Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Dreiundzwanzigstes Capitel.

Wer es gewesen, den Caroline beim Zwielicht für den in Prag nach sich selbst fragenden, Unheil verkündenden Doppelgänger Gustav's zu nehmen überspannt genug war, darüber können wir, der Andeutungen aus Dresden gedenkend, durchaus nicht im Zweifel sein. Franz hatte bemerkt, daß er aus oberen Fenstern beobachtet und belauscht werde. Er stellte also spätere Nachforschungen behutsamer an und wußte es einzurichten, daß in Teplitz, wohin 65 er den Reisenden folgte, niemand ihn sah, während er doch sehr genau erfuhr, was daselbst vorging. Mit der unumstößlichen Gewißheit: Gustav und Caroline sollten Mann und Frau werden, kehrte der Rachsüchtige zu Emil zurück.

Welch' scharfes Gift ließ sich nicht aus dieser überraschenden Nachricht bereiten! Tropfenweise flößte der zum Herrn gewordene Diener die gefährliche Mischung Jenem in die Adern: »Sie werden in Thalwiese wohnen; werden unsere Nachbarn sein; vor seiner Gattin wird er kein Geheimniß bewahren; wird seinen Eidschwur brechen; die Tochter wird es ihrer Mutter vertrauen, diese wird es dem dicken Kaufmann ausschwatzen; die Dienstboten, das ganze Dorf wird davon reden; nach Schwarzwaldau wird es dringen und die Mägde werden sich's hohnlachend in den Kuhställen erzählen!«

»Dem will ich zuvor kommen,« rief Emil in wilder Aufregung; »ich will erst noch einmal vor ihn treten, wie der Geist seiner Vergangenheit, warnend und drohend! Wir gehen, ihn zu finden, ehe es zu spät wird!«

Franz hatte erreicht, was er gewollt. Sie reiseten miteinander ab.


66 Gustav von Thalwiese war, die Wangen mit Carolinens wehmüthigen Wonnethränen benetzt, in sein Gasthaus gekommen, fest entschlossen wirklich sogleich aufzubrechen, doch nicht ganz sicher, ob er nicht unterweges Halt machen und vielleicht in Dresden auf einige Tage Entschädigung suchen werde für den vier Wochen hindurch in seiner Braut und seiner Schwiegereltern Nähe ihm auferlegten Zwang? An Gelde fehlte es ihm ja nicht, Dank sei der Drei, welche sich so widerstandlos in eine Fünf umwandeln lassen.

Noch überlegte er, ob es nicht zweckmäßig sei, wie ein bescheidener Badegast mit halbländlichem Fuhrwerk, ohne Posthornklang und ohne Aufsehen den Schauplatz seines schwererrungenen Sieges über die Philister zu räumen und knüpfte, von der Klugheit solcher Entsagung erfüllt, mit dem Hausknecht ein darauf bezügliches Gespräch an, als er sich bei Namen rufen hörte. Es sind Gefährten aus den Tagen seiner zügellosesten Verschwendung, die da oben neben ihm einkehrten, und ihn, auf den sie hier durchaus nicht rechneten, mit lautem Jubel begrüßen.

Sein Bedauern, ihrer Aufforderung zu lustigem Gelage nicht folgen zu können, weil er ohne Säumen abreisen müsse, wird mit Hohn erwidert. »Du stehst 67 in keiner Pflicht und keinem Amte,« heißt es; »Du hast nichts Besseres zu thun, als Deinem Vergnügen zu leben, und wir verfolgen dasselbe Ziel. Einwendungen werden nicht angenommen. Reise morgen, wenn Du willst; dieser Abend, diese Nacht gehören uns! Du bist uns ohnedieß noch Bericht schuldig über Deine sarmatische Schöne« . . . .

»Um Gotteswillen, schreiet nicht so fürchterlich; aus allen Fenstern gucken neugierige Ohren heraus!«

»Ha, er fürchtet seinen guten Ruf! So ist es wahr, daß er auf Freiersfüssen geht? Wohlan, Bruder Lüderlich, entweder Du bist heute mit uns, oder wir sind wider Dich und zerreißen Deine Renommée dermaßen, daß kein Schneider in Teplitz sie Dir wieder zusammenflicken soll! Entschließe Dich!«

»Und das bald,« setzte der Baron hinzu, »wenn Du nicht willst, daß ich Dich während Deiner Abwesenheit von Teplitz bei Derjenigen aussteche, bei der Du mich auf dem Link'schen Bade ausgestochen. Bist Du niedrig genug gewesen, Rossini zu verleugnen, um Dich bei den deutschen Kleinstädtern ›liebes Kind‹ zu machen, so trage ich kein Bedenken Dich zu verleugnen und Deiner Goldfasanhenne Geschichten zu erzählen . . .«

