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Ruf ins ungewisse

Es giebt Stimmungen, die sich nur in Gleichnissen beschreiben lassen.

Ein Spaziergang ins freie Feld an einem wolkenfreien Oktobermorgen. Wald und Hügel am Horizont in zarten, bläulichen Nebel gehüllt, weiter als sonst in die Ferne gerückt, scharf umrissen freilich, aber fremd, wie einem Erdteil angehörend, in dem noch immer der längst entflohene Sommer webt.

In solcher Stimmung erscheint uns wohl unsre eigene, sonst so sehr reale Gegenwart wie eine ferne Vergangenheit.

Da tauchen denn natürlich die Spitzen aus dem Nebel: Federbüsche, Ritterhelme, Gala-Degen, Hof- und Jagduniformen, Kostümbälle und Fackeltänze; ein luftiges Bilderbuch statt der trockenen Zeitungsberichte.

Diese niedliche bunte Welt bedeutet vielleicht nur die Hülle für sehr viel Gediegenheit und Tüchtigkeit. Allein der gravitätische Ernst und das wichtige Zeremoniell haben doch ein schwer auszusprechendes Etwas gemeinsam mit dem Einzüge der Gäste auf der Wartburg in einer Tannhäuseraufführung, wo wir das Theaterpersonal allzugenau kennen. Und wenn nun gar hier und da ein falscher Bart sich lockert, anonyme Briefschreiberei und dergleichen bekannt wird – –

Aber wir nehmen sogleich innerlich Partei für unsre Masken, wenn die rauhen Bässe der Unentwegten und die Fistelstimmen ihrer Schützlinge von der Börse den Chor anstimmen: o wie schlecht sind die vom Hofe und wie gut sind wir von der Demokratie!

Unser Bilderbuch ist uns viel lieber, als der Anblick der gepriesenen »Mehrheit«, wie sie, nachgerade in allen modernen Republiken der schonenden Hülle beraubt, in ihrer ganzen unschönen Nacktheit dasteht.

Wir haben auch mehr als genug vom »freien Spiel der Kräfte« und der segensreichen Wirkung der »Auslese«.

Sehen wir uns nur die Leute an, die im modernen Daseinskampfe immer ausschließlicher obenauf gelangen!

»Alle haben heute schlaue Augen« sagte Nietzsche mißmutig. »Und sehr viele haben dabei schwache Schienbeine« hätte er hinzusetzen können. –

Schwache Schienbeine haben ja nun freilich die Sporthemdmänner jenseits des Kanals nicht, die unsre Unentwegten uns als kaum je zu erreichende Idealgestalten vorweisen. Aber wir bedanken uns doch für dies Vorbild. Viel zu stark ist schon jetzt die Einwirkung der beefeaters auf die Formen unserer Gesellschaft. –

Wir sind geneigt, unsre Vorfahren, die vor 2 bis 3 Jahrhunderten gelebt haben, für gesunde und tüchtige Leute zu halten, aber doch im Vergleiche mit uns für nicht viel mehr als Barbaren. Indessen kann einem nachdenklich zu Sinne werden, wenn man die von Velasquez und van Dyk (wenn auch wohl veredelt, so doch nicht frei erfunden) uns überlieferten Gesichter mit denen unsrer heutigen ersten Gesellschaft vergleicht – von der französischen Aristokratie der letzten 150 Jahre vor der Revolution ganz zu schweigen.

Wie kommt das? Was hat überhaupt eine erste Gesellschaft als solche zu leisten?

Ueber Genußsucht, Verschwendung, Frivolität in diesen Kreisen zu donnern, überlassen wir den Neidischen und den Philistern. Nur zweierlei muß die erste Gesellschaft bewahren: viel Grazie und Geschmack, und ein bissel Geist. Das hat sie früher auch gethan. Aber heute?

Die Mode, deren tollste Launen man hingehen läßt, da ihre einzige, aber auch Tod-Sünde Geschmacklosigkeit heißt, macht aus dem Manne hier einen formlosen Mehlsack, dort einen König Nußknacker, dem die Straßenjugend huldigend zujauchzt, wenn er sich außerhalb einer Großstadt betreffen läßt; aus dem Weibe bald eine aufgespannte Raupe, bald eine groteske Ungestalt, eine turmartige Anhäufung von Filz, Federn, Sammt und was weiß ich, das Haupt gekrönt mit dem Kopfputze eines Maorihäuptlings in vollem Kriegsschmuck.

