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Sechzehntes Kapitel.
Paul Werner


Nach einer mehrstündigen, erquickenden Ruhepause wurde zu Pieters Mißvergnügen aufs neue der Marsch angetreten. Schon funkelten Tausende von Sternen am Himmel, als man einen kleinen Fluß durchschritt, der dem Limpopo zuströmte. Der Vortrapp der Neger war wieder am jenseitigen Ufer emporgeklommen, als plötzlich einer der Schwarzen, mitten im Wasser, einen durchdringenden, entsetzlichen und übernatürlichen Schrei ausstieß. Sein Körper hob sich fast ganz über die Wasseroberfläche und im gleichen Momente sah man ein gewaltiges Krokodil aus den Fluten tauchen und mit seinem furchtbaren Rachen den Schenkel des Unglücklichen packen. Der Schrecken lähmte die Zuschauer des grausen Schauspiels und als gellende Schreie zur Abschreckung des Reptils ertönten, Waffen funkelten, war das Tier verschwunden; nur der verstümmelte Körper des Negers trieb langsam stromab. Mit fliegender Eile wurde nun das gefährliche Strombett glücklicherweise ohne weiteren Unfall gequert.

Das Unglück, dessen Zeugen sie gewesen, gab noch stundenlangen Gesprächsstoff für die Gefangenen ab, die unausgesetzt der Gedanke an die Zukunft quälte. Was wollte man mit ihnen beginnen, weshalb zerrte man sie von Ort zu Ort auf endlosen Märschen, denen sie schließlich erliegen mußten. Selbst die eisernen Naturen Parrs und Pieters, gestählt in langem Kampfe mit den Unbilden des Meeres, drohten unter den Strapazen und der mangelhaften Nahrung zu erliegen, wie viel mehr George und Durand. Pieter faßte unausgesetzt Fluchtpläne, doch erwiesen sich alle als unausführbar, da nicht einen Augenblick die strenge Bewachung nachließ.

Bei Parr war die Gemütsstimmung eine an Verzweiflung streifende. Jede Hoffnung, Frantz wiederzufinden, hatte er schweren Herzens aufgegeben und sein Trachten und Sinnen galt nunmehr allein George, den er der Mühen nicht gewachsen wähnte und dessen Untergang er sich und seinem Unternehmen, das er nun wahnwitzig nannte, zuschrieb. So schritt er auch jetzt dahin, des Weges und der Gestrüppe nicht achtend, die seine ungefesselten Hände blutig ritzten und seine Kleider zerrissen.

»Die Baas Parr is reegte zieck« (Herr Parr ist sehr krank), sagte einer der Zulus zu Pieter, der zwei Respektschritte hinter seinem Herrn einhertrottete, die nie fehlende Pfeife im Mund.

»Ist das ein Wunder, bei 'ner solchen Hundearbeit und bei der Kost? Maiskuchen mit Wasser, drei Tage hintereinander, dann, damit Abwechslung entsteht, die bekanntlich erfreut, Wasser mit Maiskuchen. Brrr, der reine Schlangenfraß! Und außerdem, ohne Ahnung, wohin man von der schwarzen Rasselbande verschleppt wird…«

»Ich weiß es, Baas Pieter!« sagte mit schlauem Blinzeln leise der Neger.

»Rede, schwarze Seele, wenn's wahr ist; lügst du aber, dann beiß ich dir den Kopf ab und spuck ihn dir ins Gesicht.«

Der Zulu grinste und entgegnete kopfschüttelnd:

»Caspar lügt nicht! Wir werden zu den…« den Rest flüsterte er in Pieters Ohr.

