Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Sechszehntes Capitel.

Die ersten Tage des März brachten gegen Erwarten und Vermuthen heftigen Schneefall. Dabei war das Wetter, als erst Wald und Erde sich in weiße Flocken verhüllt und der Himmel sich wolkenlos 212 zeigte, so mild, die Luft so frühlingslau, daß Emil Agnesen den Vorschlag that, sie möchte versuchen, was sie im Winter aus Abneigung gegen die Kälte gern vermied: eine Schlittenfahrt mitzumachen. Anfänglich weigerte sie sich auch dießmal. Da stellte sich Gustav ein, dem die Kämpfe der vergangenen Nacht wohl noch in dunklen Ringen um die matten Augen lagen, der aber doch von einem rosigen Schimmer übergossen schien, indem er Agnesen begrüßte.

»Wie wär' es,« fragte Emil; »wir essen rasch, eine halbe Stunde früher, eine halbe Stunde kürzer als sonst; um vier Uhr klingeln wir durch den Wald und athmen Vorgefühl des Frühlings? Es wird ihm gut thun!« – Dabei legte er die Hand auf Gustav's Locken, zog dessen Kopf an den seinigen, und wiederholte: »Wollen wir Schlitten fahren?«

Gustav ließ mit sich geschehen, gleich einem geduldigen Kinde. »Sehr gern fahr' ich mit,« erwiderte er; »nur daß ich heute nicht die Zügel halten könnte; ich bin wie zerschlagen; ich habe die ganze Nacht keinen Schlaf gehabt.«

»Wer verlangt das von Dir? Kutschiren werd' ich; Du sollst bei Agnes im Schlitten sitzen, eine ganze Menagerie von Bären- und Wolfspelzen steht zu Diensten. Ihr dürft' Euch einpacken, als wär's 213 im Januar und braucht bloß vor der Stirn ein Fensterchen offen lassen, damit ihr die weißbestreuten Tannen und ihr dunkles Grün bewundern könnt. Wir fahren nur zu Dreien, nehmen niemand mit, keinen Kutscher, keinen Reitknecht, keinen Peitschenknaller, keinen Schlittenhalter – und werf' ich Euch um, so schadet's nicht; in Pelze gehüllt und im weichen Schnee liegt man weich.«

Agnes fand abermals für passend, sich zu weigern; und noch bestimmter wie vorhin.

Da sagte Emil zu Gustav: »So versuche Du Dein Heil und bitte sie, uns zu begleiten. Dir wird sie's nicht versagen; mit mir mault sie noch von gestern Abend her, – und wahrlich ohne Ursache. Aber das ist desto schlimmer. Denn sobald wir uns eingestehen müssen, daß wir ungerecht sind, lassen wir's gern denselben entgelten, gegen Den wir es sind. Das gehört mit zu den Vollkommenheiten der lieben Menschennatur.«

»Was hast Du denn verbrochen?« fragte Gustav mit so verschämter Sanftmuth und in einer so kindlichen, von seiner gewöhnlichen Ausdrucksweise so ganz verschiedenen Betonung, daß Agnes erstaunt nach ihm aufsah und daß Emil sich nicht entbrechen konnte zu murmeln: »Nein, es ist nicht wahr, daß 214 Amor in unserem eisernen Seculo seine Göttermacht eingebüßt habe! Er ist noch immer, was er gewesen, da Venus mit den übrigen Herrschaften vom Olymp die schöne Welt regierte, an der Freude leichtem Gängelband. Vermagst Du,« setzte er dann laut hinzu, »noch einmal Nein zu entgegnen, Agnes, wenn Du diese hinschmachtende Stimme hörst? Geh', Gustav, bitte sie; aber falle nicht aus diesem Tone.«

Und Gustav, mit nie bezeigter Folgsamkeit, that wirklich einen Schritt auf Agnesens Sessel zu, faßte ihre Hand und lispelte: »Ja, ich bitte auch.«

Nun lachte Agnes, – aber sie zwang sich zum Lachen, – »hängt beider kleiner Kinder Glück daran, daß sie Glöckchen klingen hören, so mag es d'rum sein; ich fahre mit.« –

