Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Fünfzehntes Capitel.

»Ich habe dem Herrn von Thalwiese Beistand leisten wollen; aber mein guter Wille wurde zurückgewiesen. Er schlägt um sich mit Händen und Füssen.« Diese Entschuldigung brachte Jäger Franz vor, als Emil und Agnes ihn lauschend vor Gustav's Stubenthür fanden; worauf er sich sogleich entfernte, mit all' jener demüthigen Unterwerfung, welche er seit der Einweihung des Gefängnisses dargelegt.

Emil wurde durch diese überraschende Begegnung unschlüssig. Der stechende Blick, den der Jäger auf Agnes gerichtet, hatte mehr gesagt, als dessen Mund; hatte verrathen, daß dieser seither unbeachtete und ganz zurückgesetzte Diener nicht aufgehört habe zu erspähen, was um die angebetete Herrin vorging. 200 Emil hatte sicher darauf gerechnet, daß niemand im Schlosse den Besuch seiner Gattin bei Gustav bemerken werde. Von Allen, die der Zufall in ihren Weg führen konnte um diese Stunde, wäre ihm Jeder weniger unangenehm gewesen, als Derjenige, den wahrscheinlich mehr als Zufall, den lauernde Absicht herbeigeführt. Er zögerte, ungewiß ob er nicht lieber umkehren und auch Agnes zurückführen sollte? Diese jedoch machte dem Zweifel bald ein Ende; sie öffnete die Thür und trat hinein, ehe Emil, der ihr die Wahrheit nicht sagen mochte, einen Scheingrund für seine Unschlüssigkeit herbeigesucht. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als ihr zu folgen.

Sie fanden Gustav in seinen Kleidern auf dem Bette liegend, schwer athmend, die Augen geschlossen, weniger einem Schlafenden, als einem bedenklich Kranken, einem Sterbenden ähnlich. Agnes, die entschieden vorgedrungen war und erst durch das spärlich von Emil's Wachskerzen auf das Lager fallende Licht den düstern Anblick gewann, fuhr erschrocken zurück. Emil stellte seinen Leuchter weg, näherte sich dem Bette und sagte leise: »Gustav, Agnes kam selbst um zu fragen, wie Du Dich befindest?«

Der Angeredete gab kein Zeichen des Verständnisses. Als Emil seine Hand zu fassen versuchte, 201 stieß Jener sie von sich und wendete das Gesicht völlig nach der Wand.

»Er glaubt mir nicht,« sagte unwillig Emil, »nun ist es an Dir, Agnes, Deine Gegenwart selbst zu bestätigen.«

Agnes nahm ihres Gemals Platz vor dem Lager ein, während dieser sich zurückzog. Sie redete lange vergebens. Gustav schien auch sie nicht zu hören, oder nicht hören zu wollen. Erst nach und nach drangen ihre Worte, wie sie bittender, inniger wurden in seine verstockte, trotzige Apathie. Der starre Krampf, der sich um seine Brust gelegt und ihn eingeschnürt hatte, fing an sich zu lösen; er ging in leises Klagen und Wimmern über; die Wohlthat der Thränen überkam den Leidenden mit ihrer weichen Hingebung und er öffnete die Augen, feuchte Blicke nach Derjenigen gewendet, die sich flüsternd zu ihm hinabneigte.

In Emil's Herzen schwieg für diesen Augenblick jede andere Regung; er empfand einzig und allein gerührte Theilnahme, sah in Agnesens Benehmen nur aufopfernde Güte einer vollkommen reinen Seele. Um keinen Preis hätte er die Heiligkeit solches Auftrittes als zudringlicher Zeuge stören wollen. Er nahm den Leuchter zur Hand, ließ den Schein der Kerze auf die Wand fallen und widmete – zum Erstenmale 202 seitdem sie da hingen, – den in jenes abgelegene Gastzimmer verwiesenen Schildereien eine Aufmerksamkeit, deren die unbedeutenden Tapeten gewiß nicht würdig waren. Er zwang sich förmlich dazu, nur um die fortwährend Sprechenden nicht zu unterbrechen. Agnes redete jetzt nicht mehr allein. Gustav antwortete, wenn auch in kurzen, abgerissenen Sätzen, deren einzelne Silben zwar unverständlich blieben, deren flehender Klang jedoch dem unwillkürlich Hörenden nicht entging. Schon erlahmte ihm der Arm, der den schweren silbernen Leuchter hoch empor hielt; schon fand sein Auge beim redlichsten Willen an den grellen Bildern nichts mehr zu entdecken; schon sann Emil auf eine passende Aeußerung, womit er sich wieder umkehren und an dieser, das verzogene große Kind beschwichtigenden Versöhnung thätigen Theil nehmen könne? – Da erreichte ihn der von Gustav's Lippen kommende, durch's hohe Gemach säuselnde Hauch: »Agnes!« mit einem so vielsagenden Tone, daß er hastig den Kopf wenden mußte, – mochte er wollen, oder nicht! Und er sah Gustav's Arm um Agnesens Hals geschlungen; sah noch, wie diese sich mühsam losmachte; sich emporrichtete; sah, – oder wähnte gesehen zu haben, – wie ihre Hand auf Gustav's Stirne lag.