»Ich komme!« schrie Gustav hinauf. »Ich bleibe 68 bei Euch, ich sause mit Euch, ich thue was Ihr wollt, – nur haltet das Maul!« Dann bestellte er heim Hausknecht den Einspänner für morgen mit Tages-Anbruch und begab sich, wohin Furcht vor Skandal und Neigung zum Trunke ihn lockten. Die drei Pflastertreter empfingen ihn mit allen Ehren. Der Tisch vom Mittagsessen stand noch da, nur daß weder Schüsseln noch Teller, daß bloß Gläser und Flaschen darauf prangten. Kostbare Cigarren, glücklich durch die Peterswalder Mauthschranken geschwärzt, lagen in rohen Bastgeflechten viertelhundertweise zur Auswahl vor. Gustav erstaunte über diese Fülle verbotener Waare. »Das ist noch nichts,« belehrte ihn der Baron; »zehntausend Stück, in Kisten verpackt, führ' ich bei mir; mein ganzes disponibles Capital hab' ich in Havannah-Glimmstengel gesteckt, und hoffe es hier durch heimlichen Kleinhandel zu verdoppeln! um so sicherer, da ich nur baar verkaufe, beim Einkaufe en gros schuldig blieb! profit tout clair.«

»Das begreif' ich,« versicherte Gustav, »aber unbegreiflich ist die Einschmuggelung eines completen Cigarren-Lagers!«

»Nichts einfacher. Die Kisten waren hinten aufgepackt, in die Flechten und Decken, wo andere 69 ehrliche Leute ihre Reisekoffer fest binden lassen. Als wir uns dem Zollbaume näherten, welcher niedergelassen die Passage hemmte, rief ich, wie wenn ich es den Vorübergehenden erzählen wollte, und zwar in meinem reinsten Berliner Jargon: ›Seine Majestät speisen in Pillnitz und treffen heute Abend ein!‹ Ehrlich zu reden, ich wußte nichts davon und glaube auch nicht, daß Seine Majestät vor drei Tagen nach Teplitz zurückkehrt? Doch irren ist menschlich, und für eine solche vague Aeußerung kann man keinen Menschen zur Rechenschaft ziehen? Nicht wahr? Dennoch erfüllte sie meinen Zweck. Ich hatte nicht umsonst auf die Anhänglichkeit gerechnet, welche der Monarch in dieser Gegend überall findet. Kaum war mein Ruf erschollen, als auch schon die Stimme des Controleurs von Innen ertönte: »Zum Gefolge des Königs!« Und rrrr! ging der Zollbaum empor, unser Postillon fuhr unten durch wie das Wetter, die Beamteten grüßten ehrfurchtsvoll und zehntausend Stück ausländischer Cigarren befanden sich im Lande. Quod erat demonstrandum. Jetzt nehmt Platz, greift zu und die Sitzung kann wieder beginnen!«

Sie begann mit Neckereien über Gustav's Brautstand von Seiten der zwei Beisitzer, die ihn als wenig berufen darstellten, ein guter Ehemann zu 70 werden. »Laßt euch darüber unbekümmert,« sprach der Baron, (aus welchem, trotz all' seiner scheinbaren kameradschaftlichen Theilnahme, doch der Neid mit sprach,) »sie werden ihn schon unterkriegen. Gustav bekommt nicht allein eine volljährige Frau; er heirathet obenein die sorgsamste Mutter und den sparsamsten Vater. Diese sollen ihn schon an die Leine nehmen, daß er keine dumme Streiche mehr macht. Heut' über's Jahr ist er zahm, dafür steh' ich. Für ihn giebt es kein weibliches Wesen mehr, außer seiner charmanten Gemahlin; diese wird ihn vollständig in Anspruch nehmen, sie sieht mir ganz danach aus. Und nichts macht so überdrüßig gegen das Leben und des Lebens Lust, als die Last eines solchen Ehejoches; je massiver im Golde, desto schwerer drückt es natürlich. Da hilft kein Schütteln; es sitzt fest und beugt den Nacken. Uebrigens hat er ja stets die Flasche geliebt. Wir alle wissen, daß er des edlen Weines bedurfte, um gesprächig zu werden; daß er passabel viel vertilgen mußte, ehe man ihm etwas abmerkte. Sie werden ihm zu trinken reichen, damit er gehorsam zu Hause bleibe und er wird sich dem ›stillen Suff‹ übergeben. Ich seh' ihn schon mit einer werthvollen Kupfernase im Kreise der lieben Seinigen, wie er als echter Landwirth 71 über schlechte Zeiten klagt und dabei nichts destoweniger alljährlich taufen läßt.«

