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Viertes Kapitel.
Die Rettung


Die klare Sonne tauchte im Osten aus dem Ocean auf und ihre glänzenden Strahlen vergoldeten das spiegelglatte Meer, von dem nichts mehr den Aufruhr verriet, der es vor wenigen Stunden noch durchtost und bis auf den Grund aufgewühlt hatte. Eine leichte Brise kräuselte die Wellen und in majestätischer Ruhe lag der weite Spiegel des Oceans ausgebreitet, über den sich der tiefblaue wolkenlose Himmel wölbte.

Öde und Stille herrschte allenthalben, nur ein Boot war sichtbar, das drei menschliche Wesen barg – die Schiffbrüchigen des ›Grant‹.

Sie befanden sich schon meilenweit von der Stelle, wo der Raddampfer sein trauriges Ende gefunden, da Pieter Koopmann die frische Brise benützt und ein Segel aufgespannt hatte, mit dessen Hilfe sie rasch vorwärts kamen. Er stand an den Mast gelehnt, die Leinen fest in der Hand, während Richard Werner, wieder von einem heftigen Fieberanfall gepeinigt, in Decken gehüllt am Boden lag. Der kleine Paul kauerte an einer der Ruderbänke, erheiterte durch sein halb deutsches, halb englisches kindliches Geplauder den Matrosen und knabberte vergnügt an einem harten Schiffszwieback. Tausenderlei Fragen richtete das Kind an den wackeren Burschen, der sich über dieselben prächtig unterhielt und sie in einem mangelhaften Englisch, untermischt mit deutschen Brocken, Seemannsausdrücken und Kernflüchen, nach bestem Wissen und Gewissen beantwortete. Die wärmenden Strahlen der Sonne und die linde Luft übten einen wohlthätigen Einfluß auf Werners Befinden aus und als die Sonne im Zenite stand, fühlte er sich soweit gebessert, daß er an dem bescheidenen Mittagsmahle teilnehmen konnte. Es bestand dies aus etwas Konservenfleisch, Zwieback und einer Flasche Wein, das alles die drei Schicksalsgenossen redlich untereinander teilten.

Richard Werner benützte die Mittagspause, um sich bei Pieter über die Fahrtrichtung zu unterrichten.

»Wir segeln gegen Westen, da wir in dieser Himmelsrichtung zuerst auf Land stoßen müssen und auch dort am ehesten Schiffen begegnen können,« erklärte dieser.

»Und wo sind wir jetzt?« fragte Werner.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, denn ich habe keine Ahnung, wohin der gestrige Sturm den ›Grant‹ verschlagen und welchen Weg wir bis jetzt durchsegelten. Wir können uns auf Rufnähe eines Landes befinden, doch auch in der Mitte des Atlantischen Oceans sein. Instrumente, den Ort unseres Aufenthalts zu bestimmen, haben wir nicht, und wenn wir sie hätten, so wüßte ich auch nicht, wie man mit dem Zeug umgehen muß, denn davon hat unser Schulmeister weder etwas gelehrt, noch selber was gewußt.«

»Gott gebe, daß die Überfahrt bald beendet sei, denn ich fürchte, meine Kraft reicht nicht aus, die Strapazen einer Bootfahrt wie die unsere lange zu ertragen.«

»Wenn der Wind so weiter vorhält wie bis jetzt und das Wetter nicht stürmischer wird, so sind wir bald geborgen. Mir sagt so eine gewisse Ahnung, daß wir gerettet werden, daß dies auch nicht mehr lange dauern wird – und Pieter Koopmann täuscht sich darin nie. Machen Sie deshalb kein so trübes Gesicht, Herr Werner, denken Sie an Ihren kleinen Paul, der uns sonst auch traurig wird.«

»Retten Sie uns, Pieter, und meine Dankbarkeit soll keine Grenzen kennen, ich bin reich, sehr reich und werde Sie fürstlich belohnen.«

»Lassen Sie uns davon schweigen, es wird noch Zeit genug bleiben, mal über die Sache zu plaudern. Denken wir jetzt nur an unsere Rettung.«

Der erste Tag verging ohne Zwischenfall und als die Nacht herabsank, wurde beschlossen, daß Richard Werner und Pieter abwechselnd wachen sollten. Der brave Pieter sicherte sich allerdings den größeren und schwereren Teil der Arbeit. Gegen Morgen sprang der bis jetzt so günstige Wind um, so daß Pieter gezwungen war, die Fahrtrichtung zu ändern und zu lavieren, was das Weiterkommen des Bootes erheblich verzögerte. Er ließ aber davon nichts verlauten, um seinem kranken Gefährten neue Aufregung zu ersparen. Schwer leidend, zähneklappernd und stöhnend, wand sich dieser auf dem Boden des Bootes, ohne daß es Pieter möglich gewesen wäre, ihm andere Linderung zu teil werden zu lassen, als durch einen Schluck Rotwein, den er ihm mit einer Sorgfalt einflößte, die man dem vierschrötigen Burschen garnicht zugetraut hätte.