Dieser starrte ihn mit seinem einzigen Auge an und sprach dann bedächtig: »Mann, wenn du recht hättest, dann kriegst du von mir einen Beutel voll Tabak, den du kaum verschleppen kannst.«

»Habe recht! Verstehe die Matabeles, sie sprechen schon die ganze Zeit davon, daß wir heute abend das Lager erreichen müssen.«

»Heute abend schon, vivat hoch, heute abend sagt der schwarze Liebling. Hätte bei Gott nicht gedacht, daß dein Gegrunze so schön klingen könnte!«

Parr hörte den Freudenausbruch seines Dieners und kehrte sich befremdet um, einen vorwurfsvollen Blick auf Pieter schleudernd.

»Wohin gehen wir, Herr Kommandant? Fünfhunderttausend Dollars Belohnung, wenn Sie es raten!« rief ihm Pieter zu.

»Lasse deine Witze und sprich, wenn du etwas zu sagen hast,« meinte Parr unwirsch.

Auch George und Durand, welche müde hinter Pieter einherschlichen, hatten den Ausruf vernommen und beschleunigten ihre Schritte, neugierig auf Pieters Erklärungen wartend.

»Ihre Mutlosigkeit wird sofort ins Gegenteil umschlagen, Herr Kommandant, wenn ich Ihnen sage…«

Da Pieter absichtlich zauderte, um die Wirkung seiner Worte zu erhöhen, stieß George wohlgemeint seine Faust in des Matrosen Seite, bis dieser fortfuhr:

»Na, direkt ins Lager zu Frantz und seinem Oberen, namens Paul Operboem

Parr wankte, als er diese Worte vernahm und wäre unfehlbar zu Boden gestürzt, hätte nicht Pieter ihn rechtzeitig aufgefangen. Der Zug stockte und einzelne Neger boten Kürbisflaschen voll Wasser dar, mit deren Inhalt der Ohnmächtige gelabt und erfrischt wurde, bis er seine momentane Schwäche überwunden hatte, doch war ihm der Weitermarsch unmöglich.

Der Übergang von tiefster Mutlosigkeit zu höchster Freude war zu plötzlich, um spurlos an Parr vorüber zu gehen.

Einige Neger hatten rasch aus Baumzweigen ein Gestell geflochten, das zur Not als Bahre gelten konnte.

Auf diese wurde Parr gelegt und fort ging's in beschleunigterem Tempo, um die verlorene Zeit wieder einzuholen.

George und Durand gingen seitwärts der Bahre, während Pieter sie immer umschwärmte und ängstlich darauf achtete, daß die tragenden Neger sie nicht zu viel schwanken ließen. Obgleich Parr sich nun so weit erholt hatte, daß er hätte zu Fuße folgen können, ließ er sich doch ruhig tragen, da seinen ermüdeten Beinen die Ruhe wohl that. Es waren nach dem Unglücke im Flusse Fackeln aus harzreichem Holze entzündet worden, teils um den mühsamen Weg voll sonnverbrannten Gestrüppes zu beleuchten, teils um die wilden Tiere abzuhalten, sich auf die Karawane zu stürzen. Eine halbstündige Pause nur gönnten sich und ihren Gefangenen die Neger, dann ging es wieder weiter. Pieters Uhr zeigte schon die zehnte Stunde und seine Beine drohten zu streiken. George hatte sich während der letzten Marschpause einen Baumzweig abgeschnitten, den er als Wanderstab benützte. Durand ging nicht mehr, er wankte nur noch und war glücklich, als einer der Neger ihm lächelnd seinen Arm bot. Parr schlief fest, todesähnlich.

Eine weitere Stunde war vergangen, der Wald, dessen Mittelpunkt man erreicht hatte, war dichter, kaum passierbar geworden, als mit einem Male der Vortrupp hielt. Lichtpunkte näherten sich, Stimmengewirr wurde hörbar, die am Ende des Zuges befindlichen Schwarzen setzten sich in einen leichten Trab, darunter auch die Träger von Parrs Bahre, wodurch die anderen Europäer zu einem Laufschritt gezwungen wurden, der ihre letzten Kräfte aufzehrte. Man hatte endlich atem- und fast sinnlos eine Lichtung erreicht, die mächtige Feuer erhellten, als George mit dem gellenden Aufschrei »Frantz« zusammenbrach. Pieter stürzte neben den Jüngling hin, ihn angstvoll umklammernd, und wie geistesabwesend, mit einer Stimme voll Todesangst immerzu den Namen George, George rufend.

