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Fünfzehntes Kapitel.
Der Überfall


Längs des Limpopo oder Krokodilflusses, lange nachdem er die Muralberge verlassen und in großem Bogen gegen Osten geströmt, ziehen sich an seinem linken Ufer große Wälder hin, deren Dickichte zahlreichen Raubtieren zu Schlupfwinkeln dienen, in deren Morästen, in welche niemals ein Sonnenstrahl dringt, da die ineinander geschlungenen Äste uralter Bäume sich zu einem untrennbar dichten Dache über sie wölben. Schlangengezücht haust neben den geflügelten Quälgeistern der Sümpfe, den Mosquitos und der giftigen Tsetsefliege. Die feuchtwarme Luft, die in diesen Wäldern herrscht, ruft eine geradezu überwältigende Vegetation hervor. Jedes Fleckchen Erde ist mit Gewächsen bedeckt; Kletter- und Schmarotzerpflanzen schlingen sich um die kräftigen Baumstämme, von deren Ästen und Zweigen zum Erdboden niederhängend und gleichsam einen lebenden Vorhang bildend, durch dessen Beseitigung erst der Eintritt in den geheimnisvollen Urwald ermöglicht wird. Ein Heer von Vögeln belebt die Bäume, die auch zahlreichen Affen als Spielplatz und Aufenthaltsort dienen. In einer Lichtung, an deren offenen Seite der Limpopo entlang rauscht, ist ein Lager aufgerichtet. Zwei große Burenwagen stehen neben einander, während ihre Bespannung, etwa dreißig Zugochsen mit zusammengekoppelten Vorderfüßen, sich an dem fetten Grase der Waldblöße gütlich thut, beaufsichtigt von vier Zulus. Um ein Feuer lagern vier Weiße. Ein saftiges Stück Fleisch schmort an einem Spieße, den einer von ihnen fleißig dreht.

Es ist um die Zeit, wo die Sonne mit der dem Nordländer überraschenden Schnelligkeit, ohne Dämmerung der Nacht weicht.

»Morgen bei Tagesanbruch werden wir auf der vor uns liegenden Furt den Limpopo überschreiten, um zur Zeit der glühendsten Hitze schon ein Stück des Matabele-Landes hinter uns zu haben,« begann einer der Reisenden, ein älterer Mann von achtunggebietendem Äußern.

»Da heißt es aber besser auf der Hut zu sein als bisher, Herr Kommandant,« meinte der einäugige Spießdreher, in dem die Leser ohne Zweifel schon unseren alten Freund Pieter erkannt haben werden, der zwischen Parr, George und Durand das Abendbrot bereitet.

Es erübrigt uns noch kurz zu berichten, was seit der Auffindung der aus N'Gumbos Reich glücklich zurückgekehrten Reisenden geschehen war.

Die Freude, mit welcher Borgfield und Gattin die schon verloren Geglaubten begrüßten, war geradezu überschwenglich und wollte namentlich der Missionar von einem sofortigen Aufbruch Parrs nichts wissen. Doch Parr setzte energisch seinen Willen durch und nahm am nächsten Tage seine Reise wieder auf, nachdem die Vorräte ergänzt waren. Dem Missionar erklärte er, nach Port Natal zurückkehren zu müssen. Nunmehr hatte er alle Mühe, den Pflegesohn Borgfields nicht als Führer zu erhalten, während er sich die Begleitung Durands gefallen lassen mußte, um nicht durch deren Ablehnung Mißtrauen zu erwecken. Auch bat der Franzose so dringend Parr, mit dem er Gefahren geteilt, den er wie einen Vater lieb gewonnen, nicht verlassen zu müssen, daß des Kapitäns Gutherzigkeit über seinen Verstand den Sieg davontrug und er sogar Durand mitteilte, daß er nicht nach Durban, sondern nordwärts ziehen wolle, bis an den Sambesi, vielleicht sogar weiter. So kam es, daß Durand sich in der Gesellschaft der Reisenden befand, was Pieter nicht gerade lieb war.

