Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Einunddreißigstes Capitel.

Es ist schon unerträglich genug, einen halben Tag in Unschlüssigkeit hinzubringen, ob man zum Beispiel ausgehen und sich herumtreiben? oder ob man zu Hause bleiben und irgend eine fleißige Beschäftigung vornehmen soll? Finge der Regen, der da so ungewiß am Himmel hängt und eben auch zu keinem Entschluße gelangt, soll er sich verziehen, oder nicht; finge er nur in Strömen zu gießen an! Es wäre ja gut; die Entscheidung wäre da: man machte sich's bequem, griffe zum Buche, oder zur Feder und gäbe jegliches Gelüsten nach Zerstreuung auf. Aber so lange noch immer Möglichkeit vorhanden, daß schönes Wetter eintrete, geht man nicht und bleibt man nicht und steht wie ein rechter Esel zwischen zwei Heubündeln, ohne von einem zu fressen.

Das ist ein flaches, alltägliches Gleichniß, dessen Wahrheit nichts destoweniger ein Jeder in vorkommenden Fällen an sich selbst erprobt und seine Unschlüssigkeit verwünscht haben wird.

Und was ist sie, wie wenig bedeutet sie, wie gering sind die eingebildeten Leiden, die sie schafft, wo es sich nur um Spazierengehen und Zuhausebleihen handelt? Wo kein Kampf des Guten mit dem 170 Bösen, oder was noch schlimmer ist, kein Kampf böser Geister statt findet, die untereinander feindselig sind und das Herz eines Menschen zum Tummelplatz ihrer Streitigkeiten ausersehen haben. O der Wahnsinnige! Er überläßt ihnen die eigene Brust als Schlachtfeld und sollte doch wissen, daß der Sieger, – siege nun Jener oder Dieser, – gegen ihn verfahren wird, wie in Feindes Land.

Emil war nur eines Vorsatzes sicher: Carolinen diesen ganzen Tag hindurch in günstiger Stimmung zu erhalten, sie zu zerstreuen, sich ihr auf jede Weise angenehm zu machen, auch nicht die leiseste Klage gegen sich aufkommen zu lassen, sie durch Aufopferungen und Zuvorkommenheiten gleichsam zu ermüden, damit sie in guter Laune entschlafe und er dann Herr seiner Nacht sei!

Was er in dieser Nacht unternehmen werde, darüber war er noch nicht einig mit sich selbst. Und weil ihm keine Zeit blieb, in unbelauschter Einsamkeit furchtbare Entschlüsse abzuwägen, deren mögliche Folgen durchzudenken, zwischen niedrigem Diebstahl und tückischem Morde zu wählen, so sah er sich gezwungen, diese fürchterliche Prüfung in seiner Seele vorgehen zu lassen, während er scheinbar nur für Diejenige lebte, welche neben ihm Frohsinn und 171 Heiterkeit entfaltete. Es gelang ihm vollkommen, die Täuschung durchzuführen.

Und gehört es nicht unter die schrecklichsten Geheimnisse der menschlichen Natur, daß auch der moralische Schwächling bei Verbrechen oftmals eine Kraft entwickelt, die ihn gerettet haben würde, wenn er sie auf edle Zwecke dauernd zu richten vermöchte?

Caroline gestand, ihr Gemal sei liebenswürdiger als je und dieser Tag unbedingt der glücklichste ihrer Ehe. Sie erbot sich wiederholt, heute nach Thalwiese zu fahren und den Versuch auf Reichenborn's Casse zu wagen.

Damit konnte sich Emil nicht einverstanden erklären, damit war ihm nicht geholfen für die nächste Nacht. Jede Unterstützung aus des Schwiegervaters Händen mußte nothwendig den offnen Geschäftsweg nehmen. Was gestern noch dringendes Bedürfniß, sehnlichster Wunsch gewesen, genügte nicht mehr, wo es darauf ankam, den drohenden Franz in tiefster Heimlichkeit zu befriedigen, ihn zu entfernen. Dazu gehörte die freie Verwendung einer großen Summe, eines bedeutenden Werthes, worüber keine Rechnung verlangt wurde. Ob Caroline im Besitze solcher Summe sei? Ob Reichenborn's Vaterliebe unkaufmännisch genug gewesen, der verhätschelten Tochter 172 ein todtes Capital mitzugeben, damit es, in der Chatoulle liegend, ohne Zinsenertrag nur als Simbol außergewöhnlicher Großmuth gelte? Darüber wußte der Gemal nichts Bestimmtes. Einige in's Gewand des Scherzes gehüllte Fragen erreichten keine genügende Antwort. Caroline ließ sich darüber nicht aus, wie bedeutend, oder wie gering ihr ›Nothpfennig‹ sei.