Durand, bis zum äußersten erschöpft, warf sich der Länge nach auf den Boden und fiel sofort in einen an Erstarrung grenzenden Schlaf…

Der Tag war schon ziemlich weit vorgeschritten, als Parr die Augen öffnete. Er sah verwundert um sich, denn im Traume hatte er sich auf den schwanken Wogen des Meeres gefühlt, den Sturm brausen hören, aus dessen gewaltiger Stimme immer das Wort ›George, George‹ deutlich herausklang.

Er fand sich, sorgsam auf eine Decke gebettet, in einem Zelte, neben sich seinen Neffen, dann Pieter und Durand, alle friedlich schlummernd.

Was war mit ihnen vorgegangen, wo befanden sie sich? So sehr er auch seinen Kopf anstrengte, er verweigerte hartnäckig die Antwort darauf, denn seinem Gedächtnisse waren die letzten zwölf Stunden mit ihren Ereignissen vollständig entschwunden. Nur dunkel erinnerte er sich des Zurufs Pieters, daß man sich Frantz näherte, doch war er nicht sicher, daß ihn sein Gedächtnis nicht trüge und er statt Frantz den Namen Borgfield gehört habe. Noch quälte er sein Hirn mit Denken ab, als sich der Zeltvorhang öffnete und eine Gestalt sichtbar wurde, die seine Pulse höher schlagen machte, es war Frantz! Neben ihm erblickte Parr das Gesicht des Negers, der sie gefangen genommen und über dessen Schulter sah er einen von einem mächtigen grauen Filzhut beschatteten Kopf auftauchen, dessen Züge er nicht zu unterscheiden vermochte.

»Frantz,« stammelte er freudig erregt.

Dieser trat heran, schüttelte kräftig die Hand des Kapitäns und flüsterte, in Rücksicht auf den Schlaf der anderen: »Ich freue mich herzlich, Sie wieder zu sehen und Sie auch wohl zu finden. Ich fürchtete schon, Mutatembwas Übereifer bitter gerächt zu sehen.«

»Lange hätten wir diesen Dauerlauf auch nicht mehr ertragen, das heißt, meine Begleiter, denn ich selbst bin zusammengeknickt, wie ein Hüftmesser, ich, der ich der Ausdauernste sein müßte,« meinte betrübt Parr.

»Mir ist nicht bange davor, Sie bald wieder stramm auf dem Posten zu sehen,« begütigte Frantz.

Der Kapitän erhob sich nun mit Unterstützung von Frantz, was einige Mühe kostete, da die Übermüdung denn doch zu gewaltig war, um durch den Schlaf einer Nacht beseitigt zu werden.

»Wußten Sie, daß man uns gefangen genommen hatte?« fragte er dabei Frantz, »Ihr Ausruf vorhin deutete scheinbar darauf hin.«

»Von Ihnen hörte ich nichts, wohl aber, daß ein Trupp englischer Spione vom Matabele-Häuptling Mutatembwa abgefaßt worden sei und ins Lager des Kolonel Serpa Pinto gebracht werden sollte. Jedenfalls sind Sie und Ihre Gefährten damit gemeint gewesen, was Sie der Unterhaltung in Ihrer Muttersprache zu danken haben, die nun einmal hier in Südafrika verpönt ist. Welch neuen Kameraden haben Sie denn hier?« fragte Frantz auf Durand zeigend, der ebenso, wie George und Pieter, noch fest schlief.

