Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Zweiunddreißigstes Capitel.

Emil sollte Recht behalten: es war der letzte schöne Herbsttag, den sie gehabt. Schon zeigten sich einzelne Schneeflocken zwischen kalten Regenschauern. Garten und Wiesen und Wasserspiegel waren fast unsichtbar aus den grau umdüsterten Schloßfenstern und wer nicht verpflichtet war, durch ländlichen Beruf, einen eiligen Gang über die Hofräume zu wagen, blieb von Herzen gern im warmen Gemache.

Herr von Schwarzwaldau saß mit Carolinen 180 beim Caffee. Es war fast gegen zwölf Uhr Mittags. Sie hatten lange geschlafen.

»Du bist heute nicht so frohen Muthes wie gestern, Emil? Macht das trübe Wetter auf Dich so trüben Eindruck, oder sind es wieder die dummen Geldgeschichten, die Dir im Kopfe liegen?«

»Beides, meine Beste, beides. Was man bei heiterem Sonnenschein mit heit'rem Sinne leicht zu nehmen vermag, sieht an grauen Tagen grau und düster aus. Es wird vorüber gehen; Ein's mit dem Andern.«

»Ich hatte in vergangener Nacht einen sonderbaren Traum und weil ich gar so fest und anhaltend geschlafen, muß ich mich wundern, daß er mir dennoch im Gedächtniß blieb. Wahrscheinlich bin ich kurz nachher auf einen Augenblick erwacht, ohne mich jetzt an dieß Erwachen zu erinnern, obgleich der Traum zu meinem Bewußtsein kam. Ich wähnte Dich vor meinem Lager am Boden zu sehen, eifrig bemüht, die Ducaten zu zählen, die Du aus meiner Chatoulle genommen. Ich fragte Dich im Traume: Wie hast Du das künstliche Schloß geöffnet, und Du entgegnetest: mit diesen Nägeln! Dabei zeigtest Du die Hände her und statt der schöngeformten Nägel, die sie zieren, wuchsen aus allen Fingern lange 181 rostige Eisennägel hervor, von denen einige krumm gebogen die Dienste von Dietrichen versehen hatten. Das war schauerlich und es ›gruselt‹ mich noch, wenn ich mir den garstigen Anblick zurückrufe. Ich habe mir's überlegt, jetzt, während ich mit dem Frühstück auf Dich wartete: ich will aus eigenen Mitteln in Ordnung bringen, was Dich zunächst bedrängt. Wozu erst mit dem Vater debattiren? Ihn wollen wir in Anspruch nehmen, wenn Du ihm sein Adelsdiplom ausgewirkt hast. Was meinst Du zu diesem Vorschlage?«

»Ich meine, daß Du die großmüthigste, edelste, beglückendste Gattin bist, – die ich nicht verdiene; deren ich mich nicht würdig halten darf.«

»Sei immer wie Du gestern warst, und vorgestern – dann darfst Du Alles von mir fordern, dann bist Du jedes Opfers werth!«

»Wirklich, Caroline? Jedes Opfer willst Du mir bringen? Also auch das immer wiederkehrende Gedächtniß des – Todten, der mich mit Eifersucht erfüllt?«

»Ah, Du meinst jene alberne Vision? Wer weiß, wen ich da gesehen habe! Ich war eben verstimmt, fühlte mich einsam, entbehrte Deine Gegenwart. Bleibe Du stets in meiner Nähe, dann wird 182 der Todte sich mir nicht zeigen. Du kennst die sichersten Mittel, jedes Gespenst zu bannen.«

»Dann, wohl uns! Dir, wie mir! – Nun, Geliebte, einen Ritt hinaus in das Unwetter, nach der Schäferei des Vorwerks hinüber, wo sie mich heute gewiß nicht erwarten und wo ich sie überraschen kann, was der eifrige Landwirth gerne thut! Dann wieder Dein Sclave!«

»Mein Gebieter! Und bleibe nicht lange aus!« Er jagte über Stock und Stein, durch Wind und Regengüsse, wie wenn berittene Teufel ihm auf den Hacken wären!