George knüpfte an Pieters Bemerkung die Frage an: »Was fürchtest du im Matabele-Reich, Pieter?«

»Menschen und Tiere! Unsere Zulus wissen Schaudergeschichten von beiden zu erzählen. Das Kiri der Matabeles, ein Stock mit einer Kugel an einem Ende, soll, aus der Entfernung geschleudert, ebenso sicher den Feind töten, als eine Kugel. Ihr Haß gegen Weiße sei ebenso groß, als gegen ihre schwarzen Brüder anderer Stämme.«

»Das wären die Menschen,« sagte George so gleichmütig, als ob ihn die ganze Sache nichts anginge. »Nun die Tiere?«

»Na viel Spaß, Herr George, ist da nicht bei, wenn eine solche Horde auf dem Wege lauert, den wir wandern müssen.«

»Ein Mensch, wie du, Pieter, fürchtet auch Matabeles nicht, trotz ihrer Kiris und Assagaien, den dünnen langen Zuluwurfspießen.«

»Das stimmt aufs Haar, Herr George,« entgegnete dieser geschmeichelt, »aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellanfabrik. Dann soll's Löwen nur so zum Schweine füttern geben, freilich auch viel anderes, nützlicheres Wild wie Hartebeest und andere Antilopen-Arten, Gnus, Zebras und auch Strauße, was die großen Eier legen und die schönen Federn haben… Sie wissen doch?«

Georges Lachen war die ganze Antwort.

»Pieter hat recht, wir wollen von jetzt ab einen regelrechten Wachdienst einführen,« mischte sich Parr ins Gespräch.

»Das Essen, Pieter,« stöhnte mit komischer Übertreibung Durand, »ich sterbe vor Hunger!«

»Falsche Versprechung, leider,« brummte dieser, nahm aber den gar gewordenen Braten ab, auf den nun tüchtig eingehauen wurde. Auch die Zulus wurden nicht vergessen und erhielten einen Löwenanteil.

Der nächste Morgen war kaum angebrochen, als schon alles in Bewegung war, den Übergang zu bewirken. Die Ochsen waren angespannt und harrten des Kommandos. Der Zulu Fledermaus watete bis an die Achselhöhlen im Wasser umher, den günstigsten Weg durch den Fluß zu suchen.

»Wo sind denn nur die Krokodile des Krokodilflusses?« fragte Durand Parr, als sie, dem Zulu zusehend, am Ufer standen.

»Soviel ich hörte, sind diese Tiere, die einstmals in ungeheurer Menge am Strome lebten, nunmehr sehr selten geworden, besonders an solchen Stellen, wo das Bett eng ist und die niedrigen Ufer leichten Zugang zum Flusse ermöglichen.«

»Das ist sehr ärgerlich für mich. Ich hätte zu gerne eine Kugel durch den Panzer eines oder einiger dieser Tiere gejagt,« sagte der Franzose bedauernd.

»Vielleicht bietet sich später noch diese Gelegenheit, öfter sogar, als Sie es wünschen.«

»Das wäre zu nett, Onkel. Ich habe mir es immer gewünscht, einmal eines der trägen, häßlichen Reptilien mit einer Kugel begrüßen zu können. Wie hübsch würde sich so ein ausgestopftes Krokodil von der Decke meines Zimmers in Canorsie herabhängend, machen.«

»Das sähe wie in einer alten Apotheke aus,« bemerkte Pieter.

»Wenn auch nicht so, so doch wie in einem Raritäten-Kabinett, wozu ich auch mein Zimmer machen will, wenn ich meine Sammlungen glücklich heim bringe,« meinte George.

Inzwischen hatte der Zulu die richtige Stelle gefunden und der Transport nahm alle Kräfte und alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Schreiend, mit den Peitschen knallend, mit Händen und Füßen um sich schlagend, trieben die Zulus die Gespanne ins Wasser und brachten sie auch, nicht ohne Mühe und nachdem oftmals die Wagen in Gefahr geschwebt, das Gleichgewicht zu verlieren, ans jenseitige Ufer.

Ohne weiteren Aufenthalt ging es nun weiter, durch einen Wald, dessen Blätterdach einen längeren Marsch gestattete, als er im Freien möglich gewesen wäre. Die warme Luft hatte bald die Kleider getrocknet.

