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Ein alter Kunstgriff

Ist nun ein halb Jahrhundert und drüber, da war alle Welt demokratisch. Man liest ja in Bismarcks Erinnerungen zwischen den Zeilen, wie er damals in den Augen eines jeden, der sich der »großen Probleme der Zeit« bewußt fühlte, eine lächerliche Figur war, – wie viele der Braven mögen wohl bis zum seligen Ende des Glaubens geblieben sein, der von Bismarck wäre im Vergleich mit ihnen ein dummer Kerl!

Selbstverständlich waren auch die Schriftsteller demokratisch. Aber hieß das nicht Eulen nach Athen tragen? Wie konnten sie schreiben, was alle Welt dachte und sagte, ohne langweilig zu werden?

Nun, ganz einfach: indem sie eben dies, daß man überall ihrer Ansicht war, ableugneten. Sie thaten, als ob noch alle Welt unter dem Drucke des Adels seufzte, und nur hier und da einmal ein Streiter wider Standes-Vorrecht und -Vorurteil aufträte, der natürlich tragisch endete.

War ein erfreulicher Schluß erwünscht, ließen sie die Liebe über die Vorurteile des Standes triumphieren.

So kämpften sie unerschrocken gegen den Feudalstaat, den es allerdings nicht mehr gab; und die Leser desgleichen wurden sich ihres eigenen Mutes und ihrer Erhabenheit über das sonst allmächtige Vorurteil angenehm bewußt. Was wunder, wenn der Erfolg großartig war!

Man sollte es nicht für möglich halten, daß Romane solchen Inhaltes heute noch geschrieben und ernsthaft genommen werden, aber es ist Thatsache. Daß es auf den Brettern immer noch wirkt, kann nicht wunder nehmen: die heutige Bühnenkunst ist eben für den Geschmack der Menge zugeschnitten.

Wer nun aber seine Zeit versteht, verwandelt den demokratischen Kämpfer in die strebsame Jungfrau, die zum Entsetzen ihrer Angehörigen studieren will. Die wird der »guten Gesellschaft« mit der wohlbekannten inneren Hohlheit gegenüber gestellt. Es empfiehlt sich, daß die Gesellschaft auch materiell unterwühlt ist: Die Mutter der strebsamen ist die verschwenderische Weltdame, der Vater der redliche aber schwache Mann, am besten der hohe Beamte, der seine Einkünfte der Repräsentation opfert. Beide Eltern, der Vater allerdings von der Mutter gezwungen, sagen sich halb und halb von der Tochter los, um ihr am Schlusse die Rettung vom Ruine zu verdanken.

In Wahrheit urteilt man heute ganz allgemein wohlwollend, anerkennend über Frauen, die etwas leisten; es gehört schon ein Entschluß dazu, sich offen als Gegner des Frauenstudiums zu bekennen. Es ist unglaublich, wie viele Romane jährlich gedruckt und gelesen werden, in denen am Schlusse die Heldin siegreich zur Universität zieht.

Mit diesem Schlusse siegt aber auch der Roman, und wenn sein Inhalt lauterer Blödsinn ist.


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