203 Es durchzitterte ihn dabei ein unbekanntes, fremdes Gefühl, dem er weder Namen noch Bedeutung, von dem er nicht Rechenschaft zu geben wußte, ob es ihn mit Zorn, ob es ihn mit Wonne erfülle? Jedenfalls raubte es ihm die Sprache; denn er fand kein Wort, sich, wie es seine Absicht gewesen, wieder in's Gespräch zu mischen. Er stand unbeweglich; nur daß die Hand, welche den Leuchter hielt, langsam herab sank, immer tiefer und tiefer.

Agnes mußte das Schweigen brechen.

Sie that es, wenn auch mit bebender Stimme, dennoch mit jener Fassung, welche das Weib auch da noch zu bewahren versteht, wo der Mann aufhört, seiner Bewegung Herr zu bleiben. Sie sagte lächelnd: »Er ist wieder zu Verstande gekommen; er sieht ein, daß er Dir Unrecht gethan, daß Du ihn mit Deinem dummen Buche weder betrüben, noch verhöhnen wolltest; er begreift, daß ähnliche Scenen unser künftiges Zusammenleben unmöglich machen würden; und er hat mir sein Versprechen gegeben, daß so etwas nie mehr geschehen soll. Auch wird er es halten. Nicht wahr, Gustav?«

»Auf Ehre!« lispelte dieser, indem er ihre Hand an seine brennenden Lippen zog.

»Also kein Groll mehr zwischen Euch Beiden,« 204 fuhr sie fort, ergriff den Leuchter und drängte Emil zu Gustav's Bett.

Dieser saß jetzt halb aufgerichtet. Die Haare hingen glänzend feucht über seine Stirn herab, wie nach einem wilden Fieber; die feurigen Augen glänzten zwischen den dunklen Locken hervor, mit unruhiger Gluth. Er streckte dem sich langsam und zweifelnd Nähernden beide Arme entgegen, zog ihn an sich, schmiegte sich an seine Brust, streichelte seine Wangen und versicherte ihn, (was er nie, auch in ihren vertraulichsten Waldstunden nicht gethan,) der wärmsten, hingebendsten Freundschaft, der dankbarsten Anhänglichkeit.

»Welch' ein neuer Geist ist doch über Dich gerathen?« rief Emil. »Welch' ein Stern ist in dieser Nacht an unserem dunklen Himmel emporgestiegen! Wie bist Du auf Einmal ein Anderer geworden!? Wär' es möglich, wär' es denkbar, daß wir Drei, durch ein heiliges, geheimnißvolles, wenn auch jeglichem Fremden unbegreifliches Bündniß, beglückenden Tagen entgegen sehen dürften?« – Er wollte weiter zu sprechen fortfahren, denn er war im Zuge. Doch Agnes, mit dem richtigen Tacte des Geistes und Herzens, wie er nur edlen Frauen eigen ist, empfand alsobald, daß Worte der Erklärung und Auseinandersetzung, möchten es auch die wohlklingendsten sein, 205 diese Stunde nur entweihen, ihren Frieden nur stören könnten. Sie wußte besser, als Emil es ahnen mochte, auf welch' vulkanischem Grund und Boden der Tempel dieses Friedens errichtet war; sah die furchtbaren Erschütterungen wohl vorher, welche das flüchtige Gebäude in Trümmer zu stürzen drohten; weil sie nicht ausbleiben konnten, sobald neue, kühnere Wünsche über die heutige Wehmuth des kaum beschwichtigten, in Wonnethränen verschwimmenden Freundes wieder siegten.