Die Mahlzeit wurde früher aufgetragen, wurde auch rascher beendet, als sonst; doch letzteres nicht sowohl, weil man schneller, sondern vielmehr weil man fast gar nicht aß. Eine Schüssel nach der andern ging fast unberührt vorüber. Jedes von den Dreien gab verschiedene Gründe dafür an: Gustav fühlte sich noch leidend von gestrigem Brustkrampf; Agnes klagte über Migraine, die sie im Freien zu verlieren hoffte, ohne welche sie kaum in die Schlittenfahrt eingewilliget haben würde; Emil versicherte 215 zweimal gefrühstückt zu haben. Alle Drei logen, obgleich sie zugleich die Wahrheit sprachen. Wie denn hienieden in jedweder Lüge ein Fünkchen Wahrheit blitzt und in jedweder Wahrheit ein Keim der Lüge steckt. Keines von den Dreien wollte ehrlich eingestehen, daß in seiner Brust Empfindungen und Vorgefühle walteten, die nicht Raum genug fanden und den Weg bis an den Hals empor verengten und sperrten.

Agnes naschte nur vom Dessert und die Männer fanden kaum Zeit noch ein Glas wärmenden Portweins zu leeren, da erscholl schon vom Hofe herauf das Gebimmel des klaren Schellengeläutes.

»Und wohin soll's gehen?« fragte Agnes, während Gustav, bevor er Platz nahm, sie sorgsam mit Pelzwerk umhüllte.

»Wo Du noch nie gewesen,« rief Emil und ließ den muthigen Pferden ihren Willen.

Ich behaupte: die Eisenbahnen, wie sie soviele kleine Freuden des Lebens mit ihrer siegreichen Gewalt vernichtet, haben auch der Lust am Schlittenfahren den Garaus gemacht. Wer einmal auf Schienenwegen von Dämpfen fortgerissen ein halbes Dutzend deutscher Postmeilen während einer kurzen Stunde zurücklegte, kann sich nicht mehr staunend ergetzen 216 an verhältnißmäßig langsamem Dahingleiten auf glatter Schneebahn. Aber was meinen Lesern von heute längst alltäglich ward, gehörte damals noch in's Reich der Mythe und Agnes fand wirklich Vergnügen an dieser Lustfahrt. Sie schaute mit Behagen in den tiefen Wald hinein. An Gustav's Seite sich lehnend zeigte sie, sonst beim Fahren keine Heldin, nicht die geringste Besorgniß, wenn Windwehen etwa die Spuren ebnender Holzschlitten verdeckt hatten und Emil neue Bahn brechen mußte. Sie fragte auch nicht mehr: wohin? Sie überließ sich dem Behagen, welches rasche Bewegung in erfrischenden Luftströmen auf sie ergoß. »Wie schön!« weiter sprach sie nichts. Und: »Wie schön!« sprach Gustav ihr nach, wenn er ihr Auge suchte und verstohlen unter den Pelzen ihre Hand drückte.

Sie ließ es geschehen, ohne den Druck zu erwidern.

Da zeigte sich plötzlich eine von Bäumen leere Fläche und Emil hielt die schnaubenden Rosse an. »Hier,« sagte er, indem er die Peitsche ehrerbietig senkte, »hört meine Grundherrschaft auf, hier beginnt Gustav's Reich; das hier ist der vielbesprochene Waldsee, jetzt von Schnee und Eis bedeckt, an dessen schilfumrauschten Ufern der Sohn dieser Gefilde, 217 ein sommerlicher Schläfer, die leichterregbaren Triebe Deiner ehemaligen Busenfreundin weckte. Wo lagst Du damals, Gustav? Zeig' es uns!«

»Dummheiten,« brummte dieser; und brummte so tief, als ob das Bärenfell zu seinen Füßen seine eigene ihm zugehörige Haut wäre.