»Diese Aussichten sind keinesweges schlecht,« lachte Gustav, »und Du möchtest herzlich gern mit mir tauschen. Um Dich nicht Lügen zu strafen, will ich euch heute schon den Beweis geben, daß mein Schwiegerpapa nicht gesonnen ist, mich Durst leiden zu lassen. Ich erkläre mich bereit, eure Rechnung hier im Gasthofe zu übernehmen und will mit gutem Beispiele vorangehen, wenn auch für heute noch ohne rothe Nase. Der Wein mag fließen; aber auf seinen Wellen sollen Liebesgötter sich schaukeln, von Rosen umkränzt. Ich untersage, in der Eigenschaft eines Vorsitzenden, die mir gebührt, weil ich sie bezahle, jeden Hinweis auf eheliche Pflichten, goldene Joche, bindende Ketten und häusliche Sclaverei. Ich verlange allgemeine Freiheit der Conversation und gleiche Berechtigung mit euch. Jener Franzose hat den Ausspruch gethan: Liebeshändel würden das höchste irdische Vergnügen sein, wäre es nicht ein noch größeres, davon zu schwatzen. Dieser Mann verdient unter den sieben Weisen, ja über ihnen genannt zu werden. Ob ich morgen früh von euch scheide, dahin zu ziehen, – wohin Gesellen eures Schlages mir nicht folgen dürfen? . . laßt's mich heute vergessen. Noch 72 bin ich frei; Geld hab' ich in der Tasche; am Weine fehlt es nicht. Auf, muntre Schwimmer, kämpft mit den Fluthen!«

Und die Gläser klangen zur fröhlichen Erwiderung dieser Anrede.

»Wenn man sich's recht überlegt,« hub derjenige an, den die tolle Sippschaft ›Miß Viola‹ nannte, weil er einem blonden Mädchen glich und immer mit reisenden Engländern verkehrte; »wenn man sich's recht überlegt, kann Gustav nichts Klügeres beginnen, als was er jetzt zu thun im Begriffe steht. Er hat das Seinige geleistet auf dem Felde der Ehren. Mag er heimkehren, im Schatten väterlicher Eichen den Patriarchen zu spielen!«

»Wie lange denn?« wendete der Vierte, seiner dunklen Gesichtsfarbe und anderer, minder schuldloser Eigenschaften wegen mit dem Spitznamen ›der Zigeuner‹ behaftet, dagegen ein; »er ist noch viel zu jung, um abzuschließen. Was kann er denn Großes durchgemacht haben, ein halbes Kind wie er ist? Sei er jetzt ein Bißchen ermüdet aus dem letzten polnischen Kriege gegangen, ein Bißchen enttäuscht, ein Bißchen überdrüßig, das sind momentane Zustände, die keine Dauer verbürgen. Ehe sich's seine Wärter versehen, wird ihnen der eingesperrte Tiger eines 73 Tages den Käfich zertrümmern und ausbrechen. Der muß noch viel Blut lecken, bis er satt wird! Hat ja noch nichts erlebt!«

»Ich? noch nichts erlebt?«

»Was denn, Bürschchen? Was denn? Doch nichts Anderes, als Miß Viola, als höchstens der Baron! Nichts als schlichte, nichtige, in den Sand flacher Alltäglichkeit verlaufende Intriguen, ohne psychologische Bedeutung, ohne ernste Gefahr, ohne furchtbaren Schauder, in welchem zuletzt doch einzig der tiefere, ergreifende Reiz liegt. Für manche Leute,« – und dabei schielte der Zigeuner den Baron und Miß Viola spöttisch an, – »mag das genügen. Dir genügt es nicht, Gustav. Es kann nicht.«

»Und warum nicht ihm?« fragte der Baron, beleidiget, daß er weniger tragische Elemente in sich führen solle. »Ist Gustav aus festerem Thone geknetet?«

»Das weiß ich nicht. Doch ich lese in seinen Zügen, auf seiner Stirn, der geheimnißvolle Glanz seines Auges sagt mir, daß es nicht sein Schicksal ist, auf dem Dorfe friedlich zu verbauern.«

»Zigeuner, Du willst Deinem nom de guerre entsprechen: Du giebst Dich mit Propheten-Künsten ab. Gustav ist ein Phlegmatiker, den nur gute 74 Gesellschaft und brausender Umgang stimulirte. Ein geborener Philister, der seinem Stande als verheiratheter Faulenzer Ehre machen wird!«

»Miß, Du verstehst davon so viel wie die Henne vom – Hahnenkampf, trotz Deines Umgangs mit Engländern. Was er zu thun im Stande ist, – das wag' ich nicht vorherzusagen. Daß er aber in große Thaten, in criminelle Begebenheiten verwickelt sein wird, ja, daß er schon bedenkliche Schlingen trug und trägt, das seh' ich ihm an.«

Miß Viola und der Baron lachten höhnisch.

