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Sechstes Kapitel.
500 000 Dollars Belohnung


George Morton war der Neffe des Kapitäns Parr. Die einzige Schwester des Kapitäns hatte sich früh mit einem Jugendfreunde Parrs vermählt, doch nicht lange ihr Glück an der Seite des hochgebildeten Gatten, Eugen Morton, genossen. In New Orleans, wo das Paar seinen Wohnsitz hatte, ist das gelbe Fieber ein oft gesehener Gast, der mit unheimlicher Regelmäßigkeit fast jedes Jahr seinen Einzug hält und zahlreiche Opfer fordert. Auch Morton erlag der schrecklichen Krankheit, als der kleine George eben das zweite Lebensjahr erreicht hatte. Wenige Monate darauf war die Mutter von derselben Seuche hinweggerafft, dem Vater gefolgt und Kapitän Parr, damals eben von einer Reise von Ostindien zurückgekehrt, war so rasch als möglich nach der Unglücksstadt geeilt, um das Kind als teures Vermächtnis der heimgegangenen Schwester an sich zu nehmen. Die ganze Liebe, die er zu geben fähig war, übertrug er auf seinen Neffen, der nie die Eltern vermißte. Mit der Sorgsamkeit des Vaters überwachte Parr seine Schritte, die besten Lehrer nahmen sich Georges an und prächtig entwickelten sich die Fähigkeiten des begabten Knaben, der in seinem Onkel das Ideal aller Güte, aller Männlichkeit sah, das er aus ganzem Herzen liebte.

Es war ein herrlich schönes Verhältnis zwischen Onkel und Neffen. Einer war glücklich darüber, des andern Wünsche zu erraten und zu erfüllen, ehe sie ausgesprochen waren. Pieter, der dritte im Bunde, der das hilflose Kindchen überwacht, gepflegt, mit ihm gespielt und herumgetollt hatte, dem älteren Knaben Schiffe schnitzte, die so lustig in der Bai herumschwammen, ihm Drachen baute, die von allen Schulfreunden des Knaben angestaunt und vielbeneidet waren, kurz sein unzertrennlicher Gefährte, hatte sein Herz zwischen Parr und dessen Pflegesohne geteilt und keinen Augenblick hätte er gezögert, sein Leben für einen der beiden freudig dahinzugeben.

Als Kommandant Paar am Abend, an dem die Bekanntmachung in dem »New York Harald« erschienen, George am Speisetische gegenüber saß und er die Abendzeitung durchgesehen hatte, sagte er, das Blatt weglegend:

»Ich werde morgen eine kleine Reise antreten, George.«

»Eine Seefahrt mit der ›Königin Nab‹?«

»Nein, mein Junge. Diesmal bleibe ich auf dem festen Boden. Ich will nach Oil-City, einem furchtbaren Neste im Norden Pennsylvaniens.«

»Nimmst du auch Pieter mit?«

»Allerdings.«

»Ah, dann handelt es sich um den Aufruf in der heutigen Zeitung.«

»So ist es!«

»Wann wollt ihr fort?«

»Sehr früh, da wir den ersten Zug von Brooklyn aus benutzen wollen.«

»Wie lange gedenkst du wegzubleiben?«

»Genau kann ich es nicht bestimmen. Es werden wohl nur drei oder vier Tage sein.« Damit war die Sache erledigt.

Am nächsten Morgen bestiegen Parr und Pieter den ersten Zug, der sie nach Brooklyn, der Nachbarstadt New Yorks brachte, von da ging es mit der Eriebahn, wie man abgekürzt die »New York Lake Erie and Western Eisenbahn« nennt, weiter.

Pieter, dem die vorzüglichen Einrichtungen amerikanischer Eisenbahnwaggons keineswegs neu waren, machte es sich in dem einen rollenden Salon darstellenden Wagen möglichst bequem. Die Hände über den Leib gefaltet, saß er in einem der weichen Armstühle an dem breiten Fenster, blickte aus die vorüberjagenden Telegraphenstangen und rauchte wie ein kleiner Vesuv seinen scharfen Kentucky-Tabak. Hügel, mit alten Bäumen bestanden, wechselten mit reich gesegneten Ebenen, in denen kleine reinlich gehaltene Häuser halbversteckt aus grünen Obstbäumen hervorlugten. Ab und zu hatte Pieter Ausblick auf einen der Berge des Appalachen-Gebirges, dessen Stock die Bahn durchfuhr. In Philippsburg wurde der Delaware überfahren, der sich mit dem Schuylkill, Suezuehema, Alleghany und Monongahela vereinigt und als Ohio dem Meere zuströmt. Die Glieder waren dem Matrosen schon gewaltig klamm, als man gegen Mitternacht an dem Bestimmungsorte anlangte. Seit Stunden waren schwarze, große kesselartige Wagen an dem Zuge vorbeigerollt, gefüllt mit dem Produkte, dem Oil-City seinen Weltruf dankte, dem Petroleum. Ein Wald breitete sich vor der Stadt aus, durchströmt von dem Oil-Creek, einem unscheinbaren Gewässer, das fast taghell von dem natürlichen Gase beleuchtet war, das überall in der Nähe der Erdölquellen dem Boden entströmte. Ein leichter Petroleumgeruch machte sich bemerkbar, der das ganze Territorium wie eine Wetterwolke überlagerte und dem Fremden Übelkeit bereitete.

Der Bahnhof von Oil-City, wie die Häuser, die Straßen, die Menschen waren schmutzig, vom Rauche der zahlreichen Siedereien, deren Schlote Tag und Nacht qualmten, und die selbst den spärlichen Bäumen und Pflanzen einen schwarzen, fettig schimmernden Überzug gegeben hatten.

