Paul Heyse
Andrea Delfin
Paul Heyse

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Andrea jedoch war augenscheinlich mit dem Erfolg seiner Bemühungen sehr zufrieden und trat, da es inzwischen Mittag geworden war, in die nächste Schenke, wo er Leute aus den unteren Klassen an langen ungedeckten Tischen sitzen sah, die ihre sehr einfache Kost mit einem Glas trüben Weins würzten. Er nahm seinen Platz in einem Winkel nahe der Tür und aß die etwas ranzigen Fische ohne Murren, während er freilich den Wein, nachdem er ihn gekostet hatte, verschmähte. Er war schon im Begriff, nach der Zeche zu fragen, als er sich von seinem Nachbar höflich anreden hörte. Der Mann, den er bisher ganz übersehen hatte, saß schon lange vor seiner halben Flasche Wein, aß nichts, trank nur dann und wann einen Schluck, wobei er jedesmal den Mund ein wenig verzog; während er aber scheinbar vor Müdigkeit die Augen halb geschlossen hielt, wanderten seine scharfen Blicke durch die ganze düsterliche Halle und hefteten sich mit besonderem Anteil an unseren Brescianer, der seinerseits nichts Merkwürdiges an ihm wahrgenommen hatte. Es war ein Mann in den Dreißigen, mit blondem, lockigen Haar, der in der schwarzen venezianischen Tracht seine jüdische Herkunft nicht sogleich verriet. In den Ohren trug er schwere goldene Ringe, an den Schuhen Schnallen mit großen Topasen, während sein Halskragen zerknittert und unsauber und sein Rock von feinem Wollenstoff seit Wochen nicht gebürstet war.

Dem Herrn schmeckt der Wein nicht, sagte er halblaut, indem er sich geschmeidig zu Andrea hinbog. Der Herr scheint überhaupt nur aus Irrtum hier zu sein, wo man nicht gewohnt ist, Gäste von besserem Stande zu bewirten.

Um Vergebung, Herr, erwiderte Andrea ruhig, obwohl er sich Gewalt antat, überhaupt zu antworten, was wißt Ihr von meinem Stande?

Ich seh es an der Art, wie der Herr ißt, daß er eine andere Gesellschaft gewohnt ist, als er hier findet, sagte der Jude.

Andrea maß ihn mit einem festen Blick, vor dem das lauernde Auge des anderen sich senkte. Dann schien ein Gedanke in ihm aufzusteigen, der ihn plötzlich bewog, dem Zudringlichen mit einer Art von Vertraulichkeit entgegenzukommen.

Ihr seid ein scharfer Menschenkenner, sagte er. Es ist Euch nicht entgangen, daß ich einst bessere Tage gesehen und einen unverfälschten Wein getrunken habe. Auch kam ich in gute Gesellschaft, obwohl ich der Sohn eines kleinen Bürgers bin und nur kümmerlich die Rechte studiert habe, ohne einen Titel zu erwerben. Das hat sich geändert. Mein Vater machte Bankrott, ich wurde arm, und ein armer Gerichtsschreiber und Advokatengehilfe hat auf nichts Besseres Anspruch zu machen, als was er in dieser Kneipe findet.

Ein studierter Herr hat immer Anspruch auf Verehrung, sagte der andere mit einem sehr verbindlichen Lächeln. Es würde mich glücklich machen, wenn ich Euer Gnaden einen Dienst erweisen könnte; denn ich habe stets nach dem Umgang gelehrter Männer gestrebt und bei meinen vielen Geschäften nicht selten die Gelegenheit gehabt, mich ihnen zu nähern. Wenn ich Euer Gnaden vorschlagen dürfte, ein besseres Glas Wein mit mir zu trinken, als hier zu haben ist...

Ich kann besseren Wein nicht bezahlen, sagte der andere gleichgültig.

Es würde mir eine Ehre sein, gegen den Herrn, der hier fremd scheint, die venezianische Gastfreundschaft zu üben. Wenn ich sonst mit meinem Vermögen und meiner Ortskenntnis dem Herrn irgend nützlich sein kann...