Gustav nahm des Zigeuners Aeußerungen, die Jenen für Scherze in gewohnter Weise galten, ernsthaft. »Lacht nicht über ihn,« sagte er zu den Andern; »es könnte etwas Wahres daran sein.«

»Jetzt will er sich interessant machen,« rief der Baron: »will uns Räthsel vorlegen und Märchen aufbinden, als ob er Wunder was erlebt hätte und noch zu erleben dächte! Wetten wir: wenn es gilt, weiß er nichts vorzubringen, was die Farce mit der gefürsteten polnischen Jüdin überträfe!? Daß diese an und für sich passabel war, kann ich nicht leugnen; wenigstens nach den Echantillons zu schließen, die ich davon kenne. Es wäre edel, wenn Du uns den wirklichen Hergang mittheiltest. Vielleicht gelingt es 75 Dir, auch der Miß dadurch einigen Respect vor Deinen Anlagen zur Ruchlosigkeit, woran es der Schmachtlockigen mangelt, beizubringen?«

Gustav ging, – fast verächtlich gegen ein so nichtssagendes Ereigniß, – auf die Mittheilung der näheren Umstände ein, die wir gern entbehren, weil sie uns in ihren Hauptzügen schon bekannt, in ihren frivolen Nüancen durchaus nicht geeignet sind, Hörer oder Leser zu erbauen, welche nicht eben seinen Genossen gleichen. Das Resultat der schlechten Geschichte war, daß er jene alternde Thörin mit Luciens Beihilfe wacker geprellt und ihr erlogene Huldigung möglichst theuer verkauft habe.

»Daran,« urtheilte der Zigeuner, »ist freilich nichts Besonderes und läßt sich keine blutige Katastrophe davon erwarten; es müßte denn sein, daß die Betrogene einen rächenden Dolch fände, der jedoch hier zu Lande schwer aufzutreiben ist. Was aber die kleine Intrigue über das Gewöhnliche erhebt und ihr mindestens einen haut gout verleiht, ist die Verwendung des herausgelockten Geldes. Wäre dieß den schlichten Weg alles Fleisches gegangen, so verdiente die Sache keine Aufmerksamkeit. Weil es hingegen benützt wurde, Ritter Kurt's Brautfahrt auszustatten, und weil das Laster in seiner Art der Tugend 76 dienen mußte, was unter die Ausnahmen gehört, will ich der Anekdote einen Platz in meinem erotischen Plutarch, – so nenn' ich das Notizbüchlein, welches in Chiffern allerlei interessante Skandäle enthält, – flüchtig vormerkend vergönnen.«

»Plutarch?« fragte Gustav zerstreut; »was heißt denn eigentlich Plutarch? Ist das nicht ein Buch in vielen Bänden, welches ein Herr Kaltwasser geschrieben?«

Weder Miß Viola, noch der Baron vermochten die unermeßliche Tiefe dieser Ignoranz auch nur zu ahnen, geschweige denn zu ergründen. Der Autor des göttlichen griechischen Vademecums, (wie ihn, Jean Paul glaub' ich? benennt,) gehörte durchaus nicht in den Kreis ihrer Bekanntschaften. Deßhalb wendeten sie sich mit fragenden Gesichtern dem Zigeuner zu. Dieser blies eine blaue Wolke vor sich hin und sagte dann bedächtig: »Streng genommen, ist mit euch nicht zu leben; ihr steht zu niedrig in Allem, was geistige Bildung, was Wissen heißt. Deßhalb auch erheben sich eure Thaten selten über das Gemeine, Gewöhnliche. Mit dem Bißchen Lasterhaftigkeit ist es nicht gethan. Verbindet sich diese nicht mit Wissenschaft und classischem Geschmack, so geb' ich keine Pfeffernuß dafür. Wie, zum Teufel, Gustav, kamst du auf 77 solche dumme Frage? Und wo hast Du nur so viel von Plutarch erlauscht, daß Du Kaltwasser's Uebersetzung kennst? Nimmst Du denn überhaupt ein Buch vor die Nase, wenn es nicht von Clauren herrührt?«

»Das ist eine lange Geschichte,« sprach Gustav, und dann verstummte er.