Am nächsten Morgen brachen Kapitän Parr und Pieter rechtzeitig auf, die Wohnung des Herrn Edward Atkins, – den Petroleumkönig nannte ihn der Hotelbesitzer in Oil-City – zu erreichen. Es war ein weiter Weg zurückzulegen und beinahe die ganzen weit auseinanderliegenden Werke zu durchwandern, da sich Atkins Geschäfts- und Wohnräume außerhalb des Petroleumdunstkreises befanden.

Die Wege waren schlecht, schlammig, ungepflastert und von zahllosen Einschnitten breiter und schwerer Wagenräder durchfurcht, die mit dem öligen Niederschlage gefüllt waren, der infolge seiner Glätte kaum festen Fuß zu fassen gestattete.

Der Anblick der Gegend war trostlos.

An den abgeholzten Abhängen der Berge ragten überall hohe pyramidenförmige Gerüste in die Luft, jedes ein Eingang zu den Schächten. Riesige eiserne Rundbauten, wie die Gasometer der europäischen Städte, standen zahlreich am Wege. Es waren Behälter für das aus der Erde getretene Leuchtöl, aus denen es nach den Raffinerien, den Reinigungsanstalten, durch mächtige Maschinen getrieben wurde, deren Getöse die Luft erfüllte. Zwischen allen diesen massigen schwarzen Gebäuden, Maschinenanlagen und Holzgerüsten wimmelte ein Heer von Menschen. Alle schmutzig in fetter ölgetränkter Kleidung mit hohen Stiefeln an den Beinen und auf den Köpfen schmierige Hüte aller Formen. In der Nähe dieser Werke war der Petroleumgeruch geradezu unerträglich aufdringlich und ekelerregend, er verlor sich aber fast vollständig bei der Besitzung von Atkins. Das Haus des Petroleumkönigs machte einen durchaus vornehmen Eindruck. Es bedeckte eine bedeutende Bodenfläche, war in gefälligem modernen Stil gehalten und schien vor nicht langer Zeit vollendet zu sein. Die Geschäftsräume nahmen das weitläufige Erdgeschoß ein, während das erste und zweite Stockwerk die Wohnung des Eigentümers und seiner Familie enthielten.

Ein breitschultriger Neger nahm Parrs Karte für Atkins entgegen und kam nach wenigen Minuten, ihn und Pieter ins Arbeitszimmer seines Herrn zu holen.

Edward Atkins, der Petroleumkönig von Oil-City, war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, weit über Mittelgröße, dabei von achtungsgebietendem Leibesumfang. Wenn ein römischer Cäsar behauptet hatte, daß dicke Leute stets harmlos seien, so strafte ihn Atkins Lügen. Die trotz der dicken Backen scharf vorspringende gebogene Nase, die schmalen weißen Lippen, das markige geteilte Kinn gaben seinem Gesichte ein einem Raubvogel ähnliches Aussehen. Die kleinen, grünlich schimmernden Augen, die niemanden gerade ansehen konnten, sondern immer ruhelos von einem Punkte zum andern liefen, waren von den buschigen Augenbrauen fast ganz verdeckt und erhöhten den unheimlichen Eindruck des ganzen Antlitzes. Das Kopfhaar war dicht und fuchsrot, nur an den Schläfen leicht ergraut.

Als Kapitän Paar, gefolgt von Pieter, das elegant eingerichtete Arbeitszimmer betrat, schien Atkins emsig zu arbeiten und eine kleine Weile verging, ehe er, mit halber Wendung seines Körpers, ohne sich von seinem Stuhle zu erheben, die Eintretenden scharf betrachtend, kurz fragte:

»Was wünschen die Herren?«

»Wir kommen des Aufrufes im ›New York Harald‹ wegen,« erwiderte Parr.

Wie elektrisiert sprang der Kaufmann bei diesen Worten von seinem Platze in die Höhe, bot mit einem Male äußerst zuvorkommend den Fremden Stühle und Cigarren an, erschöpfte sich in Liebenswürdigkeiten, dabei bemüht, allerdings mit fraglichem Erfolge, eine süßlich freundliche Miene aufzusetzen.

»Also, Sie können mir nähere Mitteilungen über das Verschwinden meiner armen Verwandten machen, meine Herren?« fragte er eifrig.

»Zu dienen, mein Herr,« nahm Kapitän Parr das Wort. »Zur Einleitung will ich Ihnen mitteilen, daß ich bei dem Schiffbruche des ›Grant‹ das Kommando führte.«

»Wobei meine unglücklichen Vettern ums Leben kamen, nicht?« fragte Atkins, einen Blick auf Kapitän Parrs Lippen richtend, mit vor Spannung zurückgehaltenem Atem.

»Davon sprach ich kein Wort,« entgegnete dieser betroffen.

»Noch nicht, aber…« meinte Atkins.

»Aber? Im Gegenteil, ich kann Ihnen die freudige Botschaft zubringen, daß sie gerettet wurden!«

»Gerettet, sagen Sie?« Enttäuschung, Wut, Angst, dies alles klang aus Atkins Worten.

»Ja, gerettet, und dies durch meinen Begleiter Pieter Koopmann, der noch heute über die That glücklich ist.«

»Sie sind also nicht beim Schiffbruche ertrunken?«

»Nein, Ihre Vettern sind, wie Sie hören, der drohenden Gefahr entronnen.«

Wie niedergeschmettert sank der Petroleumkönig in seinen Stuhl zurück, willenlos die letzten Worte Parrs mit zuckenden Lippen nachsprechend.

