Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Capitel.

Emil betrat seiner Gattin Gemächer, wie ein schuldbedrückter, zu reuiger Buße geneigter Mensch. Von der unfreundlichen, mürrischen Weise seines leider sonst alltäglichen Benehmens, zeigte sich heute keine Spur: stürmische Ungewitter haben oft sanfte friedliche Abende in ihrem Gefolge. Ebenso schien Agnes minder in ihren stillen schweigsamen Gram versunken, wie gewöhnlich; sie empfing den Gatten fast heiter; vor ihr lag ein offener Brief, der diese Umwandlung hervorgebracht. Ihre Pensionsfreundin Caroline meldete ihr, daß sie den Eltern endlich die Erlaubniß abgeschmeichelt habe, der längst und wiederholt an sie ergangenen Einladung zu einem längeren Besuche in Schwarzwaldau folgen zu dürfen und verhieß baldige Ankunft. Das war für Agnesen ein 22 wichtiges Ereigniß. An Carolinen und deren Andenken knüpften sich für die einsame Frau lebhafte und belebende Erinnerungen der blühenden Mädchenzeit, die sie in einer Dresdner Erziehungsanstalt als vertrauteste Genossinnen miteinander durchgemacht. Tausend frische fröhliche Kindesträume wurden wach und erfrischten anregend die öde Gegenwart der vernachlässigten Ehefrau mit einem fröhlichen Hauche von Vergangenheit. Sie sprach ihre Dankbarkeit gegen Emil aus, daß er ihr habe gestatten wollen, die Freundin einzuladen; daß er ihr diese Freude vergönnt habe, – obgleich er es allerdings nicht mit allzubereitwilligem Entgegenkommen gethan, vielmehr deutlich gezeigt hatte, daß ihm die Anwesenheit einer ›Beobachterin‹ eben nicht erwünscht sei. Heute gab er fast das Gegentheil kund. Er hieß Carolinen im Voraus willkommen, versprach sich für Agnes Vergnügen und für sich herzliche Theilnahme von solchem Zuwachs ihres Verkehres und äußerte dieß in so verbindlicher, gefühlvoller Weise, daß die arme Frau ihre Theekanne aus der Hand setzte, ihn erstaunt anblickte und mit Thränen im Auge ausrief: »Wie gut Du gegen mich bist, lieber Emil!«

Sie saßen traulich beisammen, ohne weiter viel zu reden. Sie lächelten Beide still vor sich hin. 23 Wer sie gestern Abend sitzen gesehen, hätte in ihr nicht die Frau wieder erkannt, die ein Bild entsagenden Grames in die Dämmerung starrte und nur mechanisch das Amt der Hausfrau am Theetisch verwaltete; in ihm noch weniger den Mann, dem die fürchterlichste aller Entschließungen mit tiefen Zügen schon auf der Stirn geschrieben stand. Und welche neue Richtung hatte sich denn dieser verkümmernden Seelen bemächtiget? Bei Agnes ist es leicht zu erklären: auf matte verschmachtende Blumen war ein mildes Regenwetter gefallen; die ganze Wiese athmete neuen Duft. Aber bei Emil? Vor einer Stunde pochte er mit dem Griffe seiner Mordwaffe an's verriegelte Thor der Ewigkeit, – und jetzt gab er sich behaglichem Nachsinnen, versöhnenden, ausgleichenden Bildern hin? Woran dachte er, daß er überhaupt im Stande war, noch etwas Anderes zu denken, als den schrecklichen Moment, wo er des Dolches Spitze gegen die klopfende Brust gezückt? Wer sollte es glauben: er dachte an denjenigen, der ihm den Stahl aus der Faust gerissen; er dachte an den Jäger Franz und an dessen Lebensgeschichte, die dieser ihm morgen zu erzählen sich verpflichtet. Er erwartete davon etwas Besonderes, Aufregendes, ihn Zerstreuendes, ohne doch selbst zu wissen, in wie fern des 24 jungen, bisher für unbedeutend gehaltenen, wenn auch mit Vorliebe behandelten Burschen Schicksale, auf seine Stimmung günstige Einwirkung üben sollten? Genug, Emil gehörte dem Leben schon wieder so weit, daß der Lebenslauf eines Fremden ihm wichtig dünkte.

Womit wäre doch manches Menschen Herz passend zu vergleichen? Das alte abgenützte Gleichniß vom Meere, bis in dessen tiefste Abgründe jetzt der Sturm wühlt und welches, von ihm getrieben, tobt und raset, um sodann wiederum der hellen Sonne einen reinen glatten Spiegel zu zeigen, – es paßt nicht; es taugt nichts; denn nach jedem ernsten Sturme braucht es mindestens Tage, ja Wochen, bis die Wellen sich wieder legen und lächelnder Friede in des Meeres Schoos zurückkehrt. Aber manches Menschen Herz zuckt in stürmischen Krämpfen, als wollt' es bersten, und kaum hat der Krampf nur Minuten lang nachgelassen, so ist es auch schon das alte, weiche, jedem Eindruck empfängliche Herz, allen guten und schlimmen, allen wichtigen und nichtigen Eindrücken und Regungen geöffnet und hingegeben.

Es sind nicht die schlechtesten Herzen, die der Schöpfer also gebildet – aber die zuversichtlichsten, tüchtigsten sind es wahrlich auch nicht. Es ist kein 25 rechter Verlaß auf sie, weder für Haß, noch für Liebe. Sie drohen sich Gefahr und Andern!

Emil gehörte zu Jenen, die ein solches im Busen tragen. In welche Gefahren es ihn selbst gezogen, haben wir bereits beim Anfang dieser Geschichte gesehen; in welche Verwickelungen es alle diejenigen ziehen wird, mit denen er in nähere Berührung kommt, soll uns die Folge lehren.