»Ich möchte es auch wissen,« sagte Agnes; »möchte auch die Stelle sehen, wo Caroline Sie entdeckte? Es muß eine seltsame Ueberraschung für die Reisende gewesen sein, hier, in diesem verstecktesten Winkel einen Schlummernden wieder zu sehen, der sich mit Liedern in ihr Gedächtniß gesungen! Bitte, Gustav, wo lagen Sie? Und wie?«

»Hier lag ich,« rief Gustav, sprang aus dem Schlitten, und warf sich in den Schnee; »hier lag ich, und so wie ich jetzt liege; nur daß es jetzt Winter um mich her ist, wie es damals in mir war! Und daß es Sommer in meiner Brust ist, wie damals außer mir.«

Agnes schwieg dazu.

Emil sprach. »Ganz vortrefflich! es ist unmöglich schlagender zu antworten, wenn es gilt, eine Oertlichkeit nachzuweisen. Aber nun, da Du kein Russe bist, der aus der Badstube kommt, und da der Schnee, 218 obwohl nur Märzschnee doch auch nicht aus den Blumenblättern von Märzbechern und Schneeglöckchen sich aufbettet, würde ich rathen, Dich wieder mit meinen wilden Thierfellen vertraut zu machen. Wir haben genugsam aus eigener Anschauung genossen, um uns jene Situation zu versinnlichen. Es müßte denn sein, daß Agnes nicht zufrieden wäre, bevor sie Dich wirklich schlafen sieht . . .?«

»Um Gotteswillen,« rief Agnes, »stehen Sie auf, setzen Sie Sich ein! Ich ängstige mich zu Tode, Sie könnten krank werden!«

Gustav schüttelte sich den Schnee ab, so gut es ging und nahm dann seinen Platz im Schlitten wieder ein. Agnes fragte ihn unzähligemale, ob er sich auch gewiß nicht verkältet habe? ob er auch gewiß recht warm eingehüllt sei? Und sie gab sich erst zufrieden, nachdem über diese Dinge kein Zweifel mehr obwaltete. Dennoch aber äußerte sie den Wunsch, Gustav möge bald Kleider wechseln und deutete einigemale an, Emil solle die Pferde noch schärfer austraben lassen. Dieser hörte ganz gut, was hinter ihm geflüstert wurde und war schon bereit, diesen Wunsch zu erfüllen; hob schon die Peitsche zu förderndem Antriebe . . . da vernahm er Gustav's Stimme, leise durch den Schall des Schlittengeläutes klagend: »Soll 219 dieß kurze Glück mir durch raschere Fahrt noch verkürzt werden? Mißgönnen Sie mir's?« Und als Agnes darauf nichts mehr erwiderte, ließ Emil die Peitsche wieder ruhen, die Pferde in einen schrittähnlichen Trab fallen, ohne Rücksicht auf den einbrechenden Abend, den er viel mehr aufzusuchen schien; denn er nahm verschiedene Richtungen, fuhr links und rechts ab, bog in Holzwege ein und verlängerte so die Heimkehr um eine volle Stunde.

Agnes und Gustav merkten es nicht. Sie waren beim Aussteigen im Schloßhofe sehr verwundert, daß es so spät geworden sei.

»Ich hoffe,« sagte Emil, indem er den harrenden Stallleuten die Zügel zuwarf, »mich als galanter Ehemann bezeigt zu haben? Nicht, Agnes?«

Diese war bereits in der Vorhalle verschwunden und über die Treppe hinauf – mehr geflogen, als gegangen.

»Nicht, Gustav?« fuhr er fort; »Du wirst mich loben? Gieb mir mein Schlittenrecht.«

Gustav warf sich ihm um den Hals, hielt ihn umschlungen und küßte ihn feurig. Dann riß er sich los und stürmte fort, sich umzukleiden.

Emil knallte noch einigemale mit der Peitsche, ehe er sie dem Stalljungen übergab. Hernach ging 220 er langsam in's Haus und sagte: »Wenn er sie so geküßt hat . . .? Keinesfalls galt dieser Kuß mir; als redlicher Finder sollt' ich zurückgeben, was nicht mein ist!«

Mit diesem Gedanken beschäftiget und von einer ganzen Schaar daraus entspringender Gedanken und wundersamer Bilder umschwirrt, nahm Herr von Schwarzwaldau Stufe für Stufe einzeln, bedächtig, deren er sonst ihrer drei auf Eins zu überspringen pflegte. Vor der Thür des Vorzimmers stand Franz.

