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Greis oder Kind?

Die Aesthetischen im Lande haben gute Zeit. Sie dürfen von »neuesten Reizen« und »zartesten Sensationen« flöten; und sie dürfen sich ganz verlieren in unerhört tiefsinnigen Betrachtungen, wie uns von den dumpfigen, lichtlosen, engen Kellerwohnungen der Naturalisten die Sehnsucht übermäßig hinwegdrängen muß – zu Licht, Kraft und Schönheit? Nein, zu Herrn Mäterlink. Ich muß hier ein Lob für alle modernen Dramatiker einschalten.

Die Petrefakten einer längst überwundenen Kulturstufe, die Jugendwerke der großen Genies, haben einen Fehler gemeinsam: sie sind überladen. Am frühesten hat wohl Goethe, am spätesten Schiller den Fehler überwunden, aber zu thun hatten sie alle mit ihm. Ihr höchstpersönliches, geniales, ihren Reichtum schöpften die Geborenen mühelos aus dem Boden; was sie zu lernen hatten, war Beschränkung.

Unsere Modernen haben das nicht nötig. Sie thäten übel, wollten sie sich noch mehr beschränken. Ihre Aufgabe ist vielmehr die entgegengesetzte. Wer ein modernes Drama durchgelesen hat und das gelesene überdenkt, wird dem Hexenmeister seine Bewunderung nicht versagen, der ein so winziges Tröpfchen Geist in so viele Druckseiten auseinanderzuziehen wußte.

Herrn Mäterlink gebührte hier ein Ehrenpreis, gestiftet von Vätern, die Lust haben, ihre Söhne dramatische Dichter werden zu lassen.

– – – – – – – – –

Ein großer Garten. Ein Schloß. Erleuchtete Fenster. Schattenhuschen. Unten im Garten tragen sie einen Toten herbei. Er gehört ins Schloß.

Das ist ein Drama.

Nicht etwa, daß ein geistiger Inhalt da wäre, – wie der Dichter darüber denkt, werden wir gleich sehen.

Aber die Stimmung! heißt es.

Nun ja, es ist Stimmung darin.

Großer Shakespeare! Der du Scenen wie diese mit verschwenderischer Hand wer weiß wie viele für jedes deiner Dramen aus der Fülle deiner Blüten pflücktest! Hat sich das große Licht deines Geistes in kleine Funken zerstreut, um in fin de siècle = Hirnen kurzlebige Lichterchen ausflackern zu lassen?

Shakespeare! Herr Mäterlink hat ihn hinabgethan. Hören wir ihn selbst.

»Diese Lebensauffassung (nämlich der vor Herrn Mäterlink berühmt gewesenen Bühnenwerke) war einfach, hart und brutal. Ein getäuschter Gatte, der seine Frau tötet, ein Weib, das seinen Liebhaber vergiftet, ein Sohn, der seinen Vater rächt, eingekerkerte Bürger und die ganze traditionelle Erhabenheit – ach so oberflächlich und materiell, Blut, Thränen, Tod, alles äußerlich.«

Was setzt der Moderne dieser »Einfachheit« entgegen? Nun natürlich eine unerhörte Kompliziertheit.

»Alles, was man sagen kann, ist nichts in sich. Man lege in eine Wagschale alle Worte der großen Weisen und in die andere die unbekannte Weisheit dieses vorübergehenden Kindes, und man wird sehen, daß die Enthüllungen Platons, Marc Aurels, Schopenhauers und Pascals nicht um Haaresbreite die großen Schätze der Unbewußten überwiegen werden; denn das schweigende Kind ist tausendmal weiser, als der redende Marc Aurel.«

Was Herr Mäterlink hier etwas umständlich und dafür desto zarter verkündet, drückt ein wohlbekanntes Studentenlied derber, aber auch schlagender aus: Laßt uns den Verstand versaufen, denn was nützt uns der Verstand!

Man könnte für das »schweigende Kind« auch einen in der Sonne liegenden Hund setzen, oder einen vor sich hintrottenden Droschkengaul. Denn das Unbewußte wird wohl in allen dreien vertreten sein.

»Eine Zeit wird vielleicht kommen, wo unsre Seelen sich ohne Vermittelung der Sinne erblicken lassen.«

Ja, das wird schön. Die Aetherischen im Lande brauchen ihre Empfindungen dann nicht mehr auf die Folter des plumpen Wortes zu spannen. Sie können die Feder weglegen. Wenn sie's nur auch thun!

»Es steht fest, daß sich das Reich der Seele täglich mehr verbreitet ....

