Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Einundzwanzigstes Capitel.

Caroline stand mit ihrer Mutter am offenen Fenster und sah über die breite Gasse, in welcher das Gasthaus ›zum schwarzen Roß‹ belegen, nach dem alten Pulverthurme, durch dessen hochgewölbte 39 Pforte so eben ein junger Mann in's Innere der Altstadt Prag's gegangen war, den sie für Gustav hielt. »Ich habe deutlich gesehen, denn dazu ist noch Tag genug, daß er,« – so sprach sie zu Mama Reichenborn, – »unten am Hausthore mit dem Portier redete. Gewiß hat er sich nach uns erkundiget? Gewiß folgte er uns aus Dresden hierher nach Prag. Und nun haben die dummen Menschen, die niemals einen Namen ordentlich behalten, ihn fortgeschickt, und er sucht uns vergeblich im Engel, oder Gott weiß wo?«

»Wenn das der Herr von Thalwiese gewesen ist, derselbe, der neulich in Dresden . . . .«

»Derselbe, liebe Mutter!«

»Nun, meine liebe Caroline, dann mach' ich mich anheischig, ihn – aufzuessen, sobald Du mir's gestattest, und ihn nicht etwa selbst aus närrischer Liebe fressen willst! aufzuessen wie er geht und steht. Das war so gewiß ein ganz anderer Mensch, als es außer Deinem Gustav noch andere Menschen giebt; wenn auch nicht für Dich, wie ich merke! Sage mir nur, Kind, wie es möglich wurde, daß die eine einzige Stunde des Wiedersehens Dich wieder gar so sehr in Flammen setzte? Ich dachte, das wäre längst verwunden und verschwunden?«

40 »So lange diejenige lebte, die ihn mir abwendig gemacht, die ihn mir geraubt; – oder vielmehr: so lange ich sie noch am Leben wähnte, mußte er nothwendig todt sein für mich. Warum hätt' ich Dich mit meinen Leiden, mit meiner Sehnsucht nach ihm ängstigen sollen? Warum Dir das Dasein verderben? War es nicht genug, daß ich das meinige verdarb? Daß ich mich abquälte und abhärmte? Ach, es giebt keinen größern Gram, als hassen zu wollen, wo man so innig liebte! Und ich habe Agnes geliebt. Da kommt nun er, den eine Bezauberung mir entriß und zeigt sich, frei von jenem Zauber, mir wieder geneigt. Die uns trennte ist begraben; ein furchtbarer Rache-Engel ist für mich eingeschritten. Darf ich nicht glauben, daß dieser, nachdem er sein blutiges Amt verwaltet, sich in den Schutzgeist meiner Liebe umwandeln, daß er mir den Reuigen zuführen wollte?«

»Das klingt sehr hübsch, aber ich sehe kein gutes Ende. Von mir und meinen Befürchtungen will ich schweigen; ich bin stets eine allzu nachgiebige Mutter gewesen. Doch des Vaters Abneigung wider den jungen Herrn« . . . . . .

»Hat sich bedeutend verringert, seitdem er ihn persönlich kennen lernte.«

41 »Das will ich nicht leugnen. Dennoch ist noch ein großer Abstand, von der Aeußerung: ›nicht so schlimm, wie ich mir ihn dachte!‹ bis zu der Erlaubniß auf die Du hoffst! Du hoffst überhaupt zu viel von dem Gegenstande Deiner heißen Liebe. Hast Du denn auf einmal vergessen, was Du selbst über ihn gesagt, wenn Du Dein betrogenes Herz in das Herz Deiner Mutter ausgeschüttet? Und soll er sich denn seitdem so gänzlich umgeändert haben, daß er aus einem Flatterhaften, Treulosen, ein solider Ehemann werden könnte?«

»Mutter, sprich dieß fürchterliche Wort nicht aus; es klingt abscheulich. Was ihr, was Vater, was Du, was Deine alten Freundinnen so benennt, hat mich immer von dem Gedanken an eine Heirath zurückgeschreckt. Es waren ja wohl ›solide Männer‹ nach eurem Sinne, die ihr mir vorschlugt, die ihr meiner besonderen Aufmerksamkeit empfahlt? Gott erbarme sich! Lieber wollt' ich unvermählt bleiben und mir von unsern Gassenjungen eine alte Jungfer um die andere nachrufen lassen! Solche Freier, die den Werth einer Rosenflur danach berechnen, ob die Blumen als Futter für unsere Kuh benützt werden könnten! Für sie giebt es kein Frühlingsgrün wie die Leinsaat, aus welcher Flachs bereitet wird; für sie keinen Sommer, 42 als um ihre Getreidespeicher zu füllen; kein Gebirge, außer jenem, wo Gold und Silber gegraben wird; keinen Klang, wie den Klang der Münzen; kein Buch, wie ihre Rechnungsbücher; keine Schönheit, wie die des Besitzes. Ich will solchen soliden Gatten nicht; mein Gefühl sträubt sich dagegen, als Waare verhandelt zu werden.«

