Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Eine grausige Fahrt


Als alle sich gesättigt und die Sonne höher gestiegen, wurden die Geräte zum Fischfange zurecht gemacht. George stieg als erster von dem Plateau nach einer tiefer gelegenen Uferstelle, die, aus einem breiten Steine bestehend, einige Fuß weit in den See hinausragte. Rechts von ihr befand sich ein dichtes Oleandergebüsch, das aus einer Felsspalte üppig emporschoß und über und über mit duftenden Blüten besäet war. George empfand das Verlangen, einen Blütenzweig auf seinem leichten Korkhelm zu befestigen, und bog daher einen stärkeren Ast zu sich nieder. Er stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus, als er in das Innere des Strauches blickte: »Ein Kahn,« rief er freudig den Gefährten zu.

Ein Kanu (Kanoe), aus einem einzigen Baumstamme mit Hilfe des Feuers und unzulänglicher Werkzeuge von Wilden gefertigt, lag in einem schmalen Ufereinschnitte, den das jedenfalls absichtlich gepflanzte Oleandergebüsch verdeckte.

Alle Teilhaber, auch die Schwarzen, eilten herbei, Georges Entdeckung zu bewundern. Christian, der eine Zulu der Mission, meinte, daß Bewohner eines Dorfes jenseits der Mural-Berge jedenfalls die Besitzer des Bootes seien, da sie alljährlich einmal zu dem See niederstiegen, um zu fischen und dem Ungeheuer, das auf dem Grunde des Sees läge, Opfer zu bringen und die bedienten sich wahrscheinlich des Bootes, um den See zu befahren und inmitten seiner Wässer reichere Fischernte einzuheimsen, als an seinen Ufern. Ihre Ausbeute sei jedesmal eine ganz bedeutende, berichtete er weiter und werde die Hälfte von ihr gleich roh an Ort und Stelle verzehrt, der Rest mitgenommen, um von den zu Hause gebliebenen Frauen getrocknet zu werden.

»Dann haben wir ja die schönste Gelegenheit, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel Kahn zu fahren,« rief George aus.

»Und in der Mitte des Sees fischen zu können,« ergänzte Durand.

»Allerdings, doch nur,« entgegnete Parr, »wenn das Boot in der rechten Verfassung ist, uns alle zu tragen.«

»Das wollen wir gleich mal untersuchen,« und dem Worte die That folgen lassend, stieg der hilfsbereite Pieter in das Kanu. »Alles dicht, Herr Kommandant. Keinen Tropfen Wasser hat der Baumstamm eingesogen, seitdem er hier vertäut liegt. Ruder sind vorhanden, sogar ein Segel aus geflochtenem Baumbast. Aber mehr als vier Personen haben nicht Platz, sonst sinkt das Zeugs!«

»Dann müssen die Schwarzen zurückbleiben und auf den Proviant achten,« befahl der Kommandant.

»Verzeihen Sie, daß ich dem widerspreche,« wandte Pieter ein. »Bleiben die schwarzen Schlingel ungestört den ganzen Tag über bei unseren Vorräten, dann finden wir abends die leeren Behälter, namentlich aber trockene Gefäße vor; denn vom Rum laßt uns die Bande sicher keinen Tropfen übrig.«

Die drei Zulus hörten grinsend Pieters Standrede zu, die ihnen außerordentlich komisch, wenn auch zutreffend erschien.

Parr mußte Pieters Ansicht beipflichten, so wurde denn alles Vorhandene an Eßwaren und die Kürbisflasche mit Rum im Boote untergebracht, bis auf eine Tagesration für die Neger, die ihnen zurückgelassen wurde. Auch die Gewehre und Munition fanden neben den Angelgeräten ihren gesicherten Platz im Kanu.

Als man darin Platz genommen, ergriff Pieter die breiten schaufelartigen Ruder und nach einigen scharfen Stößen war das Fahrzeug in der Mitte des Sees.

Die Vermutung betreffs des Fischreichtums bewahrheitete sich und zahlreiche Arten von Wasserbewohnern, von ganz unbekannter Gestalt und Beschaffenheit glitzerten im Sonnenlichte auf dem Boden des Fahrzeuges. Nach kurzer Zeit schon gebot der Kapitän dem weiteren Fange Einhalt, da es ihm als Raub erschien, zu fangen, ohne für den Fang Verwendung zu haben. Die bisher gemachte Beute hätte für die Reisegesellschaft acht Tage lang ausgereicht.