Kapitän Parr, erstaunt über diese Fassungslosigkeit Atkins, sagte zu ihm: »Ich kann Ihre Aufregung über diese unerwartete Nachricht verstehen, aber bitte, fassen Sie sich, Herr Atkins.«

Atkins warf dem Sprecher blitzschnell einen prüfenden Blick zu und sagte, sich zur Ruhe zwingend: »Nur die Freude, meine Verwandten am Leben zu wissen, die ich so lange Jahre hindurch als tot beweint habe, hat mich übermannt, doch jetzt ist's vorüber.«

Kapitän Parr, durch das Benehmen Atkins schon stutzig geworden, sagte sich, dieser Mann entspricht denn doch nicht dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht. Den scheinen ja ganz andere Beweggründe zu leiten, als ich dachte. Seien wir auf der Hut! Laut bemerkte er:

»Ihre freudige Bewegung zeugt von Ihrer verwandtschaftlichen Liebe und ehrt Sie, Herr Atkins, aber frohlocken Sie nicht zu früh.«

»Sie sind also doch tot?« warf Atkins aufatmend ein.

»Wer sagte das?«

»Sie spannen mich auf die Folter. Bitte erklären Sie endlich den Sachverhalt, Herr Kapitän.«

»Herr Koopmann kann das besser als ich und wird, wenn Sie erlauben, das ganze Abenteuer kurz erzählen.«

Auf ein zustimmendes Kopfnicken Atkins erhob sich Pieter und erzählte, wie er vor siebenundzwanzig Jahren sich und die Verwandten Atkins in Sicherheit gebracht hatte. Als Pieter beim Tode Richard Werners angekommen war, atmete Atkins tief auf, wie von einer schweren Last befreit, doch umdüsterten sich seine Mienen wieder bei der Erzählung von Pauls Erhaltung.

Kapitän Parr wandte kein Auge von Atkins und beobachtete scharf das Spiel seiner Mienen. Wie geistesabwesend fragte Atkins: »Also lebt Paul?«

»Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß er sich ebenso wohl befindet wie wir!« entgegnete Parr.

»Doch wenn er lebt, wodurch will er beweisen, daß er Paul Werner ist, der Paul Werner, den ich suche? Haben Sie die nötigen Dokumente?« fragte Atkins weiter.

»Ich habe die Papiere nicht, wie sollte ich auch in ihren Besitz gelangt sein? Entweder besitzt sie Paul noch, dann ist alles andere überflüssig. Hat er sie aber nicht, dann wird das Zeugnis seines Pflegevaters, der sich einst des verlassenen Kindes angenommen, genügen, seine Identität nachzuweisen.«

»Nein, nein, die Papiere sind unbedingt nötig!« beharrte Atkins verbissen, »sie sollen beweisen. Ha, ha, könnte doch der erste beste Landstreicher kommen, der einen gefälligen Freund gefunden, mit dem er den Raub teilen will und der zu allem, was jener behauptet, sein Ja und Amen sagt.«

»Wir wollen heute darüber nicht rechten, da wir nicht wissen, ob Paul Werner oder seine Pflegeeltern nicht doch in der Lage sind, Ihren Wünschen zu entsprechen. Sind die Papiere aber wirklich verloren, dann giebt es Mittel und Wege, sie zu ersetzen, neu zu schaffen, oder sie entbehrlich zu machen, wie ich erwähnte,« antwortete Parr etwas ungeduldig.

»Nein, ohne Papiere nichts, die müssen unbedingt da sein!« wiederholte Atkins, sich starrköpfig an der einen Idee festklammernd.

»Würden Sie auch auf beweisende Papiere dringen, wenn wir gekommen wären, Ihnen eidlich zu versichern, daß Paul Werner ebenso gestorben ist, wie sein Vater Richard?« fragte nun Parr, Atkins fest ins Auge fassend.

Betroffen schwieg dieser. Er fühlte sich durchschaut und mußte seine bisherige Taktik, die ihn nie zum Ziele führen würde, als. falsche eingestehen. Er änderte dieselbe sofort und sagte daher plötzlich: »Sie haben recht, Herr Kapitän, wozu braucht es unter Verwandten gerichtlicher Beweise. Ich werde Paul Werner sehen, und mein Herz und mein verwandtschaftliches Gefühl wird es mir sagen, ob ich den Gesuchten vor mir habe oder nicht. Bitte nennen Sie mir den Ort, wo ich den Vetter finden kann, damit ich ihn an mein Herz drücke und ihm sein väterliches Erbteil aushändige.«

Kapitän Parr fiel nicht in die plumpe Falle, die ihm der Heuchler stellte und beschloß sich erst noch weiter von den Absichten, des zweideutigen Ehrenmannes zu unterrichten, ehe er ihm seine Meinung in dürren Worten aussprechen wollte.

»Das kommt erst später, Herr Atkins.«

»Warum?«

»Es liegen Gründe dafür vor.«

»Dann wird Ihnen auch die hohe Belohnung nicht zu teil, die ich in dem Zeitungsaufrufe ausgesetzt habe.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich beabsichtigt habe, diese oder überhaupt irgend etwas von Ihnen anzunehmen?«

»Sie verlangen also garnichts?«

»Nicht das Geringste.«

»Ja, weshalb sind Sie denn eigentlich hierher gekommen?«

»Weil ich dachte, dadurch ein Unrecht sühnen zu können, das ich mir einbilde, an Ihren Verwandten verübt zu haben. Ich bilde es mir ein, und durch diese Einbildung fühlte ich mich moralisch verpflichtet, alle Folgen, die dadurch entstanden sind, so weit ich es vermag, gut zu machen. Ein anderer als ich hätte vielleicht die Sache als längst vergeben und vergessen betrachtet, – Sie, Herr Atkins, begreifen es wahrscheinlich auch nicht, daß jemand ein vor einem Vierteljahrhundert gemachtes Versehen, das durch die Umstände mehr als entschuldigt ist, sühnen will und koste es Leben und Vermögen.«

»Aber, bester Herr Kapitän…« unterbrach Atkins.

