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Siebentes Kapitel.
Vorbereitungen


Nach den Mitteilungen, die Pieter Koopmann dem Kapitän gemacht, hatte dieser sein Urteil über Atkins und dessen Absichten fertig und hielt sich daher nicht mehr für verpflichtet, den zweiten Besuch, wie versprochen, bei demselben zu machen. Einige kurze Zeilen benachrichtigten den Petroleumkönig hiervon; so verließen sie mit dem nächstfälligen Zuge Oil-City mit ihrem Petroleumgeruch und fuhren nach New York.

Einen ganzen Tag hielten sie sich dort auf. Während Pieter die Stadt durchstreifte, am Hafen alte Bekannte aufsuchte und mit ihnen manchen wackeren Trunk that, saß Kapitän Parr bei seinen: Bankier, mit dem er lange und eingehende Verhandlungen pflog, zu denen sogar ein Notar zugezogen wurde. Dann besuchte er verschiedene Geschäfte, die Schiffsverproviantierungen als Spezialität betrieben und traf abends mit Pieter am Bahnhofe zusammen, als der letzte Zug des Tages nach Canorsie beinahe schon abrollte.

George erwartete den Onkel mit grenzenloser Ungeduld. Zu seiner Überraschung erzählte aber Parr dem Neffen kein Wort über seine Reise und begnügte sich, auf diesbezügliche Fragen nur zu erklären, daß es ihm und Pieter gut gegangen sei. Pieter wich den Fragen des neugierigen Jünglings dadurch aus, daß er schon am frühen Morgen verschwand, um an Bord der »Königin Mab«, der Jacht des Kapitäns, den Tag über Arbeiten zu verrichten. Nur zur Essenszeit kehrte er ins Haus zurück, da er George alsdann mit Kapitän Parr zusammen wußte.

Jeden Abend nach eingenommener Mahlzeit weilte Kapitän Parr noch eine Zeitlang am Speisetische, ehe er sich in sein Arbeitszimmer zurückzog, um den Rest des Abends rauchend, arbeitend und lesend zu verbringen.

Als an diesem Abend sich George erhoben hatte, um dem Onkel den üblichen Gutenachtgruß zu bieten, hielt ihn dieser zurück mit den Worten: »Bleibe noch einen Augenblick, George, ich habe mit dir zu sprechen.«

George wurde vor Vergnügen ganz rot im Gesicht. Endlich sollte er das erfahren, was ihm seit mehreren Tagen keine Ruhe gelassen und seine Wißbegierde aufs höchste erregt hatte. Wie bereitwillig er der Aufforderung des Oheims nachkam, wie gespannt er war, als er neben dem großen, bequemen Lehnstuhle desselben Platz nahm, ist leicht begreiflich.

»Weshalb ich nach Oil-City fuhr,« begann der Kapitän, »wirst du dir wohl gedacht haben, George. Jedenfalls vermutest du, daß die Reise mit der Aufforderung im ›New Pork Harald‹ zusammenhing. So ist es auch. Was ich nun in dieser Stadt gethan habe, will ich dir kurz erzählen, lasse aber vorher Pieter kommen.«

Einen Augenblick später war dieser zur Stelle, trat bis auf drei Schritte zum Kapitän heran und fügte, seine wollene Mütze in der Hand: »Ich stehe zu Befehl, Herr Kommandant.«

»Gut. Setze dich dorthin und höre zu, was ich George zu sagen habe.«

Kommandant Parr erzählte nun seinem Neffen die Ereignisse, die sich auf dem ›Grant‹ zugetragen hatten, vom Schiffbruch des Dampfers und den Schicksalen der Verlassenen. Er berichtete ferner von seinem Besuche bei Atkins und über die verbrecherischen Anträge, die der Petroleumkönig dem alten, braven Matrosen gemacht hatte und schloß seine Erzählung: »Da du nun weißt, lieber George, was geschehen ist, sollst du auch erfahren, was ich beschlossen, ungesäumt zu unternehmen. Ich suchte Herrn Atkins in der Absicht auf, meine Schuldigkeit zu thun und das Unglück, das ich wider Wissen und Willen angerichtet, gut zu machen. Der Charakter Atkins vereitelte dieses Vorhaben, will er doch, wenn mich nicht alles täuscht, seinen Vetter aus Habgierde vernichten, um dessen großes Vermögen an sich reißen zu können. Dies zu vereiteln ist eine Pflicht, an die ich alle Energie setzen will, koste es auch mein Leben. Um Paul Werner vor verbrecherischen Angriffen zu schützen, darf mir kein Opfer groß genug erscheinen, da er meiner einstigen Nachlässigkeit die Lage zuzuschreiben hat, in welcher er sich jetzt befindet, von Feinden bedroht, die ihn um Gut und Blut bringen wollen.«

Mit feierlich ernster Stimme hatte Kapitän Parr diese Worte gesprochen, gleich einem Gelöbnis, das er unter allen Umständen erfüllen würde.