»Nun wollen wir spazieren fahren, womit ich Sie, Herr Durand, einverstanden hoffe?« sagte Kapitän Parr. Herr Durand beeilte sich, dem Vorschläge zuzustimmen und Pieter erhielt die Weisung, an das Ufer zu fahren, das ihrem Lagerplatze gegenüber lag. Langsam glitt das Kanu durch das tiefblaue Wasser des Sees, umspielt von zahllosen Fischen längs der Felsenwand hin, die ihren Abschluß in einem Felsen hatte, der glatt vom Wasserspiegel ohne Unebenheit zum Himmel aufstieg. Ganz unten am Felsen öffnete sich ein Spalt. Nicht weit von diesem äußersten Ende des Sees schwebte ein Schwarm großer, mövenartiger Wasservögel über den See dahin. Sie tauchten von Zeit zu Zeit in das feuchte Element, um sofort mit einem Fische im gekrümmten Schnabel sich zu erheben.

Dem Drängen Georges nachgebend, gestattete Parr, Jagd auf die Tiere zu machen. »Sie, Herr Durand, schießen auf den rechten Flügelmann, während ich mir den großen Kerl aus der Mitte herausholen will. Jetzt aufgepaßt, Ihr Vogel wird gleich in Schußweite sein,« rief George voll Jagdeifer.

Immer näher kam das Kanu auf die Vögel zu, die sich durch die Menschen in ihrem Treiben nicht stören ließen, sie überhaupt nicht zu beachten schienen.

Ein Augenblick verging noch, dann knallten die beiden Schüsse. Dem Vogel, den Durand aufs Korn genommen hatte, war der Flügel zerschmettert; er ließ sich ins Wasser fallen und schwamm, so rasch es seine Verwundung gestattete, den durchschossenen Flügel nachziehend, dem Felsenspalte zu.

Der von George als Ziel ausersehene Vogel stürzte mit durchschossenem Kopfe auf den See, während der übrige Schwarm rasch hinter den Felskuppen verschwand.

»Erst wollen wir den getöteten Vogel einholen, dann laßt uns versuchen, des verwundeten habhaft zu werden. Rasch, Pieter, mein Alter, zeige, was du im Rudern vermagst,« rief Parr.

Alle seine Kraft legte Pieter in die Riemen, seine eisenfesten Hände umklammerten wie Schraubstöcke die Griffe der Schaufelruder und dahin schoß das Kanu mit unheimlicher Geschwindigkeit.

Der tote Vogel war erreicht und auf den Boden zu den Fischen geworfen. Im Hakenschnabel hielt das Tier noch Überreste eines Fisches, den es eben gefangen haben mochte, als die Kugel seinem Leben ein Ziel setzte.

Nun ging's dem verwundeten Tiere zu. In auffallend rascher Weise entfernte es sich von seinen Verfolgern.

»Ich errate seine Absicht« sagte Kapitän Parr.

»Es sucht den Felsspalt als Schlupfwinkel zu gewinnen und uns auf diese Weise zu entgehen. Nun heißt's, ihm einen Vorsprung abzugewinnen und ihm den Eingang in das Felsenloch zu verlegen. Vorwärts, Pieter, Volldampf, mehr nach links, so gut, jetzt gewendet, mehr noch, rechts, rechts, hörst du denn nicht, Pieter, nach rechts kommandiere ich!«

Pieter strengte sich bis zum Übermaße an, daß die Adern an den Schläfen zu zerspringen drohten. Das Kanu flog wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil über das Wasser dahin, doch dem Befehle seines Herrn zu gehorchen vermochte der Matrose nicht. Die Ruder bogen sich wie Strohhalme, knackten und waren dem Zerbrechen nahe, aber das Fahrzeug folgte seiner Bahn unentwegt.

»Wende, um Gottes willen, Pieter, sonst fahren wir in den Spalt hinein,« schrie ihm Parr zu.