Für heute trübte keine Ahnung düst'rer Zukunft beider Gatten Ruhe. Agnes athmete in milder Heiterkeit auf, – seit Monden zum Erstenmale! – und Emil gab sich der beschwichtigenden Rückwirkung dieser Heiterkeit so willig hin, daß die kurzvergangenen Stunden schon wie eben so viele Jahre hinter ihm lagen. Sie trennten sich, da sie zur Ruhe gingen, mit einem an Zärtlichkeit streifenden Gefühle, worüber Beide, da Jedes in seinem Schlafgemache sich allein überlassen war, sich freuten. Es glich dieß Gefühl dem Streifen Abendroth, der am trüben Himmel einen doch vielleicht erträglichen Morgen und Tag verspricht.

Agnes, als städtische Langschläferin, welche sie auch in Schwarzwaldau verblieben, ließ noch in späten Träumen die gestrigen Theestunden an sich vorüber dämmern und sammelte sich erst nach und 26 nach zu klarem Besinnen, daß sie sich vorgenommen habe, Carolinens Gastzimmer recht hübsch und wohnlich einzurichten, . . . da zog Emil schon mit Franz durch tiefen Wald. Sie waren stumm und ernst. Auch Emil. Die leichtsinnige Aufwallung, in welcher gestern alle Selbstmordgedanken so unbegreiflich schnell verschwammen, hatte sich beim Erwachen gelegt; des Augenblickes Täuschung hielt der langeingewurzelten Gewißheit seines selbstgeschaffenen Leidens nicht mehr Stand; er war wieder, was er seit Jahren gewesen: der an Lebensunmuth krankende Herr, dem jetzt sogar die begehrte Lebensgeschichte des jüngeren Dieners nicht mehr besonders wichtig schien, denn er ging vor Jenem her, ohne Halt zu machen, ohne das Gespräch zu beginnen. Franz folgte wie ein Diener, der gehorcht, der aber seinen Herrn geringschätzt. Und das that er wirklich. Er sah in Emil einen verweichlichten Menschen, ohne festen Character, ohne energischen Willen, ohne ausdauernde Consequenz. Selbst der leichte Sieg, den er über ihn davongetragen, als er die Todeswaffe dem schwachen Arme entriß, trug zu dieser Geringschätzung bei. Franz war eine kräftigere Natur, war, obwohl noch Jüngling, mehr berechtiget, sich Mann zu nennen, als der um sechs Jahre Aeltere. Dieß Bewußtsein verlieh ihm 27 moralisches Uebergewicht; auf dieses trotzend schritt er mit kecker Zuversicht der bevorstehenden Auseinandersetzung ihrer Verhältnisse entgegen.

Schweigend gingen sie bis an die äußerste Grenze des Schwarzwaldauer Forstes, wo dieser sich gegen Norden in eine weite öde Fläche verliert, deren Flugsand bisher jedem Culturversuche tückisch widerstrebte. Eine unerquickliche, trostlose Gegend, kaum von dem Gezwitscher eines Vogels belebt; denn alle Thiere beeilen sich, diese Nachbarschaft zu meiden. Dort erst erwachte Emil aus dem Halbschlafe, worin er einhergezogen war. Er setzte sich auf den Erdboden, lehnte sich mit dem Rücken an einen der letzten Baumstämme, winkte Franzen zu, ein Gleiches zu thun, und sprach mit einem Anfluge bitteren Scherzes: »Hebe das Klagelied von Deiner Vergangenheit an und wolle der Himmel, daß die Aussicht in die Zukunft lebensfrischer sein möge, als diejenige, die wir hier vor unsern Augen haben!«