»Stürme nur, treibe nur dicke Wolken vor Dir her, verhülle nur Himmel und Sonne! Das thut mir wohl!«

Frau von Schwarzwaldau wollte nicht zögern, ihr halbes Versprechen ganz zu erfüllen. Sie holte die Chatoulle unter dem Bette hervor. Was diesem nicht großen Kästchen das bedeutende Gewicht verlieh, waren nicht bloß Ducaten; es waren Goldmünzen der unterschiedlichsten Länder, Zeiten und Gepräge; was nur von seltsamen, theuren Dingen dieser Gattung in Reichenborn's Hände gerathen war, hatte er, gleichviel wie kostbar, eingekauft für ›Linchens Sparbüchse.‹ Die Spielerei war zuletzt in Liebhaberei und 183 endlich gar in die Gier eines Goldmünzen-Sammlers übergegangen. Als er Carolinen vor ihrer Vermählung die ›Sparbüchse‹ übergab, erwähnte er ausdrücklich, daß die Hälfte der darin zusammengehäuften Stücke aus wirklichen Cabinetsstücken bestehe, deren einzelne, trotz ihres reellen Geldwerthes vielleicht dreifachen Werth als Raritäten besäßen. Daran erinnerte sich jetzt Frau von Schwarzwaldau. Sie beschloß mit Emil zusammen eine genaue Musterung der goldenen Vließe anzustellen, sobald er von der Musterung seiner Wollen-Vließe im Vorwerke wieder da sei. Was historische Bedeutung, oder den Reiz der Curiosität habe, solle für's Erste reservirt, die gewöhnliche Masse gangbarer Münzen solle versilbert werden. Sie freute sich kindisch, dieses Spiel, welches sie als Kind oft mit den Eltern getrieben, heute als verheirathete Frau mit ihrem Gatten spielen zu können. »Gebe Gott, daß ich es auch einmal mit meinem Kinde spielen kann!«

Und als sie bedachte, wie nahe vielleicht eines so natürlichen Wunsches Erfüllung wäre, nahm sie sich vor, die ›Sparbüchse‹ nicht gar zu heftig zu plündern. Sie wußte ja selbst nicht, was sie besaß? Hatte niemals Antrieb empfunden, das genaue Verzeichniß zu durchlesen, welches von Vaters Hand 184 geschrieben oben auf lag. Heute empfand sie diesen Antrieb. Sie nahm den Schlüssel zu ihrem Secretair unter dem Uhrkasten heraus und steckte ihn mechanisch – (ihre Gedanken weilten noch bei dem, unter spanischen und mexikanischen Doublonen wühlenden Kinde!) – in das von einem elfenbeinernen Herzen umkränzte Schlüsselloch; aber sie gelangte nicht dazu, ihn umzudrehen. Der Widerstand lenkte ihre Aufmerksamkeit dem Schlosse zu und sie entdeckte, daß in demselben ein ungehöriger Gegenstand das tiefere Eindringen des Schlüssels verhindere. Sie versuchte lange Zeit vergebens. Auch das Bemühen, mit einer Stricknadel herauszubohren, was etwa zufällig in die kleine Oeffnung gerathen sein und dieselbe verstopfen möchte, erwies sich fruchtlos.

»Das ist doch unbegreiflich!« sprach sie – und ihr Traum wachte wieder auf. »Sollte Emil alles Ernstes versucht haben . . . .? Sollte ich in der That, wenn auch im Schlummer, wahrgenommen haben, was ich für Traum hielt? Es scheint ein Stückchen Eisen zu sein, worauf die Nadel stößt? Wie von einem abgebrochenen Schlüssel? Aber mein Schlüssel ist unverletzt. Und niemand als Er hat von gestern Abend bis zu meinem Erwachen diese Schwelle betreten. Folglich muß . . .«

185 Sie ging in höchster Spannung nach Emil's Arbeitszimmer, um zu erproben, ob ihr Schlüssel des Gatten Secretair öffne? Die Probe fiel bejahend aus: auf den ersten Versuch gelang sie.