»Ich kann nicht,« keuchte Pieter, »die Strömung ist zu stark, sie reißt uns mit sich fort.«

»Warte, ich helfe dir!«

Kapitän Parr erhob sich sofort, überstieg eine Ruderbank und setzte sich vor Pieter und half ihm rudern. Aber auch seiner Anstrengung spottete die Strömung, die das Boot mit wachsender Gewalt dem Felsen zuführte.

»Wir sind verloren,« stöhnte Parr. »Wir müssen an dem Felsen zerschellen.«

»Noch nicht,« wollte Pieter antworten, doch die Worte erstarben in seinem Munde.

Eine Gegenströmung erfaßte das Boot, drehte es zweimal um seine Achse, riß es dann mit elementarer Gewalt nach dem Spalt, in dem es verschwand. – – – – – – – – –

Die Insassen des Kanus hatten im ersten Schrecken unwillkürlich die Augen geschlossen.

Sekunden, Minuten vergingen, ohne den gefürchteten Anprall.

Endlich wagten sie wieder die Lider zu öffnen und um sich zu schauen.

Tiefe, undurchdringliche Finsternis umgab sie; auch von rückwärts, der Richtung, aus der sie gekommen, drang kein Schimmer des Tageslichtes mehr zu ihnen. Sie fühlten, daß sie mit reißender Schnelligkeit fortgeführt wurden.

Kapitän Parr gewann zuerst seine Geistesgegenwart wieder und doch dauerte es Minuten, ehe er zu sprechen wagte.

»Wir sind auf einen unterirdischen Strom geraten. Vor allem müssen wir sehen, sei es auch nur auf einen Augenblick. Hast du Streichhölzer, Pieter, so zünde eins an.«

Pieter kramte in seiner Brusttasche herum, entnahm ihr ein Blatt Papier, das einzige, das er bei sich trug, faltete es rasch als Fidibus und entzündete es an einem Streichholze.

Trotz des ungewissen Lichtes erkannten die um sich Blickenden die felsigen Wände zu beiden Seiten, während sich das Dach in unsichtbarer Höhe über sie wölbte. Zackig und feucht waren die Wände des Tunnels, den das Kanu mit der Geschwindigkeit eines Expreßzuges durchsauste.

»Versuche, Pieter, ob du nach der anderen Seite gelangen kannst, vielleicht ist dort eine Gegenströmung vorhanden,« wies Parr an.

Pieter gehorchte. Der Versuch gelang, blieb aber ohne Erfolg. Der das Felsenbett durchrinnende Fluß trieb überall mit gleicher Schnelligkeit dahin.

George und Durand saßen schreckensstarr auf ihren Plätzen. Noch konnten sie keinen rechten Gedanken fassen. Todesangst hatte sich besonders des Franzosen bemächtigt, dessen Zähne hörbar klapperten, während George angstvoll beklommen in das undurchdringliche Dunkel hineinstarrte, bis ihn ein stechender Schmerz in den Augen zum Schließen derselben zwang.

Kapitän Parr überlegte inzwischen das Ende der Fahrt. »Wir sind auf den stromartigen Abfluß des Sees geraten, der entweder in einen anderen See mündet, oder sich in einen Fluß ergießt. Dieser Fluß könnte nur der Limpopo sein. Das letztere ist jedenfalls wahrscheinlicher, als das erstere, da von einem zweiten See, außer dem von uns besuchten Unglückssee noch keine Rede war.«

»Wir machen wenigstens zwanzig Knoten, Herr Kommandant,« unterbrach Pieter den Gedankengang Parrs.

»Nur Ruhe. Wir fahren dem Limpopo zu, mit allerdings nicht gerade wünschenswerter Schnelligkeit.«

»Woher kommt wohl diese, Onkel?« fragte George.

»Der See liegt um hunderte Meter höher als der Krokodilfluß. Die Entfernung zwischen beiden ist nicht sehr bedeutend, daher muß das Gefälle ein starkes sein. Trifft meine Voraussicht zu, dann landen wir unversehrt in der Ebene und kommen mit einer wenig angenehmen Wasserfahrt und einem Rückmarsch über die Berge davon.«

»Gott gebe es,« flehte George.

»Unser Leben steht hier, wie in unserem Hause zu Canorsie in seiner Hand, er kann erretten und verderben,« war Parrs Entgegnung.

