils wegen der Schwierigkeit der Beurteilung und endlich wegen der Größe des zu besorgenden Nachteils, Ärzte und zum Dienst der Parteien bestimmte Rechtsgelehrte ab. Um nun in diesen Fällen dem Wunsche der Nation zuvorzukommen, ist es nicht bloß ratsam, sondern sogar notwendig, daß der Staat diejenigen, welche sich zu solchen Geschäften bestimmen – insofern sie sich einer Prüfung unterwerfen wollen –, prüfe und, wenn die Prüfung gut ausfällt, mit einem Zeichen der Geschicklichkeit versehe und nun den Bürgern bekannt mache, daß sie ihr Vertrauen nur denjenigen gewiß schenken können, welche auf diese Weise bewährt gefunden worden sind. Weiter aber dürfte er auch nie gehen, nie weder denen, welche entweder die Prüfung ausgeschlagen oder in derselben unterlegen, die Übung ihres Geschäfts noch der Nation den Gebrauch derselben untersagen. Dann dürfte er dergleichen Veranstaltungen auch auf keine andre Geschäfte ausdehnen als auf solche, wo einmal nicht auf das Innere, sondern nur auf das Äußere des Menschen gewirkt werden soll, wo dieser folglich nicht selbst mitwirkend, sondern nur folgsam und leidend zu sein braucht und wo es demnach nur auf die Wahrheit oder Falschheit der Resultate ankommt; und wo zweitens die Beurteilung Kenntnisse voraussetzt, die ein ganz abgesondertes Gebiet für sich ausmachen, nicht durch Übung des Verstandes und der praktischen Urteilskraft erworben werden, und deren Seltenheit selbst das Ratfragen erschwert. Handelt der Staat gegen die letztere Bestimmung, so gerät er in Gefahr, die Nation träge, untätig, immer vertrauend auf fremde Kenntnis und fremden Willen zu machen, da gerade der Mangel sicherer, bestimmter Hilfe sowohl zu Bereicherung der eigenen Erfahrung und Kenntnis mehr anspornt, als auch die Bürger untereinander enger und mannigfaltiger verbindet, indem sie mehr einer von dem Rate des andren abhängig sind. Bleibt er der ersteren Bestimmung nicht getreu, so entspringen neben dem ebenerwähnten noch alle im Anfange dieses Aufsatzes weiter ausgeführte Nachteile. Schlechterdings müßte daher eine solche Veranstaltung wegfallen, um auch hier wiederum ein merkwürdiges Beispiel zu wählen, bei Religionslehrern. Denn was sollte der Staat bei ihnen prüfen? Bestimmte Sätze – davon hängt, wie oben genauer gezeigt ist, die Religion nicht ab; das Maß der intellektuellen Kräfte überhaupt – allein bei dem Religionslehrer, welcher bestimmt ist, Dinge vorzutragen, die in so genauem Zusammenhange mit der Individualität seiner Zuhörer stehen, kommt es beinah einzig auf das Verhältnis seines Verstandes zu dem Verstande dieser an, und so wird schon dadurch die Beurteilung unmöglich; die Rechtschaffenheit und den Charakter – allein dafür gibt es keine andre Prüfung als gerade eine solche, zu welcher die Lage des Staats sehr unbequem ist, Erkundigung nach den Umständen, dem bisherigen Betragen des Menschen usf. Endlich müßte überhaupt, auch in den oben von mir selbst gebilligten Fällen, eine Veranstaltung dieser Art doch nur immer da gemacht werden, wo der nicht zweifelhafte Wille der Nation sie forderte. Denn an sich ist sie unter freien, durch Freiheit selbst kultivierten Menschen nicht einmal notwendig, und immer könnte sie doch manchem Mißbrauch unterworfen sein. Da es mir überhaupt hier nicht um Ausführung einzelner Gegenstände, sondern nur um Bestimmung der Grundsätze zu tun ist, so will ich noch einmal kurz den Gesichtspunkt angeben, aus welchem allein ich einer solchen Einrichtung erwähnte. Der Staat soll nämlich auf keine Weise für das positive Wohl der Bürger sorgen, daher auch nicht für ihr Leben und ihre Gesundheit – es müßten denn Handlungen andrer ihnen Gefahr drohen –, aber wohl für ihre Sicherheit. Und nur insofern die Sicherheit selbst leiden kann, indem Betrügerei die Unwissenheit benutzt, könnte eine solche Aufsicht innerhalb der Grenzen der Wirksamkeit des Staats liegen. Indes muß doch bei einem Betruge dieser Art der Betrogene immer zur Überzeugung überredet werden, und da das Ineinanderfließen der verschiednen Nuancen hiebei schon eine allgemeine Regel beinah unmöglich macht, auch gerade die durch die Freiheit übriggelassene