»Darüber später,« entgegnete Parr, sich auf einen von Frantz herbeigeholten Feldstuhl niederlassend. Vor ihm breitete sich eine mit üppigem Grase bestandene Lichtung aus, die durch ein Dutzend großer im Kreise aufgefahrener Wagen zu einer Festung umgestaltet war. Etwa hundert Männer, alle in Burentracht, waren mit allerlei Arbeiten beschäftigt. Die einen striegelten Pferde, andere reinigten Waffen, hier wurde ein großes Feuer genährt, an welchem mächtige Kochtöpfe brodelten, dort lagerten Männer am Boden, emsig dabei Kleider, Wagendecken und Zelte durch große Flicken in allen, möglichst unpassenden Farben wieder in Stand zu setzen. Andere schlenderten, die Hände in den Hosentaschen, dabei mächtig aus den kleinen Pfeifen qualmend, müßig zwischen den Arbeitenden herum. Es war ein buntes, stets wechselndes Bild, für das der Kommandant aber augenblicklich kein Auge hatte. Ihn erfüllte jetzt nur allein der Wunsch, Näheres von Frantz über den geheimnisvollen Brief zu erfahren. Er richtete deshalb, kaum sitzend, die Frage an den Buren:

»Nun klären Sie mich, bitte, über die Andeutungen Ihres Briefes auf, die mir ein Glück verhießen, das mich in allen Fährnissen und Sorgen der letzten Wochen allein aufrecht hielt.«

»Gerne, Herr Kommandant, doch fürchte ich, Sie enttäuschen zu müssen. Kann ich doch leider nur Vermutungen mitteilen, nicht Thatsachen, wie ich es gerne gewollt,« erwiderte dieser.

»Ich bin aufs äußerste gespannt, sprechen Sie,« bat Parr.

»Nun denn. Ich fand, als ich Sie damals verließ, auf meinen Posten zurückgekehrt, so viel Arbeit vor, daß ich Ihre Pläne vollständig außer acht lassen mußte, und nur an meine Pflicht denken konnte. Als das Schwerste vollbracht war und wir Kameraden uns wieder etwas Ruhe gönnen konnten, gedachte ich auch Ihrer wieder und der heiße Wunsch, Ihnen, Herr Kommandant, behilflich sein zu können, gewann die Oberhand. An den einsamen Wachtfeuern hielt ich, ohne Ihr Geheimnis in ganzem Umfange preiszugeben, vorsichtig Umfrage bei den Landsleuten aus Transvaal, dem Oranje-Freistaat und solchen, die ihre Hütten weit im Innern unseres Weltteiles aufgeschlagen haben und zu unseren Lagern geeilt waren, um mit uns den Portugiesen im Kampfe gegen die nimmersatten Engländer beizustehen, die ihre ländergierige Hand nach den portugiesischen Besitzungen im Betschuanalande ausgestreckt hatten. Leider kam es nicht zum Kampfe, da die Helden der Feder, die Diplomaten, sich geeinigt hatten, bevor die offenen Feindseligkeiten ausgebrochen waren.

Sie alle horchte ich nach dem Knaben aus, den Sie suchen, doch lange vergebens.

Wohl teilte mir dieser und jener Anhaltspunkte mit, die sich aber alle schließlich, als nichtig herausstellten. Schon wollte ich alle Forschungen als fruchtlos aufgeben, umsomehr, als ich kaum mehr darauf rechnen konnte, Sie bei mir zu sehen; war doch selbst der ausgedehnteste Termin, den ich für Ihre Reise feststellte, längst überschritten. Da sollte ich plötzlich einen Faden finden, wo ich ihn am wenigsten gesucht. Ich war mit einem Kameraden, nein, mehr als das, einem Freunde zusammengetroffen, den wir Buren mit Stolz einen der unseren nennen, einem Mann, gleich bewährt im Krieg und Frieden.