Unbeirrt aber fuhr Parr fort: »Ich kam zu Ihnen, um Sie durch die Mitteilungen jenes Mannes, Pieter Koopmann, in die Lage zu versetzen, eine Spur Ihres Vetters aufzufinden, der Sie nachgehen konnten, bis Sie den jungen Mann entdeckt haben. Ich war der Ansicht, daß dieses Ihr sehnlichster Wunsch sei und diesen Wunsch zu erfüllen, war meine Pflicht und Schuldigkeit, sonst weiter nichts! Ein Schurke ist der, der nur seine Schuldigkeit thut, um Gewinnes willen, besonders wenn an der Unterlassung das Glück von Menschen hängt. Es kam mir daher niemals der Gedanke, Anspruch aus die von Ihnen ausgesetzte Summe zu erheben und ich verzichte hiermit in aller Form ausdrücklich auf dieselbe. Genügt Ihnen das?«

Eine solche Sprache war der Kaufmann nicht gewohnt und sie machte ihn geradezu sprachlos vor Erstaunen. Noch war es ihm nicht klar, ob Parr im Ernst gesprochen, oder ob die biederen Worte nur da waren, die unlauteren Gedanken zu verbergen. Ein solcher Verdacht lag ganz im Charakter Atkins, dessen Zunge sich stets ängstlich bemühte, die hinter den Worten lauernden Absichten zu verhüllen. Deshalb klang auch seine Erwiderung ganz diplomatisch: »Es fiel mir nie ein, Ihre Absichten zu beargwöhnen, ich denke auch nicht daran, Ihre Uneigennützigkeit irgendwie in Zweifel zu ziehen. Sie werden mir aber wohl erlauben, daß ich die von Ihnen zurückgewiesene Summe Ihrem Diener anbiete, dem wackeren Retter meiner Verwandten.«

»Dies zu verweigern steht mir kein Recht zu. Aber wofür wollen Sie bezahlen?«

»Für genaue Angabe des Ortes, wo sich mein überlebender Vetter befindet!«

Kapitän Parr geriet in Verlegenheit, die sich auch Pieter mitteilte, der, abgesehen von seiner Erzählung, stummer aber teilnahmsvoller Zuhörer geblieben war. Parr zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete:

»Noch geht das nicht, vielleicht später, Herr Atkins!«

»Warum die Vertröstung?«

»Weil noch verschiedene Gründe zu erwägen sind, ehe ich sprechen kann.«

Ärgerlich fuhr Atkins auf. »Warum sind Sie dann überhaupt gekommen, wenn Sie Ihre Auskünfte nur ahnen lassen?«

»Den Zweck meines Erscheinens habe ich Ihnen bereits auseinandergesetzt, es geschah, um eine Pflicht zu erfüllen, aber…« Parr brach in seiner Rede ab, um sofort wieder fortzufahren:

»Wenn Sie gestatten, ziehe ich mich jetzt zurück, um heute nachmittag oder morgen früh wieder bei Ihnen vorzusprechen.«

Alle erhoben sich. Atkins entgegnete kühl: »Ganz wie es Ihnen beliebt, Herr Kapitän. Ich sollte aber meinen, was du heute kannst besorgen…«

Parr schritt ruhig der Thüre zu und antwortete nur mit einer ceremoniellen Verbeugung: »Auf Wiedersehen, Herr Atkins!«

Pieter folgte ihm, doch in dem Augenblicke, als er die Schwelle überschreiten wollte, fühlte er einen leisen Schlag auf der Schulter, dabei hörte er den Petroleumkönig flüstern: »Kommen Sie sogleich wieder zurück; ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden.«

Pieter wollte antworten, doch ein Zeichen Atkins ließ ihn schweigen. Der Kaufmann begleitete seinen Besuch noch einige Schritte und kehrte dann in sein Arbeitszimmer zurück, nicht ohne noch einen vielsagenden Blick auf Pieter geworfen zu haben, den dieser mit einem breiten, komischen Grinsen beantwortete.

»Dummköpfe, haltet ein Vermögen in den Händen und ließt es euch entschlüpfen!« war die ganze Folgerung, die Atkins aus der eben gehabten Unterredung zog. Er legte die Hände auf den Rücken und schritt nachdenkend im Zimmer auf und ab. Er überdachte noch einmal das eben geführte Gespräch. »Dieser Kapitän Parr,« überlegte er, »ist einer von den Feinen, mir aber doch nicht fein genug. Selbstlosigkeit, Uneigennützigkeit, Edelmut, pah, wer daran glaubt; ich jedenfalls nicht! Der Mann ist nichts weiter als schlau, smart! Erst wollte er die Gewißheit haben, daß es mit den fünfmalhunderttausend kein Schwindel sei. Nun er die Sicherheit hat, liefert er die Angaben nur gegen bares Geld aus. Fein spekuliert, vielleicht aber doch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wer mich prellen will, muß sehr gerissen sein, sonst schneidet er sich. Die Angaben muß ich alle haben, genau, bis auf den I-Punkt müssen sie sein, bewiesen und belegt, daß ein Zweifel Widersinn wäre. Alles Material muß in meiner Hand vereint sein… aber nicht für eine halbe Million, nein, mein Herr Kapitän, für weniger, ganz bedeutend weniger! Eine Hand voll Dollars, einige Glas Sherry oder Whisky, oder beides zusammen und die Beweismittel sind da. Und der mir sie liefern wird, ist das alte, einäugige Ungeheuer, der Retter!«

Atkins lachte laut und vergnügt auf und rieb sich die Hände voll inniger Freude über seine vermeintliche Schlauheit. Die Idee schien ihm zu glücklich, als daß sie hätte fehlschlagen können.

