Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Zwölftes Capitel.

Je verschwiegener Emil über seine Zusammenkünfte im Walde geblieben war, um desto mehr mußte Gustav's erster Besuch auf die Damen wie etwas 157 völlig Unerwartetes wirken. Caroline vermochte bei der Anmeldung ihre Freude nicht zu verbergen. Bei Agnesen zeigte sich ein fast entgegengesetztes Gefühl. Sie sah in dem Besuch eine Störung ihres Zusammenlebens mit Carolinen, deren uns bekannte Schilderungen eben nichts beigetragen hatten, den jungen Nachbar für ein belebendes Mitglied der Geselligkeit zu halten; die aber doch nicht ableugnen wollte, daß er ihr nicht gleichgiltig sei; im Falle nämlich, wie doch zu vermuthen stand, Jener und der Waldschläfer ein' und dieselbe Person waren! Agnes sah voraus, daß für sie nichts zu gewinnen, wohl aber die einzige Freundin zu verlieren sei. Und in so fern sah sie schon im Voraus den gemeldeten Gustav mit denselben Augen an, wie Emil Carolinen. Doch machte sich gleich von Anfang Alles besser, als zu erwarten stand. Gustav war verständig genug, sein Benehmen am kleinen Waldsee zuerst und unaufgefordert in's Gespräch zu ziehen. Er debutirte gewissermaßen mit einem reumüthigen Bekenntniß, woran sich die Nothwendigkeit knüpfte, ihn zu verspotten. Er that dieß mit so naiver Hingebung und benahm sich dabei so treuherzig, daß er dadurch die heiterste Laune um sich her verbreitete und die Damen zu lautem, herzlichem Gelächter aufregte. Die Schilderung 158 seiner Faulheit und Schlaflust bei warmen Tagen klang wahrhaft ergötzlich; schonungsloser konnte kein Mensch gegen sich selbst verfahren; aber auch keiner konnte liebenswürdiger dabei erscheinen. Emil war entzückt über seines Lieblings ungezierte Natürlichkeit, welche durch instinctartigen, geselligen Tact sich auszeichnete. Caroline hörte aus jedem Worte seiner Entschuldigungen und Anklagen das Geständniß heraus, wie leid es ihm sei, erst so spät aus dem Schlummer aufzuwachen, der ihn verhindert, sie deutlich zu sehen. Und sogar Agnes ließ die düsteren Vorahnungen, welche sich ihrer bei Gustav's Eintritt bemächtigen wollten, gern fallen, um mit den Andern fröhlich zu werden.