Er hatte eine Aufgabe an einem anderen Teile unseres Landes zu lösen und monatelang waren wir von einander getrennt gewesen. Beim Austausch unserer Erlebnisse kamen wir auch auf Sie und Ihre Fahrt, Herr Kommandant, zu sprechen. Mit unsagbarer Spannung folgte der Freund meinem Berichte und als ich geendet, meinte er sinnend: »Ich, ich allein kann deinen Kommandanten auf die richtige Fährte bringen.«

»Du?« fragte ich überrascht.

»Ja, ich, weil ich selbst der gesuchte Richard Werner bin

Trotz seiner Schwäche fuhr Parr mit einem Schrei vom Stuhle auf: »Vollenden Sie, Frantz!« bat er.

»Es ist dies unnötig, da Ihnen mein Freund Paul Operboem, selbst das Nötige berichten kann. Hier ist er,« Frantz wies auf einen jungen Mann, der sich näherte.

Es war eine schlanke Gestalt, die der einfache aber reinliche Burenanzug und das rote Hemd gar prächtig kleideten. Der nationale breite Filzhut hing am Ledergürtel, so daß man unbeeinträchtigt von seinem Schatten die männlichen, schönen offenen Züge des Gesichtes sehen konnte. Lange, gelockte goldblonde Haare fielen auf die Schultern nieder, indes ein kurz gehaltener blonder Vollbart das offene Gesicht umrahmte.

»Hier ist Herr Kommandant Parr, Paul Operboem, der dich zu sprechen wünscht,« stellte Frantz vor.

Mit natürlichem Anstande, der Parr sofort für den neuen Bekannten einnahm, trat derselbe auf den Kapitän zu, ihm die Hand zum Gruße reichend.

Lange und scharf ließ Parr seine Blicke auf Paul ruhen, ehe er begann:

»Herr Frantz, Ihr Freund, hat mich davon unterrichtet, daß ich in Ihnen den Mann vor mir sehe, den mein Leichtsinn vor siebenundzwanzig Jahren seiner gerechten Ansprüche beraubt und in ein freudloses Leben hinausgestoßen hat.«

Ehe Paul Operboem antworten konnte, traten Pieter und George zu der kleinen Gruppe, letzterer mit einem kleinen Pakete in der Hand. Beide hörten noch die letzten Worte Parrs und man wird sich leicht die Verwunderung vorstellen, die sich auf ihren Gesichtern malte.

»Welche Schuld Sie, Herr Kommandant, an meinem Schicksale zu tragen haben, sei fürs erste nicht untersucht. Das eine mögen Sie aber schon jetzt erfahren: es war mein Leben kein freudloses, sondern ein glückliches, das mich ein über alles geliebtes Vaterland, treue Eltern, liebe herzliche Geschwister, Freunde und Genossen und eine Aufgabe finden ließ, die meinem Leben Inhalt und Anregung gab. Sollten Sie also wirklich die Ursache desselben gewesen sein, dann segne ich Sie dafür aus vollstem Herzen, statt, wie Sie erwartet, Vorwürfe auf Sie zu häufen, und es müssen gewaltige Ursachen vorliegen, wenn sie mich zwingen sollten, dieses schöne, freie Dasein mit einem anderen zu vertauschen!«

»Dat is 'n ander Kirl, wie der vertrackte Josua in der Mission,« warf Pieter dazwischen, wobei sein einziges Auge freudefunkelnd auf Paul Operboem ruhte.

»Haben Sie Dank für Ihre Worte, Mynher Operboem; Sie wälzen eine Centnerlast von meinem Herzen,« sagte Parr, freudig bewegt. »Doch bitte, erzählen Sie mir und den Meinen, meinem Neffen George und Pieter Koopmann, dem treuen Gehilfen, der einst den kleinen Paul Werner und seinen todkranken Vater gerettet, von Ihren Schicksalen.«

Paul Operboem nahm auf Parrs Einladung auf einem zweiten Feldstuhle Platz, während die anderen Zuhörer, zu denen sich inzwischen Durand gesellt hatte, im Grase lagerten. Paul begann:

»Was in den ersten Jahren meines Lebens mit mir vorging, weiß ich mich heute nur noch ganz dunkel zu erinnern. Ein bleicher Mann, den ich oft vor mir zu sehen glaube, wenn ich mein Gesicht im Spiegel betrachte, dann ein junger Mann, den ich Vetter Edward…«

»Atkins,« warf Pieter ein.