Nach einem Augenblicke des Schweigens wagte George die Einwendungen:

»So weit ich es beurteilen kann, ist die endliche Erreichung deines Zieles, lieber Onkel, mit vielen Gefahren und Strapazen, verknüpft…«

»Die ich alle kenne und erwogen habe, ehe ich meinen Entschluß gefaßt. Doch nun bin ich entschlossen, alles zu wagen, um jene Pflicht zu erfüllen, der ich mich als ehrlicher Mann, als Christ nicht entziehen darf, soll ich einst vor dem Richterstuhle des Herrn bestehen können. Nichts kann mich mehr von meinem Entschlusse abbringen und was Thatkraft und redlicher Wille leisten können, soll aufgeboten werden, mein Unrecht zu sühnen.«

»Wohin willst du dich aber wenden, ein Kind aufzufinden, das zehn Jahre vor meiner Geburt in einem fernen Erdteile verloren ging?«

»Nach diesem, mein Junge. Unsere Nachforschungen werden in Port Natal beginnen.«

»Woher weißt du aber, daß er sich noch in Afrika befindet und nicht längst als erwachsener Mann nach Amerika oder Europa ausgewandert ist?«

»Er kann auch längst gestorben und verdorben sein. Das sind aber müßige Schlüsse, die mich nicht abhalten dürfen, den mir selbst vorgezeichneten Weg zu wandeln. Hier heißt es handeln und nicht philosophieren.«

»Du wirst die Reise doch nicht allein machen?« fragte George gespannt.

»Nein, mein Junge, Pieter wird mich begleiten.«

»Und ich?«

»Du wirst deine Studien fortsetzen und mich bei meiner Rückkehr als Universitäts-Student begrüßen.«

»So, Onkel? Ich glaube nicht, daß du damit recht behältst!«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine damit, daß ich dich nicht allein gehen lasse!«

»Oho, mein Junge!«

George war aufgestanden und vor den Kapitän hintretend, flossen ihm die Worte unaufhaltsam von den Lippen.

»Du weißt, ich bin dir nie ungehorsam gewesen, Onkel, habe stets nach deinem Willen gehandelt, ohne nach Wie und Warum zu fragen. Diesmal aber werde ich meinen Willen zu behaupten wissen. Ich bin alt genug, um zu erkennen, was du an mir gethan, wie du mich gehalten hast, wie du bestrebt warst, mich vergessen zu lassen, daß ich elternlos bin. Es wäre schlecht und undankbar von mir, wollte ich dies nicht dadurch vergelten, daß ich dir deine Liebe ungeschwächt wieder entgegenbringe. Dich allein ziehen lassen, in Gefahren, die unzertrennlich vom dunklen Erdteil sind, dich Strapazen jeder Art ausgesetzt wissen, während mir jede Bequemlichkeit zur Verfügung steht, das vermag ich nicht! Also bitte, liebster Onkel, laß mich bei dir bleiben, deine Sorgen und Gefahren, deine Erfolge teilen; die Maus in der Fabel hat dem Löwen genutzt; vielleicht kann meine Gegenwart auf deinem Zuge dir mehr Vorteil bringen, als du heute ahnst.«

Der Kapitän sah freudig in das Antlitz des erregten, schönen Jünglings, während Pieter, dessen Gegenwart die Beiden vergessen zu haben schienen, sein rotgestreiftes Taschentuch verstohlen hervorholte, um hinter ihm seine Rührung zu verbergen.

»Du bist ein guter Junge, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Hast du aber auch bedacht, was du verlangst. Wir werden nach Afrika reisen, gut; diese Strapaze ist nicht groß, und eine Seereise wäre dir nicht weiter schädlich, wenn sie glatt abläuft, wie ich hoffe und wünsche. Doch in Port Natal, beziehungsweise in Durban, dem Hafenorte Natals, beginnt der schwierigere Teil unserer Mission. Wir werden möglicher- ja wahrscheinlicherweise gezwungen sein, ins Innere Afrikas dringen zu müssen.«

»Das wäre herrlich, da würde ich viel beobachten und lernen.«

»Es können uns Kämpfe mit Naturgewalten, mit wilden Völkern bevorstehen…«

»Ich werde es niemals an Mut fehlen lassen!«

»Wir werden tage-, wochen-, selbst monatelang im Freien nächtigen müssen, Flüsse zu durchwaten, Berge zu ersteigen haben, auf alle Bequemlichkeiten, die uns durch Gewohnheit und Erziehung unentbehrlich geworden sind, verzichten, uns mit schmälster Kost bescheiden müssen, die himmelweit von der verschieden ist, die wir jetzt genießen; lauter Schwierigkeiten, die einen gestählten Körper beanspruchen, den du, mein Kind, noch nicht hast.«

»Den ich aber erhalten werde.«

»Die Verantwortung, dich möglicherweise in Gefahren zu verstricken, ist schwerer, als du es begreifst!«

»Ich nehme sie auf mich!« rief George.