Sie schnitt Emil's Rede ab mit der Aeußerung: »Jetzt lassen wir ihn; er bedarf der Ruhe und diese findet er nur, wenn er allein bleibt.« Dabei ergriff sie den Leuchter, den ihr Gemal fortgestellt, als er sich zum zweitenmale Gustav's Lager genähert, und begab sich aus dem Zimmer, ohne Rückblick. Sie eilte, wie wenn sie länger zu weilen fürchtete und ließ die Freunde im Dunkel zurück. Bald nachher tappte sich auch Emil durch die finstern Gänge; aber nicht, um wie gewöhnlich in seine Gemächer zu treten. Er stellte sich bei Agnes ein, die über des Gatten Erscheinung erschrak, wie sie über einen, aus dem Versteck hervorbrechenden Räuber hätte erschrecken können: »Was willst Du bei mir?« fragte sie.

»Dir danken für das Opfer, welches Du mir 206 gebracht; für die Güte, womit Du meine Bitte erfülltest; für die Nachsicht und Geduld, welche Du daran setzen wolltest, einen Unbändigen wieder zu zähmen, der mir ohne Deine Großmuth verloren war.«

»Und wer sagt Dir, Emil, daß ich großmüthig für Dich allein handelte? Wer bürgt Dir für mein Herz, ob es nicht seinem eigenen Antriebe folgend, denjenigen zu versöhnen, aufzurichten strebte, den es auch sich erhalten wissen will? Woher weißt Du so bestimmt, daß mir Gustav gleichgiltig ist?«

»Gleichgiltig – nun das sag' ich ja nicht. Du bist zu wohlwollend, zu gut, als daß Dir ein gutmüthiger, eigentlich begabter, wenn auch vernachlässigter junger Mann, den ich lieb habe, an den ich nun schon gewöhnt bin, den ich kaum zu entbehren wüßte, gleichgiltig sein könnte. Einem edlen Gemüthe wie dem Deinigen ist kein Mensch gleichgiltig, am allerwenigsten ein harmloser Hausfreund, der Wohlthaten von uns empfängt . . . .«

»– Harmlos? Verzeih', Emil, diese Bezeichnung erscheint mir nichts weniger als treffend. Mir fällt dabei ein, was ich neulich in irgend welchem gedruckten Reiseberichte las, daß im Garten einer durch vielseitigen Kunstaufschwung berühmten Residenz die aus einem Distichon bestehende Inschrift 207 auf dem Postamente einer antiken Statue mit dem Worte ›harmlos‹ beginnt und daß dieses Wort, weil die Oeconomie des Raumes den Steinmetz dazu zwang, allein die erste oberste Zeile bildet. Da nun Dienstmädchen und ähnliche Kunstkennerinnen sich die Mühe ersparten, den classisch-gefeilten Vers weiter zu lesen, so blieben sie beim ›Harmlos‹ stehen, nahmen an, dieß sei der Name des in Stein gebildeten Gottes und bestellen, wenn sie ein abendliches Stelldichein zu geben beabsichtigen, ihre Beglückten in den dunklen Garten, wo er und sie sich beim ›Harmlos‹ finden wollen. Nichtviel weniger harmlos als Jener steinerne dünkt mir unser Gastfreund aus Fleisch und Blut.«

»Einer Caroline gegenüber, die aufrichtig gesagt, in manchen ihrer Eigenschaften an die von Dir erwähnten Nichtleserinnen des Distichons erinnern könnte –«

»Thu' ihr nicht Unrecht, Emil. –«

»Durchaus nicht; doch ich wiederhole: ihr gegenüber wollte ich für Gustav nicht stehen. Aber Du, die mit einem Worte, mit der Senkung oder Hebung eines Augenlides ihn zu beherrschen vermag; deren Uebergewicht um desto mächtiger bleibt, je weniger Du empfänglich bist, Deinem ganzen Wesen 208 nach, für das, was so vielen trefflichen Frauen doch Nebeln ähnlich zu Kopfe steigt und ihnen die Besonnenheit auf Augenblicke zu rauben vermag. – Du hast nie und nimmer zu fürchten; sogar dann nicht, wenn Du dulden wolltest, was Du heute in unaussprechlicher Herablassung geduldet, wie der Arm des Weinenden Dich umschlang, daß er . . . .«

Agnes wurde leichenblaß und glühendroth binnen zwei Momenten. Sie hatte nicht gewußt, daß Emil gesehen, was sie erlebt zu haben gern vergessen hätte. Jetzt nahm sie seine vorhergegangenen Zusicherungen für Hohn. Dadurch wurde sie verführt, ihm höhnisch zu erwidern, was gegen ihren Character war: »Ich konnte ja nicht wissen, wie weit ich als gehorsame Gattin gehen soll und darf, die Launen meines Eheherrn zu befriedigen? Wenn er mich erst einem Anbeter zugeführt, wäre es, sollte ich meinen, nicht an ihm, sich über meine Fügsamkeit zu beklagen; und am wenigsten durch Spott, der mir von allen ersinnlichen Kränkungen die verletzendste ist.«