»Er hat, von seiner Geldnoth gepeiniget, der Arme, erforschen wollen, ob die geizige Frau nicht im Stande wäre, ihm beizustehen! Das zufällige Uebereinstimmen der zwei verschiedenen Schlösser ist ihm förderlich gewesen. Er hat meine Schübe durchsucht nach dem Cassettenschlüssel, und das heimliche Fach nicht entdeckt. Ich habe mich geregt, er ist erschrocken, im Schrecken hat er den Bart abgedreht. So ist es. Unfehlbar. Und was ist's denn Arges? Hat er nicht, streng genommen, ein Anrecht an mein Eigenthum, welches auch das Seinige ist? Liegt nicht in diesem heimlichen Spüren nach meinen kleinen Schätzen ein gerechter Vorwurf, eine stumme, dennoch beredte Anklage gegen Diejenige, die ihm so lange vorenthielt, was er bedarf? Er that es in guter Absicht: um sich zu überzeugen, ob er wagen dürfe, sich an mich zu wenden, weil er des Vaters kleinliche Weigerungen fürchtet. Nein, er verdient keinen Tadel. Ha, wie froh bin ich, daß ich ihm als selbsteigenes Anerbieten schon entgegengebracht, wonach er sich sehnt! – Doch er hat mir mein Schloß verdorben, und 186 Strafe muß sein. Dafür durchstöbere ich nun seine Geheimnisse und Gott sei ihm gnädig, finden sich getrocknete Blumen, alte Locken von jungen Köpfen, verblichene Bandschleifen, oder gar zerknitterte Liebesbriefchen, kurz irgend etwas von jenem Krame vor, was Stoff zu Neckereien bietet!«

Nichts von ähnlichen Dingen war vorhanden, wie emsig auch die Nachsuchung betrieben ward. Die beschriebenen Papiere, die zerstreut und ungeordnet übereinander lagen, enthielten litterarische Excerpte und Auszüge aus lyrischen Dichtern. Der Anfang eines Tagebuches aus der Knaben- und ersten Jünglings-Epoche schien flüchtiger Uebersicht völlig unbedeutend und gewann nur einiges Interesse durch das mit rother Schrift eingetragene Motto: vulnerant omnes, ultima necat, und einige Tropfen, welche auf die Vermuthung führten, der lateinische Ausspruch sei mit Blut geschrieben. – »Er wird sich beim Federschneiden den Finger verletzt haben!«

Schon wollte Caroline, unbefriediget, wieder schließen, da gewahrte sie, im Winkel des großen mittleren Schubfaches ein Paket von länglicher Form. Allerlei Zeitungsbogen und andere bedruckte Papiere waren mit Bindfaden zusammengebunden. Sie griff danach, wog es in der Hand und glaubte ein gewaltiges 187 Messer gefunden zu haben? Sie lösete die vielfach verschlungenen Schnüre, streifte die Hüllen ab – wobei ihr eine wohlbekannte Bade-Liste in's Auge fiel, – und hielt einen eigenthümlich gestalteten Dolch, an dessen, mit fremdartigen Figuren bezeichneter Klinge röthliche Streifen schimmerten. Die äußerste Spitze war abgebrochen. Dennoch hätte eine feste Hand wohl immer noch vermocht, tödtliche Stöße mit diesem Stahle zu führen.