Andrea wollte ihm eben ausweichend antworten, als er bemerkte, daß der Wirt der Schenke, der im Hintergrunde am Kredenztische stand, ihn lebhaft mit dem kahlen Kopf zu sich heranwinkte. Auch von den anderen Gästen, die aus Handwerkern, Marktweibern und Tagedieben bestanden, machte ihn mancher mit verstohlenen Zeichen aufmerksam, daß man ihm gern etwas mitgeteilt hätte, was man nicht laut zu sagen wagte. Unter dem Vorwand, erst zu bezahlen, ehe er auf die höfliche Einladung antwortete, verließ er seinen Platz und ging mit der lauten Frage, was er schuldig sei, auf den Wirt zu.

Herr, flüsterte der gutmütige Alte, nehmt Euch in acht vor dem. Ihr habt es mit einem Schlimmen zu tun. Die Inquisitoren bezahlen ihn, daß er die Heimlichkeiten der Fremden ausspürt, die sich hier blicken lassen. Seht Ihr nicht, daß der Winkel leer ist, wo er Platz genommen hat? Sie kennen ihn alle, und nächstens fliegt er einmal zur Tür hinaus, der Gott Abrahams gesegn' es ihm! Ich aber, obwohl ich ihn dulden muß, um mir nicht die Finger zu verbrennen, bin es Euch doch schuldig, Euch reinen Wein einzuschenken. Ich dank' Euch Freund, sagte Andrea laut. Euer Wein ist ein wenig trübe, aber gesund. Guten Tag.

Damit kehrte er auf seinen Platz zurück, nahm seinen Hut und sagte zu seinem dienstfertigen Nachbar: Kommt, Herr, wenn es Euch gefällt. Man sieht Euch hier nicht gern, fügte er leiser hinzu. Man hält Euch für einen Spion, wie ich habe merken können. Wir wollen anderswo unsere Bekanntschaft fortsetzen.

Das schmale Gesicht des Juden erblaßte. Bei Gott, sagte er, man verkennt mich! Aber ich kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie auf der Hut sind, denn es wimmelt hier in Venedig von Spürhunden der Signoria. Meine Geschäfte, fuhr er fort, als sie schon auf der Gasse waren, meine vielen Verbindungen führen mich in so manche Häuser, daß es wohl scheinen mag, als bekümmerte ich mich um fremde Geheimnisse. Gott soll mich leben lassen hundert Jahr, aber was gehen mich fremde Leute an? Wenn sie mir zahlen, was sie mir schuldig sind, will ich ein Hund sein, wenn ich ihnen was nachrede.

Ich meine aber doch, Herr – wie ist Euer Name?

Samuele.

Ich meine aber, Herr Samuele, daß Ihr zu übel denkt von denen, die zum Besten des Staates die Pläne und Anschläge der Bürger ausspähen und Verschwörungen gegen die Republik an den Tag bringen, ehe sie schaden können. Der Jude stand still, hielt den andern am Ärmel und sah ihn an. Warum hab ich Euch nicht gleich erkannt? sagte er. Ich mußte wissen, daß Ihr nicht zufällig in jene elende Kneipe geraten konntet, daß ich einen Kollegen in Euch zu begrüßen hatte. Seit wann seid Ihr im Amt?

Ich? seit übermorgen.

Was meint Ihr, Herr? Wollt Ihr mich foppen?

Wahrlich nicht, erwiderte Andrea. Denn es ist mein voller Ernst, daß ich nächstens so weit kommen werde, mich in Euern Orden aufnehmen zu lassen. Es geht mir schlecht, wie ich Euch gesagt habe, und ich bin nach Venedig gekommen, meine Umstände zu verbessern. Der Schreiberlohn, um den ich mich heute bei einem Notar verdungen habe, ist nicht das, was ich hier vom Glück und von meinem bißchen Verstand erhofft habe. Venedig ist eine schöne Stadt, eine lustige Stadt; aber in dem Lachen der schönen Weiber ist ein Goldklang, der mich immer an meine Armut erinnert. Ich denke, das kann nicht immer so währen.