»Was giebt's?« ließ ihn Emil an; und ziemlich barsch, weil er sich in seinen Träumereien durch den Jäger gestört sah.

»Ich traute mich nicht hinein,« antwortete dieser mit hohler Stimme, wie aus einem Grabe. »Die gnädige Frau wartet schon auf Sie!«

»Agnes, bei mir? – Gut, gut! Du kannst gehen! Ich brauche Dich nicht!«

Und Franz blieb allein auf dem Corridor vor der heftig zugeworfenen Thüre:

»Er braucht mich nicht? Mag sein! Aber ich brauche ihn; und hab' ich nur den – Andern beseitiget, – mein gnädiger Herr soll mir nicht entkommen! Ich will ihm nicht umsonst Herz und Seele geöffnet haben! Ich will . . .«

221 Was der Jäger Franz Sara weiter drohte, verlor sich im Gemäuer, durch welches die Wendeltreppe zum Jägerzimmer hinauf geht. Wir folgen ihm nicht und wenden uns wieder zu Emil, den Agnes wirklich, vor dem Kamin stehend, empfängt.

»Wund're Dich nicht,« sagte sie, »mich bei Dir zu sehen. Oder ja, wund're Dich! Denn gewiß, nur etwas höchst Wichtiges konnte mich bewegen, Dich in Deiner selbstgewählten Junggesellenwirthschaft aufzusuchen. Ich komme, mich anzuklagen; komme Dich zu warnen. Ich bürge nicht mehr für mich, ich bürge für nichts, wenn Herr von Thalwiese länger bei uns aus- und eingeht. Er muß fort! Er darf nicht wiederkehren, Du mußt mit ihm brechen – oder . . . .«

»Oder? . . . .«

»Wozu die Verstellung? Er wird mir gefährlich und das entgeht ihm nicht. Ja, ich liebe ihn!«

»Du liebst? – Agnes, Du kannst lieben?«

»Noch bin ich Herrin meiner selbst. Noch überseh' ich die Gefahren, die mir drohen. Doch ich sehe sie; ich will sie sehen; will sie nicht leichtsinnig wegleugnen; will mich nicht belügen, Dich nicht. Wir haben uns Wahrheit versprochen und mein Versprechen werd' ich halten. Deßhalb erfahre jetzt, daß Dein Freund heute Abend bei der Heimkehr nicht mehr 222 derselbe blieb, den Du, als er matt und leidend zur Mittagstafel kam, den Schmachtenden zu nennen beliebtest. Gustav gehört zu den jungen Männern nicht, die schmachtend sich sehnen und sich mit Idealen begnügen, sobald die Wirklichkeit warm und lebendig neben ihnen weilt. Ich habe bisher an Deiner Seite mich selbst nicht erkannt; wußte nicht, wer ich bin? wußte nicht, was ich wollte? Dich klag' ich nicht an; that es nie. Du mußt sein, wie Du bist. Aber Du hast mich eben darum auch nicht belehren können über mein angebornes Bedürfniß. Gustav vermag dieß. Wie tief er unter Dir steht in allen Beziehungen zur Welt, zur Bildung, zur Wissenschaft, zur Geselligkeit, – das verkenne ich nicht, darüber täusch' ich mich nicht, – dennoch empfind' ich, daß ich sein werden muß, wenn er bleibt. Deßhalb trenne Dich von ihm und ihn von mir, weil es noch Zeit ist; zerreiße die Blumenketten, womit seine Tugend, seine Schönheit, seine naive Unwissenheit, seine rohe Anmuth – lache nicht über diesen Ausdruck, er ist absichtlich gewählt, – uns umwanden, schicke ihn fort, und uns laß' wieder uns're alten Fesseln schleppen durch's liebe, alltägliche Leben, – mit äußerem Anstand wie bisher; wenn auch ohne Blumen!«