»Was sollen die Dummheiten,« – sagte sie; – »was hat eine alte Waffe, an der das Blut Gott weiß welches Seracenen, oder andern Heiden klebt, unter Abschriften deutscher Dichter zu thun? Das Ding gehört in eine Sammlung von Curiositäten, neben vergiftete Pfeile und ausgedörrte Schlangenhäute. Ich nehm' es ihm weg und er bekommt es nicht wieder. Es ist unheimlich.«

Sie nahm ein Stück Kienholz aus dem Korbe am Kamin, wickelte dieses in die vorhandenen Blätter, gab dem Ganzen die vorige Form und legte es an seinen Ort. Dann schloß sie den Secretair, begab sich auf ihr Zimmer, verbarg die vom Streifzug heimgebrachte Beute im Wäschkasten unter invaliden Hemden und Strümpfen und schickte nach dem Schmied im Dorfe, damit dieser das Schloß ihres Secretairs 188 in Ordnung zu bringen versuche. Wie es zu diesem Zwecke mit plumpen Fäusten mehr aufgebrochen, als künstlich geöffnet worden, (der abgebrochene Schlüsselbart fand sich richtig vor,) staunte Caroline über die Unordnung in ihren Juwelen- und anderen Schmuckkästchen. Alles war durcheinander geworfen. Sobald sie sich erst überzeugt, daß nichts fehle, rief sie mit leichterem Herzen: »Er hat tüchtig umhergekramt, mein guter Emil, und doch nicht entdeckt, wo der kleine Drache, der den Schatz bewacht, seine Höhle hat: – fürwahr, zum Diebe ist er verdorben!«

Eben griff sie tastend nach dem in einem versteckten Winkel angebrachten Knopfe, auf den gedrückt werden mußte, sollte der Deckel des heimlichen Faches aufspringen, schon ungeduldig, daß sie den richtigen Punct nicht sogleich zu treffen vermochte, – da meldete ihr Kammermädchen, aufgeregt und ängstlich, wie jemand, der etwas Entsetzliches zu berichten weiß, daß der Mühlbauer im Schlosse sei und dringend mit dem Herrn zu sprechen wünsche.

Nun war zufällig, nur wenige Tage vorher, die Rede von einem Processe gewesen, der zwischen besagtem Mühlbauer und dem Dominium in Aussicht stehe. Jener, dessen Mühlwerk zum Theil durch Zuflüsse aus dem sogenannten See im Garten 189 getränkt werden mußte, sollte es in trockenen Jahren nicht müssig stehen, behauptete steif und fest, er habe Anrechte darauf, weil bei Anlage des künstlichgebildeten Wasserspiegels ein Bächlein aus der alten Bahn geleitet und aufgefangen worden sei, welches seinen Vorfahren, lange eh' der Park gegründet ward, dienstbar gewesen: folglich gebühre ihm, was er bedürfe. Das Dominium hatte in Person des Amtmannes dagegen geltend gemacht, daß die Ansprüche der Mühle, hätten solche dereinst bestanden, längst verjährt seien und daß die Herrschaft seinetwegen, wenn es überall an frischem Wasser fehle, ihren schönsten Platz im Parke nicht durch einen halbleeren See entstellen lassen werde.

Emil hatte sich, seit Agnesens Tode, um diese fortdauernden Zwistigkeiten nicht bekümmert. Auch der Amtmann hatte im Eifer nachgelassen und zwei Jahre lang ruhte der Streit, der mit der Einkehr einer neuen Schloßfrau erst wieder Bedeutung gewann, da ihretwegen der Park die vorige Pflege erhalten sollte.

Caroline meinte, der Besuch des Müllers gelte dieser Angelegenheit und der Mann wolle sie bitten, daß sie ein gutes Wort einlege, um den langwierigen Proceß beiden Partheien zu ersparen; deßhalb 190 habe er eine Stunde gewählt, wo er sie allein zu finden wußte, weil er den Herrn ausreiten gesehen? Sie fand das verständig und ließ ihn vor. Was lag ihr am See im Garten? Was lag ihr an jener Lieblingsbank Agnesens, wo die Thränenweiden sich über das Grab der Vorgängerin neigten? Fest entschlossen, auf die Seite des Mühlbauers zu treten, empfing sie ihn. Und als er ohne weitere Vorbereitung gleich beim Eintritt in's Zimmer ausrief: »Ich bringe gar was Schreckliches!« sagte sie lächelnd: »Es wird wohl so erschrecklich nicht sein?« Worauf er folgenden Bericht erstattete:

»Ich sollt' es eigentlich dem Amtmann melden thun, da der doch Polizei-Districts-Commissair spielt; weil ich aber mit dem Menschen nichts mehr will zu schaffen haben, denn er gönnt seinem Nebenmenschen nicht den Bissen Brot und nicht den Tropfen Wasser, also komm' ich zum gnädigen Herrn. Denn wer kann wissen, daß der bei einem Wetter wird spazieren geritten sein, wo man keinen Hund vor die Thüre schickt, ohne Noth? Und verschwiegen darf es nicht bleiben und anzeigen muß man's, sonst kann unser Einer Verdruß kriegen. Mit Mord und Todschlag ist nicht zu spaßen. Sie haben halt Einen umgebracht und haben das Cadaver in den 191 Mühlgraben geworfen. Wer es ist, kann ich nicht sagen, nur bekannt kommt er mir vor, wie wenn ich ihn schon gesehen hätte; weiß aber nicht, wohin ich ihn bringen soll? Lange liegt er noch nicht im Wasser, so viel kann man sehen. Und freiwillig hinein gesprungen, ist er wohl auch nicht!«

Caroline ließ sich Mantel und Shawl geben, setzte eine Regenkappe auf, zog Ueberschuhe an die Füsse und sprach entschlossen. »Führt mich dahin, Mühlbauer, wo der Leichnam liegt; ich will ihn sehen!«

Sie folgte dem Manne durch Dick und Dünn. Schon von Weitem hörte sie das Klappern des alten Storches, welcher vom Regen durchnäßt, zitternd vor Kälte, bei dem Todten stand.

»Der muß ihn kennen!« sagte der Müller; »er weicht nicht von ihm. Wer des Thieres seine Sprache verstände, der würde gleich wissen, woran wir sind. Nicht wahr, Hannsel?«

Gleich beim ersten Anblick verstummte Caroline, die auf dem Wege noch manche Frage an ihren Führer gerichtet hatte. Sie blieb, wie wenn sie selbst zur Leiche geworden wäre, vor der Leiche stehen, die starren Augen auf deren entstellte Züge geheftet. Der Mühlbauer fragte, ob der Todte ihr kenntlich 192 sei? Keine Silbe kam über ihre Lippen. Der Revierjäger hatte sich eingefunden. Er schlich zum Mühlbauer heran und flüsterte diesem etwas in's Ohr. »Meiner Seele, ja!« erwiderte der Andere. Dann trat wieder dumpfes Schweigen ein. Nur Hanns der Storch unterbrach es bisweilen durch zorniges Klappern.

»Dort kommt der Amtmann,« sagte der Revierjäger.

Caroline ging. Der Storch mit ihr.

Am Eingange zum Mühlen-Grundstück traf sie mit dem Amtmann zusammen.

»Die gnädige Frau haben sich bemüht? . . .« fragte dieser . . .

Sie wies zurück: »Dort, Herr Amtmann! Der Herr ist abwesend; vollziehen Sie eiligst, was die Gesetze vorschreiben. Es ist ein Mord geschehen!«

Sie sagte das so kalt und gleichgiltig, daß Derjenige, welchem sie es sagte, unmöglich ahnen konnte, was dabei in ihr vorging. Auch hielt sie sich fest, bis sie in ihrem Zimmer angelangt, die Kleidung gewechselt und ihre Dienerin mit den durchweichten Hüllen hinausgeschickt hatte. Dann, allein, ihren stürmenden Gedanken überlassen, schritt sie, laut redend, auf und ab:

193 »Der ist's gewesen, den ich für Gustav's Gespenst hielt! – Er sieht ihm jetzt ähnlicher, als je; auch noch als Leiche. Die Haare sind dunkel gefärbt. – Er ist gekommen, alte Rechte geltend zu machen. – Seine Anwesenheit war es also, die Emil peinigte. Daher die Geldnoth! Deßhalb der ernstlich gemeinte Versuch, über meine Chatoulle zu kommen, den ich geneigt war, für einen Scherz auszulegen? – Ich bin an einen Betrüger verheirathet; an einen Dieb. Die Zärtlichkeit dieser letzten Tage war berechnet. Seine Liebe ist Lüge, Verstellung. – Welche Gewalt mußte der Landstreicher über ihn haben, so gemeine, entehrende Absichten in einem Manne von seiner Bildung und Erziehung hervorzurufen! – Ein fürchterliches Geheimniß waltet zwischen ihnen. – Irgend eine gemeinsam begangene Unthat? – Ein Verbrechen? Gott sei uns gnädig: der Dolch, den ich fand! – Und Gustav's Wunde – Und die unauflöslichen Widersprüche der Neuländer Wirthin, die den Ermordeten mit dem Mörder in den Wagen steigen sah? – Und die Leiter im Hofe? – Es ist Franz gewesen, der mit Emil zusammen meinen Bräutigam überfiel; es ist Franz gewesen, der in des Abgeschlachteten Mantel verhüllt, das Gasthaus verließ; es ist Franz gewesen, den sich 194 Emil mit großen Summen vom Halse geschafft und der jetzt dennoch wiederkehrte, neue Forderungen zu machen, die unbefriediget zu Drohungen führten! – Es ist mein Gatte gewesen, der auch diesen seinen Mordgesellen ermordete und in's Wasser stieß! – Ich bin das Weib eines Mörders, eines Räubers, eines blutigen Verbrechers!«

Sie gerieth in wüthende Verzweiflung! Sie tobte und rasete, bis sie ermattet darnieder sank. Da wurde sie ruhiger. Die Wuth ging in Wehmuth über. Gustav's bleiche Gestalt, eine klaffende Wunde im Herzen, stieg vor ihr auf. Sie streckte ihm, als ob er wirklich vor ihr stände, beide Arme entgegen und schluchzte: »Verzeihung!« Aber auch ihr Gemal zeigte sich den verwirrten Sinnen und mahnte sie an manche Stunde beglückenden Vereines.

»Warum hast Du den Freund getödtet?« wollte sie fragen; . . . da schwanden die täuschenden Bilder und sie war wieder allein in ihrem Elend.

»Was beginn' ich nun? Auf wessen Seite soll ich treten? Bin ich verpflichtet, mich dessen anzunehmen, dessen Namen ich führe, der meines Kindes Vater sein wird? Oder hab' ich den zu rächen, der mich auch die Seinige nannte, dem ich gehörte? Soll ich dem heimkehrenden Gatten entgegenrufen: 195 Hebe Dich von mir, an Deinen Fingern klebt Blut? Oder soll ich ihm sagen: entdecke Dich Deinem Weibe, daß es versuche Dich zu retten? – Nein! Keines von Beiden! Ein's wie das And're unausführbar, unmöglich! Ist mein schauderhafter Argwohn begründet; sind die entsetzlichen Combinationen, die sich mir aufdrängen, mehr als Spiel erhitzter Einbildungskraft, so ist er verloren; – mit einem Doppelmörder kann ich nicht leben und sein. Ist es nicht, dann darf er niemals erfahren, daß ich diese Gräuel ihm zugemuthet; sonst müßte er mich von sich stoßen, als ruchlose Mörderin seiner Ehre. Er kann unschuldig sein! Deßhalb werde meiner Seele qualvolles Ringen einem Dritten vorgehalten, daß dieser mit unbefangenem Urtheil entscheide, was geschehen muß! An den Justizrath will ich schreiben, der die Untersuchung in Neuland führte; der schon einige Briefe mit mir gewechselt; der sich einsichtsvoll, besonnen, theilnehmend bewährte. Jedes Wort will ich abwägen, jeden Ausdruck bedenken. Nichts für, nichts wider; einzig und allein die Sache, wie sie steht. Mehr kann ich nicht thun, und auch nicht weniger. Den Ausgang lege ich in Gottes Willen.«