Ohne Zwischenfall verging dieser und der nächste Tag.

Nur einmal stieß man auf einen Wildpfad, der nach einer Quelle führte. Über denselben hing eine Tierfalle der Eingeborenen, ebenso einfach als sinnreich konstruiert. Ein Gebüsch sperrte plötzlich den Pfad. Vor demselben zog sich, quer über den Weg eine dünne Grasschnur, die durch Holzringe an den beiden Seiten zur Erde gehalten wurde, von der aus sie auf zwei Bäume in die Höhe lief, wo sie mit Assagais, deren vergiftete Spitzen nach unten hingen, in Verbindung stand. Riß nun ein Tier die Grasschnur durch, so fielen die Waffen auf dasselbe und selbst eine leichte Wunde hatte den Tod des getroffenen Wildes zur Folge, da das Gift rasch und immer tödlich wirkte. Das Fleisch der so gefallenen Tiere wird von den Eingeborenen gegessen, doch vorher die Wunde und ihre Umgebung ausgeschnitten.

Fünf Tage waren seit dem Verlassen der Mission vergangen. Die Wälder hatten einer steinigen Region Platz gemacht, die von zahlreichen, dürftig bewachsenen Hügeln durchzogen war. Die Quellen fingen an, seltener zu werden, dafür fand man öfter breite Tümpel an, deren Wasser, in der Sonne verdampfend, reines gutes Salz zurückgelassen hatte. Dürres Gras bot kaum genügend Nahrung für die Zugtiere.

Es war am Spätnachmittag dieses fünften Tages. Die afrikanische Sonne hatte es besonders gut gemeint und Menschen und Tiere waren erschöpft, als man am Rande eines aus nur wenigen Bäumen bestehenden Busches anlangte.

Ein kleiner Bach, der aus einem unfernen Hügel zu kommen schien, bot die so nötige Labe.

Als man eben mit dem Ausspannen der Ochsen fertig war, bemerkte George eine Herde Antilopen, die sich dem Wasser zu bewegte, sofort aber die Flucht ergriff, als sie die Reisenden erblickte.

Die Jagdlust des Jünglings erwachte und ohne auf die warnenden Worte Parrs zu hören, eilte ihnen George trotz seiner Müdigkeit nach. Parr, in Besorgnis um George, folgte rasch, was auch Durand that, der in der Eile Pieters geladenes Repetier-Gewehr statt seiner leichten Jagdflinte an sich nahm.

Im Laufen gab George auf die Antilopen einen Schuß ab, ohne zu treffen. Da sahen der Kommandant und sein Begleiter, wie der Jüngling niederkniete, sein Gewehr an die Wange riß und zwei Schüsse auf ein unsichtbares Wild abgab, das sich hinter einem buschbewachsenen Hügel befinden mußte.

George wandte sich sofort nach den Schüssen um und rief den Nähereilenden freudig zu: »Er ist getroffen, hurra, getroffen.«

Dann lud er die abgeschossenen Läufe wieder und trat dem Onkel entgegen, als sich die Büsche hinter ihm teilten und das Haupt eines mächtigen Löwen sichtbar wurde, der sich mit einem gewaltigen Satz auf George stürzte, ihn zu Boden warf und mit seiner Pranke niedertrat.

Im ersten Augenblicke erstarrte das Blut in Parrs Adern, doch schnell gefaßt feuerte er auf die ihm entgegenblitzenden Augen des Löwen. Seine sonst so feste Hand erzitterte unter dem Eindrucke des Schreckens und die Kugel streifte nur die Mähne des Löwen, der, zu höchster Wut gereizt, George verließ und mit markerschütterndem Gebrülle in einem Satze Parr zu erreichen suchte.

Da erstand ihm in Durand der dritte und gefährlichste Gegner. Das Repetier-Gewehr ließ zweimal seine Stimme hören und seine Kugeln drangen in die Weiche des »Herrn der Wüste«, ehe er an Parr herangekommen war. Er änderte seine Richtung auf Durand zu, den er mit einem Schlage seiner Pranke zu Boden schmetterte. Dann ein Aufbäumen, eine kurze Drehung, ein röchelnder Laut und das Tier sank zuckend neben Durand hin – es war verendet.