»Trennen! Mich von ihm trennen! Ja, Du 223 hast Recht. Was ist er mir denn? Was er mir vielleicht werden konnte, wenn unsere Zusammenkünfte im stillen Walde der Winter nicht unterbrach; wenn im eisigen Frost die Blümchen nicht erstarrt wären, mit denen meine kindische Phantasie ihn schmückte: der Freund, den ich suche, von dem ich träume seit meiner Knabenzeit . . . er wurd' es nicht! Er hält nur noch an mir, um Deinetwillen. Ich weiß es. Jede Regung des Wohlwollens, der Anhänglichkeit mir gegönnt, verirrte sich nur zu mir, weil er an Dich sie zu richten noch nicht wagte. Er wird dankbar, herzlich, freundlich gegen mich sein, so lange er in mir den duldsamen Beschützer Eurer Neigung sieht und braucht. – Dann wird er mich verachten, oder hassen; je nachdem ich meine Schmach stillschweigend zu tragen, oder zornig abzuschütteln versuche! So wird es kommen. O Du hast Recht: wir müßten uns trennen! Ein Riß, ein heftiger Riß in's Leben . . . eine frische Wunde . . . . ein Bißchen Blut . . . das ist Alles. Damit wär' es abgethan! Und dann – kein Kampf mehr zwischen Ehrgefühl und Schwäche; keine Besorgniß, wie diese unsinnige, unglaubliche Verwirrung der Gefühle, der widerstrebendsten Ab- und Zuneigungen sich endlich lösen soll? Keine Eifersucht mehr, die nicht weiß, ob sie 224 fürchtet, oder wünscht? Die nicht weiß, ob sie haßt, oder liebt? Kein Zwiespalt zwischen Freundschaft, Verrath, Ehrfurcht, Argwohn, brüderlicher Liebe und Geringschätzung! . . . Nichts mehr von alle Dem! Aber auch er nicht mehr in unserer Nähe! Der einzige Mensch, den wir Freund – nennen! Der oft erheiternde Gesell unserer langen Abende! Sein sprechendes Auge nicht mehr an unsern Augen, an unserer Lippen Bewegung hangend! Seines Liedes Klang nicht mehr durch traute Dämmerstunde tönend! Seine kindischen Scherze nicht mehr an unser Ohr schlagend! Seine treuherzigen Albernheiten Dein Lächeln nicht mehr hervorrufend! Und dieses Zimmer, wenn ich mich vor der Leere einer schlaflosen Nacht fürchte, nicht mehr belebt durch seine Gegenwart, die das einzige Leben in unser lebloses Dasein brachte; – wenn wir Carolinen nicht rechnen wollen, die Du doch, offen gesagt, nur ihm, nur Deiner werdenden Vorliebe für ihn aufopfertest; von der Du Dich los machtest, nachdem Du ihn von ihr los gemacht. Gesteh' es ein, arme Agnes, auch Dir wird er fehlen, mehr wie mir. Und wenn ich auch nicht glaube, was Du in übertriebener Besorgniß aussprichst, daß Du befürchten mußt in Liebe für ihn aufzugehen; wenn ich auch niemals diese Deine Befürchtung 225 theilen kann; daß er Dir theuer ist, daß er auch zu Deiner Existenz schon mit gehört, davon bin ich durchdrungen; das hast Du durch die That bewiesen. Auch von Dir soll ich ihn losreißen? Auch Dir soll ich Schmerzen bereiten durch diese gewaltsame Trennung? Dir, Agnes, der ich ihre Jugend gestohlen, als ich mich verleiten ließ, um Deine Hand zu werben? Ich, der ich nicht geboren ward, Dir Glück zu bringen?«

