Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Gewissenhaften

»Hofrat Schmitzdorf, ein magerer Herr mittlerer Größe, Ende der Vierzig, mit glattgekämmtem, schwarzen Haar, rasiertem Gesichte und schmalem Backenbärtchen, in neumodischem, stahlgrauen, offenen, langen Salonrock, weißer Weste, violett gestreiftem Sommerhemd, weißem, hohen Stehkragen und breiter, grünseidener Halsbinde.« – – Einem ordentlichen Bureauchef muß bei diesem Satze das Herz aufgehen: Das ist ein Steckbrief, wie er sein soll! Und der Stil! Den Satz mögen sich die jungen Leute, die des altbewährten Kanzleistils überdrüssig geworden sein zu dürfen glauben, unters Kopfkissen legen! – »stellte den blanken, englischen Seidenhut auf das Entreetischchen unter den Spiegel, legte die breitnähtigen, orangegelben Glacéhandschuhe hinein, warf einen kurzen Blick in das von japanisch rot lackierten Rahmen eingefaßte Glas und ging langsam über den braunen Kokosläufer den mit einer Menge alter Porträtstiche geschmückten Vorsaal hinunter.« – Hm, hm. Schade, der Stil ist wirklich ausgezeichnet, das Signalement mustergiltig, auch die Oertlichkeit gut beschrieben. Aber der letzte Passus gehört doch nicht in einen Steckbrief! Sollte der Herr Staatsanwalt –

Oder sollte in dem Schriftsteller Wilhelm Wolters ein Staatsanwalt stecken?

Aber nein, man thäte diesen Beamten unrecht. Sie wissen, worauf es bei einem Thatbestande ankommt und was unerheblich ist.

Wilhelm Wolters ist höchstens ein gewissenhafter Subalternbeamter, dem sein Vorgesetzter ausnahmsweise die selbständige Abfassung eines Protokolles anvertraut hat, und der nun ängstlich auch den geringfügigsten Umstand feststellt: man kann nicht wissen, ob der hohe Vorgesetzte – das lesende Publikum – nicht gerade dies festgestellt wissen will.

Offenbar ist diese überladene Beschreibung das gerade Gegenteil von anschaulich. Wir sehen den Herrn Hofrat nur während einiger Sekunden; aber wir sehen ihn bis auf die Nähte der Handschuhe, und dabei sollen wir noch auf ein Entreetischchen, das japanische Rot eines Spiegelrahmens, einen braunen Kokosläufer und eine Menge alter Porträtstiche achten.

Im Verlaufe der Erzählung verfaßt Wilhelm Wolters unter anderm folgendes Protokoll:

Geschehen
auf der Eisbahn.

Gegenwärtig: Er und Sie.

»Sind Sie müde?« fragte er.

»Nicht sehr.«

»So ruhen wir etwas aus.« Sie blieben stehen und sahen einander in die Augen.

»Ich glaube, Sie sind gewachsen,« sagte er.

»Finden Sie?«

»Ja wohl.«

»Das freut mich.«

..............

»Sie studieren noch in Leipzig?«

»Noch zwei Jahre.«

»Ah.« (!)

»Wollen wir wieder?« ( scil. Schlittschuh laufen).

»Ja.« (!)

..............

»Wie geht es denn ihrer Frau Mutter?«

»Danke, ganz gut.«

Die Musiker hatten eine Pause gemacht, jetzt begannen sie von neuem.

»Hören Sie?« fragte er. »Wissen Sie, was das ist?«

Sie nickte: »Ich weiß.«

»Es war doch hübsch.«

»Ja, hübsch war es.«

Sie schwiegen.

»Machen Sie diesen Winter auch viele Bälle mit?« begann er nach einer Weile.

»Nein, gar keine.«

»Aber Gesellschaften?«

»Auch nicht.«

 

»Hab ich nun auch wirklich nichts vergessen?« mag Herr Wolters denken, wenn er solch ein Protokoll beendet hat.

Nein, vermutlich nicht. Am besten müssen das die Backfische beurteilen können, und die werden solche Stellen wohl »einfach himmlisch« nennen.

Daß sich ein erwachsenes Publikum dafür findet, erscheint zunächst unbegreiflich. Aber es giebt doch eine Erklärung. Wenn Wilhelm Wolters als einzelner so schreiben wollte, würde selbst der deutsche Normalleser sich ihn nicht gefallen lassen.

Allein sobald man ihm sagt: »aber mein lieber, das ist ja eine Richtung,« liegt die Sache wesentlich anders. Er wird sich dann schämen, diese Richtung nicht gekannt zu haben, wird entschlossen zu Ende lesen und seine unbedingte Billigung zu erkennen geben.

Aber wie nennt sich diese Richtung? Wo ist ihre Heimat? Wer der liebe Vater?

Ja, das ist sonderbar genug. Der Führer dieser Spießbürger der Litteratur ist kein anderer als er, in dem lieb Publikum entweder einen Teufel oder einen Halbgott sieht, der aber in Wahrheit ein fleißiger und tüchtiger Pedant ist: Zola.


 << zurück weiter >>