Parr stürzte auf George los, der sich allein aufrichtete und totenblaß seinen Onkel anstarrte, vor Angst und Aufregung bebend. Glücklich über seine Rettung, drückte ihn der Kapitän an seine Brust, dann wandte er sich dem jungen Franzosen zu. Auf dem Gesichte liegend, streckte dieser leblos die Hände von sich. Ein Blutstrom ergoß sich aus der linken Schulter. Der Löwe, nicht mehr im Vollbesitze seiner Kraft, hatte Durand nur gestreift, ihm Rock und Weste zerrissen und eine breite, doch glücklicherweise ungefährliche Fleischwunde an der Schulter verursacht. Die Todesangst und der Schmerz waren die Ursachen der tiefen Ohnmacht, die des Franzosen Sinne in Fessel hielt.

Onkel und Neffe trugen den Verwundeten zu dem Lager, wo er unter Pieters Händen durch Anwendung von frischem Wasser und Rum bald wieder zu sich kam, um in einen tiefen, durch wilde Phantasien gestörten Schlaf zu fallen.

Man blieb deshalb den ganzen nächsten Tag auf dem Platze. Den Tag darauf war Durand schon so weit, um, sorgfältig in einem der Wagen gebettet, kein Hindernis für die Weiterreise zu bilden.

Als er das erste Mal zu vollem Bewußtsein erwachte, war Parr zu ihm getreten und hatte, seine gesunde Hand ergreifend, gesagt: »Sie haben George und mir das Leben gerettet. Ich danke Ihnen. Auf Revanche!«

Auch Pieter begegnete nun Durand etwas wohlwollender, doch war er zu sehr gegen ihn eingenommen gewesen, um sein Mißtrauen mit einem Male zu verlieren.

Wie wäre er erst auf Durand zu sprechen gewesen, hätte er eine Zwiesprache desselben mit einem von dessen Kaffern belauscht.

»Also ein Zettel bewog ihn, nach Norden zu gehen?«

»Ja!«

»Und seitdem hat er keine Nachrichten mehr von dem Buren erhalten?«

»Nein, keine!«

»Also spitze deine Ohren! Nichts darf dir entgehen. Ich zahle gut, weiß aber den Verrat grausam zu bestrafen. Jetzt zu deinen Ochsen, damit man nichts merkt!« schloß dieselbe…

Des Löwen Fell hatte man unabgezogen gelassen, da Pieter nicht zu bewegen war, sich dem Tiere zu nähern, das seine liebsten Menschen auf der Welt, Parr und George, bedroht hatte.

»Wenn ich ihn sähe, müßte ich ihm Messerstiche ohne Zahl versetzen… einem toten Tiere! Das wäre lächerlich und gemein, deshalb laß ich ihn liegen, den Geiern zum Fraße,« sagte er zu Fledermaus.

Die Reiseroute wurde von da ab immer beschwerlicher. Der steinige Boden, die vielen nicht umgehbaren Hügel waren Hindernisse, die die höchsten Anforderungen an die Zugtiere stellte. Schon waren zwei gestürzt und mußten durch Revolverschüsse getötet werden. Auch mit der Nahrung für die Tiere war es schlecht bestellt, denn der sonndurchglühte Boden bot nur dürre Gräser, die nicht hinreichten, ihren Hunger zu stillen. Keuchend und stöhnend zogen sie die schwere Last von einem Lagerplatz zum andern und halbgesättigt, noch müde von der Plage des vorhergehenden Tages wurde ihnen des Morgens aufs neue das Joch aufgelegt.

Auch die Reisenden litten unter der Beschwerde der Reise, die ihnen endlos schien. Sie waren müde und abgespannt, denn nach schweren Märschen mußten sie halbe Nächte hindurch wachen, um die wilden Tiere von ihrem Lager zu scheuchen. Nacht für Nacht umbrüllten Löwen ihre Feuer und nur unausgesetzte Wachsamkeit konnte sie vor Unglück schützen.