»Emil, verkaufe nicht mit mir! Meinetwegen werde nicht schwankend in einem festen Entschluße, wenn Dir ein solcher sonst möglich ist. Um meine Schmerzen bekümmere Dich nicht. Ich weiß Dir's nicht Dank. Meine Schmerzen liegen hier eingesargt, in dieser Brust, deren wärmeren Schlag für Dich Du nie zu erwecken verstandest. Sie war kalt, sie blieb kalt, wie sich's für eine Gruft begrabener Schmerzen gebührt. Jungfräuliche Träume, mädchenhafte Wünsche, glühende Jugendbilder, blühende Hoffnungen, verwelkte Enttäuschungen liegen wie Leichen beisammen darin. Lasse sie liegen. Gräme Dich nicht unnütz um sie und um mich. Zwei Marmorhügel wölben sich als Grabmal darüber: weiß, fest, kalt wie Stein. Daß nicht ein von versunkenen, heidnischen Unterwelts-Götzen Begünstigter die frevelnde 226 Zauberhand darauf lege, den Stein zu beleben, wie in jenem Märchen von Galathea's Statue! Daß nicht die Leichen aufgestört werden aus ihrer Grabes-Ruhe! Emil, hüte Dich! Es könnte einen furchtbaren Todtentanz geben, der mich in seine Wirbel hineinzerrte . . . . und Dich auch. – Höre meine Warnung: ich bin nicht, die ich scheine. Du kennst mich nicht. Ich kannte mich selbst nicht. Nur Gott . . . und der will nicht, daß man ihn versuche! – Noch ist Zeit. Gustav scheide von uns . . . und der Friede bleibe uns . . . der Friede des Grabes, mein' ich!«

»– – – Aber soll denn das arme Wasser im Theekessel ganz und gar verkochen? Will sich denn keine Hand erbarmen, mir ärmstem aller Schneehasen ein heißes Glas Grog zu brauen, daß ich wieder in's Leben komme und mein Contrafey am Ufer des todten See's vergesse?«

Mit dieser Frage stand Gustav zwischen dem Ehepaar, eben als Emil auf Agnesens letzte Warnung erwidern wollte.

Seine nichtigen Worte drangen in das feierlich-ernste Zwiegespräch wie ein Gassenhauer in die Hallen eines Tempels. Er empfand die störende Wirkung, die er hervorgebracht, in der Rückwirkung auf sich 227 selbst. Der Empfang, der ihm zu Theil wurde, belehrte ihn, obgleich ein schweigender, daß hier bedeutende Angelegenheiten verhandelt wurden; und daß er der Mittelpunct, die Hauptperson darin sei, konnte ihm nicht entgehen. Die übermüthige Fröhlichkeit, die er mitgebracht, wich sogleich gespannter Erwartung. Er verstummte, einem Verbrecher ähnlich, der sein Urtheil erwartet, doch nicht ohne Aussicht auf Begnadigung.

»Soll ich in seiner Gegenwart reden?« fragte Emil; – »darf ich?«

»Und weßhalb nicht?« erwiderte Agnes; »wofern nämlich – (und dabei blickte sie ihn fest an,) – wofern Du sicher weißt, was Du reden willst!«

»Hier kommt es nicht darauf an, Agnes, was ich sagen will? nur darauf, was mir zu sagen gestattet ist; was Du willst, daß ich sagen soll? Die strenge Wahrheit weiß ich ihm nicht zu verkünden, ohne Verletzung eines mir anvertrauten Geheimnisses.«

»Ich mache kein Geheimniß aus dem, was ich Dir mitgetheilt habe,« rief Agnes; »vor ihm nicht! Es wäre lächerlich, ihm verbergen zu wollen, was seit gestern Abend jeder Pulsschlag ihm kund gab. Noch einmal: verkaufe nicht mit mir! Verkrieche Dich in Deiner Unschlüssigkeit um Gottes Willen nicht 228 hinter mich. Tritt vor als Herr des Hauses, tritt ein als selbstständiger Mann, bezahle mit Deiner Person, mit Deiner Ehre, rette Deinen Willen und gestehe dann, daß Du der Urheber dessen bist, was hier zu geschehen hat. Wenn Gustav auf ewig von uns scheidet, – aus meinem Munde soll keine Klage, aus meiner Brust soll kein Seufzer dringen; ich werde seinen Namen nicht mehr nennen. Wenn Du ihn bleiben heißest – dann klage Du auch nicht über mich; schon im Voraus werfe ich, was mich treffen könnte, auf Dein Haupt zurück. Du bist der Herr! Und nun macht mit einander aus, wie Männer, wobei ich keine Stimme habe. Ich begebe mich in mein Zimmer und will heute keinen von Euch Beiden mehr sehen. Ich werde morgen noch zeitig genug erfahren, woran ich bin. So, oder so, – mein Gewissen ist rein gegen Dich. Ich bin wahr gewesen. Sei es auch, wenn Du kannst.«

Gustav wollte ihr folgen.