Der Sport, bei den Griechen der Erzeuger höchster Körperschönheit, auch bei uns in früheren Zeiten wenigstens Former jener Schönheitsabart, für die es nur das Fremdwort Eleganz giebt, ist nun, unter der Hegemonie der Footballmänner aus dem Lande der high church, zu einem wüsten Akrobatentum erniedrigt.

Die gewaltsamen, verzerrten Bewegungen dieses entarteten Sports überträgt die Mode auf die Umgangsformen, schließt sich auch der herrschenden Reglementiersucht voll Eifers an, indem sie z. B. die Bewegung des Grußes bis auf den Millimeter vorschreibt, damit nur ja keinem so viel Freiheit erlaubt sei, daß er die andern durch Grazie ärgern könnte.

Geist – – – – – –?

Beobachtet man nun ferner, wie sie in diesen Kreisen einander für die Ehe suchen, nämlich nicht nach Schönheit, Anmut, Liebenswürdigkeit, oder doch zur Erhaltung einer herrschenden Rasse, sondern fast einzig aus Geldinteressen; so denkt man mit Grausen daran, wie ein jetzt schon allzuhäufig gesehener Typus immer mehr herrschen wird: niedere Stirnen, vornübergebeugte Nacken, schleudernde Armbewegungen – – ein Zukunftsbild, das man sich lieber nicht gar zu deutlich ausmalt. –

Es ist kein Zweifel: dies ist das vornehme Publikum nicht, das der Litteratur not thut. Die Zeiten sind vorbei, wo die Künstler sich um ihre Förderung an eine geschlossene erste Gesellschaft wenden durften und mußten.

Wer heute nach einem vornehmen Publikum sucht, der ist in einer schlimmen Lage. Er ist darauf angewiesen, sein Wort in die Welt gehen zu lassen und dem Zufall anheimzustellen, ob es in die richtigen Ohren fällt. Er darf es nicht mit lautem »Hört hört« hinausbrüllen, denn vornehme Leute lieben das nicht, das Wort Sensation bereitet ihnen eine widrige Empfindung.

Er darf es nicht versuchen, die Aufmerksamkeit durch kühne Bereicherungen der Schriftsprache mit Wörtern wie »blubbern« auf sich ziehen zu wollen, denn vornehmen Leuten ist eine so ordinäre Behandlung der deutschen Sprache ein crimen laesae majestatis; sie empfinden Ehrfurcht vor dieser Sprache, in der Walther von der Vogelweide, Luther, Goethe, Schopenhauer zu uns geredet haben.

Er muß es ferner im Gefühl haben, daß die sich bekanntlich bei jeder Gelegenheit vornehm nennenden Uebermenschen die echten Plebejer sind.

Er muß sich überhaupt wohl hüten, sich allzu »wunderbar zu erdreisten«, denn vornehme Leute schätzen wahrlich nicht das moderne als solches, sondern lassen im Gegenteil das allerneueste sehr skeptisch an sich heran kommen.

Er darf endlich nicht mit überladenem Putzwerk, unechtem Theatergold kommen, aber auch nicht etwa glauben, mit Armut und Dürftigkeit etwas zu erreichen, denn vornehme Leute schätzen soliden Reichtum.

Aeußerlich zu erkennen sind sie nicht, diese vornehmen Leute, und sie werden auch allgemein gar nicht für vornehm gehalten.

Sie finden sich in allen Ständen. Sicherlich auch unter jenen ersten Zehntausend. Aber da wohl am wenigsten, und am meisten da, wo sie niemand sucht: Unbekannte, mühselig aber ergeben sich durch die Welt schlagende Künstler; Gymnasiallehrer in weltentlegenen Provinzialstädten; Beamte, die zu nichts besonderem gekommen sind, weil sie es vorgezogen haben, ihre Mußestunden mit brotlosen Beschäftigungen auszufüllen, statt ihre ganze Kraft auf Beförderung zu richten, und sonst einsame Menschen, hier und da wohl auch so ein Einsamer in einer Großstadt.

An diese Leute ist auch mein Ruf »Mehr Goethe« gerichtet. Ich muß es dem launischen Winde überlassen, ob er ihnen die leichten Blätter zuweht.


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