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Die Schneidigen

Daß unsere Dramatiker niemals überladen sind, mag ein verletzendes Lob sein, eine dem ordentlichen und fleißigen, wenn auch mittelmäßig begabten Schüler erteilte Eins, oder wie immer man es nennen will, jedenfalls giebt es eine Ausnahme.

Der Verfasser des Epos Vom großmütigen Helden Arminius – o, Verzeihung: der Verfasser der Dramen »der neue Herr« und »die Quitzows«, obwohl fleißig und Ordnung liebend wie Einer, mag anstellen, was er will, er wird immer überladen sein. Aber damit allein erringt man sich noch keinen Platz unter den Unsterblichen.

Die großen Genies sind in ihren Anfängen überladen aus Reichtum, etwa wie der Barockstil; Wildenbruch ist es aus Armut, nicht unähnlich einer neumodischen Villa, der der Bauspekulant durch Zement und Stuck von außen und innen das Aussehen eines Herrensitzes zu geben sucht.

Patriotismus ist sicherlich ein erhebendes Gefühl. Aber es ist schwierig, Stunden lang ausschließlich zu fühlen, und noch dazu immer dasselbe. Wenn es einen ganzen Theaterabend anhalten soll, müßte das Gefühl von Zeit zu Zeit durch einen Gedanken abgelöst werden. Das sollte Wildenbruch wirklich einmal versuchen.

Das fortgesetzte hohe Pathos ist schon bei Schiller nicht immer leicht zu ertragen, wo es doch so häufig der Ausdruck hoher Gedanken ist. Aber wie es jedem Kunstgefühl ins Gesicht schlagen würde, wenn man eine Doppelreihe schwerster dorischer Säulen verwenden wollte, um einen leichten Holzbalkon zu tragen, so empfinden wir Wildenbruchs schweres, anspruchsvolles Pathos bei dem völligen Mangel an Gedanken als schmählich verthanen Aufwand.

Frei von jener Unsicherheit, die das eigene Urteil und damit der Zwang zu prüfen, auszuschichten, Maß zu halten nun einmal mit sich bringt, läßt er seine Gestalten in den unförmlichen Stiefeln dieses hohlen Pathos einherstampfen, einerlei ob Hofleute, Kriegsknechte, oder Jungfrauen.

Ein siebenzehnjähriges Mädchen, ein Kind aus dem Volke, und zwar aus dem Volke des 14. Jahrhunderts, klagt über eine Gewaltthat, die man gegen ihren Vater verübt hat: ».... und nichts bleibt, als der Schrei eines Weibes, verhallend in der Wüste der Zeit!«

Man kann ja von der litterarischen Zukunft noch so manches erwarten. Aber hier ist, denke ich, doch wirklich einmal ein Gipfel der Geschmacklosigkeit erreicht.

Und doch kennt der Dichter, wenn ihn die Laune anwandelt, in demselben Stücke ein unfehlbares Mittel, die treuherzige Schlichtheit der kleinen Leute aus dem 14. Jahrhundert im Lichte historischer Echtheit darzustellen: er läßt sie in dem seinem Publikum so traut klingenden Berliner Straßendialekt reden.

Aber das Schlimmste, das Unverzeihliche ist seine Art, die Fürsten der Vergangenheit zu schildern.

Man glaubt ungern an eine bewußte Fälschung der geschichtlichen Wahrheit (ich meine selbstverständlich nicht der Thatsachen). Aber es hält schwer, bei einem Manne, der sich doch mit der Geschichte befaßt haben muß, eine so völlige Abwesenheit auch nur des allerschwächsten Anschauungsvermögens anzunehmen. Nein, viel schlimmer als gar keine Anschauung; sollte es möglich sein, daß er selber sich durch seine Brille täuschen läßt, daß er die fingerdicke Lackfarbe des neuzeitlichen Patriotismus für echt hält, mit der er die Ahnen überzieht? Wie kann man überhaupt Geschmack finden an einer »Idealisierung«, die Menschen aus Schmiedeeisen in bunte Nürnberger Puppen verwandelt?

Fürsten des Mittelalters, die ein neues Land erworben hatten, sanken nicht vor dem Sande in die Kniee und hielten schwungvolle oder gar empfindsame Reden fürs Publikum. Als Herren fühlten sie sich und waren es auch; kluge, ja weitsichtige und deshalb nützliche Herren, aber nicht Schönschwätzer ohne Saft und Kraft nach Art unsrer Parlamentarier von der Sorte, die sich lächerlicher Weise für den Nachfolger des mittelalterlichen Bürgertums hält.

Es gießt nur eine plausible Erklärung: Wildenbruch weiß ganz gut, wie unecht das alles ist, aber er hält es für seine Bestimmung, ein patriotischer Dichter zu sein, und da sieht er nur den einen Weg – seinem Publikum gegenüber.

Wiederum ist man erstaunt, wie hoch über dem heutigen das Londoner Theaterpublikum zu so alter Zeit, der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, gestanden haben muß – abgesehen natürlich von den Berlinern, diesen treuen, gewissenhaften und strengen Hütern einer hohen Kunstüberlieferung.

Welche Härte, welche Wildheit in Shakespeares Königsdramen!

Mehr fast, als das Klirren der Waffen, hallt der dumpfe Fall des Henkerbeiles über die Bühne, begleitet vom schrecklichen Frohlocken des triumphierenden Gegners. Durch das Toben der Leidenschaften, des Hasses, des Liebesverlangens, der Gier nach Besitz, des Ehrgeizes, des Machtwillens, zieht sich nur ganz selten ein Ton selbstloser Vaterlandsliebe.