Sie kehrte sich nach ihm um, streckte ihm gebieterisch den Arm entgegen und sprach: »Herr von Thalwiese, es ziemt Ihnen nicht mehr, mit mir zu sprechen, bevor mein Gemal mit ihnen sprach. Sehen wir uns wieder, dann haben Sie nähere Rechte an mich. Sehen wir uns jetzt zum Letztenmale, dann 229 vergessen Sie Gestern, wie Heute, und die Zukunft bringe Ihnen Glück!«

Die Thür fiel in's Schloß. Gustav wendete sich zu Emil: »Was soll das heißen, zum Letztenmale? Sprich, weiset sie mich von sich? Jagt sie mich aus dem Hause?«

»Sie nicht! Ich soll es thun.«

»Du? mich? Du, der mich in die Gefahr lockte? Der Schuld ist, daß ich erleide, was bisher, wenn ich Andere es erleiden sah, Gegenstand meines höhnischen Zweifels, meines ungläubigen Spottes gewesen? Du, mich verstoßen, dem Du unzähligemale zugeschworen, ohne ›ihn‹ nicht mehr leben zu können? Den Du die neu aufblühende Jugend Deines vor der Zeit alternden Daseins nanntest? Dem Du unverbrüchlich treue Freundschaft gelobtest, . . . und die Wipfel der Bäume Deines Waldes rauschten über uns? Du, der Freundschaft treulos, weil Du ihr nicht gönnen magst, sich im reinen Strahle weiblicher Tugend zu veredeln? Den Freund vertreiben, – aus Neid, ich kann's nicht anders benennen; aus Hochmuth, aus Eigensinn. – Denn Eifersucht quält Dich nicht. Dazu müßtest Du Deine Frau lieben. Aber Du verehrst, Du achtest sie nur! Nein, Du liebst sie nicht. Ich liebe sie!«

230 »Und wenn ich nun eben deßhalb eifersüchtig wäre? Wenn ich es nicht Deinetwegen auf sie, wenn ich es Ihretwegen auf Dich bin? Wenn ich ihr nicht gönne, daß Du sie höher stellst als mich? Wenn die Eifersucht, die mich martert, fürchterlicher quält, als jene, von der Du meinst, daß ich sie nicht kenne?«

»Dann leihe mir eine Pistole, Freund Emil. Ich werde in den Wald gehen, mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen, und es ist uns Allen geholfen.«

Er sagte dieß so ruhig, daß Emil die Kälte des Todes über den Nacken schleichen fühlte.

»Man bringt sich nicht so leicht um, glaube mir; es gehört viel dazu.«

»Bei Dir vielleicht. Bei mir nichts als eine Silbe. Sprich zu mir: geh'! Und es ist gethan. Ich lebe nicht mehr ohne ihren Anblick. Ich kann's nicht; ich will's nicht!«

»Wenn ich nun spräche: geh! Und wenn Du gingest aus meinem Hause, von dieser Erde . . . hieße das nicht Dein Angedenken mit dem Kranze des Märtyrers schmücken? Dich in ihrem Herzen zum Heiligen machen? Und in dem meinigen nicht minder? O, ich glaube, es ist Dir Ernst damit! Es ist nicht eine leere Drohung, ausgestoßen, mich zur 231 Nachgiebigkeit zu zwingen; Dich erfüllt die Ueberzeugung, durch diesen Tod den herrlichsten Triumph zu feiern, Dich zugleich zwiefach an mir zu rächen. Aber weder diese Rache soll Dir zu Theil werden, noch dieser Triumph. Den Triumph nehme ich für mich in Anspruch; die Rache soll in Segen umgewandelt sein. Bleibe Du – und ich will gehen. Ich will Euch Platz machen, will Agnes von mir befreien. Wollt' ich es doch wenige Stunden, bevor ich Dich kennen lernte! Senkte ich doch schon die Spitze meines Dolches auf diese Brust, – nur daß es der Feigheit willkommen schien, bei der That überfallen, daran verhindert zu werden; daß ich mir dann einredete, Agnes, ohne mich, stehe ganz einsam und vielleicht noch unglücklicher als durch mich? Das ist jetzt anders. Jetzt räum' ich mit mir das Hinderniß ihres Glückes hinweg und des Deinigen. Dieser Gedanke wird mir Muth geben; ich werde nicht mehr feig sein. Ich werde zu sterben wissen; – Ihr werdet leben – und Du wirst Den lieben, der für Dich starb. Da sieh'!« – (er brachte den Dolch aus dem Schranke hervor) – »Dießmal werd' ich nicht zaudern; was ich für mich auszuführen nicht gewagt, für Euch, für Dich wird mir's gelingen. Ja, Gustav, Du bleibst im Hause,– aber ich gehe!«

