Paul Heyse
Andrea Delfin
Paul Heyse

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Ihr verlangt zu viel, Ser Malapiero, erwiderte die Gräfin. Die Ehrfurcht dieser Jugend vor den Diensten, die Ihr der Republik zu Meer und zu Lande geleistet habt, erlaubt nicht, daß wir in Eurer Gegenwart fortfahren, die edle Zeit so sündlich zu töten.

Ihr seid im Irrtum, schöne Leonora, versetzte der Alte. Habe ich doch nur deshalb mich von allem Staatsdienst zurückgezogen und selbst den großen Rat schon seit Jahren nicht mehr besucht, weil mir der Respekt der jungen Leute lästig ward und es mich nach ungebundener, fröhlicher Gesellschaft verlangte. Wer aber mag sich heutzutage das Herz vom Wein öffnen lassen, wenn einer vom Rat der Zehn oder gar ein Staatsinquisitor mit bei Tische sitzt? Man altert rascher im Amt, und ich denke noch eine Weile meiner weißen Haare zu spotten und wenigstens beim Wein jung zu sein, wenn ich auch der Schönheit gegenüber meine Jahre fühle.

Ihr nehmt es wahrlich in der Artigkeit noch mit diesen jungen Herren auf, sagte Leonora, die meinen, es gehöre nur ein zierlich gekräuselter blonder oder schwarzer Bart dazu, um das Recht zu haben, jeden schönen Frauenmund zu küssen. Aber ich will den Kredenztisch hereintragen lassen, um meinem seltenen Gast Willkommen zuzutrinken.

Verzeiht, meine holde Freundin. Ich komme nicht, um das Gastrecht in Anspruch zu nehmen. Nur der Wunsch trieb mich her, Euch unverzüglich die Nachrichten von Eurem Bruder zu bringen, die durch den Kurier aus Genua heute abend an mich gelangt sind. Sie sind so guter Art, daß ich nicht fürchte, die Heiterkeit der schönen Wirtin zu trüben, und daher auf Verzeihung rechne, wenn ich Euch diesen edlen Herrn für einige Augenblicke entführe. Darf ich hier mit Euch eintreten? sagte er, auf die Tür zu dem dunklen Saal deutend, auf die er zugeschritten war.

Andrea zuckte zusammen. Er begriff, daß er nicht so rasch und geräuschlos seinen Platz verlassen konnte, um unbemerkt sich davonzuschleichen. Und schon öffnete sich die Saaltür, und er hörte das Kleid der Gräfin hereinrauschen. Schnell entschlossen legte er sich platt auf den Boden der hohen Estrade nieder, deren Geländer, so niedrig es war, ihn dennoch in dieser Lage völlig deckte. Er hörte den Schritt des Alten, der Leonoren folgte und die Frage, ob ein Leuchter hereingebracht werden sollte, verneinte.

Nur zwei Worte habe ich zu sagen, rief Malapiero in das Spielzimmer zurück. Niemand der jungen Herren wird Zeit haben, auf mich eifersüchtig zu werden.

Die Tür schloß sich hinter ihnen, und sie gingen unter der Tribüne auf und ab.

Was führt Euch her? fragte die Gräfin hastig. Bringt Ihr mir endlich die Nachricht, daß Gritti zurückberufen wird?

Ihr habt die Bedingung noch nicht erfüllt, Leonora. Welches von den Wiener Geheimnissen habt Ihr dem Tribunal mitgeteilt?

Lag es an mir? Tat ich nicht alles, was ein Weib nur vermag, und ließ diesen eigensinnigen Deutschen im Netze zappeln, wie einen Fisch auf dem Lande? Aber nie kam ein Wort von Geschäften über seine Lippen. Und heute reist er ab, wie Ihr wissen werdet. Ich bin krank vor Ärger, daß ich soviel Zeit umsonst an ihn verschwendet habe.

Man sähe es lieber, wenn er krank wäre.

Wie das?

Er will fort, man hat ihm den Weg nicht verlegen können. Aber wir sind gewiß, daß es der Republik zum größten Schaden gereicht, wenn er wirklich bis Wien kommt. Die Vorwände seines Urlaubs sind nichtig. Der wahre Grund ist, daß er Dinge in Wien zu melden hat, die er selbst einem geheimen Kurier nicht anzuvertrauen wagt. Und darum liegt alles daran, daß die Reise verhindert wird.