»Sie ist nicht unpassend gewählt für meine Mittheilungen,« erwiderte Franz und begann: »Ich bin der einzige Sohn des Freiherrn Franz von R. Mein Vater starb vor fünfzehn Jahren und hinterließ meine arme Mutter in sehr verwickelten Verhältnissen, aus denen sie sich nur durch sparsame Geduld zu retten 28 im Stande gewesen wäre. Sie aber hatte nicht gelernt, sich einzuschränken und ihre zärtliche Liebe für mich trug viel zur Vermehrung ihres Aufwandes bei, dem ihr Rechtsfreund und mein Vormund, Beide, vergeblich Einhalt thun wollten. Anstatt mich gleich andern Kindern meines Alters in eine öffentliche Schule zu senden, oder mich in eine Erziehungsanstalt mittlerer Gattung zu geben, woran in der Residenz kein Mangel war, hielt sie mir einen theuren Erzieher, der aber doch nicht allen Unterricht selbst ertheilen konnte und neben welchem noch die gesuchtesten Privatlehrer für neuere Sprachen, Musik, Zeichnen verwendet und schwer bezahlt wurden. Ich hatte meinen eigenen Diener, den ich, obgleich ich kaum sieben Jahre zählte, schon mit angeborenem Beruf den Herrn zu spielen, quälte und tyrannisirte. An meinem zehnten Geburtstage erhielt ich eine kleine Equipage mit zwei allerliebsten Pony's als Angebinde, wozu natürlicherweise ein jugendlicher Stallknecht gehörte, der die Zahl meiner Leibeigenen um eine Seele vermehrte. Der Hauslehrer durfte mehr oder weniger zu diesen mit gerechnet werden, denn ich übersah ihn, benützte seine Schwäche für meine kindischen Zwecke und beherrschte ihn mehr, als ich ihm gehorchte. Unerfüllbare Wünsche kannte ich nicht; Verbote, Entsagungen 29 gab es nicht für mich; was ich wollte, mußte geschehen und man wagte nicht, mir etwas zu versagen, weil ich übrigens fleißig war, meinen Aufgaben genügte und Fortschritte zeigte, die mir leicht wurden. Des Vaters Testament ließ der Mutter zu viel Freiheit, gewährte meinem Vormund zu wenig Rechte, entschieden einzugreifen; er wurde der ewigen Zwistigkeiten mit ihr, deren ich mich noch deutlich erinnere, endlich müde und ließ sie gewähren. So geschah es, daß sie, durch einen übelberufenen Advocaten verleitet, ohne selbst recht zu wissen was sie that, mein väterliches Erbtheil angriff, nachdem ihr Antheil an unserem Vermögen erschöpft war. Mit leeren Täuschungen und Schwindeleien wurde die Wahrheit so lange versteckt gehalten, bis zuletzt das Unglück in seiner ganzen Gewalt hereinbrach. Ueber Nacht waren wir Bettler geworden und die werthlosen Flitter eines unnöthigen Aufwandes reichten kaum hin, unsern Rückzug aus den ersten Reihen der vornehmen Welt in den Haufen ärmlicher, heruntergekommener, dennoch in's höchste Stockwerk hinaufklimmender Dachstubenbewohner zu decken. Ein Knabe von zwölf Jahren besaß ich weder Pony's, noch Groom; noch Kammerdiener, noch Hofmeister, noch Privatlehrer. Meine Mutter lebte nur durch Unterstützungen einiger älteren 30 Freundinnen und ich wurde in die große Stadtschule geschickt, wo ich anfänglich viel Spott und üble Behandlung auszustehen hatte, denen ich aber nach kurzer Prüfungszeit Trotz und geballte Fäuste entgegensetzte. Ich muß mich jetzt noch verwundern, wie rasch und leicht ich mich in den ungeheuren Wechsel meiner Lage finden gelernt. Keiner von all' meinen Genossen konnte mir nach Verlauf eines Jahres abmerken, daß ich der verwöhnte, in Uebermuth und Ueberfluß aufgewachsene Junge sei. Ich fügte mich, scheinbar zufrieden, jeder nothwendigen Entbehrung, ging meinen Weg als ordentlicher, tüchtiger Schüler und hatte nichts aus der Epoche meines früheren Daseins bewahrt, als einen gewissen Stolz, hergeleitet aus der Erinnerung an das, was wir einst gewesen. Dieser Stolz bewahrte mich vor schlechtem Umgang. Er ließ mich die Freundschaft bevorzugter Schüler suchen und gewinnen; erwarb mir auch die Gunst einiger Lehrer. Je erbärmlicher die Existenz bei und mit meiner hilflosen Mutter von Tage zu Tage wurde, um desto lieber ward mir die Schule. Wie müssige Bettler an manchen Orten gern und oft Kirchen besuchen, um sich, auch ohne Gottesdienst, in hochfeierlichen Räumen aufhalten zu dürfen, so sehnte ich mich aus den drückenden Umgebungen daheim mit 31 wahrer Ungeduld nach den hellen, lichten, – und im Winter gewärmten Lehrsälen, die mir zur eigentlichen Heimath wurden. So ging es fort, in jeder Weise gut und löblich, bis in mein sechszehntes Lebensjahr, wo ich bereits zur obersten Classe befördert wurde, was meinem Eifer und Ehrgeiz frische Nahrung gab. Ich hegte keine anderen Wünsche und Hoffnungen, als möglichst bald die Universität besuchen zu können. Außer meinen Studien beschäftigte mich eigentlich nur der Gedanke an die Möglichkeit, wie ich mich als Student durchbringen und welche Mittel ich erfinden würde, die unentbehrlichsten Zuschüsse aufzutreiben, wobei ich freilich zunächst auf meinen ausdauernden Willen und auf die Fähigkeit baute, mir durch Unterricht in guten Familien etwas zu erwerben. Uebrigens hatten auch mehrere meiner Mutter noch befreundete Personen für jene Zeit einen kleinen Beitrag auf drei Jahre versprochen. Ganz erfüllt von diesen Plänen, suchte ich weder Vergnügen, noch Zerstreuung, wie doch selbst die fleißigsten meiner Mitschüler wohl thaten. Von gemeinschaftlichen Spaziergängen, von Besuch öffentlicher Conzerte, Conditoreien, oder gar der Theater, von Tanzgesellschaften und ähnlichen Dingen war bei mir nicht die Rede. Ich kannte diese Genüsse nur dem Namen nach und 32 hörte kaum darauf, wenn die Uebrigen in den Zwischenstunden sich davon erzählten. Eben so wenig machte es nur im Geringsten Eindruck auf mich, sie von ihren halb kindischen Liebschaften untereinander reden und ihre Geheimnisse vertraulich austauschen zu hören. Manche der Erwachseneren waren schon nicht mehr kindisch und zeigten mehr Erfahrung, als man insgemein bei Schuljungen voraussetzt. Aber auch dieß Geschwätz ging an mir vorüber, ohne mich innerlich zu berühren und in meinem Streben zu stören. Mit einem solchen Sohne, sollte man denken, hätte die Mutter mehr als zufrieden sein müssen? Dennoch war sie es nicht. Im Gegentheil führte sie bittere Klage über mich, und diese Klage betraf meine Gleichgiltigkeit gegen alle äußerlichen Religionsübungen, denen sie sich, seit dem letzten Verfall scheinbaren