.

Endlich, am sechsten Tage nach der Löwenjagd, erreichte man eine wasserreiche Gegend mit üppiger Vegetation, die endlich Aussicht auf besseres Fortkommen versprach.

Man hatte bis jetzt nur ganz wenige menschliche Ansiedelungen angetroffen, meist Hottentotten-Dörfer, deren Häuptlinge oder, wie sie sich lieber nennen hörten, ›Könige‹ immer mit allerhand Ansprüchen bei der Hand waren, ehe sie frisches Fleisch und Geflügel abgaben.

Parr hatte es daher vorgezogen, ihnen möglichst auszuweichen und den Bedarf durch die Jagd zu beschaffen, was bisher auch meist erreicht wurde.

Am Tage vorher hatte man ein solches Dorf gestreift, ohne daß aus den runden Laubhütten, wie es sonst immer der Fall gewesen, schwarze Gestalten ihnen entgegengeeilt, um zu betteln, zu handeln oder Tribut zu erheben. Man hatte nicht weiter darauf geachtet und dachte auch nicht daran, als man im Schatten hoher Laubbäume das Lager für die Nacht zurichtete.

Wie gewöhnlich wurde dürres Holz zusammengetragen, in einem weiten Kreise aufgeschichtet und in diesen die Tiere getrieben, nachdem sie das saftige Gras ordentlich abgeweidet hatten. Auch die Menschen hatten sich gestärkt und mit langentbehrtem Behagen streckten sie die müden Glieder auf dem Pflanzenteppich aus.

Pieter hatte die erste Wache, die ungestört verlief, da der Feuerkreis sorgfältig vor dem Erlöschen behütet wurde. Um zehn Uhr weckte er Durand zur Ablösung, der, nun schon daran gewöhnt, sein Gewehr aufnahm und an das Feuer trat, in das er frische Äste warf.

Es mochte gegen fünf Uhr morgens sein, als ein gellendes Geschrei die Reisenden weckte. Als sie die schlaftrunkenen Gesichter erhoben, sahen sie sich von schwarzen, wild bemalten Gestalten umringt, die drohend ihre Speere und kurze Schwerter, breite grotesk gezeichnete Schilder, auch gute englische Hinterlader über die Köpfe schwenkten. Durand war eingeschlafen und hatte den Wilden dadurch den plötzlichen Angriff ermöglicht.

Da auf jeden der Reisenden fünf und mehr Feinde kamen, war jeder Widerstand nutzlos, weshalb Parr befahl, sich zu ergeben. Mit Baststricken wurden den Weißen und ihren Zulus die Hände auf den Rücken gebunden und sie wie Gepäckstücke auf die Wagen geworfen, die sich bald in Bewegung setzten.

Die vier Europäer lagen in Parrs Wagen eng zusammen. Das Stoßen des Wagens verhinderte jede Unterhaltung, deshalb gab jeder seinen Gedanken freies Spiel.

Parr ärgerte sich unsäglich. Seiner Berechnung nach hätte am Abend des nächsten Tages der Sambesi erreicht werden müssen und damit das Ende der gefahrvollen, aufreibenden Reise. Würde er nach dieser Verzögerung Frantz noch auffinden und mit ihm die heiß ersehnte Lösung seiner sich selbst gestellten Aufgabe? Die Gefangenschaft. als solche machte ihm weniger Sorge. Daß sie nicht ewig dauern konnte, wußte er, und eine Gelegenheit, den Wilden ein Schnippchen zu schlagen, würde sich schon finden. Im schlimmsten Falle büßte man die Ochsen und die Wagen ein, was ihm selbst kein unersetzlicher Verlust schien und Durand gönnte er ihn von ganzem Herzen. Ihm war der ganze Unfall zu danken und wenn dieser die Folgen hatte, die Kapitän Parr befürchtete, dann war seine Schuld für die Rettung Georges an den Franzosen getilgt.

Einen Augenblick des Stillstandes der Wagen benützte Pieter zu der spöttischen Bemerkung: »Da sitzen wir in einer schönen Tinte, echt französische Tinte!«

Dann ging's wieder weiter, wodurch jede Antwort abgeschnitten wurde.