»Ganz richtig, Atkins,« fuhr Paul sinnend fort, »und ein Matrose mit glattem Antlitze, blauen Augen, mit dem ich mich, wie im Traume, auf einem Boote sehe, das nur Himmel und Wasser umgiebt, so weit die Blicke auch schweifen mögen, das ist alles, was ich meinem Gedächtnisse abquälen kann. Alles weitere kenne ich nur aus den Erzählungen meines Pflegevaters Petrus Operboem und meiner guten Mutter. Wie oft hörte ich, daß ich als Dreikäsehoch, der nur englisch sprach, weinend in den Straßen Durbans herumgeirrt, nach meinem Vater und einem anderen Manne rufend, und so von Operboem aufgefunden wurde, der mit einem Viehtransport nach Port Natal gekommen war. Ihn dauerte das ausgehungerte, vom Weinen ganz schwache Kind, dessen Sprache er nicht verstand, das er aber, in richtiger Erkenntnis der Sachlage mit Speise und Trank labte und schließlich mit sich nahm. Wie ein eigener Sohn wurde ich seitdem von meinen lieben biederen Eltern gehalten, deren Namen ich annahm, trotzdem der ganzen Familie bekannt ist, daß ich Paul Werner heiße. So, das ist alles, Herr Kommandant, was ich zu berichten habe. Die Bestätigung desselben werden Sie, falls es Sie darnach verlangt, von dem alten Operboem erhalten,« schloß Paul seinen Bericht, »zu dem ich bald aufbreche, und der Ihnen gerne Rede stehen wird.«

Die Gefühle, die Parr bewegt, als er George und sich aus den Höhlen der Muralberge gerettet sah, waren nichtssagend gegen die, die jetzt sein Herz bewegten. Sie waren zu gewaltig, um sich in Worten ausdrücken zu lassen und stumm, mit gefalteten Händen, als schicke er ein Dankgebet zum ewig gütigen Lenker der Schicksale empor, saß er, verklärten Antlitzes in seinen Stuhl zurückgelehnt.

Pieter unterbrach das Schweigen, indem er auf den Erzähler mit den Worten zutrat, indem er auf sein Auge wies: »Sie sagten vorhin, der Matrose hätte blaue Augen gehabt, sehen Sie sich mal die Probe davon an, ob Sie es noch erkennen?«

Lächelnd schüttelte Paul den Kopf, reichte aber dem Seemanne seine Hand entgegen.

Durand murmelte in den Bart: »Eine fein abgekartete Komödie; wenn ich sie nur nicht durchkreuze!«

Laut sagte er:

»Haben Sie gar keine Papiere, welche Ihre Ansprüche an den Namen beweisen, Herr Werner?«

Mit einem Ruck drehte sich Paul dem Frager zu:

»Wer sagt Ihnen, daß ich Ansprüche mache? Von solchen war meines Wissens noch nicht die Rede!«

Durand biß sich ärgerlich die Lippen, er fühlte, daß er durch diese unvorsichtige Frage Mißtrauen erweckt habe; einer Entgegnung wurde er durch George überhoben, der sein Paketchen hochhaltend ausrief:

»Die Papiere, welche Paul Werner einst geraubt wurden, sind hier in meiner Hand!«

»Ist denn heute der Deubel los?« fragte Pieter ganz entsetzt von all dem Überraschenden, das mit einem Male auf ihn einstürmte.