Wohlstandes, als Haupttrostmittel hingab. Sie war im vollen Sinne des Wortes eine Betschwester geworden. Und dieß entzweite uns häufig. Wenn ich auf meinen Fleiß, auf meine sittsame, in Entbehrungen und Mangel bewährte Haltung, auf meinen ernsten redlichen Willen trotzte, so sagte sie mir weinend, daß dabei kein rechter Segen sein könne, weil ich ihn nicht gläubig von Oben erflehte und nur auf eigene menschliche Kraft vertraute. Diese Aeußerungen 33 kränkten mich, machten mich unwillig und verleideten mir vollends den Antheil, den ich gezwungen an ihren Betstunden genommen. Zum Heuchler fehlten mir die Anlagen. – Und dennoch sollte meine Mutter Recht behalten, wenn gleich in anderem Sinne als sie selbst ahnen konnte! Die traurige Umwandlung, welche an und in mir geschah, muß ich durch eine scheinbar unwichtige Notiz einleiten. Wir zogen, um an der Miethe zu sparen, im Herbste nach einer abgelegenen, ärmlichen Vorstadt. Mein täglicher Weg zu dem Gymnasium führte nun bei einem kleinen Häuschen vorüber, aus dessen einem niederen Fenster, durch ein schmales Gärtchen von der Straße abgetrennt, gewöhnlich ein brauner Lockenkopf blickte, den ich einem Mädchen gehörig wähnte. Das zweite Fenster nahmen saubere Gypsabgüsse kleiner zierlicher Büsten und Statuetten ein, die sichtlich um Käufer anzulocken, ausgestellt waren. Den Winter hindurch gönnte ich, in raschem Gange, diesen Gegenständen keine Aufmerksamkeit. Als ich aber am ersten warmen Frühlingstage des Weges aus der Schule heim kam, standen die Flügel des einen Fensters geöffnet und der braune Lockenkopf, den ich bisher hinter kalten Glasscheiben wahrgenommen, lehnte sich, sammt dazu gehörigem Hals und Busen, in's Freie. Zwei kecke, 34 vielsagende Augen trafen die meinigen und es ging in mir vor, was ich nicht beschreiben kann. Von diesem Augenblicke dachte ich wachend wie träumend an dieß unbekannte Geschöpf. Näherte ich mich jenem Häuschen, so nahm ich jedesmal einen langsamen Schritt, um so lange wie möglich durch die stets geöffneten Fenster in's Innere des Stübchens starren zu können und niemals unterließ die gefällige Schöne zu erscheinen; bisweilen allerdings nur im Hintergrunde des Gemachs, weil ihre allzu leichte Bekleidung untersagte, sich am Fenster zu zeigen. Ich hatte bald heraus, daß sie, wenn nicht die Ehefrau, doch die Gefährtin eines Figurenhändlers sei, der seinen selbstgefertigten Kram in Gast- und Weinhäusern zum Verkaufe umhertrug und deßhalb des Abends nie zu Hause war. Ich sah diesen Mann, suchte ihn auf, knüpfte Gespräche mit ihm an und fand ihn dieses reizenden Weibes durchaus unwürdig. Und das schien auch sie zu empfinden. Das war es, was ihre auffordernden Blicke mir zu verstehen gaben. Nun begriff ich meine Mitschüler, die ich oft mit verächtlichem Achselzucken angehört, wenn sie ihre Herzensgefühle einander offenbarten. Nun begriff ich ihr wehmüthiges Schmachten, ihr heißes Sehnen; nun begriff ich Alles, was mir bisher dunkel 35 und unbegreiflich gewesen. Eine neue Welt ging mir auf und ein neues Licht in dieser. Doch weit entfernt, die geschwätzige Vertraulichkeit meiner Schulcameraden nachzuahmen, behielt ich, was in mir geschah, fein vorsichtig bei mir; befestigte mich auch schon vorher in dem Entschluße, Alles zu verschweigen, was ich noch zu erleben hoffte. Ich führte diesen Vorsatz durch. Niemand bekam auch nur die leiseste Ahnung von meiner heimlichen Liebschaft. Sogar meinen Fleiß durfte sie nicht stören; ich holte des Nachts am Arbeitstische nach, was ich des Abends versäumte. Denn ich brachte meine Abende bei Lucie zu; sie selbst hatte mich durch unzweideutige Zeichen aufgefordert, bei ihr einzutreten. Auch ließ sie es an nichts fehlen, was irgend von Nöthen, bescheidene Schüchternheit in kecke Zuversicht umzuwandeln; sie benützte sogar die in der Werkstatt stets vorräthigen Gypsabgüsse kleiner Nachbildungen von antiken Gruppen und Figuren, um Bemerkungen daran zu knüpfen, die mehr ihre Person, als die Copieen der Kunstwerke betrafen. Doch hütete sie sich wohl, weiter zu gehen, oder mich weiter gehen zu lassen, als sich mit den Berechnungen einer schlauen, abgefeimten Dirne vertrug, wofür ich sie in meiner glühenden Verblendung unmöglich zu erkennen 36 vermochte. Sie hatte mir unseren Familien-Namen abgelockt; der Baron führte sie irre; sie wähnte mich reich; und ich schämte mich ihr einzugestehen, daß meine Mutter von Almosen alter Freundinnen lebe. Bald gab sie zu verstehen, die Erfüllung meiner heißesten Wünsche sei nur durch sprechende Beweise freigebiger Liebe zu erreichen. Mir entging keineswegs die Niedrigkeit solcher Bedingung, aber ich fühlte mich schon zu tief in ihre Schlingen verstrickt, um mich loszureißen. Ein wahnsinniger Taumel bemächtigte sich meiner Sinne, der mich sogar unfähig machte, den Aufgaben für die Schule zu genügen, oder in den Lehrstunden nur eine passende Antwort zu geben. Die Professoren hielten mich für krank und ermahnten mich mit väterlichem Wohlwollen, für's Erste weg zu bleiben und meine, – wahrscheinlich durch allzuheftige Anstrengung erschöpfte Gesundheit zu schonen. Ich folgte diesem Rathe. Der lange faule Tag, den ich in Büschen und Wiesen außerhalb der Stadt zubrachte, gab mir vollends den Rest. Die darauf folgende schlaflose Nacht war fürchterlich: in dieser schmiedete ich den Entwurf des Verbrechens, durch welches ich Luciens Gunst zu erkaufen beschloß. Kaum konnte ich den Morgen erharren, so ungeduldig fühlte ich mich, ihn auszuführen. Die 37 drohende Gefahr, in die ich mich begab, die ich mir auch nicht abläugnete; die Schmach, in die ich mich stürzte; die unauslöschliche Selbstbeschimpfung, die ich meinem angeborenen Stolze zufügte, waren nicht im Stande es mit dem unwiderstehlichen Verlangen aufzunehmen, welches in mir rasete. Ich glaube damals hätte der Anblick des Schaffots mich nicht zurückgeschreckt. Und auch heute noch bin ich der vollständigen Ueberzeugung, daß es Naturen giebt, deren organische Entwickelung in solchen Perioden sie unzurechnungsfähig macht; daß Menschen anderer, minder leidenschaftlicher Gattung gar kein Urtheil zusteht über ähnliche Thaten in ähnlichen Verhältnissen. Doch das ist eine persönliche Ansicht und ich will sie nicht geltend machen, mich