So verhindert sie. Sein Gehen oder Bleiben ist mir völlig gleichgültig.

Ihr habt das leichteste Mittel in der Hand, Leonora, ihn hier festzuhalten.

Das wäre?

Ihr sendet ihm jetzt sogleich eine Botschaft, daß er kommen möge, um Euch weniger grausam zu finden als bisher. Wenn er dann, wie unzweifelhaft ist, sich noch in dieser Nacht bei Euch einfindet, so sorgt Ihr dafür, daß er bald darauf erkrankt.

Sie unterbrach ihn rasch. Ich habe einen Schwur getan, sagte sie, in dergleichen Zumutungen nie wieder zu willigen.

Man wird Euch Eures Schwures entbinden und Euer Gewissen beruhigen, Leonora. Auch ist die Meinung nicht, daß das Mittel tödlich sein soll; dies wäre sogar ernstlich zu verhüten.

Tut, was Ihr wollt, sagte sie. Aber mich laßt aus dem Spiel.

Euer letztes Wort, Gräfin?

Ich hab' es gesagt.

Nun wohl, so wird man dafür sorgen müssen, daß der Reisende unterwegs verunglückt. Es ist immer umständlicher und verdächtiger.

Und Gritti?

Von ihm ein andermal. Erlaubt, daß ich Euch zu Eurer Gesellschaft zurückführe.

Die Tür des Saales öffnete sich und schloß sich wieder. Andrea konnte sich ohne Gefahr aufrichten. Aber die Worte, die er gehört hatte, lähmten noch seine Sinne und Glieder. Er hörte undeutlich durch die Wand das mutwillige Lachen und die Scherze der jungen Leute; die furchtbare Nähe, in der hier Tod und Leben, Verbrechen und Leichtsinn aneinander hinstreiften, sträubte ihm das Haar. Als er sich mühsam aufrichtete und die Stufen hinuntertappte, suchte seine Hand krampfhaft nach dem Dolch, den er im Gewand versteckt immer bei sich trug. Seine Lippen waren blutig, so hatte er die Zähne darin verbissen.

Aber noch war er besonnen genug, Smeraldina wieder aufzusuchen und ihr in gelassenen Worten zu sagen, daß die Gesellschaft ganz lustig anzusehen sei; aber er werde nie wieder durch die Spalte schauen, da er nur mit genauer Not der Entdeckung durch die Gräfin und einen älteren Gast entkommen sei. Er hoffe, daß sie es nicht gehört hätten, wie er bei ihrem Eintritt in den dunklen Saal durch die andere Tür entschlüpft sei. – Darauf leerte er seine Börse vollends und drang darauf, sogleich von ihr zu gehen. Am sichersten sei es, daß sie ihn auf dem Brett durchs Fenster entlasse, um jedem Verdacht der Gräfin auszuweichen. Sie hatte kein Arg dabei, die Brücke war im Nu geschlagen und er überschritt sie mit festem Fuß, obwohl der Entschluß zu einer schweren Tat bereits in ihm feststand. Doch dieses Mal galt es nicht die große Sache allein, der er sich geweiht hatte. Es galt, einen Freund vor feindseliger Tücke zu schützen, einen Sohn der Mutter wohlbehalten in die Arme zu senden, einen schnöden Verrat des Gastrechtes durch schnelles Gericht zu verhüten.

Leise trat er auf den Flur seines Hauses und horchte in den dämmrigen Gang hinaus. Die Tür seiner Wirtin war geschlossen; aber er hörte trotzdem ihre Stimme, die aus Fieberträumen heraus sich mit Orsos Schatten besprach. Er gewann die Treppe und öffnete unten behutsam die Pforte. Die Straße war leer; das ewige Lämpchen leuchtete nicht weit in die windige Nacht hinüber; aber er kannte die Wege und ging mit eiligen Schritten durch die nächsten Quergassen über die schmale Brücke des Kanals, die auf den kleinen Platz vor Leonorens Palast führte. Er hatte nirgends eine Gondel gesehen und mußte annehmen, daß der Alte den Weg nach seinem Hause zu Fuß zurücklegen werde. Er ersah sich einen Platz, wo er vorüberkommen mußte. Ein tiefer, dunkler Vorsprung eines Türpfeilers schien ihm passend zum Hinterhalt. Hier drückte er sich in die Ecke und faßte das Portal des Palastes scharf ins Auge.