»Dem läuft der Tod über's Grab,« äußerte die Miß; »er kriegt eine Gänsehaut.«

»Ich wäre begierig auf Deine lange Geschichte; allem Anscheine nach, verspricht sie Etwas.«

»Nein, Zigeuner; damit ist's nichts. Die gehört nicht mir allein. Die modert im Sarge und der Sarg ist mit einem Eide geschlossen.«

»Das müßte doch mit dem Henker zugehen,« prahlte der Baron, »wenn wir den Schlüssel dazu nicht ausfindig machten? Ich schlage vor, Jeder von uns Dreien erzählt Dasjenige aus seinem Leben, worüber bisher, sei's aus einem Restchen von Scham, sei's aus feiger Besorgniß, noch ein Schleier liegen blieb. Wozu Rücksichten? Sind wir nicht Vertraute? Und was die Befürchtung vor Verdrüßlichkeiten betrifft, binden wir uns gegenseitig die Zungen, indem Jeder die Geheimnisse des Andern zur Aufbewahrung empfängt und zur Discretion verpflichtet ist, weil er selbst darauf rechnet. Gehen wir mit gutem Beispiel 78 voran. Gustav muß dann nachfolgen, er mag wollen oder nicht. Ich will beginnen, da der Vorschlag von mir herrührt. – – –

Es giebt Dinge, die vor dem irdischen Gesetz für Verbrechen gelten, die doch vor göttlichem Gericht lange nicht so schlimm sind, als gar Manches, was nicht nur, wenn es auch an den Tag käme, ungeahndet bleiben, was Demjenigen, der es verübte, der sich dessen vielleicht rühmt, nicht einmal Schande bringen würde. Dahin rechnen wir die Abscheulichkeiten, die junge Herren von gutem Tone, nicht minder wie rohe Burschen von pöbelhaften Sitten, sich im Umgange mit unerfahrenen Mädchen erlauben, deren Leichtgläubigkeit sie durch Versprechungen blenden, vorher schon fest entschlossen: betrügen, verführen, und dann ihr Opfer verlassen zu wollen. Wenn nun solche Infamie in der Hitze jugendlichen Blutes, in dem durch selbstsüchtige Liebe umnebelten Verstande, in den leichtsinnigen Verirrungen eines sonst nicht gerade bösen Herzens, – keinesweges freilich Entschuldigung, doch Erklärung und unter Umständen Nachsicht finden kann, so bleibt die Gleichgiltigkeit des öffentlichen Urtheils darüber völlig unerklärt und unverzeihlich. Und die Inconsequenz des Haufens von Männern und Weibern, die man bezeichnend genug 79die Welt‹ nennt, zeigt sich nie und nirgend nackter, schrecklicher als in ihrer Härte gegen Jenen, in ihrer Milde gegen Diesen. Einen stößt sie aus, weil ein Fleck auf ihm haftet, unter welchem mit einigem guten Willen leicht ein redliches Gemüth zu erkennen wäre; den Andern nimmt sie huldreich auf, ohne ihm anzurechnen, daß seinetwegen und nur durch ihn manch' jugendliches Leben im Staub', im Schmutze hinwelkt, oder verfault.

Hab' ich doch einst im Kreise brillanter Cavaliere und Sportmänner die beifällig bestätigte Meinung aussprechen hören: ›Einem Mädchen gegeben, bindet kein Ehrenwort!‹«

Nun, das war denn auch des Barons Motto für seine ruhmredigen Bekenntnisse.

Miß Viola zögerte nicht, ihn abzulösen, und mit günstigem Erfolg; denn er bewegte sich in anderem Genre, in einer höheren Sphäre, zu welcher vornehme Verbindungen ihn zogen.

Der Zigeuner hatte mitleidig zugehört: »Was sind das für Miseren? Was Ihr da zu Markte bringt, läßt sich, einigermaßen apretirt und gesäubert, in jeder Damengesellschaft vortragen. Von schauerlichen Conflicten, von Verantwortung, von drohenden Gefahren keine Rede! Es gehört Eure Plebejer-Natur dazu, in 80 diesen Successen Befriedigung der Eitelkeit zu finden. Sie mögen genügen für Schulknaben.«

»So behandelst Du uns gern,« entgegnete ihm der Baron, »und wir lassen's uns gefallen, eigentlich doch nur, weil noch Niemand gefragt hat, worauf Deine angemaßte Autorität sich stützt? Ich will der Erste sein, der dieß thut. Ich will endlich einmal eine jener Räubergeschichten vernehmen, die Du bisher, in mystisches Dunkel gehüllt, immer nur andeutest. Rücke doch heraus mit den Ereignissen, durch welche, glaubt man Deinen wichtigen Mienen, Casanova neben Dir zum reinen Joseph werden müßte.«