Endlos erschien den Gefangenen die Fahrt; eine Pein in dem heißen, engen Wagenkasten. Mittag mußte schon vorüber sein und noch immer ging es fort, ohne Pause, ohne Rast. Die Hitze wurde unerträglich, der Schweiß rann in Strömen von der glühenden Stirn, die Zunge klebte am Gaumen und die Seile an den Händen verursachten brennende Schmerzen. Pieter versuchte mit seinem Fuße die Leinwanddecke an der einen Seite des Wagens zu durchstoßen, doch ein wuchtiger Hieb mit dem Schafte eines Speeres verhinderte das Vorhaben. Man mußte sich ins Unvermeidliche fügen und sich damit trösten, daß die Kraft der Zugochsen endlich einmal versagen werde und dies bald geschehen müsse, da auch ihnen seit Stunden keine Ruhe gegönnt war.

Diese Voraussicht täuschte auch nicht, denn endlich, nach langer, qualvoll vergangener Zeit hielten die Wagen. Die Decke wurde zurückgeschlagen und den Gefangenen gestattet, eigentlich mehr befohlen, den fahrbaren Kerker zu verlassen. Mit welcher Wonne sie dies thaten!

Man hielt auf einem Hügel von großer Ausdehnung, zu dessen Füßen ein breiter Strom, wie ein silbernes Band dahinglitt. Soweit das Auge reichte, deckten Waldungen den Erdboden, nur am Fuß des Hügels lagen weitverstreut die korbähnlichen Hütten eines großen Eingeborenen-Dorfes.

»Sambesi,« rief Fledermaus aus, mit dem Kopfe auf den Strom deutend.

Freudig klopfte Parrs Herz bei diesem Worte. Endlich stand er am vorläufigen Ziele, schneller, als er erwartet, allerdings auch anders, als er gehofft. Doch was kümmerten ihn die Fesseln. Sie müssen abgestreift werden, ohne Zögern, auf irgend eine Weise, die er schon mit Pieter beraten werde und dann hinüber zu Frantz. Fledermaus hatte ihm schon bald nach ihrem Aufbruche von der Mission den Aufenthaltsort des Buren verraten und Parr war sicher, ihn zu finden.

Da der Abhang des Hügels zu steil war, die Wagen hinab zu befördern, wurden die Ochsen ausgespannt und ins Dorf getrieben. Ein ganzer Schwarm von Negern erschien hierauf bei den Wagen, die im Handumdrehen vollständig ausgeplündert waren. Erst als dies geschehen, erinnerte man sich der Gefangenen, die nun zu Thal geführt wurden.

Das Dorf bildete einen Bogen, dessen Sehne der Sambesi war. An den Strom schlossen sich Büsche an, über welche der Hügel emporragte, auf welchem die Wagen noch standen.

Die Gesellschaft war auf einen freien Platz gebracht worden, der an den Sambesi stieß, auf welchen zahlreiche große Kanoes, den Dorfbewohnern gehörend, verankert lagen.

– Man brachte den Gefangenen gebratene Bananen, Hühner, Wildbret und für jeden einzelnen einen großen Thonkrug mit Milch, über welche sie zuerst gierig herfielen, als man ihnen die Fessel gelöst. Auch nachdem sie sich gesättigt, beließ man sie mit ungebundenen Händen, doch umstand sie eine derartig große Menge von Kriegern und Neugierigen, daß jeder Fluchtplan Wahnsinn gewesen wäre. Dies einsehend, fügte man sich ins Unvermeidliche und suchte sich die Zeit durch Austausch der Meinungen zu vertreiben.

»Während der Fahrt fiel mir auf einmal die schwarze Tasche ein, die dir N'Gumbo übergab, George. Ich sah sie nicht wieder, was geschah mit ihr?« fragte Parr.

»Die Tasche liegt bei den Effekten im Wagen. Die Papiere selbst trage ich in der inneren Tasche meines Hemdes, ohne sie bis jetzt noch untersucht zu haben,« entgegnete George.