»So bleibt nichts übrig, als ihn ohne Dein Wissen, Krämertochter, zu zählen!« dachte Herr von Schwarzwaldau, indem er sie voll Inbrunst umarmte und liebkosend lispelte: »wir wollen die widrigen Geldsachen für heute ganz vergessen und nur unserer Liebe leben!«

Und wahrlich das thaten sie. Den köstlichen Herbsttag in seinen goldensten Stunden zu genießen, ertheilten sie den Befehl, das Mittagessen solle in ein Souper verwandelt werden. Sie fuhren bei wärmstem Sonnenschein in's Freie, und weil Caroline, durch die Erinnerung an Agnesens Ende gewarnt, ein für allemal erklärt hatte, Emil dürfe nie die Zügel führen, wenn sie im Wagen säße, so hatte sie ihn neben sich und er konnte, gleichsam im Uebermaße wonniger Behaglichkeit, sein Haupt an ihre Brust schmiegend, durch zärtlichen Halbschlummer den Schlaf nachholen, den, wie er sagte, er jüngst vergangene 173 Nacht entbehrt. Sie zog den Handschuh aus und schmeichelte mit zarten Fingern die gutgehaltenen Locken, bis an die Wurzeln den vollen Haarwuchs durchwühlend.

»Wie Dein Kopf brennt! Wie Du glühst! Wie es da drinn hämmert! Leidest Du Schmerzen? Hast Du Fieber?«

»Ich kann die Nacht nicht erwarten!«

Was er so zweideutig sagte, – und es entschlüpfte ihm fast wider seinen Willen, – nahm sie in ihrem Sinne auf. Sie faßte eine ganze Hand voll Haare, zog ihn heftig empor, seinen Mund an den ihrigen und ließ ihn sobald nicht los.

Beide zitterten. Sie schrie laut auf. Er hatte sie in die Lippe gebissen.

»Es blutet,« sprach er bebend.

»Für solche Wunden,« sagte sie, »giebt es baldige Heilung.«

»Das ist ja ein ewiges Geküsse,« murmelte der Kutscher; »die versteht's besser, wie unsre Selige!« Dreimal wollte der Kutscher die Pferde heimlenken. Dreimal hieß Emil ihn neue Pfade einschlagen und wenn Caroline meinte, nun sei es doch wohl genug gefahren, rief er entzückt: »nur noch ein Stündchen! laß' uns den himmlischen Tag ganz auskosten, vielleicht 174 ist's der letzte – in diesem Herbst.« Und wenn sie dennoch darauf bestand, in's Schloß rückzukehren, dann umschlang er sie und bat: »nur noch ein Stündchen; es ist zu schön!« Worauf sie dann sagte: »ja, mein Freund, es ist wunderschön, nur zu warm für die Jahreszeit und warmer Herbst macht unglaublich müde; ich werde schon schlaftrunken.«

»Desto besser,« sprach er, und umschlang sie wieder.

Endlich bei Tisch, zwang er sie durch allerlei verliebte Trümpfe und Drohungen, mehrere Gläser süßen, starken Weines zu trinken und wußte dann das ohnehin schon zum Abendessen gewordene Mittagsmal bis nach neun Uhr auszudehnen, wobei er sprudelnden Witz und eine solche Fülle von Belesenheit entwickelte, daß sie ihre Müdigkeit bezwang, aufmerksam lauschte und öfters bewundernd ausbrach: »Du bist unerschöpflich, Emil! Geistvoll, feurig, lebendig, wie ein Jüngling!«

»Das bin ich auch,« prahlte er; »weil ich als Jüngling lebte wie ein Mann, besonnen, mäßig, bleib ich als Mann frisch und lebendig wie ein Jüngling. Unsere jungen Herren sind gewöhnlich am Ende, wenn sie erst anfangen sollten. Stoß' 175 an und trinke mit mir: auf dauernde Jugend, auf immer junges Glück!«

Sie leerte das dritte Glas. Dann ließ sie sich von ihm zur Ruhe geleiten. Er schickte das Kammermädchen fort und versah dessen Dienste.

»Ich schäme mich,« stammelte Caroline; »ich bin berauscht. Eine Frau, die Wein getrunken, ist gräßlich.«

»Eine Frau, die einen so allerliebsten, kleinen, graziösen Haarbeutel trägt, wie Du,« erwiderte er, »ist hinreißend, unwiderstehlich; und von heute an, schick' ich Dich täglich mit solchem Räuschlein zu Bette.«

Heute bedurft' es nicht langweilender Wiegenlieder, sie einzusingen. Binnen einer Viertelstunde war sie – ›unschädlich.‹ – So nannte er's. Nun ging er an's Werk. Und hätte die Schlafende ihn jetzt gesehen, sie würde den Mann in ihm nicht erkannt haben, dem sie kurz vorher Bewunderung gezollt. Dieselben Züge, denen er diesen ganzen Tag hindurch anmuthiges Lächeln, verbindliche Huldigung aufgezwungen, zeigten sich nun, der Verstellung ledig, schlaff, gemein, voll hämischer Bosheit, welche nicht allein dem Quäler Franz, welche auch der Quälerin Caroline galt. Denn: »Haß und Tücke, die man 176 zurückgiebt, quälen doch weniger, als Zärtlichkeit, die erwidert sein will!« sagte er.