»Da lebst Du denn doch vielleicht in einem großen Irrthume, Caroline. Ich mache Dir keinen Vorwurf darüber, denn ich verstehe Dich und Deinen inneren Zustand vielleicht besser, als Du selbst ihn verstehst. Ich bin auch jung gewesen und habe auch meine eigenen Gedanken gehegt über diese Dinge, wenn gleich mir's heute niemand mehr ansieht; habe auch die Abneigung empfunden, bei einem Handels-Abschluß zwischen zwei Vätern, gleich einer Zugabe in den Kauf gezogen zu werden mit meiner Person. Ja, gewiß, Linchen, mir hätte auch Dieser oder Jener besser zu Gesichte gestanden, wie Dein guter Vater, der mir schon zu wenig jung war, zu wenig hübsch und viel, viel zu ›solide.‹ Dennoch, wenn ich jetzt so zurückdenke; wenn ich mein Geschick vergleiche mit jenem verschiedener Jugendfreundinnen, von denen etliche der Stimme des Herzens folgen durften, die Eine sogar ihren Willen gewaltsam durchsetzte gegen 43 den Willen der Ihrigen! . . . . . Sie haben sämmtlich kein gutes Loos gezogen. Gerade bei der Letzteren bewährte sich's, daß ihre Person recht schmählich verkauft worden war an den schlechten Gesellen, der sie zu lieben vorgab, damit er ihre Ausstattung in seine Klauen bekäme! Sie ist von ihm geschieden und lebt durch Wohlthaten und Almosen.«

»Was Du sagst, kann wahr sein. Und ich bin nicht so leichtgläubig, daß meines Vaters Reichthum nicht schon oft mir zu ähnlichen nahe liegenden Besorgnissen Anlaß gegeben haben sollte. Ja, ich hegte damals in Schwarzwaldau einen Verdacht dieser Art gegen Gustav. Davon hat er mich völlig geheilt; er selbst, durch seine Untreue! Denn als er mich um Agnesens Willen schmählich verließ, stellte er seine Ehre in jenem Puncte siegreich wieder her. Seinen Trieben folgend, ohne Rücksicht, ohne Berechnung, bewies er, daß er wohl ein leidenschaftlicher, aber durchaus kein eigennütziger Mensch sei. Sie lockte ihn, die stolze, spröde Männerfeindin, die süße Heuchlerin; sie verlockte ihn, er widerstand ihr nicht und ließ mich ziehen. Aufrichtiger, ehrlicher fand niemals eine Trennung Statt. Jetzt ist sie todt, zwei Jahre liegen dazwischen, er hat sie vergessen, er wendet sich mir wieder zu . . . wie sollt' ich an ihm zweifeln? 44 Wär' ihm nicht so zu Sinne, er gäbe sich wahrlich nicht die Mühe, mich's glauben zu machen.«

»Wer Dich so reden hört, sollte meinen, Du seiest Wunder wie sehr im Klaren über Dich und dabei läuft Dir sehnsüchtige Ungeduld einmal über das Andere mit der Besonnenheit auf und davon. Caroline, ich fürchte, Du giebst Deinen Trieben zu willig nach: nur von glühender Begier umschleierte Augen haben Visionen, wie jetzt eben die Deinen, wo Du ihn zu erblicken meintest.«

»Ich verleugne nicht die Gluth, die durch meine Adern rinnt; vor Dir nicht, Mutter; mag ich auch alle Uebrigen durch erlogene Kälte täuschen. Mit vierundzwanzig Jahren sind die Forderungen der Jugend noch nicht in ewigen Schlaf gelullt. So lange ich hassen, ihn im Arme einer verrätherischen, falschen Freundin verwünschen, sie anklagen und beneiden durfte, so lange behaupteten feindselige Triebe ihre Gewalt über zärtliche. Dir hab' ich nie verhehlen wollen, wie heiß es unter der Asche glüht. Wird es Dich befremden, daß die Lohe plötzlich wieder aufschlägt?«

»Es befremdet mich nicht, mein armes Kind; es beängstiget mich nur.«

»Und dennoch wirst Du mir helfen, den Vater 45 für Gustav zu stimmen; seine Einwilligung zu erschmeicheln, wenn . . .«

»Ja, wenn Dein Gustav in der That sich einstellt, darum anzusprechen; wenn er wirklich kommt, um Dich zu werben . . .«

»Da kommt er.« rief Caroline triumphirend aus und wies mit dem Finger in die Dunkelheit hinab, auf dieselbe Männergestalt, die ihr bereits vorhin Gustav's Bild vor's Auge gerufen, und die jetzt wieder auf den Gasthof zu sich bewegte.