Sie schloß ihre Thür und verfaßte einen langen, ausführlichen Bericht, worin sie mit vollständiger 196 Klarheit den Gang der Vorfälle und Ereignisse zusammenstellte, durch welche sie auf ihre unheilbringenden Muthmaßungen geleitet worden. Als sie durchlas, was sie geschrieben, bemerkte sie, es herrsche in diesem schriftlichen Aufsatze ungleich mehr ein Bestreben vor, sich und den Empfänger von der Nichtigkeit jener Muthmaßungen, als umgekehrt ihn und sich von Emil's Schuld zu überzeugen. Mit diesem Tone des Briefes war sie vollkommen zufrieden: »Der Mann des Gesetzes soll nur durch mich erfahren, was hier geschehen! Wie es geschehen sein kann und durch wen? Und in welchem Zusammenhange Schwarzwaldau mit Neuland steht? Dieß zu prüfen, vielleicht zu ergründen, bleibe seine Aufgabe. Die meinige ist erfüllt.«

Sodann befahl sie, daß man ihren halbgedeckten Wagen anspanne; untersagte dem Kammermädchen auf's Strengste, dem gnädigen Herrn von dem verdorbenen Schlosse ihres Secretairs und der Arbeit des Dorfschmiedes zu sagen; und setzte sich ein, sobald nur die Kutsche vorfuhr.

Sie sei auf eine Stunde nach Thalwiese hinüber, (solle man dem Herrn melden,) und werde bald wieder zu Hause sein. – –

Gerade während Emil in den Hofraum des 197 Schlosses Schwarzwaldau einritt und die Meldung entgegennahm, die seine Gemalin für ihn hinterlassen, sprengte aus dem Wirthschaftsgehöfte von Thalwiese ein zuverlässiger Stalljunge, auf seiner Brust ein in Wachsleinen sorglich gewickeltes Schreiben tragend, welches laut beiliegendem Zettel: ›Der Postmeister des nächsten Amtes gebeten wurde, durch Estaffette weiter zu befördern.«

Um acht Uhr Abends saßen Herr und Frau von Schwarzwaldau miteinander am Theetisch.

Er bestätigte, daß der im Mühlgraben aufgefundene Todte in der That kein Anderer zu sein scheine, als der ehemalige Büchsenspanner Franz Sara und setzte hinzu: Nähere Erörterungen würden erst möglich werden, wenn der Criminalrichter, an welchen die Meldung des Amtmannes pünctlich abgegangen, erschienen sei. Er selbst glaube den Jäger Sara zu erkennen, obgleich die Farbe der Haare ihn wiederum irre mache und er durchaus keinen Grund finde, warum der junge Mann sich um's Leben gebracht und gerade hier in's Wasser gestürzt haben könne? Wenn es nicht etwa eine noch mächtige, sentimentale Leidenschaft für die selige Agnes gewesen sei!

Caroline ließ sich auf diesen Gegenstand weiter 198 nicht ein: nahm das Ereigniß wie einen allerdings unangenehmen, aber sie und den Gemal weiter nicht berührenden Zufall und verkündete lebhaft, daß sie einem plötzlichen Gelüsten nicht habe widerstehen können, dem gräßlichen Wetter zum Trotze, nach Thalwiese zu fahren und Emil's Wünsche und Bedürfnisse dem Vater vorzutragen. Dieser sei gewonnen und Alles in Ordnung. »Er wird helfen,« sagte sie lebhaft, »und dießmal gründlich. Das verzagte hinter dem Berge Halten hat ein Ende; und ich habe nicht nöthig, (was ich doch nur im äußersten Nothfall thun durfte!) die Sparbüchse zu plündern.«– Emil war außer sich vor Freude und Dankbarkeit. Daß sie, ehe er ausritt, sich ganz entgegengesetzt geäußert, schien er vergessen zu haben. –


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