zu entschuldigen. Sie gewann dem irdischen Gerichte kein Mitleid ab; vielleicht kommt sie dereinst zur Sprache, vor einem höheren Richter? Die Sache bleibt dieselbe in ihren Folgen für mein Dasein auf Erden. Ich entwendete meiner armen Mutter das einzige goldene Stück, welches sie auch in der bittersten Noth aufbewahrt hatte: den Trauring, den mein verstorbener Vater getragen; er befand sich in einer kleinen, mir aus den Jahren frühester Kindheit wohlbekannten Schachtel, die außerdem Locken vom Haupte des Verstorbenen 38 und auch von mir enthielt. Ich trug ihn zu einem Goldarbeiter, der mit allerlei Geschmeide handelte, und erbat mir, nachdem der Metallwerth abgewogen und berechnet war, die Erlaubniß, für den Betrag desselben einen anderen, modernen Ring auszusuchen. Das wurde mir freundlich gestattet und ohne im Geringsten Mißtrauen zu zeigen, ließ man mich etliche große Kasten voll von dünnen mit bunten Steinchen verzierten Reifchen durchmustern. Bei dieser Gelegenheit, wo weder Mann noch Frau ihre anderweitigen Beschäftigungen verließen und mich kaum beachteten, gelang es mir ein kostbares Armband, welches mir aus rothem Lederfutteral mit wahrhaft höllischer Lockung entgegenblitzte, zu erhaschen und unbemerkt in die Tasche meines Rockes gleiten zu lassen. Daß es vermißt werde, stand für den Augenblick wenigstens nicht zu besorgen, denn die Tafel war von ähnlichen Dingen überfüllt. Ich kürzte nun meine Anwesenheit möglichst ab, wählte einen Ring aus, der mir leidlich paßte und schritt, – worauf ich mich noch sehr genau und zu meinem eigenen Abscheu erinnere, recht langsam und bedächtig aus dem Laden, damit es nur ja nicht aussehen sollte, als eilte ich mich zu entfernen. Hatte ich in vergangener Nacht den Morgen nicht erwarten können, so dünkte mich nun der 39 Tag noch unüberstehlicher. War ich doch im Besitz des Talisman's, der mir endlich gewähren würde, wonach ich mit verzehrender Ungeduld mich sehnte! Und er kam wirklich, dieser Abend; kam wie ein erquickendes, wenn auch stürmisches Gewitter, welches der in schwülen Gluthen Verschmachtende herbeifleht; welches aber dann keine rechte Erquickung bringt, sondern schwefelichten Qualm, wilde Orkane, und neue Schwüle, neue Gluthen. Zuerst reichte ich Lucien das eingetauschte Ringlein dar. Sie nahm es lächelnd, wog es in der Hand, schüttelte den Kopf, steckte es an den Finger und sagte spöttisch: entweder mein junger Baron ist auf ein sehr mäßiges Taschengeld gesetzt, oder seine Liebe zu mir ist noch mäßiger? Keins von beiden; erwiderte ich in einer Anwandlung von Hochmuth; diesen Ring hab' ich nur mitgenommen, weil ich es nicht der Mühe werth fand, mir die kleine Summe, die er kostet, in Silbergeld herausgeben zu lassen, als ich dieß Armband mit einer Banknote bezahlte. Werfen Sie ihn fort, wenn er Ihnen zu werthlos scheint; wenn Sie ihn nicht vielleicht dem Geber zu Liebe dennoch tragen wollen; aber gestatten Sie mir, dieß Armband Ihnen umzulegen. Kaum hatte sie es gesehen und sich als Kennerin von dem Werthe und der Gediegenheit desselben überzeugt, als 40 sie es mit gutgespielter Geringschätzung bei Seite schob – aber pfiffig genug, damit es in ihren halboffenen Schubkasten falle. Dann küßte sie den Ring; versicherte, dieser sei ihr theuerer wie das theuere Armband, denn dieses binde nur den Arm, jener binde das Herz; küßte ihn abermals, küßte mich, und der Bund war geschlossen. Ich blieb diesen und die folgenden Abende bei Lucien, bis spät in der Nacht ihr Mann mit seinen unverkauft gebliebenen Figuren sich einstellte. Er begrüßte mich, wie wenn er über meine Anwesenheit im Voraus unterrichtet und höchst gleichgiltig dabei wäre. Meiner Mutter band ich, dieß späte Ausbleiben zu beschönigen, jenes alte abgedroschene Schülermärchen auf, von nächtlichen gemeinsamen Studien mit Cameraden, wo Einer dem Andern durch sein Wissen gegenseitig aushilft. Sie zweifelte nicht an der Wahrheit. Arme Mutter! Niemals hatt' ich weniger gethan. Niemals war ich weniger zu arbeiten im Stande gewesen. All' mein Sinnen richtete sich ja nur nach der Stunde, wo ich wieder bei Lucien sein würde. Sonst wußte, fühlte, dachte ich nichts. Es mag am vierten oder fünften Tage nach meiner schmählichen That gewesen sein, da stand, als ich Nachmittags in's Gymnasium eilte, Lucie hinter dem Vorhange ihres 41 Fensters, und bemühete sich, indem sie mit drohender Geberde die Hand erhob, mir etwas deutlich zu machen, was eine Warnung zu enthalten schien; was ich aber nicht begriff. Wie ich mich dem Häuschen nähern wollte, zog sie sich zurück und machte abwehrende Bewegungen, wobei sie hastig den Kopf hin und her wendete, gleichsam um zu verneinen. Dennoch wäre ich, von zerreißender Leidenschaft gemartert, eingedrungen, trotz ihres pantomimischen Verbotes, hätte ich nicht die Gasse herauf eine alte Gönnerin meiner Mutter, eine ihrer Wohlthäterinnen, welche wahrscheinlich gerade nach unserer Wohnung ging, sich von ihrem Livreediener gefolgt, mir entgegen bewegen sehen. Es blieb mir nichts übrig, als die quälende Neugierde, was Lucie mir sagen wollen, mit in die Schule zu nehmen und mich drei ewige Stunden von ihr foltern zu lassen. Fast noch entsetzlicher war die Frist bis zum Eintritt der Dämmerung, die ich auf der Geliebten ausdrückliches Gebot immer abwarten mußte. Die Vermuthungen, Zweifel, Besorgnisse, die sich wegen Luciens unerklärlichem Warnungszeichen in meinem Gehirn kreuzten, sind unzählig; mir kommt vor, es gäbe keine Möglichkeit hienieden, an die ich dabei nicht gedacht, die ich nicht auf Augenblicke annehmbar gefunden hätte? 