Möglichkeit des Betrugs die Menschen zu größerer Vorsicht und Klugheit schärft, so halte ich es für besser und den Prinzipien gemäßer, in der von bestimmten Anwendungen fernen Theorie Prohibitivgesetze nur auf diejenigen Fälle auszudehnen, wo ohne oder gar gegen den Willen des andren gehandelt wird. Das vorige Räsonnement wird jedoch immer dazu dienen, zu zeigen, wie auch andre Fälle – wenn die Notwendigkeit es erforderte – in Gemäßheit der aufgestellten Grundsätze behandelt werden müßtenAnmerkung. Es könnte scheinen, als gehörten die hier angeführten Fälle nicht zu dem gegenwärtigen, sondern mehr zu dem folgenden Abschnitt, da sie Handlungen betreffen, welche sich geradezu auf den andren beziehn. Aber ich sprach auch hier nicht von dem Fall, wenn z. B. ein Arzt einen Kranken wirklich behandelt, ein Rechtsgelehrter einen Prozeß wirklich übernimmt, sondern von dem, wenn jemand diese Art zu leben und sich zu ernähren wählt. Ich fragte mich, ob der Staat eine solche Wahl beschränken dürfe, und diese bloße Wahl bezieht sich noch geradezu auf niemand. .

Wenn bis jetzt die Beschaffenheit der Folgen einer Handlung auseinandergesetzt ist, welche dieselbe der Aufsicht des Staats unterwirft, so fragt sich noch, ob jede Handlung eingeschränkt werden darf, bei welcher nur die Möglichkeit einer solchen Folge vorauszusehen ist, oder nur solche, mit welchen dieselbe notwendig verbunden ist. In dem ersteren Fall geriete die Freiheit, in dem letzteren die Sicherheit in Gefahr zu leiden. Es ist daher freilich soviel ersichtlich, daß ein Mittelweg getroffen werden muß. Diesen indes allgemein zu zeichnen, halte ich für unmöglich. Freilich müßte die Beratschlagung über einen Fall dieser Art durch die Betrachtung des Schadens, der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs und der Einschränkung der Freiheit im Fall eines gegebnen Gesetzes zugleich geleitet werden. Allein keins dieser Stücke erlaubt eigentlich ein allgemeines Maß; vorzüglich täuschen immer Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Die Theorie kann daher nicht mehr, als jene Momente der Überlegung angeben. In der Anwendung müßte man, glaube ich, allein auf die spezielle Lage sehen, nicht aber sowohl auf die allgemeine Natur der Fälle, und nur, wenn Erfahrung der Vergangenheit und Betrachtung der Gegenwart eine Einschränkung notwendig machte, dieselbe verfügen. Das Naturrecht, wenn man es auf das Zusammenleben mehrerer Menschen anwendet, scheidet die Grenzlinie scharf ab. Es mißbilligt alle Handlungen, bei welchen der eine mit seiner Schuld in den Kreis des andern eingreift, alle folglich, wo der Schade entweder aus einem eigentlichen Versehen entsteht oder wo derselbe immer oder doch in einem solchen Grade der Wahrscheinlichkeit mit der Handlung verbunden ist, daß der Handlende ihn entweder einsieht oder wenigstens nicht, ohne daß es ihm zugerechnet werden müßte, übersehn kann. Überall, wo sonst Schaden entsteht, ist es Zufall, den der Handlende zu ersetzen nicht verbunden ist. Eine weitere Ausdehnung ließe sich nur aus einem stillschweigenden Vertrage der Zusammenlebenden und also schon wiederum aus etwas Positivem herleiten. Allein hiebei auch im Staate stehenzubleiben könnte mit Recht bedenklich scheinen, vorzüglich wenn man die Wichtigkeit des zu besorgenden Schadens und die Möglichkeit bedenkt, die Einschränkung der Freiheit der Bürger nur wenig nachteilig zu machen. Auch läßt sich das Recht des Staats hiezu nicht bestreiten, da er nicht bloß insofern für die Sicherheit sorgen soll, daß er bei geschehenen Kränkungen des Rechts zur Entschädigung zwinge, sondern auch so, daß er Beeinträchtigungen verhindre. Auch kann ein Dritter, der einen Ausspruch tun soll, nur nach äußren Kennzeichen entscheiden. Unmöglich darf daher der Staat dabei stehenbleiben, abzuwarten, ob die Bürger es nicht werden an der gehörigen Vorsicht bei gefährlichen Handlungen mangeln lassen, noch kann er sich allein darauf einlassen, ob sie die Wahrscheinlichkeit des Schadens voraussehen; er muß vielmehr – wo wirklich die Lage die Besorgnis dringend macht – die an sich unschädliche Handlung selbst einschränken.