»Meine Brille sagt mir, daß er's nicht ist;« äußerte gutmüthig Mama Reichenborn; »sollte meine Brille Recht behalten über Dein ahnendes Herz?«

In der That schien er's nicht zu sein; denn abermals näherte er sich dem Hausthor, wechselte wieder einige Worte mit dem Pförtner und mit einem müßig dort lehnenden Lohndiener und entfernte sich sodann, diesesmal die entgegengesetzte Richtung einschlagend; er ging den sogenannten Graben hinauf, ohne sich auch nur nach den Fenstern umzuschauen.

»Nein, das kann er nicht sein!« seufzte kopfschüttelnd Caroline. »Aber ich will wissen, nach wem er sich zweimal erkundigte?«

Sie läutete nach dem Lohndiener. Dieser nahm es sehr übel, als an seiner Kenntniß und richtigen 46 Aussprache der im Hôtel verzeichneten Fremden-Namen gezweifelt wurde; er versicherte die Damen: nicht nach ihnen, sondern nach einem sicheren Herrn von Thalwiese, der aus Dresden eintreffen wolle, habe eben der junge Cavalier heute schon unterschiedliche Male gefragt.

Caroline blieb auf diese Kunde niedergeschlagen und tiefsinnig sitzen, ohne ihr Gespräch weiter fortzuführen. Die liebevolle Mutter gab ihr lächelnd zu verstehen, daß ihre Betrübniß unerklärlich sei, nachdem sie nun Gewißheit habe, daß Gustav eintreffen werde.

»Im Gegentheil, Mutter; irgend ein schwerer Unfall droht ihm, hat ihn vielleicht schon ereilt! Zu allen Zeiten und in allen Landen bedeutet es nahen Tod, wenn Einer nach sich selbst fragt.«

Der Mutter Lächeln ging jetzt in lautes Lachen über und weil Herr Reichenborn, der im Nebenzimmer seine Dunkelstunde und seine dritte Pfeife beendet, mit der Bemerkung, es sei Zeit in den Speisesaal zu wandern, zwischen sie trat, so verlangte er auch seinen Antheil an der Gattin Heiterkeit.

»Caroline sieht Gespenster, Väterchen; sie hat Erscheinungen und glaubt an Vorzeichen, deßhalb lach' ich sie ein Bißchen aus!«

47 »Das kommt von ihrem ewigen Lesen, von den romantischen Büchern,« sagte Herr Reichenborn, der Gattin den Arm reichend.

»Sie müßte bald heirathen,« flüsterte diese ihm zu, so leise, daß Caroline es nicht vernahm; »wenn sie für Mann und Kind zu sorgen hätte, würde sie nicht so viel grübeln und träumen.«

»Freilich müßte sie, aber wen? Es ist ihr ja Keiner anständig, den ich auswähle?«

»Darüber sprechen wir vor Schlafengehen, Reichenborn; hier auf der Treppe läßt sich das nicht abmachen. – Wo bleibst Du, Caroline?« –

Sie suchten den kleinen runden Tisch auf, den sie diese Tage über inne gehabt und den sie, da er nur vier Plätze darbot, fast gänzlich einnahmen. Herr Reichenborn saß und aß für Zwei. Dabei ließ er sich gern überraschen; die Kellner mußten für ihn auswählen; mochten sie ihm auch das Theuerste bringen, er tadelte sie nicht, er bezahlte willig. »Wenn ich einmal Gast bin,« pflegte er zu sagen, »so will ich auch ein honetter sein und die armen Teufel sollen wissen, daß sie in mir einen wohlhabenden Mann bewirthen.«

Deßhalb ließ er auch trotz ihrer Gegeneinwendungen für Frau und Tochter serviren, als ob sie 48 seine Fähigkeiten besäßen und wenn Mama Reichenborn, die übrigens keine Verächterin guter Schüsseln war, ihn aufmerksam machte, sie sei satt, und es wäre Schade, daß die Kellner unberührte Speisen wegnehmen müßten, so replicirte der splendide Reisende: »Mögen sie's hinunterschlingen; sie haben junge Magen!«

Daß er bei solchen Gesinnungen in jeglichem Speisesaale willkommen und bei sämmtlichen Gasthofs-Personalen an der Elbe, Moldau und Spree, wohin seine Wege ihn nur geführt, persona grata war und blieb, ist leicht zu denken. So auch hier, wo man ihn längst kannte, und wo Jeder ihn verbindlich anschmunzelte, dem er einen Blick gönnte.