Atkins drückte auf den Knopf einer elektrischen Klingel. Ein Diener trat ein.

»Eine Flasche alten Sherry und zwei Gläser,« befahl Atkins.

Der Diener verließ mit einer Verbeugung rasch und geräuschlos das Zimmer und kehrte bald darauf zurück, in der Hand ein silbernes Tablett mit Flasche und Gläsern, das er auf den Tisch stellte.

Wieder allein im Zimmer, trat Atkins zu dem Geldschrank, der in eine Wand eingemauert war, entnahm diesem ein Paket Banknoten, die er nach flüchtigem Durchzählen zu sich steckte.

»Nun habe ich die Waffen, die unbezwinglich sind, und die mir zum raschen, unblutigen Siege verhelfen sollen. Jetzt, mein lieber Kapitän, wollen wir sehen, wer triumphiert: Sie mit Ihrer sogenannten Ehrlichkeit oder Edward Atkins mit Schlauheit und Geld!«

Inzwischen schritten Parr und Pieter den Weg zur Stadt zurück. Kapitän Parr ging einige Schritte voraus und suchte sich jedes Wort der Unterredung mit Atkins ins Gedächtnis zurückzurufen. Er war über das Wesen des Mannes gewaltig aufgebracht, der ihn so gänzlich verkannte und ihm Absichten unterschob, die ihm, dem rechtlichen Manne, so gänzlich ferne lagen.

Pieter, der sich erst in respektvoller Entfernung gehalten, kam nun mit einigen rascheren Schritten an die Seite des Kapitäns. Um die Aufmerksamkeit des in Sinnen Versunkenen auf sich zu lenken, sah ihm Pieter scharf ins Gesicht. Ihn anzusprechen, ließ die Disziplin nicht zu, die ihm von seiner früheren Thätigkeit noch in allen Gliedern steckte.

»Willst du was, Pieter?« fragte Parr.

»Es ist nur wegen des sauberen Herrn Atkins!«

»Was ist los mit ihm?«

»Ich sehe den Kerl mit dem feuergefährlichen Haarwuchs und den Pantheraugen noch vor mir.«

»So?«

»Ja, fortwährend. Und dann muß ich Ihnen noch erzählen…«

»Erzählen, was?«

»Daß er mir beim Weggehen ins Ohr gewispert hat: Laß deinen Kommandanten laufen und komme zu mir zurück!«

»Ei, was du sagst, das ist ja interessant!«

»Am liebsten hätte ich ihm einen Nasenstüber versetzt, an den er Zeit seines Lebens zu denken gehabt hätte; so einen mit den Knöcheln, Herr Kommandant,« und Pieter holte zu einem Faustschlage aus, der imstande gewesen wäre, einen Ochsen zu töten.

Lachend wehrte Kapitän Parr ab. »Das wäre nicht das Richtige gewesen, Pieter, gut, daß du es unterließest. Aber du mußt zurück zu Atkins.«

»Meinen Sie wirklich?«

»Natürlich, da hilft kein Zögern. Vorwärts, alter Bursche. Sei auf deiner Hut. Lasse den Ehrenmann ruhig glauben, wir wüßten, wo sein Vetter steckt, wollten es aber vor der Hand noch für uns behalten. Lasse dir von ihm erzählen, gehe auf alle seine Vorschläge ein und nimm an, was er dir bietet.«

»Alles?«

»Ja, alles! Wir müssen seine Pläne zu ergründen suchen. Also vor allen Dingen: Vorsicht und Klugheit!«

»Zu Befehl, Herr Kommandant.«

»Vorwärts los! Ich werde dich hier erwarten oder langsam dem Hotel zugehen.«

Rasch entfernte sich Pieter nach der entgegengesetzten Richtung und stand bald darauf wieder dem Kaufmann gegenüber, der ihm mit widerlicher Freundlichkeit entgegenkam.

»So rasch habe ich Sie garnicht zurück erwartet. Sind Sie Ihrem Kapitän ausgekniffen?« fragte Atkins.

»Selbstverständlich, sonst wäre ich nicht hier,« antwortete Pieter, im stillen jedoch sagte er sich: »Frag du nur zu, alter Spitzbube, von mir sollst du ebenso wenig erfahren, als von einer verendeten Ratte, die lebend auch nichts reden kann!«

»Bitte, nehmen Sie dort auf dem Lehnstuhle Platz und lassen Sie uns gemütlich ein Glas Sherry zusammen leeren. Oder ist Ihnen ein guter Irish Whisky lieber, echt von Irland importiert, kein amerikanischer Fusel. Sprechen Sie nur Ihren Wunsch aus.«

»Ganz wie es Ihnen beliebt. Ich trinke beides, wenn es sein muß,« entgegnete der Matrose, eingedenk Kapitän Parrs Befehl, alles Gebotene anzunehmen.

»Dann erst Sherry und später den Schnaps. So, bitte nehmen Sie,« sagte Atkins und bot Pieter eines der inzwischen gefüllten Gläser.

»Prosit,« rief der alte Seemann, leerte sein Glas mit einem Zuge, während Atkins nickend Bescheid that, kaum seine Lippen mit dem schweren Weine befeuchtend. Sofort goß er das Glas von Pieter wieder voll. Pieter mußte innerlich lachen: »Glaubst du wohl, alter Junge, mich aus der Richtung zu bringen,« dachte er, »dann hast du dich gewaltig verspekuliert. Trinken ist schön, aber betrinken! Da kannst du lange darauf lauern!« Laut fügte er hinzu:

»Schießen Sie los, Herr Atkins; denn zum Weintrinken allein haben Sie mich doch wohl nicht herkommen lassen.«

»Erst wollen wir noch eins trinken, alter Freund. Noch ein Gläschen!« rief Atkins, ohne auf Pieters Frage zu achten.