Für eine neue Bekanntschaft, aus welcher sich ein lang dauernder Umgang entwickeln soll, kann es wohl nichts Günstigeres geben, als wenn sie in den Spätherbst, in den Anfang des Winters fällt. Und nun gar auf dem Lande! Und nun gar erst in einem Schlosse, tief in großen immergrünen Wäldern liegend! Der liebe Schnee war so freundlich, in diesem Jahre nicht lange auf sich warten zu lassen. Er machte die Behaglichkeit der langen Abende vollkommen; denn es verstand sich ja von selbst, daß der Gast nicht mitten im trauten Gespräche aufbrechen 159 und durch Novembersturm und Schlackerwetter eine Meile bis Thalwiese bei Nacht zurücklegen durfte. Es wurde ihm ein eigenes Gemach angewiesen, lediglich für ihn bestimmt, wozu er einen Nachschlüssel empfing, damit er ungehindert ein- und ausgehen könne, wie in seines Vaters Hause. Caroline hätte für ihr Leben gern Gewißheit darüber gewonnen, wie sich Gustav von Thalwiese zu dem reisenden Zweigespann verhalte, von dessen Abendunterhaltung durch Wort und Lied sie (in einem der vorigen Capitel) ihre Freundin unterrichtet. Doch wagte sie nichts Entschiedenes; sie fing an zu bezweifeln, daß der mittheilsam gewordene Seeschläfer auch zugleich der Zittauer Balladensänger sein könne, und fürchtete, ihn durch fragende Zumuthungen dieser Art zu erzürnen. Agnes hingegen, nur von ganz gewöhnlicher Neugier und von keinem persönlichen Interesse getrieben, ging der Sache geradezu auf den Leib. Sie erkundigte sich schon am dritten Abend, ob vielleicht Herr von Thalwiese musikalisch sei? Ich singe ein Bißchen, erwiderte Gustav. Emil zeigte sich sehr verwundert, von diesem Talente niemals vernommen zu haben? Worauf ihm die Antwort zu Theile wurde: im Walde stände kein Forte-Piano! Aber hier steht eines, rief Agnes, und öffnete das ihrige. »Eigentlich spiel' ich 160 Guitarre,« sagte Gustav; »auf dem Claviere begleit' ich mich ziemlich unvollkommen.« Caroline wechselte verschiedene Blicke mit Agnesen, worauf diese weiter bat und drang, mit der Versicherung: die Stimme und der Vortrag wären ja die Hauptsache und auf eine Handvoll Noten, die auf den Teppich fielen, käme es ja nicht an. Emil's heftig ausgesprochenes Verlangen gab den Ausschlag. Gustav schleppte sich zum Instrument, wie ein halberwachsenes Rinderkalb zur Schlachtbank. »Der Teufel soll mich holen,« seufzte er, »wenn ich mich seit zwei Jahren geübt habe!« Abermals begegneten sich ausdrucksvolle Blicke der Freundinnen. Kaum jedoch war die erste Strophe erklungen, als Caroline Agnesen zuflüsterte. »Mit diesem Liede hat er auch damals begonnen; er ist es.«

Von Schule und Ausbildung konnte bei einem Naturalisten dieser Gattung die Rede nicht sein. Aber die Stimme war angenehm, kräftig, die Art zu singen weder weichlich noch geziert: die Articulation klar und deutlich. Emil lobte laut, was zu loben war. Auf Agnesen, die doch früher ihre entschiedene Abneigung wider Tenorgesang gegen die Freundin ausgesprochen, machte das Lied eine so tiefe Wirkung, daß sie stumm blieb und durch lauschendes Schweigen allein unwillkürlich aufforderte, weiter 161 fortzufahren. Es ging dem Sänger, wie es den meisten Dilettanten ergeht. Anfänglich können sie sich schwer entschließen, zu beginnen; haben sie begonnen, können sie sich noch schwerer entschließen aufzuhören. Er gab zum Besten, was er nur im Gedächtniß mit sich führte. »Weiß Gott, das vollständige Concertprogramm,« sagte Caroline halblaut.

Gustav fuhr auf: »Von welchem Concertprogramm reden Sie, mein Fräulein?«

Sie rückte mit der Wahrheit heraus, zu Emils allerhöchstem Befremden. Auf so poetisch-romantischen Irrwegen hätte seine Phantasie den ehemaligen Fähndrich nimmermehr gesucht!

Dieser sperrte sich keinesweges dagegen; mit seiner freimüthigen Derbheit sprach er lachend: »Vor meinem Examen würde ich das Blaue vom Himmel herunter gelogen haben, ehe ich mich zu so dummen Streichen bekannt hätte; jetzt, wo ich mit Trompeten und Pauken durchgefallen bin, warum soll ich da noch Rücksichten nehmen, die zu nichts mehr führen? Ja, ich war es, der einen theaternärrischen Schulfreund auf einer sogenannten Kunstreise durch musikalische Zwischenspiele unterstützte, so weit meine Lieder reichten und so weit wir ohne gehörige Pässe kamen. Da man uns dieses unschuldige Handwerk 162 legte, ging der Andere unter die Comödianten und ich ging nach Thalwiese, wo sie sich sehr wunderten über mein langes Ausbleiben auf einer Gebirgsreise und mich alsbald in die Uniform stecken ließen, aus welcher meine Herren Examinatoren mich wieder befreiten.«

»Und Sie haben in Carolinen gewiß Ihre aufmerksame Zuhörerin sogleich wieder erkannt?« fragte Agnes.