Aber die Hand, die den Dolch gezückt hielt, zitterte stark, und das Blut schoß ihm so gewaltig zu Herzen, daß er mit höchster Anstrengung sich zu ermannen suchte. Was war es, das dieses Mal sich in ihm auflehnte gegen eine Tat, die er für eine heilige Pflicht, für das Gebot einer höheren Notwendigkeit hielt? Er kämpfte hart gegen die dunklen Stimmen an, die ihn von seinem Posten wegzulocken schienen. Die Schulter bohrte sich eisern in den Pfosten ein, mit der Linken lüftete er die Stirn, auf der kalte Tropfen standen. Halt aus! sagte er unwillkürlich zu sich selbst. Vielleicht, wenn der Himmel es gnädig fügt, ist es das letzte Mal.

Da fiel ihm ein, daß der alte Malapiero ohne Zweifel sich von Dienern werde geleiten lassen, und augenblicklich begriff er die Unmöglichkeit, in diesem Fall den Schlag zu führen. Fast war es ihm lieb, einen Vorwand zu sehen, weshalb er heute unverrichteter Sache nach Hause gehen müsse. Aber indem er schon mit einem Fuß aus der Höhlung der Türnische heraustrat, öffnete sich drüben das Portal des Palastes, und in der grauen Nacht sah er die stattliche Figur, in den Mantel gehüllt, einsam über die Schwelle treten und auf ihn zukommen. Das weiße Haar wallte deutlich genug unter dem Hute vor, der rasche Schritt erklang über den Steinplatten, und sorgfältig hielt sich der späte Wanderer an den Häusern. Jetzt näherte er sich dem Hause, in dessen Schatten der Rächer stand; als ahne er die Nähe einer Gefahr, schlug er den Mantel vor das Gesicht und hielt die Linke fest am Griff seines Degens, den er trotz des Waffenverbotes an der Seite trug. Er ging an seinem Feinde vorüber, ohne ihn zu gewahren; zehn, zwanzig Schritte weit ließ ihn jener Vorsprung gewinnen. Schon näherte sich der Einsame der Brücke. Auf einmal hört er einen Fußtritt hinter sich, er wendet sich um, die Hand läßt den Mantel sinken, aber in demselben Augenblick bricht seine hohe Gestalt zusammen; der Stahl war ihm tief ins Leben gefahren.

Meine Mutter, meine arme Mutter! stöhnte der Ermordete. Dann sank sein Haupt auf das Pflaster. Die Augen schlossen sich für immer.

Eine Stille von mehreren Minuten folgte auf diese Abschiedsworte. Der Tote lag quer über die Straße ausgestreckt, mit ausgebreiteten Armen, als wollte er das treulose Leben inbrünstig umfangen. Der Hut war ihm von der Stirn gefallen, unter der Verkleidung der weißen Locken drängte sich das natürliche braune Haar hervor, das jugendliche Gesicht erschien wie schlafend in der falben Dämmerung der Nacht. Und einen Schritt von ihm entfernt an der Wand des nächsten Hauses, starr wie eine angelehnte Bildsäule, stand der Mörder, und seine Augen stierten in die regungslosen Züge des Jünglings und mühten sich in verzweifelter Angst vergebens ab, die entsetzliche Gewißheit sich zu verleugnen, sich einzureden, daß ein Spuk ihn verblende, daß unter dieser jungen Larve, die ihm die Hölle vorhalte, sich die Züge jenes Alten versteckten, der kurz zuvor im Saal Leonorens dem Freund Andreas einen Hinterhalt bestellt hatte. Hatte er nicht dieses Freundes wegen sich geeilt, den Streich zu führen? Wollte er nicht der Mutter ihren Sohn wohlbehalten zurücksenden? Und was hatte der Mann, der dort am Boden lag, von seiner armen Mutter gelallt? Warum stand nun der Richter und Rächer wie ein Verurteilter und vermochte kein Glied zu regen, obwohl seine Zähne wie in Todesangst klapperten und Frost seinen Körper schüttelte?