»Na, schlagen lasse ich mich deswegen noch lange nicht,« und ein weiteres Glas Wein war den Vorgängern gefolgt.

»Jetzt lassen Sie uns recht behaglich plaudern,« sagte der Petroleumkönig, Pieters Glas neuerdings füllend. »Vorher erlauben Sie mir aber, Ihnen diese Kleinigkeit anzubieten.«

Atkins faßte in die Brusttasche und holte das Paket Dollarnoten hervor, das er Pieter reichte, »Annehmen, sagte der Kommandant,« murmelte dieser und ohne Zögern verschwand das Geld in seiner breiten Faust, die sich in die Hosentasche versenkte.

»Es ist nur eine kleine Entschädigung für Ihre Reise und Ihre sonstigen Mühen und Ausgaben.«

»Danke, aber Kommandant Parr bezahlt alle Unkosten,« konnte sich der brave Bursche nicht enthalten wahrheitsgetreu zu berichten.

»Dann ist es eine kleine Belohnung für Ihre interessante Erzählung von den Schicksalen meiner Verwandten und eine Entschädigung für Ihren damals bewiesenen Mut. In bewußter Angelegenheit sind Sie wohl ebenso genau unterrichtet, wie der Kapitän?« fragte Atkins lauernd.

»Es könnte sein.«

»Sie könnten mir daher helfen, Paul Werner aufzufinden?«

»Ja gewiß.«

»Sie ganz allein wären imstande, diese Aufgabe zu unternehmen?«

»Warum nicht?«

»Ich bin fest überzeugt, daß Sie Ihnen wenig oder gar keine Schwierigkeiten bereiten wird.«

»Man kann es ja versuchen.«

»Sie allein sollen Paul Werner auffinden und Sie werden dies auch vollbringen.«

»Hm, hm.«

»Und wenn Sie ihn gefunden haben, dann gehören Ihnen natürlich die fünfmalhunderttausend Dollars. Ich wäre glücklich, sie Ihnen auszahlen zu können. Doch Sie trinken ja nicht. Darf ich noch ein Gläschen einschenken, lieber Freund?«

»Nein, ich danke.«

»Ach was, für eins wird noch Platz sein.«

»Nein, ich habe genug,« sagte Pieter in drohendem Tone, der gar nicht zur Situation paßte.

»Dann vielleicht später. Wenn Sie den Auftrag annehmen, würde ich Ihnen die Kosten der Reise im voraus bezahlen und für alle Ihre Bedürfnisse reichlich Sorge tragen, so reichlich, daß Sie als steinreicher Mann Ihr Leben beschließen könnten.«

»Das wäre zu überlegen.«

»Überlegen? Ausflüchte! Was giebt's da lange zu überlegen, schlagen Sie ein und die Sache ist abgemacht.«

»Gemach, Herr Atkins. Noch kenne ich gar nicht die Aufgabe, die ich zu lösen hätte.«

»Haben Sie das noch nicht begriffen? Sie haben sich an den Ort zu begeben, wo sich Paul Werner aufhält und mir von dort die Beweise seines Todes zu bringen.«

»Wenn er aber noch am Leben sein sollte!«

»Ja so… hm…, dann erhalten Sie noch weitere zehntausend Dollars!«

»Was sagen Sie? Noch zehntausend Dollars? Das verstehe ich nicht recht?«

»Aber, lieber Freund, Sie scheinen doch sonst nicht so schwer von Begriff. Auf einer Reise, wie die von dem Orte bis hierher, kann doch einem Menschen allerlei zustoßen. Wie leicht passiert nicht ein Unglück… Verstehen Sie nun?«

Pieter überrann ein Schauder und ausstehend sagte er, seine Erregung bekämpfend: »Es ist doch gut, daß ich nicht weiter getrunken habe, denn noch ein Glas und ich wäre imstande gewesen, alles was mir in den Weg kam, niederzuschlagen, gleichviel was oder wer es sei!«

Damit streckte er dem Kaufmanne seine harten Fäuste in einer Weise entgegen, die diesen erschreckt einige Schritte zurückweichen ließ.

»Ich möchte nun eine entscheidende Antwort haben. Wollen Sie den Auftrag übernehmen, mir den Totenschein des Sohnes meines verstorbenen Vetters Richard Werner zu überbringen oder nicht?« fragte Atkins nun ungeduldig, da er einsah, daß der Matrose nicht das gefügige Werkzeug war, das er in ihm zu finden erwartete.

Pieter dachte einen Augenblick nach, ehe er antwortete: »Ich kann mich in diesem Augenblicke nicht ohne weiteres entscheiden, ich muß mir erst Ihren Vorschlag genau überlegen.«

»Gut, thun Sie das. Aber kein Wort zum Kapitän Parr, das ist die erste Bedingung.«

»Das überlassen Sie nur ruhig mir. Adjes, Herr Atkins!«

»Was, Sie wollen, ohne mir Ihren Entschluß mitgeteilt zu haben, gehen?«

»Ich sagte es Ihnen doch schon!«

»Das geht doch nicht; erst muß Genaueres abgemacht werden.«

»Das können wir ja später immer noch.«

»Dann müssen Sie mir wenigstens den Aufenthaltsort Paul Werners angeben!«

»Das kann ich nicht; den weiß nur der Kommandant!«

»Dann mein Geld zurück! Auf der Stelle!«

»Oho, Herr! Sie gaben mir das Geld als Entschädigung für die Reise und meine Mühen, ohne eine Bedingung daran zu knüpfen. Es gehört deshalb mir und ich thue damit, was mir beliebt. Behalten werde ich es aber auf keinen Fall, das sichere ich Ihnen zu!«

Und ehe der Petroleumkönig recht begriffen, hatte sich die Thüre hinter Pieter geschlossen und dessen erstes, als er auf der Straße stand, war, kräftig auszuspucken. Parr wartete mit lebhafter Ungeduld.