»Auf Seele und Seelen-Seligkeit, nein, gnädige Frau! Keine Idee! Sonst hätt' ich jetzt nicht erstaunen können über die Erwähnung des Concertprogramms aus des Fräuleins Munde.« –

Gustav mochte bald empfinden, so wie nur diese unüberlegte Aeußerung gethan war, daß sie für Carolinen verletzend sein müsse. Er wollte wieder gut machen, was er absichtslos verdorben; wobei er natürlich immer tiefer hinein gerieth, wie Jeder in ähnlicher Lage. Die Betroffene zeigte sich wirklich gekränkt und verstimmt. Beim Schlafengehen sagte sie zu Agnes: »Der Freund Deines Herrn Gemals sieht mir ganz aus, als wünschte er der Deinige zu werden?«

Worauf Agnes kalt entgegnete: »Lasse mich nicht entgelten, daß der junge Herr unverbindlich 163 gegen Dich gewesen; Du weißt am Besten, daß ich keinen Freund brauche, noch weniger ihn suche. Und am Ende will er Dich nur necken, weil – das alte Sprichwort kennst Du ja.«

»Du machst es in diesem Augenblicke wahr, indem Du mich necken willst,« sagte Caroline. »Denn ich hoffe, wir lieben uns wirklich! Aber lassen wir den durch's Examen gefallenen Fähndrich ein für allemal bei Seite, damit er sich nicht zwischen uns Beide stelle und unseren Frieden störe. Mag er folgen, welcher Fahne er wolle, – die meinige wird sich nicht mehr neigen, ihn heran zu wehen. Er ist ein Grobian.«

Sie hörten wirklich auf, über ihn zu sprechen. Und nicht allein für diesen Abend, sondern auch für die folgenden Tage. Agnes in ihrem Zartgefühl fürchtete, wenn sie seinen Namen unter vier Augen nannte, eine Wunde zu berühren, welche die Freundin zwar verbarg und verläugnete, deren Dasein sich dennoch durch unwillkürlich schmerzhaftes Zucken kund gab; Caroline hingegen glaubte wahrgenommen zu haben, daß Agnes ihr vorgezogen sei, weßhalb sie gern vermied, den Gegenstand heimlich quälender Eifersucht zu berühren. Sie sahen ihn täglich, redeten ziemlich unbefangen mit ihm, lachten über seine 164 naiven Scherze; hörten auf seine Lieder, doch kaum hatten sie ihm den Rücken gewendet, war es doch, als wüßten sie nicht, daß Einer seines Namens lebe! In wiefern es Agnesen gleichgiltig sein mochte, oder nicht, daß Gustav nur für sie zu singen schien, darüber zu entscheiden wagen wir nicht, eher wir sie genauer kennen. Daß Caroline sich alle erdenkliche Mühe geben mußte, den Unmuth über ihre Zurücksetzung nicht durchblicken zu lassen, ist gewiß. Diese Aufregung kam den geselligen Abenden in Schwarzwaldau zu Gute. Eigentlich bemüheten sich beide Paare, wenn schon aus widersprechenden und sich gleichsam durchkreuzenden Ursachen, so liebenswürdig zu sein, als es eben im Wesen und Character jedes Einzelnen lag. Unbezweifelt war es nur Gustav's Persönlichkeit, die auf alle Uebrigen solche belebende Kraft übte; ohne ihn würden die winterlichen Abende mehr als winterlich-kalt und düster geblieben sein. Es ist mit dem Umgange und Zusammenleben verschiedenartiger Menschen nicht anders, wie mit chemischen Mischungen, wo zwei oder drei Stoffe miteinander verbunden, sich nicht rühren noch regen, obgleich sie, jeder einzelne an und für sich, inhaltschwer genug sind; erst wenn ein vierter, vielleicht der unbedeutendste von ihnen, unter sie kommt, beginnt das 165 lebendige Wirken. Am meisten abhängig von Gustav's Gegenwart, stets besorgt ihn bei guter Laune zu erhalten, ihm die Anwesenheit in Schwarzwaldau möglichst bequem und angenehm zu machen, zeigte sich Emil. Diesen bedünkte es, den Freund nicht mehr entbehren, ohne ihn nicht ferner sein zu können. Deßhalb auch sah er mit Entzücken, daß Caroline neben Agnes in den Hintergrund trat, daß Gustav's Huldigung, (wenn dessen Aufmerksamkeiten solchen Namen verdienten,) sich einzig und allein Agnesen zuwendete. Die Verehrung für die Herrin des Hauses mußte den Verehrer nothwendig an das Haus fesseln. Caroline dagegen hätte, wär' es ihr gelungen, ihn zu erobern, den Gefangenen unbedenklich heimgeführt, um sich an ihn und ihn an sie für immer zu ketten. –