Das Blut, das ihm gegen die Augen tobte, trat zurück und stürzte nach den Herzkammern. Seine Blicke erkannten deutlich den Dolch in der Brust des Toten. Er las in dem trüben Zwielicht, die Worte auf dem Heft, die er mit eigener Hand mühsam eingegraben hatte: «Tod allen Staatsinquisitoren». Er sprach sie unwillkürlich laut aus, und ließ seine Augen zwischen der verhängnisvollen Waffe und dem Gesicht des armen Opfers hin und her gehen, sich sättigend mit dem vernichtenden Widerspruch zwischen diesen Worten und diesen Zügen. In furchtbarer Hast jagten sich die Gedanken an ihm vorbei. Er war sich plötzlich über alles klar, was hier geschehen war und nie gesühnt werden konnte. Kein Wunder hatte mitgewirkt, um das Grauenvolle zur Wirklichkeit zu machen. Alles war so ganz natürlich, so wahrscheinlich, ein Kind mußte es begreifen. Über Tag hatte sich der Jüngling von seiner verderblichen schönen Feindin ferngehalten. Er wollte fort ohne Abschied. Er hatte es ihr sagen lassen, und sie war gleichgültig genug, sich für den nämlichen Abend Gesellschaft zu laden. Als die Nacht kam, widerstand er dem heftigen Zwang des Dämons nicht und ging den gewohnten Weg. Man hatte ihm an der Pforte gesagt, daß er die Gräfin nicht allein finden würde. Augenblicklich war er entschieden, umzukehren. Und gerade dieser Augenblick hatte genügt, daß sein einziger Freund sich in den Hinterhalt stellen konnte, um zum Mörder an ihm zu werden.

Erst als Andrea das alles klar überlegt hatte, mit einer kalten Hellsichtigkeit, wie sie in allen entscheidenden Stunden, wo jeder Trost schwindet, dem Menschen nahetritt, löste sich die Starrheit seines Leibes. Er stürzte zu dem stillen Schläfer hin, sank knieend auf das Pflaster und sah ihm dicht ins Gesicht. Ein irres Lachen, das wie ein Röcheln klang, entfuhr ihm jetzt, als er die weißen Locken ihm vom Haupte strich, die ihn so unselig betrogen hatten. Es fiel ihm ein, daß er selbst am Nachmittag den Freund gewarnt hatte, sich nicht offen in den Straßen Venedigs zu zeigen. Er selbst hatte die Falle gelegt für sich und seinen Teuren. Dann riß er ihm das Kleid auf und fühlte, ob noch ein Rest von Leben im Herzen klopfe. Er neigte seinen Mund dicht an die Lippen des Jünglings, ob er noch einen Hauch spüren könnte. Alles war still und kalt und hoffnungslos.

In diesem Moment wurde die Pforte des Palastes wieder geöffnet, und eine hohe Gestalt im Mantel trat heraus. Der Lichtschein aus dem Flur fiel auf das weiße Haar des alten Malapiero, der in sein Haus zurückkehrte. Andrea sah auf; die schneidende Ironie seiner Lage trat ihm vor die Seele. Da ging der Mann, vor dem er Venedig, die wehrlose Herde des Adels und Volkes, und nicht zuletzt seinen deutschen Freund zu schützen dachte. Da kam er einsam genug des Weges heran, nur in der Maske eines Geheimnisses, das sein Feind durchdrungen hatte; nichts hinderte, sich auf ihn zu werfen, der Dolch war zur Hand –; aber dieser Dolch war mit unschuldigem Blut geschändet worden, nichts mehr unterschied den Richter und Rächer von dem, an welchem er den Spruch vollziehen wollte, als daß hier ein tückisch blinder Zufall den Streich geführt hatte, während jene unverantwortlichen Henker ihre Ziele sicher und unfehlbar vor Augen hatten.

Dieses alles tobte durch Andreas Geist. Er raffte sich auf, zog den Dolch aus der Wunde und floh, noch unbemerkt von dem greisen Triumvirn, im Schatten hin, über die schmale Kanalbrücke seinem Hause zu. Als ihm einfiel, daß der alte Malapiero den Toten finden und seinem unbekannten Mörder Dank wissen würde, daß er ihm eine Mühe gespart, mußte er die Zähne zusammenbeißen, um nicht wild aufzuschreien.


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