»Endlich kommst du,« rief er Pieter schon von weitem entgegen.

»Gott sei Dank, Herr Kommandant, daß ich diese Räuberhöhle hinter mir habe.«

»Du drückst dich kräftig aus, Pieter, Räuberhöhle?«

»Kräftig, aber wahr, Herr Kommandant, dieser Atkins ist ein Landfreibeuter, wie nur je einer unter Gottes Himmel ungestraft herumwandelte; ein Gauner, tausendfach reif für den Galgen. Erdreistet sich doch dieser Halunke, mir, Pieter Koopmann, der sein ganzes Leben lang die Hände von faulen Sachen gelassen hatte, der immer ehrlich war…«

»Genug, Pieter. Erzähle mir erst mal den Verlauf deiner Unterredung ordentlich der Reihe nach. Lasse selbst den kleinsten Nebenumstand nicht aus. Das Unwichtigste kann manches Mal zum ausschlaggebenden Beweise werden.«

Indem sie nun dem Hotel zuschritten, stattete Pieter genauen Bericht ab, den er mit den Worten schloß:

»Niemals in meinem Leben, Herr Kommandant, habe ich es so bedauert, nicht ordentlich dreinhauen zu dürfen, wie heute. Die Fratze des rothaarigen Atkins hätte ich so ein halbes Stündchen massieren mögen, so recht nach Herzenslust, bis kein Fleckchen ungeknetet geblieben wäre. Wäre das ein Vergnügen gewesen. Junge, Junge!«

Kapitän Paar entlockte der Eifer seines Dieners ein herzhaftes Lachen: »Sei nur froh, du alter Hitzkopf, daß du es unterlassen hast. Schon einmal ist dir ein Faustschlag übel bekommen. Wäre deine Handgreiflichkeit damals in Port Natal vor nun siebenundzwanzig Jahren unterblieben, dann hätte Paul Werner längst sein Vermögen wieder, Atkins hätte den Aufruf nicht zu erlassen brauchen und ich…«

»Ich hätte Sie, Herr Kommandant, vielleicht nie kennen gelernt, da ich mit fünftausend Dollars in der Tasche nach meinem Heimatdorfe, Brunsbüttel, zurückgekehrt wäre. Verzeihen Sie, Herr Kommandant, daß ich Sie unterbrochen habe, aber sagen mußte ich's Ihnen, daß ich den Faustschlag deshalb nicht bedaure.«

»Schön, schön. Deine Treue und Anhänglichkeit kenne ich bereits, Pieter.«

»Was soll ich aber mit dem Gelde machen, das mir der saubere Patron gegeben hat?«

»Vorläufig behältst du es. In Canorsie werden wir's dem dortigen Waisenhause schenken. Den gleichen Betrag wirst du von mir empfangen.« Eine Handbewegung des Kapitäns schnitt jede Einwendung Pieters ab.


Nachdem sich hinter Pieter die Thüre geschlossen, schritt Atkins in tiefes Sinnen versunken längere Zeit im Gemache auf und nieder. Das eine war ihm klar, daß sein Erfolg bei dem Matrosen ein mehr als zweifelhafter gewesen und er nichts von dem erreicht, was er gewollt. »Ich bin ein Pechvogel,« murmelte er vor sich hin. »Von hundert Menschen, wenn ihnen etwas von der Sache bekannt gewesen, hätten sich höchstens nur zwei nicht von dem Glanze des Goldes blenden lassen und mir für Geld und gute Worte alles kund gegeben, was ich wissen will und gerade auf diese zwei muß ich Pechhengst nun stoßen. Der Teufel hole diese Kerle, die sich meinen Plänen in den Weg stellen, und mir Schwierigkeiten bereiten wollen. Noch bin ich ihnen gewachsen! Was sie bezwecken, weiß ich nicht, daß es aber nichts gutes für meine Absichten ist, das glaube ich so sicher, daß ich es jeden Augenblick beschwören kann. Was nun zuerst thun? Hätte ich nur den Rat dieses Dickson, den Ausruf erscheinen zu lassen, genauer überlegt. Welchen Erfolg hatte er? Was ich wissen wollte, habe ich nicht erfahren, hingegen habe ich mir zwei Gegner auf den Hals gehetzt, die mir große Ungelegenheiten bereiten können. Ich bin in einer fatalen Lage, und muß nun sehen, wie ich mit heiler Haut herauskomme. Heraus muß ich; da hilft alles nichts!…«

Am selben Abend noch reiste Atkins nach New York, nachdem er den ganzen Nachmittag vergeblich den Besuch Pieters erwartet hatte.

Am Morgen des nächsten Tages betrat er die Geschäftsräume seines Rechtsbeistandes Dickson, den er allerdings nur bei Geschäften in Anspruch zu nehmen gewohnt war, die die Öffentlichkeit zu scheuen hatten.

Dickson genoß das vollste Vertrauen Atkins und war dieses Vorzuges in jeder Weise würdig. Auch sein Gewissen war dehnbar, wie das Atkins und für Geld, seinem einzigen Abgotte, war er zu allem fähig. Seine Thätigkeit war denn auch meist eine nicht ganz lautere und fiel mehr in das Gebiet der sogenannten Detektivbureaus, als in die der Advokaten.

Mit den Worten: »Freut mich, Herr Atkins, Sie begrüßen zu können. Der Erfolg meines Aufrufs führt Sie jedenfalls zu mir,« empfing er den Eintretenden.

»Schöner Erfolg, macht Ihnen alle Ehre,« antwortete Atkins ironisch.