232 Gustav kannte den Freund als Schönredner, hatte ihn oft bewundert, noch öfter langweilig gefunden, besonders wenn sein Redefluß sich über Dinge verbreitete, die dem Sohne hausbackener Weltanschauung fern lagen. Aber davon, daß überhaupt ein Mensch, – geschweige gar Herr von Schwarzwaldau! – sich in Paroxismen der Begeisterung hineinreden könne, die nach einer Viertelstunde glühender Hitze schon wieder in lauwarmes, schleichendes Frösteln zu verlaufen geeignet wären, – davon hatte der derbe Bursch keinen Begriff. Deßhalb nahm er Emil's großmüthige Erklärung für vollen, schweren Ernst, für gediegenen Entschluß und wurde durch diesen Beweis zärtlichster, uneigennützigster Freundschaft so tief ergriffen, daß er unter dem Gewichte reuiger Beschämung förmlich zusammenbrach. Emil erschien ihm auf einmal so groß, so hoch, so erhaben, wie er sich selbst klein, kleinlich, erniedrigt vorkam. Der wilde Taumel aufgeregter Sinne, in dessen Strudel jede reinere, edlere Empfindung für Agnes, – (denn daran fehlte es nie in Gustav's Herzen!) – unterdrückt, wenn auch nicht verzehrt worden war, stand plötzlich still, sein tobendes Brausen legte sich, die trüben Wogen sanken und aus dem Grunde stieg 233 reineres Wollen empor, wie eine weiße Lilie aus dem Schlamme.

»Verflucht will ich sein,« rief er aus, »duld' ich dieses Ende! Du sprichst wahr, es ist eine Gemeinheit von mir gewesen, Dir zu drohen, wie ich es that; Dir davon zu reden, daß ich mir eine Kugel vor den Kopf schießen wollte, wenn Du mich fortschickst. Pfui, wie konnt' ich so erbärmlich sein? Fürchte nichts. Ich nehme jenes schändliche Wort zurück; ich tausche es aus gegen ein besseres und dieses will ich halten: Du gebietest – und ich gehe, scheide, um Euch niemals wieder zu sehen, um zu leben ohne Euren Anblick, und dennoch Euch anzugehören, auch in der Ferne, – Agnesen – und Dir! Ja, schicke mich fort! Ich gehorche; ich unterwerfe mich. Willst Du aber mich dulden; willst Du mir das unverdiente Glück gönnen, zu bleiben, so sollst Du es nie bereuen. Ich bin Dein, gehöre Dir, dessen ganzen Edelmuth, dessen unendliche Huld ich jetzt erst ermessen und schätzen lernte; bin Dein Schüler, Dein Sohn, Dein Bruder, Dein Knecht, – was Du willst. Bin Dein und Agnesens Leibeigner; Euer Sclave. Was hat ein Sclave für Rechte? Welche Ansprüche darf er geltend machen? Darf er fordern, begehren, trotzen, zürnen? Er gehorcht und nimmt demüthig-dankbar 234 hin, was mitleidige Gnade ihm spendet. Magst Du's mit mir versuchen, so laß' mich bleiben. Soll ich scheiden, so werd' ich morgen vor der Sonne aufbrechen und gehend und entsagend Deine Hand küssen.«

Emil antwortete durch eine stumme Umarmung. Der Dolch wurde wieder eingeschlossen.

Als nun am andern Tage Agnes die Ergebnisse vergangener Nacht, so wie theilweise den Inhalt des Gespräches durch ihren Gatten vernahm, erwiderte sie nur: »Du hast's gewollt!«


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