Vielleicht ließe sich demnach der folgende Grundsatz aufstellen: um für die Sicherheit der Bürger Sorge zu tragen, muß der Staat diejenigen sich unmittelbar allein auf den Handlenden beziehenden Handlungen verbieten oder einschränken, deren Folgen die Rechte andrer kränken, d. i. ohne oder gegen die Einwilligung derselben ihre Freiheit oder ihren Besitz schmälern, oder von denen dies wahrscheinlich zu besorgen ist, eine Wahrscheinlichkeit, bei welcher allemal auf die Größe des zu besorgenden Schadens und die Wichtigkeit der durch ein Prohibitivgesetz entstehenden Freiheitseinschränkung zugleich Rücksicht genommen werden muß. Jede weitere oder aus andren Gesichtspunkten gemachte Beschränkung der Privatfreiheit aber liegt außerhalb der Grenzen der Wirksamkeit des Staats.

Da meinen hier entwickelten Ideen nach der einzige Grund solcher Einschränkungen die Rechte andrer sind, so müßten dieselben natürlich sogleich wegfallen, als dieser Grund aufhörte und sobald also z. B., da bei den meisten Polizeiveranstaltungen die Gefahr sich nur auf den Umfang der Gemeinheit, des Dorfs, der Stadt erstreckt, eine solche Gemeinheit ihre Aufhebung ausdrücklich und einstimmig verlangte. Der Staat müßte alsdann zurücktreten und sich begnügen, die mit vorsätzlicher oder schuldbarer Kränkung der Rechte vorgefallenen Beschädigungen zu bestrafen. Denn dies allein, die Hemmung der Uneinigkeiten der Bürger untereinander, ist das wahre und eigentliche Interesse des Staats, an dessen Beförderung ihn nie der Wille einzelner Bürger, wären es auch die Beleidigten selbst, hindern darf. Denkt man sich aufgeklärte, von ihrem wahren Vorteil unterrichtete und daher gegenseitig wohlwollende Menschen in enger Verbindung miteinander, so werden leicht von selbst freiwillige, auf ihre Sicherheit abzweckende Verträge unter ihnen entstehen, Verträge z. B., daß dies oder jenes gefahrvolle Geschäft nur an bestimmten Orten oder zu gewissen Zeiten betrieben werden oder auch ganz unterbleiben soll. Verträge dieser Art sind Verordnungen des Staats bei weitem vorzuziehen. Denn da diejenigen selbst sie schließen, welche den Vorteil und Schaden davon unmittelbar und ebenso wie das Bedürfnis dazu selbst fühlen, so entstehen sie erstlich gewiß nicht leicht anders, als wenn sie wirklich notwendig sind; freiwillig eingegangen werden sie ferner besser und strenger befolgt; als Folgen der Selbsttätigkeit schaden sie endlich, selbst bei beträchtlicher Einschränkung der Freiheit, dennoch dem Charakter minder, und vielmehr, wie sie nur bei einem gewissen Maße der Aufklärung und des Wohlwollens entstehen, so tragen sie wiederum dazu bei, beide zu erhöhen. Das wahre Bestreben des Staats muß daher dahin gerichtet sein, die Menschen durch Freiheit dahin zu führen, daß leichter Gemeinheiten entstehen, deren Wirksamkeit in diesen und vielfältigen ähnlichen Fällen an die Stelle des Staats treten könne.