»Erklären Sie sich deutlicher, wenn ich bitten darf!«

Atkins ließ sich auf einen der einfachen Holzstühle nieder, die in dem nur mit dem nötigsten Mobiliar versehenen kahlen Raume standen und erzählte nun Dickson, der an seinem Schreibpulte lehnte, haarklein seine gestrige Unterhaltung mit Parr und Pieter.

»Sie sehen, daß wir unser Spiel verloren haben und dies durch Ihren Rat, dem ich nie hätte nachgeben sollen,« schloß er.

»Gemach, Herr Atkins. Sie sind auf ganz falscher Fährte. Mein Rat war nicht nur gut, sondern brillant, vorzüglich! Ich habe niemals einen besseren erteilt. Sie sind verblendet dies nicht einzusehen, ich will Ihnen deshalb die Augen öffnen!«

»Da bin ich begierig, wie Sie das anstellen wollen!«

»Sie sollen es gleich erfahren. Durch den Aufruf wissen Sie erstens, daß Richard Werner tot ist, zweitens, daß sein Sohn Paul wahrscheinlich noch lebt, drittens, daß es zwei Menschen giebt, die den Aufenthaltsort dieses Paul zu kennen vorgeben. Lauter Dinge, von denen Sie vorher keine Ahnung hatten. Es sind uns drei Anhaltspunkte zur Nachforschung gegeben, während wir vor der Bekanntmachung auch nicht den Schein eines solchen hatten. Und dies befriedigt Sie nicht? Sie sind sehr anspruchsvoll, Herr Atkins. Ich bin es weniger und mehr als zufrieden!«

»Ach was, leere Worte!«

»Sie irren! Ich werde es Ihnen auch gleich beweisen! Die beiden Leute, welche Sie aufsuchten, thaten dieses allem nur zu dem Zwecke, um sich von dem Ernst Ihrer Absichten zu überzeugen, die halbe Million auszuzahlen. Stimmt dies?«

Atkins nickte nur zustimmend mit dem Kopfe.

»Sie haben aber, wie ich annehme, Zweifel darüber mitgenommen. Was werden sie nun thun? Sie werden sich mit Paul Werner in Verbindung setzen, diesem schreiben, oder was sicherer anzunehmen ist, ihn aufsuchen und sich von ihm einen Teil seines Vermögens verschreiben lassen, für das Versprechen, ihm zu dem Reste zu verhelfen.«

»Das ist es ja gerade, was ich fürchte!« stöhnte Atkins.

»Sie hätten sich auch zu fürchten, wenn wir nicht auf der Hut wären. Wo ich den Feind kenne, ist es nicht schwer, seinen Angriffsplan zu durchkreuzen. Wer ist denn eigentlich dieser Kapitän Parr? Wo haust er?«

»Hier seine Karte,« antwortete Atkins. Dickson las sie durch und legte sie dann in sein Taschenbuch.

»Das genügt vollkommen. Was wollen Sie nun thun?«

»Das fragen Sie mich, der ich eigens nach New York reiste, Ihren Rat zu hören!«

»Ach so! Dann, werter Herr Atkins, muß ich Ihnen sagen, daß ich diesen nur geben kann, wenn Sie ihn blindlings befolgen wollen. Er ist gut, aber seine Ausführung sehr teuer.«

»Sie werden mich aus dieser Verlegenheit reißen, Dickson, ich kann mich doch auf Sie verlassen?« rief der Kaufmann, die letzten Worte Dicksons absichtlich überhörend.

»Was wollen Sie bezahlen, wenn mein Plan gelingt?«

»Sagen wir zehntausend Dollars!«

»Zehntausend Dollars, lächerlich! Das ist ein Witz, der nicht einmal gut ist. Nein, Verehrtester, die Summe müßte denn doch etwas größer sein!«

»Also zwanzigtausend!«

»Wozu das Feilschen, davon bin ich kein Freund. Ich verlange in dem Falle, daß mein Plan gelingt, die halbe Million, die Sie im Ausrufe versprachen!«

»Das ist ja bescheiden! Was fällt Ihnen denn ein?«

»Wollen Sie das nicht daran wagen, gut, dann wenden Sie sich an einen anderen, billigeren Agenten. Ich verschaffe Ihnen ein Vermögen von zwanzig Millionen Dollars nicht für eine Lappalie. Langer Rede kurzer Sinn: wollen Sie, oder wollen Sie nicht!«

»Gut, ich will,« sagte Atkins nach einer Pause. Wie schwer ihm der Entschluß geworden, verriet die bleiche Farbe seines Gesichtes und das Zittern der Lippen. Dickson rührte dies nicht weiter, sondern er setzte sich gleichmütig an seinen Schreibtisch. um einen Kontrakt über das Abkommen zu entwerfen. Als Atkins denselben unterzeichnet und Dickson ihn sorgfältig verschlossen hatte, sagte er zu dem Petroleumkönig:

»Nachdem das erledigt ist, hören Sie mir aufmerksam zu, was ich Ihnen vorzuschlagen habe.«

Länger als eine halbe Stunde entwickelte Dickson vor dem Kaufmann nun einen Plan, der an Verschlagenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Alle Zufälligkeiten wurden erwogen, alle Möglichkeiten bedacht, um ihnen wirksam begegnen zu können. Stundenlang berieten die beiden einander so würdigen Freunde jedes Für und Gegen und als sie sich endlich trennten, war jeder darüber beruhigt, daß ein Fehlschlag unmöglich sei. Voll Zuversicht bestieg Atkins am Abend seinen Zug, der ihn zurück nach Oil-City bringen sollte. Nicht der Schimmer eines Zweifels stieg in ihm auf, daß sein Vorhaben mißglücken könnte.


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