An tückischem Hasse gegen Franz fehlte es dem Herrn von Schwarzwaldau nicht in dieser Nacht. Gleichwohl zeigte sich auch Furcht vor dem entschlossenen, kalten Schurken, ›dem würdigen Eleven des Zuchthauses, der, was er auf jener Universität einst theoretisch erlernt, jetzt zur practischen Anwendung brachte.‹ Ihm, wo möglich, den Mund zu stopfen, durfte nichts unversucht bleiben, ehe das Letzte gewagt wurde!

Emil suchte umher in allen Körben und Körbchen, in den kleinen Fächern des Nähtisches, sogar unter dem Kopfkissen seiner Frau nach dem Schlüssel zu ihrem Secretair, – doch vergeblich! daß sie ihn ganz einfach oben auf, unter das hölzerne Gestell der Stutzuhr, geschoben haben könnte, fiel dem Hastigen nicht ein. Er holte seine Schlüssel herbei, um zu versuchen, welcher von diesen passe? Denn in ihren Secretair mußte er eindringen; nur dort war der Chatoullenschlüssel zu suchen. Nicht lange brauchte er zu probiren. Gleich der Schlüssel seines eigenen Secretairs öffnete den ihrigen. Er that einen Freudenschrei. Sie fuhr im Schlafe auf und rief ihn bei Namen. Er schlich an's Bett, sich über sie 177 beugend: »Verlangst Du nach mir, Theure?« – Keine Antwort, als ein sanftes Schnarchen. – »Holde Tochter eines dicken Vaters,« sprach er und wendete sich wieder an die Diebesarbeit. Aber wie er auch Schub um Schub durchwühlte, der krausbärtige stählerne Zwerg, der einzig und allein den Zugang zur Chatoulle bewachte, war tief versteckt, ließ sich nicht finden, obgleich unzählbare, leise geflüsterte Flüche ihn beschwören wollten. Die Zeit verlief. Es blieb nichts übrig, als die schwere Platte wieder zu schließen, wobei sich ein Widerstand im Schlosse zeigte, der starken Druck nöthig machte; und sein Heil, ohne Zwerg, an der Chatoulle zu versuchen, die unter Carolinens Bette stand. Emil zog sie hervor und übte sein Geschick für solche Künste zum Erstenmale. Doch er hätte eben so leicht mit der Pistole einen Stern vom Himmel herunter schießen, als mit einem seiner ehrlichen deutschen Schlüsselchen Eingang finden können in den verzwickten, Schlüsselloch genannten Mund des englischen Goldbehälters. Er hob diesen mehrmals und fand ihn höchst gewichtig, doch immer noch zu handhaben. »So nehm' ich die Chatoulle verschlossen mit mir,« murmelte er; »es bleibt nichts Anderes übrig.« – Schon stand er vor der Glasthüre des Gartensaales, schon hatte er 178 die hölzernen Flügel, die zum Schutze inwendig angebracht waren, zurückgeschoben, – da ergriff ihn die Besorgniß, was morgen geschehen solle, wenn Caroline den Raub entdeckte? Wenn vielleicht das Stubenmädchen beim Ausfegen den kleinen braunen Unhold unter'm Bette vermißte und Lärm schlüge? – »Das kann zu höchst peinlichen Vermuthungen führen, ehe ich noch etwas Wahrscheinliches erfinde, den Verdacht des Raubes von mir ab und auf andere Fährten zu leiten. Deßhalb darf ich die Chatoulle ihm nur überlassen, wenn es gar keinen Ausweg weiter giebt! Und giebt es einen? –«

Emil stand einige Minuten lang unbeweglich. Sein Arm senkte sich unter der Last des verschlossenen Goldes. Er ließ sie auf die Marmorfliesen des Fußhodens gleiten und von einer wilden Eingebung getrieben, stieg er nach seinem Zimmer hinauf, wo er, ohne erst Licht zu machen, mit sicherem Griff aus dem Waffenschranke etwas hervorholte, was er in den rechten Aermel seines Rockes schob.

Was war es doch? Ein Stilet, sein schon gebrauchter Dolch? Ein Terzerol? Eine Taschen-Pistole? Nichts von all' dem! Und dennoch eine Waffe! Ein gefährliches Mordinstrument!

Sie waren damals eben in die Mode gekommen, 179 jene kurzen, elastischen, mit einem Geflecht von schmalen Lederriemchen umsponnenen Metallstäbchen, an deren beiden Enden zwei dicke Bleikugeln sitzen, ebenfalls von Leder umhüllt. Das Ding (life preserver nennt's der Engländer,) sieht nach nichts aus, doch richtig geführt, schmettert es Hirnschädel zusammen, als ob es Eierschalen wären! Emil hatte dieses in Hamburg gekauft, am Tage nach Franzens Abreise.

»Er weiß nicht, daß ich es besitze! – Nun zu ihm! Er wird meiner schon warten.«


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