»Wir wollen sie denn doch in nächster Zeit durchsehen. Jetzt, wo ich wieder an sie denke, bin ich ordentlich neugierig geworden, ihren Inhalt zu erfahren!«

Die Gefangenen behielten nicht lange Zeit, sich zu unterhalten. Eine Bewegung der Umstehenden deutete auf etwas Außergewöhnliches hin. Kommandorufe in einer aus tiefen Kehllauten bestehenden Sprache ertönten und ein hochgewachsener Schwarzer trat auf die Reisenden zu und befahl barsch in holländischer Sprache: »Kommt!«

Man schritt dem Ufer zu und die vier Europäer wurden in eine Piroge Ruderkahn. gebracht, in welcher acht Ruderer und der »große Schwarze,« wie ihn Pieter nannte, Platz nahmen.

Die Zulus setzte man in ein kleineres Boot und andere Neger füllten noch weitere zehn Boote, bis sich die ganze Flottille in Bewegung setzte. Doch nicht die gegenüberliegende Seite des Flusses wurde angefahren, sondern stromabwärts ging's, längs der schilfbewachsenen Ufer, an zahlreichen Sandbänken und Felsblöcken vorüber, die aus dem Strome emporwachsend, die Fluten teilten.

Der Abend war nahe, als man endlich am rechten Ufer des Limpopo anlegte. Eine Negerschar schien unsere Freunde zu erwarten, sie wurden umringt und fort ging's, einem dichten, nordwärts gelegenen Walde zu.

»Man scheint uns weniger des Gewinnes wegen, als aus anderen Gründen aufgehoben zu haben,« bemerkte George, der zwischen Parr und Durand schritt.

»Woraus schließt du das, mein Junge?«

»Weil uns alle dem Wagen entnommenen Gegenstände nachgetragen werden.«

»Es ist dies nicht unmöglich,« meinte Parr nachdenklich.

»Ich glaube auch den Grund unserer Gefangenschaft zu kennen,« entgegnete Durand.

»Ich weiß, was Sie glauben,« sagte Parr. »Man hält uns für Engländer.«

»Sie haben es erraten.«

»Dann müssen wir den Verdacht zu zerstören suchen!« sagte Parr.

Endlich, als die Kräfte der Reisenden schon zu erlahmen drohten, langte man auf einem Waldplatze an, den einige primitive Laubhütten bedeckten; zahlreiches Vieh weidete rings umher.

Vor einer dieser Hütten saß ein Mensch, dessen Anblick die jungen Leute der Expedition unwiderstehlich zum Lachen reizte. Der ganze, nur mit einem Lendenschurz bekleidete Körper bildete einen Fettklumpen. Die Schenkel und Waden ähnelten Kanonenrohren, der Oberkörper einem Theerfasse. Die kleinen Äuglein waren durch die Fettpolster des Gesichtes verdeckt, kaum sichtbar. Die fleischigen Hände ruhten auf den Köpfen zweier Negerknaben, welche neben dem Fettkolosse kauerten. Er selbst saß auf einem zusammenklappbaren Schiffstuhle. Zu ihm trat der große Neger, welcher die Gefangenen bei ihrer Ankunft im Negerdorfe empfangen hatte. Er sprach längere Zeit mit dem Dicken, dabei öfter auf die Reisenden deutend, die man wieder der Fesseln entledigt und denen man Maiskuchen und Wasser gereicht hatte.

Die beiden Negerknaben sprangen auf und mit ihrer Hilfe erhob sich schwerfällig und stöhnend der dicke Häuptling.

Er kam auf die Gruppe der Gefangenen zu.

»Engländer?« fragte er mit kurzatmiger Stimme.

»Nein! wir Amerikaner, der ein Franzose und dieser ein Deutscher,« antwortete ihm Parr.

»Nein Engländer,« beharrte der Häuptling.

»Nein, keine Engländer, alter Fettfleck, hörst du's nicht!« rief Pieter erbost.

»Einauge, schweigen, sonst Schlag auf Mund!« quetschte der Dicke aus den wulstigen Lippen; ein kurzer Befehl, langsam wandte er sich um und verschwand, von den Knaben beinahe getragen, in einer der Hütten.


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