»Du Kiekindiewelt!« lächelte Kapitän Parr, schon halb gewonnen.

»Bitte, bitte, Onkel, wenn du mich lieb hast, sage ja, lasse mich nicht allein hier, ich müßte umkommen vor Angst und Sorge um dich,« flehte George.

»Nehmen Sie ihn mit, Herr Kommandant. Es ist Kern in Herrn George. Der ist schon jetzt ein Mann, auf den wir uns verlassen können!«

»Auch du bittest für ihn, Pieter, bedenkst du nicht…?«

George fand den besten Ausweg; er warf sich dem Oheim an die Brust, umschlang seinen Hals mit den Armen, bis Parr, halb gerührt, halb ärgerlich, ausrief:

»Na, in Gottes Namen denn, Herzensjunge!«

»Hip, hip, Hurra,« schrie George in seiner Herzensfreude und viel hätte nicht gefehlt, hätte Pieter mit eingestimmt, dem auch eine herzliche Umarmung zu teil wurde.

»Da siehst du nun, Pieter, was der Junge aus mir macht, wie der mit mir umspringt,« sagte Parr zu dem Matrosen.

»Ließ ich mir auch ganz gerne gefallen, Herr Kommandant,« meinte Pieter grinsend.

Am nächsten Morgen schon wurden von Kapitän Parr alle Anordnungen zur Abreise getroffen. Er selbst und Pieter untersuchten die »Königin Mab« bis ins kleinste Detail. Sollte auf der Yacht doch die Reise nach dem fernen Afrika unternommen werden. Jede Planke, jedes Gerät an Bord wurde mit Kennerblick geprüft und alles Fehlende zur Ergänzung notiert.

Handwerker jeder Art schlugen für die nächsten Tage ihre Zelte auf dem eleganten Schiffe auf, das den ganzen Tag von Hammerschlägen wiederhallte. Tausend Kleinigkeiten wurden an Bord geschafft, bestimmt, den Reisenden die Fahrt so angenehm als möglich zu machen. Georges Studienbücher fanden in der ihm angewiesenen Kajüte ihren Platz, damit der Jüngling während der Fahrt geistige Nahrung nicht zu entbehren hatte. Bei einem zweitägigen Aufenthalt in New York welchen Parr von Georg und Pieter begleitet unternahm, wurden, Waffen und Munition eingekauft, ebenso zahlreiche Dinge, die bei einer etwa nötigen Expedition ins Innere von Afrika von Nutzen sein konnten. Kapitän Parr hatte auf seinen langjährigen Reisen nach tropischen Ländern Erfahrungen gesammelt, die ihn bei der Wahl das Richtige finden ließen. Pieter wurde mit der Werbung von acht Deckhänden, einem ersten Offizier und einem Maschineningenieur betraut. Seine Wahl fiel auf Mister Fogger, einen jungen, aber tüchtigen Seemann, der als Schiffsleutnant auf englischen Dampfern mehrere Jahre hindurch nach der Ostküste Afrikas gefahren war, daher wertvolle Aufschlüsse über Land und Leute geben konnte und das Fahrwasser kannte. Pieter selbst sollte als erster Steuermann an Bord der »Königin Mab« Dienste thun.

Die Lebensmittel, die Parr nach seiner Rückkehr von Oil-City eingekauft hatte, lagen längst in den Magazinen der Geschäftshäuser bereit.

Der Kapitän war nicht sicher, von Atkins beobachtet zu werden, weshalb er alle Vorbereitungen zur Abreise möglichst geheim betrieb. Nachbarn in Canorsie teilte er mit, daß er seine Yacht zu verkaufen beabsichtige, weshalb er sie in Stand setzen lasse. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in dem kleinen Orte die Nachricht, Parr hätte große Verluste erlitten und müsse sein Schiff verkaufen, trotzdem er es so sehr liebe. Wie man ihn überall bedauerte! Parr, dem Pieter die Rederei hinterbrachte, lachte darüber umsomehr, als sie ihm, seine Pläne fördernd, sehr angenehm war. Das Angebot eines Nachbarn schlug er bedauernd mit dem Bemerken aus, die Yacht bereits verkauft zu haben.