Es hat Geschichtsperioden gegeben, in denen die Seele, unbekannten Gesetzen zufolge, gleichsam an der Oberfläche der Menschen auftaucht und ihr Dasein und ihre Macht unmittelbar kundgiebt.«

Wir einfachen und brutalen haben nun nachgerade genug von der »Seele« und fragen äußerlich und materiell: Wie haben jene Geschichtsperioden ausgesehen? Dagewesen sind sie, darin hat Herr Mäterlink zweifellos recht. Gerade bei uns in Deutschland hat vor wenigen Jahrhunderten das »Unbewußte« wahre Orgien gefeiert. Aber ich will es keinem von uns Kindern des neunzehnten Jahrhunderts, deren Gehirn durch das leidige »Bewußte« so empfindsam geworden ist, wünschen, daß ihn ein Zauber in diese Zeit zurück führte: die Ohren beleidigt das Winseln Gefolterter, die Nase der Geruch verbrannten Menschenfleisches.

Da hilft nichts, Herr Mäterlink: es bedeutet allerdings einen Sieg des »Wortes« über das »Unbewußte«, daß der »Hexenhammer« heute seine Gesetzeskraft verloren hat.

Immerhin, wir sind gespannt. Das alte Drama, in dem wir bislang die höchste Blüte der Dichtung bewunderten, ist Herrn Mäterlink zu oberflächlich, materiell und äußerlich. Seine unbekannte Weisheit muß also ein Abgrund an Tiefe, ein Sphärenlied an Innerlichkeit, eine Offenbarung gewissermaßen des Weltgeistes selber sein. – – –

Eine Familie um einen Tisch. In der Kammer daneben eine kranke Wöchnerin.

Beängstigende Vorzeichen. Es fällt etwas hin. Draußen bellt ein Hund. Der blinde Großvater fürchtet sich sehr. Mit dem Schlage Mitternacht ist die Wöchnerin tot. Der blinde Großvater hat's gewußt.

Hm, hm. So so. Das ist ja –

Was da! Das ist eine neue Sensation!

Eine uralte Burg. In den Gärten ists schaurig dunkel. Und diese Wälder, diese Wälder um das ganze Schloß! Ein altes Thor wird geöffnet, es ist eigentlich nie aufgemacht. Oh! oh! wie das kreischt. Ah! ah! es geht auf!

..............

Ein kleines Mädchen an einem alten, verfallenen Brunnen. Ein riesenhafter Ritter, Golaud heißt er, findet es: dir hat wer Leids angethan?

Oh! oh! Ja, ja, ja! ......

Den Grund des Wassers im Brunnen hat noch niemand gesehen. Er ist vielleicht so tief wie das Meer. Woher es kommt, weiß keiner. Vielleicht kommt es ganz aus dem Erdinnern ...

Herr Golaud reitet im wilden Tann. Auf einmal benimmt sich sein Gaul ganz unsinnig. Ob er etwas außergewöhnliches sieht? Herr Golaud hört's zwölf Uhr schlagen. Beim zwölften Schlage schrickt das Tier plötzlich zusammen und läuft wie blind und toll gegen einen Baum. Herr Golaud stürzt ...

Eine Felsgrotte. Drinnen ein Pfad zwischen zwei Seen, deren Tiefe noch nicht ergründet ist. Hinten in der Grotte sitzen drei weißhaarige Alte und schlafen ...

Die ganze Burg steht auf riesigen Grotten. Darin ist ein kleiner unterirdischer See. Ein Todesgeruch steigt aus ihm auf. Da unten arbeitet etwas im stillen. Etwas das keiner ahnt, und in einer schönen Nacht wird die ganze Burg versinken. – – –

Nachgerade wissen wir, denke ich, Bescheid. Und wir lassen uns willig gefangen nehmen von dem Zauber, der uns aus diesen Scenen anweht. Ist es doch eine gar liebe Erinnerung, die da lebendig wird; die Erinnerung an die längst vergangene Zeit, da wir unsre alte Kinderfrau umstanden und mit köstlichem Grausen ihre hochgezogenen Augenbrauen ansahen und ihrem halblaut-scheuen Gemurmel zuhorchten: von Stimmen, die gehört wurden, als Nachbars Lenchen so jung sterben mußte, von Brunnen, die unermeßlich tief sein sollen, bis in den Mittelpunkt der Erde, von tiefen, tiefen Wäldern ...

Und wir bemerken nicht ohne Genugthuung, daß wir schon als Kinder ein so feines litterarisches Verständnis für zarte Sensationen und neueste Reize gehabt haben. Freilich so gebildet wußten wir uns nicht auszudrücken. Wir sagten: Spukgeschichten! Aber dasselbe war es doch.

Wer will das Unbewußte wegleugnen? Wir nehmen es hin, daß wohl einmal eine Stimme aus Jenseits von Raum und Zeit zu uns redet. Aber nur selten hören wir sie, und nur in stiller, höchst bedeutender Stunde.

