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Eine Dämmerung

»Das Naturell der Frauen ist so nah mit Kunst verwandt!«

»Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!«

So stehen sich Goethe und Nietzsche gegenüber. Dem Kenner ist dies ein Fingerzeig, wer von den Beiden die größere Macht über die Weiber gewinnen mußte.

Damit ist freilich noch nicht gesagt, wer von ihnen Recht habe. Goethe hat die Frauen gekannt wie vielleicht kein Anderer. Nietzsche wußte kaum mehr von ihnen als ein Säulenheiliger. Dennoch hat er in allem und jedem einen so starken Einfluß auf sehr viele gewonnen, daß man seine Meinungen nicht ohne weiteres bei Seite schieben kann. Sollten vielleicht die Frauen andere geworden sein?

Sicherlich hat Goethe mit jener Stelle, die beginnt »Zierlich sind wir anzuschauen –« nicht sagen wollen, die Frauen wären besonders geeignet, die Kunst auszuüben. Sondern er hat jenes »Ewig-Weibliche«, eben »Naturell« gemeint, das im Gegenteil in Gefahr gerät, seinen Schmelz zu verlieren, wenn die Frau sich des Künstlerischen allzu bewußt wird.

Zu Goethe's Zeit waren die Frauen nun noch nicht auf Wissenschaften und Künste losgelassen. Es klang noch nicht veraltet, von ihrem Naturell im Gegensatz zur männlichen Kraft zu reden.

Man wird bekanntlich mit dem Alter konservativ. (Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß der Begriff konservativ die »Staatserhaltenden « von heute nicht bezeichnet). Je mehr Anschauung nämlich man gewinnt, desto weniger konstruiert man sich die Welt a priori nach Theorien. Das ist freilich ein karger Gewinn. Denn jene Theorien sind durchweg edel und großartig, und sie haben den Vorzug, daß sie sich mit einem Minimum von geistiger Anstrengung aneignen lassen.

Wer erinnerte sich hier nicht an die treffliche Suttner und ihren Weltfrieden!

»Die Bahn frei für Alle! Das Weib zeige, was es kann! Ueberholt sie euch, so habt ihr Unrecht gehabt, sie so lange gewaltsam zurückzuhalten. Bleibt sie hinten, so schadet sie euch nicht.«

Das klingt so selbstverständlich, so rudimentär gerecht! Man muß auch wirklich von jedem frischen Knaben bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahre verlangen, daß er sich für Frauenrechte begeistert.

Wer aber das Weib kennt, wenn es den Zwang der alten Sitte, der aus Jahrhunderten, Jahrtausenden vererbten Zucht abstreift, wer es erlebt hat, wie ein Augenblick der Zügellosigkeit genügt, um das anmutige »Naturell« in wüstes Mänadentum zu verwandeln – der ruft nach Langsamkeit! Um Himmels Willen langsam! Wenn das Unheil geschehen, das Heer entfesselt ist, wer will sich dem Tosen entgegenstellen?

Sicherlich ist die Frauenemancipation auf die Dauer nicht aufzuhalten. Allein ebenso gewiß bedeutet sie, wie jeder Kulturfortschritt, eine Loslösung von der Natur. Die Zeit des Uebergangs wird immer unerfreulich sein. Aber wenn sich dieser so jäh vollzieht, wie es die Volksrednerinnen und Tendenzschriftstellerinnen verlangen, ist sie mehr als unerfreulich, ist sie unerträglich.

Es ist den Fakultäten nicht zu verdenken, daß sie sich mit Händen und Füßen gegen das Eindringen der Frauen wehren. Gewiß, es mag viel, sehr viel Brodneid dabei im Spiele sein; und gewiß haben die Vorkämpferinnen der Frauenbewegung, selber maßvoll und unparteiisch, alle Ursache, dies der Gegenpartei vorzurücken.

Aber in der Sache: Unter tausend Weibern ist kaum ein Einziges imstande, an einer wissenschaftlichen Entdeckung, an einer künstlerischen That reine Freude zu empfinden. Sie müssen, wie die Kinder, etwas persönliches hinzuthun, und sei es auch nur die Genugthuung über ihren Zuwachs an »Bildung«.

Zu Medizinern allenfalls mögen die Frauen passen. Freilich gilt hier der tiefsinnige Spruch: wer't mag, de mag't, un wer't nich mag, de mag't ja woll nich mägen.

Als Richter dagegen – Gott stehe uns bei! Ein Weib und Gerechtigkeit!

Und der Advokatenstand? Sollen wir wünschen, daß noch mehr in causes célèbres »gemacht« wird? Soll das Recht, vielleicht das ernsthafteste, was wir an menschlichen Dingen kennen, noch theatralischer behandelt werden?

Mindestens eine Generation müßte erst als Unterbeamte, Gerichtsschreiber und Anwaltsgehülfen fungiert haben, bevor man das nüchterne, starre, eisenharte Recht den Händen von Frauen anvertrauen könnte.

Dies freilich sind zuletzt nur Vermutungen. Auf einem Gebiete aber haben wir schaudernd erlebt, was es heißt, von den Mänaden überrast zu werden: es ist die Litteratur.

Da sind sie eingebrochen mit dem Gekreisch »Modern! Evoë, modern!« und es bleibt nichts übrig, als bei Seite zu treten, das Haupt zu verhüllen, und den Schwarm vorüber toben zu lassen – einmal muß ja doch die Schlaffheit nach dem Rausche eintreten.


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