Pieter und George hatten die ihnen vom Kapitän übertragenen Arbeiten mit solchem Eifer ausgeführt, daß fünf Tage später das Schiff in der Lage war, in See zu stechen. Alles an Bord war in bester Ordnung, jedes Stück an seinem Platze; der Kielraum bereit zur Aufnahme des Proviantes und Ballasts, jedes Segel, jedes Tau, wo es sein sollte, jedes Rad der Maschine geschmiert, kurz alles in einer Verfassung, die Kapitän Parr bei Besichtigung ein Schmunzeln der Zufriedenheit entlockte.

Am 14. Mai morgens sieben Uhr verließ die »Königin Mab« Canorsie, durchfuhr die Bai, umschiffte Long Island, das sich herrlich vor den Blicken der Reisenden ausbreitete und legte nach mehrstündiger glatter Fahrt bei Brooklyn an, der Schwesterstadt New Yorks, mit der sie durch eine gewaltige Brücke, ein Meisterwerk der Ingenieurkunst, verbunden ist.

Wie verabredet, kamen nachmittags die angemusterten Matrosen an Bord und meldeten sich einzeln beim Kapitän. Jeder fand Gnade vor Parrs Augen und Pieters Wahl wurde volle Billigung zu teil. Es waren alles kräftige Burschen, denen man es ansah, daß sie die See zu ihrer Heimat erkoren hatten, und gegen alle Launen des trügerischen Elements gewappnet waren. Auch Mister Fogger erschien dem Kommandanten sehr sympathisch. Pieter war riesig stolz über das Lob, das ihm sein geliebter Herr unter vier Augen erteilte.

Noch in der Nacht wurde mit Einholung des Proviantes begonnen, der im Kielraum aufgestapelt wurde. Die Kohlenkammern füllten sich zusehends mit den erforderlichen Vorräten.

Am Abend des siebzehnten Mai, als Kapitän Parr mit George gerade bei der Mahlzeit saß, erschien Fogger in der Kajüte und berichtete, daß alles zur Abfahrt bereit sei.

»Danke, Herr Fogger! Bitte, geben Sie jedem Manne eine doppelte Ration. Morgen früh um sechs Uhr werden die Anker gelichtet.«

»Soll ich einen Lotsen an Bord nehmen?« fragte der Offizier.

»Das ist unnötig. Ich kenne das Fahrwasser, wie kaum ein Lotse. Ist sonst noch etwas vorgefallen?«

»Nichts von Bedeutung, Herr Kommandant.«

»Dann gute Nacht; bis auf morgen.«

Kurz vor sechs Uhr meldete der Ingenieur dem ersten Offizier, daß die Maschine arbeitsbereit sei, worauf sich dieser zur Kajüte des Kommandanten begab. Auf sein Klopfen öffnete sich die Thür und Parr stand vollständig angezogen in ihrem Rahmen, warf einen prüfenden Blick über das Deck und erstieg die Kommandobrücke, als er jeden Mann auf seinem Posten sah.

»Hebt das Ankertau!« ertönte das Kommando, dem sofort die Ausführung folgte.

Dann beugte sich Kommandant Parr auf das Sprachrohr nieder, das in den Maschinenraum führte.

»Maschine in Gang,« rief er.

Einen Moment blieb noch alles ruhig, dann drang ein Dampfstrahl zischend und pfeifend in den Stempel, der sich schwerfällig zu bewegen anfing. Die Schraube begann zu wirbeln, es plätscherte das Wasser am Hinterteil des kleinen Dampfers – unseren Fingerhut, nannte ihn Pieter – auf und die »Königin Mab« wandte sich pfeilschnell dem offenen Meere zu, die Fahrt nach dem Südosten des dunklen Erdteils antretend.


Am Ufer des New Yorker Hafens lehnte ein Mann an einem eisernen Krahne, der sich der Landungsstelle der Dampfer gegenüber befand und sah wie teilnahmlos dem Treiben auf der »Königin Mab« zu. Die Hände in den Hosentaschen, die kurze Pfeife zwischen den Zähnen, den Rockkragen der Morgenkühle wegen hoch geschlagen, stand er ruhig, fast ohne Bewegung da. Als der Dampfer wendete, verließ auch er seinen Posten und seinen Weg nach der von Morgennebeln umwallten Riesenstadt nehmend, murmelte er vor sich hin: »Glückliche Reise, Kapitän Parr, auf Nimmerwiedersehen!«

Ein Herr ging eilig mit der Frage an ihm vorüber: »Guten Morgen, Herr Dickson, schon so früh auf den Beinen?«


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