Sie verliert leicht ihre Weihe, wenn wir sie von unserm Parkettsitze aus vernehmen, und der leise Hauch, der ihr Wesen ausmacht, wird weit über seine Kraft angestrengt, wenn er nicht als Episode schattenhaft anklingt, sondern ein ganzes Drama hindurch gehört werden soll.

Wir halten die Stimme auch nicht für echt, wenn sie, statt geheimnisvoll zu unsrer – Seele meinetwegen zu reden, sich solcher Kulisseneffekte bedient, wie Klopfen des Holzwurmes und Bellen der Hunde; diese Art des »Unbewußten« überlassen wir allerdings den Kinderfrauen.

Goethe ist auch hier das edelste Vorbild. In dichtester Nähe seines Grabes packt den alten Faust das »Unbewußte«. Vom Aberglauben sieht er sich »früh und spät umgarnt.« Er gerät noch dazu in den Zustand, der nach Mäterlink am empfänglichsten macht für jene unheimlichen Stimmen, er erblindet.

Da richtet er sich auf, unbekümmert um das nächtliche Wesen, zu freier That schaffender Arbeit. Und siehe, der ganze Spuk verschwindet.

So spricht ein Mensch zu uns und ein Dichter. An einem Manne aber, für welchen dies Schattenwesen den allein wahren Inhalt des Lebens bildet, sollte unsre Welt, diese harte und starke Welt der Arbeit, nichtachtend vorübergehen; und ich hoffe noch immer, sie wird das auch thun, trotz alles Hochdrucks, mit dem für diese zarteste Blüte der »Moderne« gearbeitet wird.

Herrn Mäterlink aber ist zu raten, wenn er sich denn einmal nicht zum Fleisch und Blut des lebendigen aufraffen kann, wenigstens offene Karte aufzulegen und nicht zu thun, als führe er uns in eine neue Welt ein, an deren Pforte vor ihm keiner gerührt hätte. Totenköpfe soll er auf die Bühne bringen, Gespensterrosse, Eulen mit rotglühenden Augen, oder wenigstens verrostete Dolche, an denen ein Fluch haftet, Ahnfrauen, die sich unheilverkündend aus der Gruft erheben, wie Grillparzer gethan hat. Dann könnte doch wenigstens ein Drama daraus werden.

Ein Ideal hat Herr Mäterlink erreicht: was er uns bringt, hat sich nie und nirgends begeben.

Aber bei den Klassikern ist diese zeit- und ortlose Kunst die allerschwierigste. Die gemeine Befriedigung der Neugierde muß ersetzt werden durch den geistigen Inhalt und den Adel der strengen Form. Diese letztere ist ja von der »Moderne« und mit ihr von Herrn Mäterlink längst abgethan, – ob sie drüber oder drunter stehen, kommt schließlich auf den Standpunkt des Zuschauers an. Und was den geistigen Inhalt anlangt, so hält bekanntlich Herr Mäterlink ein schweigendes Kind für weiser als den redenden Denker, was ja wohl häufig zutreffen mag.

Und ich will es abwarten, ob im Laufe der Zeit einer seiner Lobredner in einem seiner Stücke einen Gedanken ausweist, – es sei denn, daß man Orakelsprüche wie die, daß schließlich Jeder thut, was er nicht lassen kann, als Gedanken gelten läßt. Freilich sind ja in dieser Hinsicht die Ansprüche der »Moderne« von einer lobenswerten Bescheidenheit.

Und so hätte Herr Mäterlink aus der schwierigsten Kunst die leichteste gemacht.

Aber es ist noch nicht einmal wahr. Diese Menschen, die ah, ah und oh, oh stöhnen, wenn ein altes Thor geöffnet wird, die sich fürchten, zusammenschauern, leiden, alles ohne zu wissen weshalb und wieso, gehören in eine ganz genau bestimmte Zeit, nämlich ins Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Und sie gehören von Rechtswegen auch an einen bestimmten Ort, nämlich in eine Nervenheilanstalt.

Ein einzig Mal geschieht etwas in dem ganzen Drama »Pelleas und Melisande«, und da bemerken wir erstaunt, wie der Dichter »einfach und brutal« wird: ein betrogener Ehemann schlägt den Liebhaber tot.

Um nun aber in Frieden von Herrn Mäterlink zu scheiden, möchte ich ihm am Schlusse den Dank aussprechen für eine Bereicherung der Umgangsprache.

Wir sind oft in Verlegenheit, wie wir es ausdrücken sollen, daß wir irgend jemand für eine »Seele von einem Menschen« halten, daß aber leider seine geistige Entwickelung mit der seines Gemütes nicht Schritt gehalten habe. Litterarisch Gebildete werden sich künftig verstehen, wenn sie in solchem Falle sagen: er ist voller unbekannter Weisheit.


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