Obgleich Pieter den Kranken in jeder Weise zu trösten und ihm die trüben Gedanken zu verscheuchen suchte, war er selbst bei weitem nicht so mutig, als er gern glauben machen wollte. Wie lange sollten sie noch auf dem Meere treiben, welche Gefahren standen ihnen noch bevor? Konnten nicht Wind und Wetter ihre Hoffnungen vernichten, ein böses Geschick sie von der Straße abtreiben, die von den Schiffen durchfahren wurde! Würden ihre Lebensmittel reichen? Diese und viele andere Befürchtungen quälten ihn unsäglich und mit Mühe unterdrückte er diese trüben Gedanken, um sich dem Kranken gegenüber nicht zu verraten.

Am nächsten Morgen – die Nacht war gut vorüber gegangen, – saß der gutmütige Matrose neben dem kleinen Paul, dem er ein langes Garn spann, das der Kleine mit offenem Munde erstaunt anhörte, obgleich er kaum die Hälfte davon verstand. Pieter war ganz bei der Sache, er wußte meisterhaft Wahrheit mit Dichtung zu vermengen, und achtete nur auf seinen dankbaren Zuhörer. Richard Werner schlief am Boden des Bootes, von der Müdigkeit überwältigt, die durch die Nachtwache verursacht war. Da plötzlich fragte der Kleine:

»Sag mal, Pieter, ist das nicht ein Schiff?« und sein kleines Händchen wies nach Westen.

Wie von einer Tarantel gestochen, sprang Pieter in die Höhe, das Boot in heftige Schwankungen versetzend. Atemlos, seine Sehkraft bis zum äußersten anstrengend, stierte er in die angegebene Richtung und richtig erblickte er eine Mastspitze und den obersten Teil eines Seglers. Die Augen mit der Hand schützend, blickte er immer und immer wieder auf den sichtbaren Teil des Schiffes hin, als ob er es durch die Kraft seines Wittens heranziehen wolle. Zum erstenmal seit vielen Jahren betete Pieter Koopmann, ein kurzes, aber inniges Dankgebet. Er richtete sofort sein Boot dem fernen, doch zusehends näher kommenden Schiffe zu, dann beugte er sich zu dem Schlafenden nieder, ihn kräftig rüttelnd:

»Herr Werner,« rief er freudig bewegt aus, »wachen Sie auf, ermannen Sie sich, wir sind endlich gerettet, ein Schiff kommt auf uns zu. Spätestens in einer Stunde werden wir an Bord, in Sicherheit sein. Hurra!«

Der kleine Paul stimmte wacker in den Ruf mit ein, bis sein Vater in freudiger Erregung ihn in seine Arme zog, leidenschaftlich an seine Brust preßte und unter hervorquellenden Thränen ausrief: »Wir sind gerettet! Wir werden leben und nicht verschmachten, mein geliebtes Kind, wir sind gerettet! Gott sei tausendfach gedankt dafür!« Dann sank er, seinen Sohn noch in den Armen haltend, bewußtlos auf die Decken zurück.

Das Schiff war ein norwegischer Dreimaster »Freya.« Man hatte von ihm aus ohne Zweifel die Schiffbrüchigen schon längere Zeit beobachtet, denn es braßte sein Segel back, daß der Wind voll auf ihre Flächen wirken konnte und kam rasch näher.

Vom Dreimaster angerufen, setzte Pieter dem Kapitän ihre Lage auseinander, worauf dieser alle Anstalten traf, die Schiffbrüchigen aufzunehmen.

Richard Werner, unfähig, sich zu erheben, wurde sorgsam von zwei Matrosen an Bord gebracht und sofort in einer Kajüte gebettet, während Pieter, den kleinen Paul im Arme, leichtfüßig die ihm zugeworfene Strickleiter erkletterte.

Als alle untergebracht waren, rüstete der Dreimaster seine Segel wieder und nahm seinen früheren Kurs, der nach dem fernen Indien führte, auf, die letzten Schiffbrüchigen des ›Grant‹ in treuer Obhut gerettet an Bord.


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