So beruhigend Parrs Worte klangen, waren sie doch nichts weniger als das Spiegelbild seines Innern. Er wußte wohl, daß tausenderlei Gefahren ihnen drohten. Ein Felsen, zu weit aus den Seitenwänden hervorspringend, ein Riff mußte ihnen sicheren Untergang bringen, da sie beides nicht sehen, daher nicht vermeiden konnten. Auch war ihm klar, daß der Strom, wenn er sich in den Limpopo ergoß, um das bedeutend niedrigere Niveau der Ebene zu gewinnen, über mehrere Fälle sich hinabstürzen mußte. Außerdem konnte sich das Bett des Stromes soweit verengern, daß dem Kanoe eine Durchfahrt unmöglich wurde und es sich festklemmend, weder vor- noch rückwärts konnte. Oder konnte sich die Decke des Tunnels nicht bis an den Wasserspiegel herabsenken…?

»Was mag die Uhr sein, Pieter?« fragte Parr, um seinen düstern Gedanken zu entgehen.

Pieter zog seine silberne Uhr aus der Tasche, strich ein neues Streichholz an und erwiderte: »Elf Uhr zwanzig Minuten, Herr Kommandant.«

»So fahren wir beinahe schon eine Stunde auf diesem heimtückischen Wasser. Ich sah, knapp bevor uns die Strömung erfaßte, nach der Zeit.« Wie lange mochte es noch dauern?

Längere Zeit hindurch herrschte tiefes Schweigen. Durand hatte seit der Einfahrt in den Felsenschlund noch keinen Laut von sich gegeben. Wie leblos hockte er auf der Ruderbank, aller Sinne bar. Krampfhaft umklammerten seine Hände den Rand des Kanoes und nur das Klappern der Zähne verriet, daß er noch lebe, noch empfinde.

Pieter unterbrach die Stille, indem er sagte: »Ich höre in der Ferne vor uns ein Geräusch, Herr Kommandant.«

»Es klingt wie Rauschen,« meinte George.

»Ich höre es wohl,« entgegnete Parr. »Wahrscheinlich ein Felsen im Flußbette, an dem sich der Strom bricht. Er kann uns verderblich werden, daher müssen wir ihn zu vermeiden suchen; er kann uns aber auch retten, indem er die Fahrt hemmt.«

Von Minute zu Minute nahm das Geräusch an Stärke zu. Schon ähnelte es demjenigen, das die Schaufelräder eines Raddampfers hervorbringen, nur war es ungleich stärker als dieses. Nun wußte Kapitän Parr, was es zu bedeuten hatte. Es war ein Wasserfall und zwar ein solcher von ganz gewaltigem Absturze, wie das Getöse anzeigte, das bald zu donnerndem Gebrülle anschwoll.

»Gott sei uns allen gnädig,« flüsterte Parr.

»Komm her zu mir, George,« rief er mit mächtiger Stimme. Der Jüngling folgte und Parr schlang seinen Arm um ihn, als wollte er ihn im bevorstehenden Untergang bei sich haben. Auch Pieter, der vor ihm saß, sollte einen Abschiedsgruß seines Herrn empfangen. Er stieß ihn an und als sich Pieter zu ihm wandte, suchte seine freie Hand die des alten Dieners, um sie zu kräftigem Drucke zu umspannen. Pieter war es klar, was dies Gebahren zu bedeuten hatte und laut, das Getöse des Wassers überschreiend, rief er: »Haben Sie Dank, Herr Kommandant, für alles Gute, das Sie mir erwiesen. Drüben sehen wir uns wieder!«

Immer unerträglicher wurde der Lärm. Die Schwüle, die während des letzten Teiles der Fahrt geherrscht, wurde durch einen frischen Luftstrom ersetzt, der den Unglücklichen entgegenwehte.

Weiter ging die tolle Fahrt. Es zischte und brauste. Wahrhaft teuflisch klang das Gebrüll des Wassers, das mit schwindelerregender Gewalt den hohlen Baumstamm mit sich riß – da! ein Krach, ein Ruck, eine furchtbare Erschütterung des Fahrzeuges und allen Insassen schwand das Bewußtsein…!


 << zurück weiter >>