Aber gerade weil nichts beschönigt ist, empfinden wir die Königsdramen noch heute als Ausdruck einer gewaltigen Volkskraft. Wir glauben an diese trotzigen Barone, die dem Leben eines Landedelmannes von sehr großem Besitze das blutige Würfelspiel um die Königsmacht vorzogen; eben darum glauben wir auch an den Patriotismus, der sich niemals vordrängt. Und, was mehr als das bedeutet: auch Shakespeares Publikum glaubte daran; die Königsdramen waren als patriotische Stücke beabsichtigt und schlugen als solche durch.

Freilich uns fehlt die einheitliche Geschichte. Aber Goethe hat uns doch gezeigt, wie auch aus deutschem Mittelalter ein vaterländisches Drama zu holen ist: Ein deutscher Kaiser, der das Beste will, im Kampf mit Pfaffen und Vasallen, unterstützt von einem auf seine reichsunmittelbare Freiheit stolzen Edelmann, der doch ein treuer Unterthan des Kaisers ist, und das Muster eines ritterlichen Deutschen.

Ich weiß wohl, daß auch dies Bild aus deutscher Vergangenheit sehr stark idealisiert ist. Allein das gesunde, echte, kernige der Ahnen bleibt doch gewahrt; es weht uns der Erdgeruch vaterländischen Bodens entgegen, und Götz von Berlichingen ist ein patriotisches Drama.

Aber so paßt es dem heutigen Publikum nicht. Es giebt da keine Gelegenheit zu schneidigem Hurrah und zum Vigilieren, wo sich etwa ein Mangel an ordnungsmäßiger patriotischer Begeisterung zeigt.

In Bereitschaft sein ist alles. Näher und näher rückt ein Unhold an uns heran.

Schon formiert ein Artillerist noch viel klobigere Dramen als Wildenbruch.

Wer kann sagen, ob und wo es eine Schranke giebt für die Raserei der heutigen Geschmacksverhöhnung?

Wer will dafür einstehen, daß das gräßlichste vermieden wird, daß wir dem Drama vom neuen deutschen Reiche entrinnen?

Nur um eins möchte ich dann den mit dem Lorbeerkranze um die Mütze bitten, welcher Waffengattung er auch angehören möge: lassen Sie Bismarck aus Ihrem Drama fort!

Wir wissen ja jetzt, wie wenig er zu Deutschlands Größe beigetragen hat. Auch hat er 1866 die Kameraden um den Wiener Einzug gebracht.

Und ernstlich, es ist auch sonst keine dankbare Aufgabe.

Jene Augenblicke aus Deutschlands jüngster Vergangenheit, in denen sich wohlvorbereitetes gewissermaßen zu einer gewaltigen Scene verdichtete, wie Bismarcks Mitteilung der französischen Kriegserklärung an den norddeutschen Bundestag, da statt der Antwort die Mitglieder sich erhoben und die Wacht am Rhein sangen, und so vieles andere, was an sich sehr Wohl im Drama zu verwerten wäre, – was soll man da noch Hinzuthun? Der größte Dichter könnte die schlichte Darstellung der Wirklichkeit nicht überbieten. Unsre modernen aber könnten die großen Erinnerungen höchstens verhunzen.

Und Bismarck?

Schiller, der alte Bühnenpraktikus, wußte was er that, als er sich zum Helden seiner grandiosen Trilogie nicht eine der Nationalgrößen aussuchte, sondern den Feldherrn, dessen Bild aus wilder, verworrener Zeit nur unklar, gleichsam im Dampfe der Geschütze und im Rauche brennender Dörfer verschwimmend aus die Nachwelt überkommen war.

Das Bild des Mannes, den die Welt den Eisernen nannte, und der doch, als er dem Reichstage den Tod Kaiser Wilhelms amtlich mitteilte, nicht weiter lesen konnte, so daß während einer minutenlangen Totenstille in dem Saal, der so oft von der Stimme seines Zornes erfüllt war, kein Laut gehört wurde, als sein Schluchzen – dies Bild, wohlthuend, man möchte sagen mit künstlerischer Weisheit noch heller und plastischer hervorgehoben durch die Wut der Pfaffen und Liebknechts, muß der Bühne auf Menschenalter, auf Jahrhunderte entzogen bleiben.

Als Goethe in Italien den Tod des großen Friedrich erfuhr, schrieb er in sein Tagebuch: wie gern ist man stille, wenn ein so Großer zur Ruhe gegangen ist.

Das ist die rechte Empfindung.

Bismarcks Leben war ein so reich ausgefülltes und ausgenutztes, wie es nicht in jedem Jahrhundert einem Manne beschieden ist. Die Natur hat ihren großen Sohn behütet vor jenem langsamen, kümmerlichen Verfallen, das schon so manches ehrwürdige Bild vor der Nachwelt entstellt hat. Müde zwar, übersatt vom Leben und Menschen, aber in großer Klarheit ist er ins Grab gesunken.

Da ist kein Raum für weinerlichen Kummer, wie wenn der gute alte Onkel Piepenbrink nun doch endlich gestorben ist. Aber auch nicht für schwungvolle Lieder, und am allerwenigsten für ein Drama.

Da giebt es nur ein echtes Gefühl; eine große Stille.


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