42 – Keine, außer seltsamerweise die richtige, welche doch leider die zunächstliegende war. Wie die erste Fledermaus unter den Bäumen sichtbar wurde, bog ich durch ein enges, verrufenes Seitengäßchen nach Luciens Häuschen. Die schmale Hausthür stand wie gewöhnlich offen. Doch im Innern des Wohngemaches hört ich die Bewohnerin, was allerdings ganz ungewöhnlich war, sehr laut reden; so laut, als ob sie absichtlich draußen gehört werden wolle. Wüthende Eifersucht beraubte mich meiner fünf Sinne; denn bei nur geringer Ueberlegung hätte ich doch nun begreifen müssen, daß die Warnung mir gelte. Ich stürzte mich wie ein wildes Thier hinein. Aber ich sollte bald gezähmt werden. Der Figurenhändler befand sich schon dort; mit ihm zwei Polizeidiener. Ist das Derselbe? fragte Einer von ihnen. Lucie verneinte lebhaft und behauptete, mich niemals gesehen zu haben. Ihr Mann dagegen sagte: was hilft hier Leugnen? Freilich ist er's, von dem sie das Armband erhielt. Darauf bemächtigte man sich meiner und zugleich traten auf ein Zeichen der Beamten noch einige Männer dem Häuschen näher, welche sich in der Nachbarschaft versteckt gehalten. Sie empfingen den Auftrag Lucie und deren Genossen zu transportiren. Ich wurde befragt: wie ich in den Besitz jenes 43 Schmuckes gelangt sei? Meine Wuth über die gewaltsame Trennung von Lucie kochte mir so wild und feurig im Blute; wurde von der rasenden Leidenschaft, die ich in Ermangelung eines passenderen Namens Liebe nannte, noch dermaßen gesteigert, daß sie in diesem furchtbaren Moment weder Furcht, noch beschämte Niedergeschlagenheit aufkommen ließ. Ich gab weiter keine Antwort, als daß ich mit beiden Fäusten nach den Männern schlug, wobei ich den Einen am Auge verletzte und demnächst mit einem ganz einfachen Stricke festgebunden wurde. Mein Schweigen änderte nichts im Vorhaben der Beamteten, welche mir die Frage überhaupt nur der Form wegen vorgelegt hatten; sie wußten ja längst durch die im rothen Lederfutteral eingeklebte Adresse, an wen sie sich zu wenden gehabt, um zu erfahren, ob das corpus delicti verkauft, oder gestohlen sei? Jetzt kam es nur darauf an, die Person des Diebes zu recognosciren, weßhalb sie mich ohne Weiteres auf den Schauplatz der That geleiteten. Der Goldarbeiter bestätigte das Zusammentreffen der Umstände; seine Frau brach in einen Strom von Thränen aus über die Verderbtheit eines so jungen Menschen und bat Gott, er möchte ihre Söhne lieber sterben, als so tief sinken lassen. Das hörte ich noch mit erkünsteltem 44 Trotze an und schlug mir die Gedanken an meine Mutter, die sich mir aufdrängen wollten, zornig aus dem Sinne. Als aber nun Stand und Name meiner Eltern erfragt wurden und ich keine Möglichkeit mehr vor Augen sah durch falsche Angaben auf die Länge zu täuschen, da war es, wie wenn plötzlich in meinem Innersten ein Schnitt geschähe, wie wenn sich das Herz gewaltsam losrisse, wie wenn ich's nicht überleben könnte. Mein Vater ist todt, schrie ich schluchzend, und warf mich zu Boden, weil ich die gebundenen Hände vom Rücken nicht vorbringen konnte, mein Angesicht zu verbergen. Wenn er noch eine Mutter hat, schrie die Frau des Goldarbeiters, dann lassen Sie ihn laufen, um ihretwillen: lieber will ich unser Armband nie wiedersehen. In Gottes Namen, setzte der Mann hinzu, ich bin's auch zufrieden. Das ist zu spät, erwiderten die Beamteten; dazu haben wir keine Befugniß; es ist Gesindel in die Sache verwickelt, dessen Spur schon seit lange verfolgt wird. Und dann zu mir gewendet: Willst Du hier nicht reden, Bürschchen, so soll Dir die Widerspänstigkeit an anderem Orte und auf andere Weise ausgetrieben werden. – Damit hoben sie mich auf und brachten mich in's Gefängniß. Die unzähligen Verhöre, Confrontationen, wie sie der Gang der 45 Gerechtigkeitspflege mit sich bringt, übergehe ich. Die Richter dachten menschlich genug, mir einsame Untersuchungshaft angedeihen zu lassen und glücklicherweise war gerade Raum genug vorhanden, daß es möglich war, mich vor dem Zusammenleben mit ausgelernten Dieben zu retten. Während der Verhandlungen starb meine Mutter. Sie hatte nicht gewünscht, mich vor ihrem Tode noch einmal zu sehen, was man ihr gewiß nicht verweigert haben würde, hätte sie darum angesucht. Die Nachricht von ihrem Hinscheiden und die wenigen Zeilen, die sie mit zitternder Hand für mich aufgeschrieben, kamen mir durch den Untersuchungsrichter zu. Sie bewirkten, daß ich ein unumwundenes Geständniß aller Vorgänge ablegte. Meine Jugend; die durch mehrfache ähnliche Geschichten in's hellste Licht gesetzte Schlauheit der Verführerin; die Frechheit ihres Gefährten, der das durch mich entwendete Armband ohne Scheu bei einem andern Juwelier zum Verkaufe ausgeboten; die günstigen Zeugnisse sämmtlicher Lehrer über mein musterhaftes Verhalten; . . . dieß Alles wirkte günstig auf den Urtheilspruch, welcher nur auf ein halbes Jahr Zuchthaus und auf Verlust des Adels lautete. Ich reichte ein Gnadengesuch ein. Dieses blieb unbeachtet. Meine Strafzeit verging leicht. Der Inspector setzte fort, 46 was bei Gericht geschehen war. Er isolirte mich von der Masse der Gefangenen, hielt mich in seiner Umgebung, ich darf sagen in seinem Familienkreise und verwendete mich als Schreiber in seinem Verwaltungsbureau. Der gute Mann besaß eine Tochter, die mich Lucien bald vergessen lehrte, vielleicht weil sie in Allem von jener unterschieden war. Bisweilen wähnte ich, dieses sanfte Mädchen, welches mir Gunst bezeigte, könne dereinst meine Gattin werden. Doch ein Blick auf meine graue Jacke genügte immer, solchen Wahn in nichts aufzulösen. Nach überstandener Strafzeit fing die Strafe eigentlich erst an. Aus den Umgebungen, wo ich für einen der Besseren gegolten, mußte ich zurück in's Leben, um dort für einen Ausgestoßenen zu gelten. Der Abschied war betrübend. Der Empfang, den mein Vormund mir angedeihen ließ, niederschmetternd. Sein Erstes war, mir den Entwurf einer Eingabe an die Regierung vorzulegen, worin ich – aus Schonung für ganz entfernte Verwandte, die unsern Namen führten, – die Vergünstigung erbitten mußte, mich von nun an so benennen zu dürfen, wie mein Ihnen vorgelegter Lehrbrief besagt. Mein Vormund äußerte: Da ich nun doch die Freiherrnschaft unwiederbringlich eingebüßt habe, könne mir's höchst 47 gleichgiltig sein, wie ich heiße, und jener Familie liege viel daran durch nichts, auch nicht durch den gleichlautenden Klang des Namens an mich erinnert zu werden. Ich lächelte höhnisch dazu. Im Angedenken an die Tochter des Zuchthaus-Inspectors, die Sara gerufen wurde, erwählte ich diese vier Buchstaben. Meine unterthänige Bitte wurde, – wahrscheinlich befördert durch Protection. die mein Herr Namensvetter sich verschaffte, – in Gnaden gewährt. Franz Sara, natürlich für die nächstfolgenden Jahre als entlassener Sträfling und Corrigende unter Aufsicht verbleibend, hatte die Erlaubniß, zu versuchen, ob es