Emil versicherte, daß er diesen Vorwurf nicht verdiene; daß er an Spott nicht gedacht habe. Doch sie glaubte ihm nicht mehr. Sie beharrte bei ihrem Groll; und daß sie dieß that, weiset allerdings schon auf eine mächtige Veränderung in ihrem Herzen hin. 209 Sie ging noch weiter. Sie lehnte sich gegen den vermeintlichen spöttischen Angriff geradezu auf, indem sie sich selbst noch schärfer anklagte, als Emil es (unfreiwillig) gethan. »Wenn Du,« fuhr sie heftig fort, »die schlechten Bilder an der alten Tapete so aufmerksam zu studiren schienst, um unterdessen heimlich nach uns schielen zu können, so sollte Dir unmöglich entgangen sein, daß wir bei der Umarmung uns nicht begnügten; daß auch seine Lippen die meinigen berührten; daß ich ihn nicht von mir stieß, als er mich küßte.«

»Das hab' ich nicht gesehen,« sagte Emil, gerührt durch den unverholenen Schmerz, der aus ihrer Stimme hervorbrach und ohne welchen sie sich selbst gewiß nicht auf diese unerhörte Art verleugnet haben würde; »das hab' ich nicht gesehen, Agnes; doch hätt' ich es, unter diesen ganz eigenthümlichen Verhältnissen könnt' ich es eben auch nur gebilliget haben; und ich danke Dir, daß Du mir es erzähltest. Ueberhaupt: handle, wie Du willst; thue, was Dir das Rechte scheint; ich werde Alles loben; ich werde nie an Dir zweifeln. Um so weniger, je weniger Du an mir zweifelst; je herzlicher und offener Du mir vertraust. Wir sind ein unglückliches Ehepaar, ich leugne es nicht. Bisweilen hab' ich die Schuld 210 zwischen uns zu vertheilen gesucht; bisweilen hab' ich in trüben Stunden mich als den allein Schuldigen angeklagt? Sei's wie es wolle, es ist einmal so! Vielleicht dürfen wir künftig sagen: es war so? Vielleicht können wir durch innige, unbegrenzte Freundschaft für einander die Zufriedenheit erreichen, welche die Liebe uns leider nicht gewährte. Vielleicht zählen wir von diesem Abende eine neue Periode unseres Daseins? Halte von mir, was Du magst, – nur mißtraue mir nicht; nur wirf nie den Verdacht auf mich, in meiner Seele könne Spott und Hohn Raum finden für diejenigen, die ich achte, ehre, – ja, die ich liebe, – wenn auch nicht im gewöhnlichen Sinne, doch gewiß mit jener Liebe, die man dem Edelsten und Besten auf Erden zuwendet. Schlafe wohl!«

Er drückte einen Kuß auf ihre Stirn und entfernte sich.

»Ach,« sagte Agnes, »warum sind diese Worte eben nur Worte, wie Alles, was er spricht! Warum ist dieser ganze Mensch, sammt seinen unverkennbaren Vorzügen und schönen Eigenschaften, doch eben nur das Einzige nicht, was er sein müßte, um ein ganzer tüchtiger Mann zu sein! Ich weiß nicht, was ihm fehlt? Weiß nicht, woran es liegt, daß jeder Tugend, die er übt, daß jedem Fehler sogar, den er 211 begeht, der Kern mangelt, der innere, feste Haltpunct, der uns, wenn wir ihn im Busen des Mannes ahnend fühlen, sogar mit Lastern und Verbrechen versöhnen kann; der das Weib zur freiwilligen Sclavin ihres Herrn macht; der sie Ketten nicht fühlen, Schmerzen nicht achten, Leiden vergessen, Tyrannei ertragen und sie im Elend lächeln lehrt!? Weiß nicht, was ihm dazu fehlt, – darf mir aber nicht verhehlen, daß dieser Gustav es besitzt; dieser unwissende, mit Emil verglichen gemeine Bursche! – – Und was wird aus mir werden.? Sein Kuß brennt noch auf meinen Lippen – – –«

Sie entkleidete sich, ohne ihr Kammermädchen zu wecken; sie legte sich zu Bett und faltete wohl die Hände. Aber beten konnte sie nicht, – und schlafen noch weniger.

Ob Gustav schlief? – Emil gewiß.


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