Gustav war allbeliebt in Schwarzwaldau; wie es unbedeutende, oberflächliche Menschen immer und überall sein werden, wenn sie keine großen Ansprüche machen, niemand beschwerlich fallen und ihre selbstsüchtige, lieblose Gleichgiltigkeit hinter anmuthigen Formen verstecken. Derlei Leute sind recht eigentlich Allerwelts-Leute und obgleich sie es mit Niemand gut meinen, als mit sich, (und auch dieß nur in beschränktem Sinne,) wird man von allen Seiten 166 nur Gutes über sie vernehmen. Der einzige Feind, der ihm am Orte lebte, – ein höchst erbitterter, ein Todfeind freilich, – verrieth den wilden Haß, den er ihm geschworen, durch keine Silbe, und hatte Kraft genug, demüthige Unterwürfigkeit zur Schau zu tragen, während Eifersucht, Neid, Zorn und Rachsucht in ihm tobten. Der Jäger Franz bewegte sich zwischen seinem Herrn und dessen jungem Hausfreunde stets gehorsam, stets lächelnd, stets bescheiden, als ob die seinen Ruf im Dorfe zerstörenden Aussagen des längst an's Gericht abgelieferten Wilddiebes ihn gänzlich vernichtet, ihm jedes Recht an früher gehoffte Vertraulichkeit genommen, jedes Andenken auf Emil's flüchtige Gunst in seiner Seele verlöscht hätten. Und Emil ließ sich von dieser verstellten Resignation täuschen; wähnte den so plötzlich Bevorzugten und noch plötzlicher Verstoßenen in tiefster Anerkennung (ihm nur noch durch Schweigen erwiesener Großmuth,) zufrieden und dankbar; wähnte ihn schon glücklich, wenn er nur nicht aus dem Dienste geschickt werde, indessen Jener bei Tag' und Nacht über dunklen Entwürfen brütete. Kein Auge beachtete den Unglücklichen. Niemand nahm sich die Mühe, aus seinen, durch gewaltigen Zwang entstellten Zügen heraus zu lesen, 167 was in ihm vorging? Nur Agnes, – vielleicht von einer geheimnißvollen Ahnung berührt, daß unter der grünen Leibjäger-Tracht ein Herz für sie glühe? – äußerte einmal: »Seitdem Herr von Thalwiese so viel bei uns ist, kommt es mir unbegreiflich vor, wie Ihr von einer Aehnlichkeit reden konntet, die er mit dem Büchsenspanner haben sollte?«

»Und dennoch gab es eine solche,« wendete Caroline ein und betonte diese Behauptung recht absichtlich, als ob sie wünsche Gustav dadurch zu kränken; was ihr jedoch nicht gelang, denn Gustav hörte gar nicht darauf.

»Möglich,« fuhr dann Agnes fort, »daß früher etwas dieser Art wirklich bestand? Jetzt find' ich keine Spur davon. Physiognomieen ändern und verändern sich häufiger, als man meinen sollte. Nun vollends die des Jägers Franz: der arme Mensch sieht aus, wie wenn er den Keim einer Todeskrankheit in sich trüge?«

»Daß ich nicht wüßte,« sagte Emil gleichgiltig. »Er ist wohlauf.«

Damit war die Sache abgethan und kam nicht wieder zur Sprache. 168


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