ihm möglich sein werde, nicht zu stehlen und dennoch nicht zu verhungern? Das Ding sieht leichter aus als es ist. Ich pochte an viele Thüren; fast überall thaten sie sich mir auf, kamen mir freundlich entgegen, zeigten besten Willen mir förderlich zu sein, – doch sobald es zur Enthüllung meiner Verhältnisse kam, wurden die freundlichsten Gesichter lang und ernst, das anmuthigste Lächeln verwandelte sich in bitteres Grinsen und die Thüren blieben fernerhin für mich verschlossen. Schon damals dachte ich an eine hübsche runde Büchsenkugel, auf eine genügende Ladung Pulver gesetzt und wie bald so Etwas gethan wäre. Die Schwierigkeit war, die Büchse aufzutreiben, oder eine 48 Pistole? Vom Vormund erhielt ich aus Barmherzigkeit nur wenige Groschen, mein elendes, tägliches Dasein zu fristen. Wovon sollte ich ein Feuergewehr kaufen? Stehlen wollte ich nicht mehr. Das hatt' ich auch Inspectors Sara beim Abschiede zugeschworen. Durch das unaufhörliche Sinnen und Grübeln nach Schußwaffen gerieth ich endlich in meinen Erinnerungen bis in die früheste Kindheit und besann mich eines tüchtigen Menschen, der meinem Vater als Leibjäger gedient hatte und kurz vor dessen Tode in unsern Wäldern als Förster angestellt worden war. Ich besann mich, wie lieb dieser Mann mich gehabt, da ich ein kleiner Knabe gewesen. Zu dem wollt' ich den Weg suchen, wollte ihm die Sache vorstellen, wollte ihn bitten, mir vom Leben zu helfen. Als ich mich bei dem Commissair meldete, unter dessen specielle Aufsicht ich gegeben war, um eine Reiseerlaubniß einzuholen, legte dieser mir natürlich die Frage vor: was ich bei dem Förster zu suchen hätte? In der Verlegenheit, da ich auf eine solche Frage nicht vorbereitet war, stotterte ich: ob er mich in die Lehre nehmen möchte, will ich versuchen. Gott geb's, daß er Dich nimmt, sprach der Commissair, daß Du untergebracht wirst, daß wir einen gefährlichen Menschen weniger zu fürveilliren haben; aber 49 ich glaub's nicht. Indessen versuche . . . . (er wollte fortfahren: Dein Glück; doch ich warf ihm einen unheimlichen Blick zu, und er sagte:) Versuchen Sie Ihr Glück! Da sah ich denn die Fluren wieder, wo ich geboren, wo ich ein glückliches Kind gewesen bin. Unter dem ›glücklich sein‹ will ich nicht die Pracht und Fülle verstanden wissen, worin man mich wiegte und auferzog. Ich meine etwas Anderes; meine jenes Gefühl heimathlich-ländlicher Wonne, welches ich nicht mehr empfunden hatte, seitdem ich die öffentliche Schule besuchte; welches mich nun überkam, da ich die Grenzen unserer ehemaligen Feldmark überschritt und welches, wie Sie leicht denken können, einen furchtbaren Gegensatz bildete zu den Ereignissen des letzten Jahres. Die Försterei war bald gefunden. Förster Daniel erkannte mich sogleich. Das Gerücht hatte ihm zugetragen, was ich begangen, was ich verschuldet. Sein scharfes Auge entdeckte im verstörten, verwüsteten achtzehnjährigen Jüngling den muntern Knaben, der so häufig auf seinen Knieen geritten war. Baron Franz rief er mir entgegen, – wollte er mir entgegenrufen, denn Thränen erstickten fast die Stimme. Ich heiße nicht mehr, wie Sie mich anrufen, Daniel, sagte ich; Franz Sara ist mein 50 Name; den bring' ich aus dem Zuchthause mit. Der Sohn Ihres Herrn ist ein gemeiner Dieb; ein Ausgestoßener, der wieder unter die honetten Leute gehen wollte, den aber diese honetten Leute von sich weisen. Ich möchte nirgend mehr beschwerlich fallen. Ich möchte in einen andern Welttheil reisen, oder in eine andere Welt, – wie Sie's nennen wollen. Nur fehlen mir die Mittel. Wie wär' es, wenn Sie mir Büchse und Kugel borgten? Einen Schuß Pulver bin ich allenfalls noch werth. Der alte Daniel, – denn er war sehr alt und grau geworden seit ich ihn nicht gesehen, – fiel mir mit beiden Händen um den Hals. Ich weiß Alles, schluchzte er; es ist unnöthig, daß wir darüber sprechen. Was vergangen ist, steht nicht zu ändern. Aber die Zukunft haben wir noch vor uns. Die wollen wir benützen. Meine Herrschaft ist gut; ich gelte was bei unserm Grafen; wenn ich ihn bitte, setz' ich's durch, daß ich Sie als Lehrling aufnehmen darf. Spüren Sie Lust, ein gerechter Waidmann vor dem Herrn zu werden? Ich fiel ihm zu Füssen und umklammerte seine Kniee: Mit einem Sträfling wollen Sie das wagen? einen Corrigenden nehmen Sie in Ihr Forsthaus auf? Ich nehme den Sohn des verstorbenen Barons, meines unvergeßlichen 51 Wohlthäters auf, erwiderte Daniel. Und Gott sei Dank, ich und meine Alte, wir stehen so im Dorfe und in der Umgegend, daß kein Mensch wagen wird, sich dawider zu vermäulen! – Was er versprach, hat er gehalten. Der Graf willigte ein. Der Pastor brachte in einer der nächsten Predigten deutliche Winke an über die Verpflichtung des Christen, Demjenigen, der in sich gehen und umkehren wolle von früh betretenen Irrwegen, liebreich entgegenzukommen und seine guten Absichten zu erleichtern. Das übte sichtbare Wirkung auf die ganze Gemeinde. Ich wurde gut behandelt. Sogar der Graf und dessen Familie zeigten mir, bei zufälligen Begegnungen, daß es ihnen Ernst sei mit ihrer Theilnahme und daß sie an mich glaubten. Die Wunden meines Herzens heilten sich nach und nach im grünen Walde aus. Daniel war mit mir zufrieden. Ich that meine Schuldigkeit. Es klingt unglaublich, doch ist es wahr: als ich nach Ablauf von drei Jahren meinen Lehr- und Freibrief als gelernter Jäger aus der gräflichen Amtskanzelei empfing; als ich die Worte: ›treu, fleißig, geschickt, vorwurfsfrei‹ darin las; als zur nämlichen Frist der Kreislandrath mir ankündigte: die über mich verhängte polizeiliche Aufsicht sei nun zu Ende und er entlasse mich daraus mit 52 dem besten Zeugniß und der umfassendsten Empfehlung; – da hob sich meine Brust wieder in jugendlichem Frohsinn; da lachte mich das Leben wieder an und erfüllte mich mit neuer Lust und neuen Trieben. Die Trennung von unsern Wäldern, die zum zweitenmale meine Heimath geworden; von den redlichen Dörfnern, deren Nachsicht und Güte mich neu geboren; der Abschied von Daniel, meinem zweiten Vater; . . . ich überstand es leichter, weil ich in die Fremde zog; weil diese mir unbestimmte, deßhalb um so verführerischere Lockungen verhieß. So trat ich meine Wanderschaft an und gelangte bis nach Schwarzwaldau –«