»Casanova war ein tüchtiger Kerl, seiner Zeit; ich zolle ihm Achtung und schlage vor, morgen eine Partie nach Dux seinem Angedenken zu widmen Aber, da er alt wurde, radotirte er und in seinen Memoiren steht viel unnützes Gewäsch. Er wurde schon ein Greis, da er zu schreiben begann. Greise schwatzen. Junge Männer leben der That. Von meinen Thaten könnte ich auch nur Einiges erzählen, wenn wenigstens Einer von Euch im Stande wäre, Etwas dem Aehnliches einzusetzen und dadurch die Bürgschaft der Discretion zu leisten, die der Baron bei Einleitung des Conviviums in Anspruch nahm, deren Ihr aber nicht bedürft. Was wäre denn an 81 Euren kleinen Pecadillen zu verschweigen? Was wäre da ungewöhnlich? Nein, geht; Ihr habt nichts wiederzuerstatten; warum sollt' ich meinen Vorrath an Euch verschwenden?«

Während er sprach, spielten Verachtung und Hohn um seine Lippen und schienen zunächst gegen Gustav gerichtet, als wollte er prüfen, wie lange dieser es aushalten würde? Offenbar ahneten die beiden Andern die versteckte Absicht, denn sie stimmten kleinlaut bei und gaben endlich zu, sie könnten nicht gegen den Zigeuner aufkommen. Daß unterdessen fleißig getrunken, unermüdlich eingeschenkt und daß dabei ›der Bräutigam‹ nicht vergessen worden war, versteht sich von selbst. Sie saßen, so zu sagen, alle drei wider den Einen verbündet, der sie bewirthete. Was sie gegen ihn hatten? Je nun, was solche Herren gegen Denjenigen haben, dem die Aussicht winkt, aus ruchlosem, Zeit und Leben vergeudendem Nichtsthun in eine feste Stellung, in eine gesicherte Zukunft überzugehen: dem ein Hafen offen steht, sich aus wüstem Sturme, welcher sie verschlingen muß, zu retten! Sie beneideten ihn, und weil sie das nicht eingestehen mochten, verspotteten sie ihn; ganz in Art und Weise der Freundschaft, wie sie in ähnlichen Kreisen gehegt und gepflegt wird. Es giebt 82 nichts Niederträchtigeres, als die Freundschafts-Verhältnisse lüderlicher, eleganter Stutzer. Die Verbindungen von Räuberbanden, welche sich untereinander Treu und Glauben schenken, sind ehrenwerth im Vergleiche damit. Und wehe den Unerfahrenen, die noch gutmüthig und leichtgläubig genug sind, derbtreuherzige Scherze für den Ausdruck wahrer Gesinnung, ehrlich-gemeinter Cameradschaft zu nehmen! Gustav stand nach zweijähriger Lehrlingsfrist noch immer auf dieser niedrigen Stufe der Beschränktheit. Er glaubte mehr oder weniger noch an die Möglichkeit einer Gemeinschaft gemeiner Seelen. Hatten sich bisweilen Zweifel dagegen erheben wollen, – jetzt schlug der Wein sie nieder; der feurige Wein, der ihn antrieb, sich dem Zigeuner ebenbürtig zu zeigen: »Du sitzest auf einem verteufelt hohen Pferde und spreizest Dich sehr; doch sei versichert Du müßtest herabsteigen, wenn ich reden wollte.«

»Oho!« machten Miß Viola und der Baron.

»Das kann Jeder sagen,« sagte der Zigeuner.

»Sagen kann es Jeder,« antwortete Gustav, nun schon gereizt, »aber beweisen könnte ich's;– wenn ich dürfte!«

»Wenn er dürfte!? Da hört Ihr's! Er darf nicht; er gesteht ein, nicht reden zu dürfen und 83 will uns vorlügen, er habe gethan, was doch mindestens sehr streng verboten gewesen sein muß, wenn es hierher passen soll. Ei, junger Philosoph, der Du den Plutarch für die Erfindung eines deutschen Professors hältst, wo hast Du Logik studirt? Uns möchtest Du weiß machen, Du habest ungeheure Sachen erlebt, aber ein alberner Eid binde Dir die Zunge, wenn es gilt, sich in Respect zu setzen? Suche Dir einen Narren, der so etwas hinnimmt; bei mir brennst Du von der Pfanne!«

»Sehr wahr,« rief Miß Viola; »wozu wären die falschen Eide da, wenn sie nicht beschworen werden sollten, oder gebrochen? Er spreche und breche den seinigen!«

