Victor Hugo
Die Elenden. Erste Abtheilung. Fantine
Victor Hugo

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VIII.
Der Tod eines Pferdes

»Man ißt besser bei Edon, als bei Bombarda«, rief Zéphire aus.

»Ich ziehe Bombarda Edon vor,« erklärte Blachevelle. »Es herrscht mehr Luxus. Es ist asiatischer. Seht nur den unteren Saal. Die Wände sind mit Spiegeln bekleidet und sehen aus wie Eisflächen.«

»Ich liebe das Eis mehr auf meinem Teller«, sagte Favourite.

Blachevelle beharrte bei seiner Ansicht:

»Seht nur die Messer. Die Hefte sind von Silber bei Bombarda, und von Knochen bei Edon. Das Silber aber ist kostbarer wie Knochen.«

»Ausgenommen für die, welche das Silber am Kinn tragen«, bemerkte Tholomyès.

Er sah diesen Augenblick nach dem Dome der Invaliden hinüber, der durch das Fenster Bombarda's sichtbar war.

Es entstand eine Pause.

»Tholomyès«, rief Fameuil, »Listolier und ich hatten soeben einen Streit.«

»Ein Streit ist gut«, entgegnete Tholomyès, »ein Zank ist besser.«

»Wir stritten uns über Philosophie.«

»Mag sein.«

»Wen ziehst Du vor, Descartes oder Spinoza?«

»Désaugiers«, sagte Tholomyès.

Als dieser Ausspruch gefallen war, trank er und fuhr fort:

»Ich willige ein, zu leben; auf Erden ist noch nicht Alles zu Ende, weil man noch unvernünftig schwelgen kann. Ich danke dafür den unsterblichen Göttern. Man lügt, aber man lacht. Man behauptet, aber man lacht. Das Unerwartete entspringt aus den Vernunftschlüssen. Das ist schön. Es giebt hinieden noch Menschen, welche das Ueberraschungskästchen des Paradoxen hinten zu öffnen und zu schließen verstehen. Das, meine Damen, was Sie mit so ruhigem Wesen trinken, ist Madeira, müssen Sie wissen; von den Weinbergen des Coural das Freiras, die 317 Toisen über dem Meeresspiegel liegen! Achtung beim Trinken! 317 Toisen! und Herr Bombarda, der herrliche Restaurateur, giebt Ihnen diese 317 Toisen für 4 Francs 50 Centimes!

Fameuil unterbrach ihn auf's Neue:

»Tholomyès, Deine Ansichten sind Gesetze. Wer ist Dein Lieblingsschriftsteller?«

»Ber –«

»Quin?«

»Nein. Choux.«

Und Tholomyès fuhr fort:

»Ehre sei Bombarda! Er würde Munophis von Elephanta gleichkommen, wenn er mir eine Almea pflücken könnte, und Thygélion von Cherones, wenn er mir eine Hetaire zu bringen vermöchte! Denn, o meine Damen, es gab Bombardas in Griechenland und in Egypten. Apulejus sagt uns das. Ach! stets dieselben Dinge und nichts Neues, nichts von der Schöpfung des Schöpfers, das nicht schon dagewesen ist! Nil sub sole novum, sagt Salomo; amor omnibus idem, sagt Virgil; und Carabine steigt mit Carabin in die Galiote von St. Cloud, wie Aspasia sich mit Pericles auf der Flotte von Samos einschiffte. Ein letztes Wort: Wissen Sie, wer Aspasia war, meine Damen? Obgleich sie in einer Zeit lebte, zu welcher die Frauen noch keine Seele hatten, war sie eine Seele; eine Seele von Rosen- und Purpurfärbung, glühender als das Feuer, frischer als die Morgenröthe. Aspasia war ein Geschöpf, in welchem sich die beiden Extreme des Weibes berührten; sie war die Göttin gewordene Prostitutirte. Socrates und Manon Lescault vereinigt. Aspasia wurde für den Fall geschaffen, daß Prometheus eine Dirne brauchen sollte.«

Tholomyès, der einmal losgelassen war, würde sich schwer gehalten haben, wenn nicht in eben dem Augenblick ein Pferd auf dem Quai niedergestürzt wäre. Durch den Fall wurden der Karren und die Räder in ihrem Laufe gehemmt. Es war eine alte magere Stute, würdig des Abdeckers, und zog einen schweren Karren. Bis vor die Thür Bombarda's gelangt, hatte das Thier, erschöpft und matt, sich geweigert, weiter zu gehen. Dieses Ereigniß sammelte eine Menge Menschen. Kaum hatte der Kärrner, fluchend und aufgebracht, Zeit gehabt, mit geziemender Kraft das Wort: Mátin! auszusprechen, begleitet von einem unerbittlichen Peitschenhiebe, als die Mähre niedergestürzt war, um nie wieder aufzustehen. Bei dem Lärmen der Vorübergehenden wendeten die heitern Zuhörer des Tholomyès den Kopf, und Tholomyès benutzte das, um seine Anrede mit der melancholischen Strophe zu schließen:

»Sie war von jener Welt, wo Kuckucks und Carossen
        Das gleiche Schicksal theilen;
Als Roß hat sie gelebt, das Leben von den Rossen:
        Nur eines Morgens Weilen.«

»Das arme Pferd«, seufzte Fantine.

Und Dahlia rief aus:

»Nun wird Fantine gar noch das Pferd beklagen! Kann man so sentimental darin sein?

In diesem Augenblick kreuzte Favourite die Arme, warf den Kopf zurück, sah Tholomyès entschlossen an und sagte:

»Nun, die Ueberraschung?«

»Richtig. Der Augenblick ist gekommen«, erwiderte Tholomyès. »Meine Herren, die Stunde, diese Damen zu überraschen, hat geschlagen. Meine Damen, erwarten Sie uns einen Augenblick.«

»Das fängt mit einem Kusse an«, sagte Blachevelle.

»Auf die Stirn«, fügte Tholomyès hinzu. Jeder drückte voll Ernst einen Kuß auf die Stirn der Geliebten; dann schritten alle Vier, Einer nach dem Andern, zur Thür, indem sie den Finger auf den Mund legten.

Favourite klatschte bei ihrer Entfernung in die Hände.

»Das ist sehr amüsant«, sagte sie.

»Bleiben Sie nicht zu lange«, flüsterte Fantine. »Wir erwarten Sie.«

*


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