»Die Papiere, welche mir N'Gumbo gegeben, sind die, welche dir einst in Durban von dem ungetreuen Konsulatsbeamten abgenommen wurden, Pieter. Vorhin, als Onkel das Zelt verließ, erwachte ich von dem Drucke, den die Papiere dadurch auf meine Brust ausübten, daß ich auf ihnen lag. Ich zog sie hervor und das erste, was mir auffiel, war der aus Oil City datierte Geburts- und Taufschein des Oskar Heinrich Paul Werner, des Sohnes von Oskar Heinrich Richard Werner und seiner Gattin Cora, geborenen Atkins.«

»Laß sehen, Goldjunge,« rief Parr, außer sich, und riß George die inhaltsreiche Tasche aus der Hand. Sie enthielt, so viel ein flüchtiger Durchblick erkennen ließ, Familien-Papiere Werners, Quittungen über hohe Depots in amerikanischen Banken, Wechselbriefe auf Hamburg, Bremen und Berlin, Briefe an Richard Werner von seinen europäischen Verwandten, endlich einige an einen Mister Walter Wilson, Sekretär des amerikanischen Konsulats in Durban. Aus einem derselben ging hervor, daß Wilson fortgesetzt Unterschlagungen begangen, die dem Konsul mitgeteilt werden sollten, weshalb man Wilson riet, das Weite zu suchen. Das Datum des Briefes zeigte auch nur wenige Tage früher, als Wilson von Durban floh. Er mochte es als glücklichen Zufall angesehen haben, Pieters Geld zur Flucht verwenden zu können, die ihm den gräßlichen Untergang im Goldrevier N'Gumbos brachte.

»Mein selbst gestecktes Ziel habe ich mit Gottes und guter Menschen Hilfe erreicht, lieber Gott, ich danke dir,« sprach Parr andächtig vor sich hin. »Nun wollen wir zur Küste zurückkehren, von dort nach Amerika, wo Ihnen, Herr Werner, ein Vermögen winkt, das sie glücklich machen wird, wenn Sie es zu Ihrem und zum Heile Ihrer Mitmenschen verwenden. Es ist Ihre Pflicht, das Vermächtnis Ihres dahingeschiedenen Vaters entgegen zu nehmen und deshalb rechne ich auf Ihre Begleitung.«

»Erlassen Sie mir, Herr Kommandant, die sofortige Beantwortung Ihrer Einladung,« entgegnete Paul.

»Ich habe, seit ich von Frantz über Sie und Ihre Mission sprechen hörte, mich in Gedanken viel mit der Angelegenheit befaßt, ohne zu einem Entschlusse gekommen zu sein. Geld und Gut reizen mich wenig, ich habe, was ich brauche und meine Flinte schafft mir oft durch einen glücklichen Treffer mehr, als ich ausgeben kann. Die Aufgabe, die uns gestellt war, ist leider durch diplomatische Winkelzüge gelöst und ein Gebiet, das wir mit unserem Blute verteidigen wollten, fiel England in den unersättlichen Rachen. Auch des unerschrockenen edlen Serpa Pintos Mühen, es seinem Vaterlande Portugal zu erhalten, für das auch wir einzustehen bereit sind, waren vergeblich. Das Vaterland bedarf meiner für den Augenblick nicht mehr, auch die Pflegeeltern nicht und doch kann ich mich jetzt, heute noch nicht durch eine Zusage binden. Wir brechen morgen von hier auf, dem Süden zu und holen Ihre Wagen aus dem Matabeledorfe. Doch ehe wir in Pretoria sind, sollen Sie meine Antwort haben. Sind Sie es zufrieden, Herr Kommandant?«

»Ich muß es wohl. Möge die Antwort bejahend ausfallen!« sprach Parr.

»Vielleicht wird sie Ihrem Wunsche entsprechen,« schloß Paul.

»Wenn ich euch keinen Strich durch die Rechnung mache!« zischte Durand.


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