Heute wollte die Sache nicht recht in Gang kommen. Reichenborn stellte seiner Tochter melancholischen Ernst, ihr entschiedenes Verschmähen jeder Nahrung mit den Worten zusammen, die seine Frau ihm auf der Treppe zugeflüstert und setzte ganz richtig voraus, die Beiden hätten vorher eine darauf bezügliche Unterredung gepflogen. Carolinens ganzes Benehmen hatte sich seit dem Dresdner Gartenconzerte so sichtbar verändert, daß des Vaters Besorgniß nothwendig auf Herrn von Thalwiese zurück geleitet werden mußte. Diese Erinnerung 49 und seiner Tochter Schweigen verdarb ihm ein Wenig das Behagen am Abendtische. Er verschwieg es nicht. »Wenn ich Dir so gegenübersitze und habe Dein langes Gesicht vor mir, da bleibt mir der Bissen im Munde stecken. In Dresden und auf der Reise warst Du ganz anders. Ich möchte Dich froh sehen. Froh und guter Dinge, wie ich es bin. Meine Geschäfte stehen gut; Alles in Ordnung; übertriebene Gerüchte; vollkommene Sicherheit; kein Gulden verloren!«

»Nun, dann ist ja weiter kein Grund zur Klage vorhanden, Vater; um mein langes Gesicht mache Dir keine Sorge, wenn Du nur Dein Geld gerettet weißt; das bleibt ja doch die Hauptsache.«

»Allerdings,« erwiderte Herr Reichenborn, der die Ironie nur aus Carolinens Mienen ahnte, sie aber aus einem nach seiner Meinung mathematisch begründeten Satze unmöglich heraus finden konnte; »allerdings bleibt es die Hauptsache, weil es mir – (und hier erhob ihn die Liebe für sein einziges Kind zu wahrhaft grandiosem Schwunge!) – weil es mir die Mittel bietet, Dich glücklich zu machen!«

»Darf ich Dich beim Worte nehmen?« wollte Caroline ausrufen, doch der Klang eines Posthorns 50 und das Geräusch eines vor die Hausthür rollenden Wagens erschütterten sie dermaßen, daß sie inne hielt.

»Da kommt ein Reisender an,« sagte Reichenborn; »und zwar mit Extrapost; der muß es eilig haben; wahrscheinlich ein Courier? Meinst Du nicht auch, Linchen?«

Linchen war noch nicht so weit gesammelt, um Antwort auf diese neckende Frage zu ertheilen. Die Mutter übernahm's für sie: »Warum ein Courier, Väterchen? Alle Leute haben nicht Deine Vorliebe für die Schneckenpost unseres Pirnaischen Lohnkutschers und wer es irgend mit seinen Finanzen vereinbaren kann, nimmt gern Postpferde.«

Das Wort ›Finanzen‹ bewährte sogleich seine stets erprobte Wirkung auf den alten Rechner: es veranlaßte ihn, die vor einigen Secunden der Tochter gemachte Zusicherung zu bereuen. Auf seiner Stirn stand geschrieben: Nicht ohne besonderen Grund hat das Posthorn meine empfindsame Tochter electrisirt! Die Gefahr rückt näher; Reichenborn, halte Dich tapfer. Dann sprach er, nicht höhnisch, obwohl gutmüthig spöttelnd: »Es freut mich nur, daß die Versicherung meiner väterlichen Liebe Dir so viel galt, Caroline; Du machst wirklich kein so langes Gesicht mehr, wie vorhin. Aber, wie wär' 51 es, wenn wir die Tafel aufhöben und zur Ruhe gingen?« –

»Wir verlangen es nicht besser,« sagte Mama. »Nicht wahr, mein Kind? Du wirst gern mit Dir und Deinen Gedanken allein sein und ich – je nun, ich habe Mancherlei mit Papa durchzusprechen, was Dich und Deine Gedanken betrifft.«

Reichenborn seufzte tief, reichte seiner Gattin den Arm und musterte sämmtliche vor ihm aufmarschirte Kellner mit einem Blicke des Neides, der gedeutet werden konnte: Ihr könnt lachen; ihr habt keine Töchter, welche in Windbeutel verliebt wären und ihr habt keine Frauen, welche euch in's Gebet nehmen wollen, ehe ihr schlafen geht!


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