Hier hielt Franz plötzlich inne.

Emil starrte ihn fragend an: »Das kann nur die Einleitung gewesen sein,« sprach er; »zu den neuen Lebenshoffnungen, welche Dich noch erfüllten, als Du in meinen Dienst eintratest, müssen wieder neue Ursachen der Verzweiflung gekommen sein? Und woher kamen diese? Hast Du Klage gegen mich zu führen? Gegen die Behandlung, welche Dir bei uns zu Theil wurde? Fast möchte ich so etwas befürchten, weil Du den Lauf Deiner lebendigen Erzählung gerade beim Eintritt in mein Haus unterbrichst. 53 Und doch weiß ich, daß ich mir keine Vorwürfe dieser Art zu machen habe. Warum schweigst Du?«

»Bisher,« antwortete Franz, »galt es nur mir, meinem Geschick, meinen Vergehungen, meiner Ehre. Jetzt bin ich an einen Punct gelangt, wo ich durch rücksichtslose Bekenntnisse vielleicht auch Andere verletzen würde? Und ich weiß nicht, wie weit es mir gestattet bleibt, in meiner Aufrichtigkeit zu gehen?«

»Du scheinst unser Abkommen zu vergessen,« sagte Emil. »Mit welchem Rechte drangst Du mir mein Ehrenwort ab, mich nicht zu tödten, wenn Du das Versprechen nicht halten willst, mir die Gründe für Deine selbstmörderischen Absichten bis auf's Genaueste zu enthüllen? Nanntest Du uns nicht gestern ›Vertraute?‹ Woher heute die unerwartete Scheu, mich zu verletzen?«

»Nicht allein Sie,« erwiderte zögernd Franz; »vielleicht auch . . . . . ?«

»Vielleicht auch Agnesen? – Gleichviel; es muß klar werden; völlig klar, oder völlig dunkel zwischen uns! Rede!«

Wie Franz diesem Befehle genügte, mag der Anfang des nächsten Capitels berichten. 54


 << zurück weiter >>