Gustav zögerte noch. In ihm stritten dunkle Mächte um die Herrschaft über ein edleres Gefühl. Um den Leichnam des Moses stritten sich gute und böse Engel und da die ersteren schier zu kurz kamen, erhob sich der Gewaltige noch einmal aus dem Todesschlummer, sie selbst zu verjagen. Gustav's Erinnerung an Agnes, – auch schon ein Leichnam, – vermochte nicht mehr, sich zu erheben; vermochte nicht mehr, den guten Engeln Hilfe zu bringen; darum bemächtigten die bösen sich seiner und trugen ihn davon. Und als die heil'ge Stätte in der Brust, die 84 bisher dem Angedenken einer besseren Empfindung (war diese auch nicht mehr lebendig,) doch immer noch als Gruft gedient, – als sie leer wurde, öde, wüst, – da zogen die schwarzen Geister jauchzend ein und sprachen aus ihm.

Gustav von Thalwiese begann zu erzählen. Auf Miß Viola und den Baron machten die Anfänge der Geschichte keinen sonderlichen Effect; Emil's Character schien ihnen nicht neu, Agnesens Verhältniß zu Carolinen ein herkömmliches Mädchen-Instituts-Bündniß; des jungen Hausfreundes Stellung ganz angemessen einem sogenannten ›Krippenreiter,‹ der sich dabei sehr wohl befinden könne.

Nur der Zigeuner ging auf psychologische Betrachtungen ein, ergänzte sogar durch erläuternde Anmerkungen manche unklare Stelle in Gustav's Bericht.

Dieser, je weiter die Begebenheiten vorschritten, je unheimlicher ihm dabei wurde, erhitzte sich immer mehr, trank immer hastiger, gerieth immer tiefer in jenen eitlen Trotz, der ohne zu wissen warum? höchstens, um vor schlechten Gesellen als Held zu erscheinen, gegen Treu und Glauben Krieg führen möchte.

Der Zigeuner, – die andern Beiden, wie gesagt, fanden Alles in der Ordnung, – hörte 85 aufmerksam zu, bis an den Punct, wo Agnes ihre stolze Kälte gegen Männer mit rücksichtsloser Gluth für Gustav vertauscht. Da schlug er auf den Tisch: »Du lügst, Schlingel! Das ist nicht innerlich wahr. Ich gab Dir Deinen waschlappigen Gutsherrn; Deine liebesbedürftige Busenfreundin; Deinen verbissenen, nach allen Seiten hin eifersüchtigen Leibjäger, Deine Männerfeindin aus Alabaster, – alle gab ich Dir zu; doch eben deßhalb darfst Du nicht erfinden; und willst Du es thun, um zu prahlen. so erfinde geschickter; lasse Deine Leute nicht aus ihren Rollen fallen. Uebrigens zeigst Du Talent für die Novelle; – beiläufig gesagt: ein neues, vielmehr erneutes Genre, welches Herr Tieck in Dresden eifrig cultivirt.«

»Du glaubst mir nicht, Zigeuner? Du behauptest, ich lüge? Und ich stehe noch beim Anfange? Und Du willst zweifeln, Du, dem nichts toll genug sein konnte? Das thust Du mir zum Hohn! So wisse denn: dieselbe Caroline, die ich um Agnesens Willen aufgab, wird jetzt meine Gattin; dieselbe Agnes, die sich anstellte, als wären ihr alle Männer so gleichgiltig wie ihr eigener, ward meine Geliebte; und derselbe Emil, der mich Carolinen nicht gönnte, machte mich zu seiner Gemahlin Erben; – aus Dankbarkeit. Das Geld, was Ihr mir so freundlich 86 verschwenden halft, wovon Dir, Zigeuner, manches Goldstück beim Knöcheln zufiel, es kam von ihm, von ihr . . . und nun wiederholt noch, daß ich nichts erlebte, daß ich ein dummer Junge bin!«

»Ich wiederhole, daß Du ein Talent bist! Du gruppirst leidlich, malst mit frischen Farben, – nur zu grell, wie es Anfängern immer geht. Du übertreibst, – sonst lügst Du recht hübsch.«

»Ich lüge nicht. Ich nenne Namen!«

»Taufnamen, Kind, sind keine Namen; sind keine Beweise. Emil, Caroline, Agnes sind Personen, wie sie dem Romanschreiber Dutzendweise zu Gebote stehen; er braucht nur den Kalender aufzuschlagen. Unbestimmte Figuren! Nicht Menschen von Fleisch und Blut, – was doch Beides unerläßlich wäre, sollten wir Dich für keinen Schwindler halten.«