Ich habe hier gar keiner Gesetze erwähnt, welche den Bürgern positive Pflichten, dies oder jenes für den Staat oder für einander aufzuopfern oder zu tun, auflegten, dergleichen es doch bei uns überall gibt. Allein die Anwendung der Kräfte abgerechnet, welche jeder Bürger dem Staate, wo es erfordert wird, schuldig ist und von der ich in der Folge noch Gelegenheit haben werde zu reden, halte ich es auch nicht für gut, wenn der Staat einen Bürger zwingt, zum Besten des andren irgend etwas gegen seinen Willen zu tun, möchte er auch auf die vollständigste Weise dafür entschädigt werden. Denn da jede Sache und jedes Geschäft, der unendlichen Verschiedenheit der menschlichen Launen und Neigungen nach, jedem einen so unübersehbar verschiedenen Nutzen gewähren und da dieser Nutzen auf gleich mannigfaltige Weise interessant, wichtig, und unentbehrlich sein kann, so führt die Entscheidung, welches Gut des einen welchem des andren vorzuziehen sei – selbst wenn auch nicht die Schwierigkeit gänzlich davon zurückschreckt –, immer etwas Hartes, über die Empfindung und Individualität des andren Absprechendes mit sich. Aus eben diesem Grunde ist auch, da eigentlich nur das Gleichartige, eines die Stelle des andren ersetzen kann, wahre Entschädigung oft ganz unmöglich und fast nie allgemein bestimmbar. Zu diesen Nachteilen auch der besten Gesetze dieser Art kommt nun noch die Leichtigkeit des möglichen Mißbrauchs. Auf der andren Seite macht die Sicherheit – welche doch allein dem Staat die Grenzen richtig vorschreibt, innerhalb welcher er seine Wirksamkeit halten muß – Veranstaltungen dieser Art überhaupt nicht notwendig, da freilich jeder Fall, wo dies sich findet, eine Ausnahme sein muß; auch werden die Menschen wohlwollender gegeneinander und zu gegenseitiger Hilfsleistung bereitwilliger, je weniger sich ihre Eigenliebe und ihr Freiheitssinn durch ein eigentliches Zwangsrecht des andren gekränkt fühlt; und selbst wenn die Laune und der völlig grundlose Eigensinn eines Menschen ein gutes Unternehmen hindert, so ist diese Erscheinung nicht gleich von der Art, daß die Macht des Staats sich ins Mittel schlagen muß. Sprengt sie doch nicht in der physischen Natur jeden Fels, der dem Wanderer in dem Wege steht! Hindernisse beleben die Energie und schärfen die Klugheit, nur diejenigen, welche die Ungerechtigkeiten der Menschen hervorbringen, hemmen, ohne zu nützen; ein solches aber ist jener Eigensinn nicht, der zwar durch Gesetze für den einzelnen Fall gebeugt, aber nur durch Freiheit gebessert werden kann. Diese hier nur kurz zusammengenommene Gründe sind, dünkt mich, stark genug, um bloß der ehernen Notwendigkeit zu weichen, und der Staat muß sich daher begnügen, die schon außer der positiven Verbindung existierenden Rechte der Menschen, ihrem eignen Untergange die Freiheit oder das Eigentum des andren aufzuopfern, zu schützen.

Endlich entstehen eine nicht unbeträchtliche Menge von Polizeigesetzen aus solchen Handlungen, welche innerhalb der Grenzen des eignen, aber nicht alleinigen, sondern gemeinschaftlichen Rechts vorgenommen werden. Bei diesen sind Freiheitsbeschränkungen natürlich bei weitem minder bedenklich, da in dem gemeinschaftlichen Eigentum jeder Miteigentümer ein Recht zu widersprechen hat. Solch ein gemeinschaftliches Eigentum sind z. B. Wege, Flüsse, die mehrere Besitzungen berühren, Plätze und Straßen in Städten usf.


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