»Der Teufel hole Dich, wenn Du von Schwindeleien sprichst, von Romanenschreibern und Erfindungen! Ist Caroline Reichenborn, meine Braut, etwa eine Romanenfigur? Ist die Herrschaft Schwarzwaldau, die mit Thalwiese grenzt, etwa auch eine Erfindung? Ist Emil von Schwarzwaldau, ist sein Jäger Franz . . .«

Ein heftiges Gepolter im Nebenzimmer, wie von umgeworfenen Stühlen, unterbrach das laute 87 Geschrei des Trunkenen. Er verblich, sprang auf und blieb starr und stumm mit offenem Munde stehen.

»Ich wußte auf Seele nicht, daß wir Nachbarschaft bekommen haben,« sprach der Baron. »Wer kann das sein?« – Und er läutete nach dem Kellner.

Dieser sagte aus: Es wären, vor einer Stunde, zwei Herren eingetroffen, die erst ein Zimmer, dicht neben jenem des Herrn von Thalwiese bezogen, dasselbe jedoch zu klein und eng gefunden und es mit dem hier anstoßenden vertauscht hätten. Wer sie sein möchten, ahne er nicht, doch könn' er es leicht erfahren, indem er ihnen das übliche Fremdenbuch sogleich vorlege! Dieß zu thun, entfernte er sich.

Die Absicht der Trinker, das Gespräch fortzusetzen, wo es abgerissen, – wenn auch in gedämpftem Tone, – scheiterte an Gustav's hartnäckigem Schweigen. Er befand sich in jenem schrecklichen Zustande der Trunkenheit, die in sofern keine mehr ist, als dem Rausche die belebenden Schwingen fehlen und nur sein bleierner Druck auf dem Bewußtsein des Säufers lastet. Welchen Frevel er eigentlich begangen, vermochte er durchaus nicht sich klar zu machen? Er empfand nur die Qual gefrevelt zu haben. Um ihn war es Nacht; schwere, dumpfe, 88 trostlose Nacht. Schwarze Wolken umhüllten ihn, von zuckenden Blitzen durchkreuzt, die mit Feuerzügen in riesenhaften Lettern das Wort ›eidbrüchig‹ beschrieben.

Der Zigeuner flüsterte, so ruhig als hätten sie reines Quellwasser geschlürft: »Etwas Wahres mag doch wohl an der Geschichte sein, sonst würde er kein Armensünder-Gesicht machen.«

Nach einigen Minuten legte der Kellner das Fremdenbuch vor. ›Die Kaufleute Müller und Schwarz aus dem Elsaß‹ standen eingezeichnet. Beide, versicherte er, zeigten sich ermüdet, lägen schon zu Bette und hätten ihn, in ihrem, – trotz ihrer deutschen Namen, – kaum verständlichen Deutsch, gähnend befragt: ob denn der Spectakel daneben gar nicht aufhören werde? Schlafen könnten sie dabei nicht und auch nicht einmal von der Unterhaltung profitiren, da ihnen die Sprache zu fremd sei?«

»Den Leuten kann geholfen werden,« äußerte der Baron; »wir haben genug geschwiemelt, denk' ich; bezahlen wird der Bräutigam – und ich erkläre die Sitzung für geschlossen. Morgen ein Mehreres. Jetzt laßt uns erproben, wie man in Teplitz schläft?«

Sie räumten das Speisezimmer und suchten ein jeder sein Schlafgemach.

89 Gustav warf sich unausgekleidet auf's Lager.

Der Zigeuner begleitete Miß Viola, »um sich von dessen langweiligem Gewäsch« – wie er es nannte – »in Schlaf lullen zu lassen.«

Der Baron verlangte Feder und Papier, denn »er habe noch zu schreiben.«

»Bist Du betrunken?« fragten sie ihn.

»Betrunken bin ich, doch nur bis zum Grade des Hellsehens, und dieser Zustand dictirt mir ein charmantes Epistelchen an unseres Gastgebers Braut. Sie muß erfahren, von wem und wie ihr Geliebter sich zur Reise hierher mit Gelde versehen ließ. Ihr wird das Unterhaltung gewähren und ihm bin ich eine kleine Revanche schuldig, dafür, daß er mir bei dem Kleinstädter-Volke zuvorkam. Ohne seine Dazwischenkunft hätt' ich die Aussteuer dennoch erwischt, – und hätt' ich müssen Rossini's Fahne verlassen. Es wäre eben eine Felonie gewesen in musikalischem Geschmacke, wie sie in der Politik tausendmal vorkommt.«


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