Euer Vertrauen ehrt mich sehr, sagte der Jude mit einem nachdenklichen Zug. Aber ich muß Euch sagen, daß die Herren nicht gern fremde Ankömmlinge in ihre Dienste nehmen, ehe sie eine Probezeit bestanden und sich ein wenig umgesehen haben. Wenn ich Euch bis dahin mit meiner Börse aushelfen kann – ich nehme niedrige Prozente von meinen Freunden.

Ich dank' Euch, Herr Samuele, erwiderte Andrea gleichmütig. Eure Protektion ist mir wertvoller, der ich mich hiermit bestens empfohlen haben will. Dies aber ist mein Haus; ich nötige Euch nicht hinein, weil ich Arbeit vollauf habe für meinen neuen Brotherrn. Andrea Delfin ist mein Name. Wenn es Zeit ist, daß man mich brauchen kann, denkt an mich: Andrea Delfin, Calle della Cortesia.

Er schüttelte dem seltsamen Freunde die Hand, der draußen noch eine Weile stehen blieb, sich das Haus und die nächste Umgebung genau ansah und dabei mit einer Miene des Zweifels und der listigen Überlegung vor sich hinmurmelte, aus der hervorging, daß er den Brescianer von seiner Probezeit nicht so rasch freisprechen würde.

*

Als Andrea die Treppe hinaufstieg, konnte er an Frau Giovanna nicht vorüber, ohne ihr Rede zu stehen. Sie war nicht damit zufrieden, daß er nur einen so geringen Platz gefunden hatte. Sie werde nicht ruhen, bis er ihn aufgegeben und sich einen einträglicheren und ehrenvolleren gesucht habe. Er schüttelte den Kopf. Es reicht wohl, gute Frau, sagte er ernsthaft, für die Spanne Zeit, die ich noch vor mir habe.

Was Ihr auch redet! schalt die Frau. Dem Guten entgegen gehen und das Böse kommen lassen, so ziemt sich's für einen Mann, und nach Honig schleckt man, nach Wermut spuckt man. Seht die schöne Sonne draußen und schämt Euch, daß Ihr schon nach Hause kommt, während auf der Piazetta Musik ist und alles, was hübsch und reich und vornehm ist, den Markusplatz auf und ab spaziert. Da gehöret Ihr hin, Herr Andrea, statt ins Zimmer.

Ich bin weder hübsch, noch reich, noch vornehm, Frau Giovanna.

Habt Ihr denn gar keine Freude, die schöne Welt zu sehen? fragte sie eifrig, und sah sich dabei um, ob Marietta nicht etwa in der Nähe sei. Ihr seid doch nicht etwa liebeskrank?

Nein, Frau Giovanna.

Oder haltet Ihr's gar für eine Sünde, lustig zu sein? Ihr habt da so Büchlein auf Eurem Tisch liegen, ich sag' es nur, weil Ihr der erste Fremde seid, der in mein Haus ein erbauliches Buch mitgebracht hat, Gott sei's geklagt! Aber die Jugend denkt heutzutage: Frech gelebt und fromm gestorben, heißt dem Teufel den Spaß verdorben, und um Weihnachten fasten auch die Spatzen auf dem Dach.

Gute Frau, sagte er lächelnd, ihr sorgt Euch sehr um mich, aber mir ist nicht zu helfen. Wenn ich still bei meiner Arbeit sitze, ist mir am wohlsten, und Ihr könntet mir einen Gefallen tun, mir ein Schreibzeug zu schaffen und einige Bogen Papier.

Bald darauf brachte ihm Marietta das Verlangte auf sein Zimmer, wo er stumm am Fenster saß und vor sich hin sah. In derselben Stellung fand sie ihn abends, als sie ihm das Licht brachte, und auf ihre Frage, was er zu essen begehre, verlangte er nur Brot und Wein. Sie hatte nicht den Mut, zu fragen, ob ihn die Mücken belästigen und er wieder geräuchert haben wolle. Mutter, sagte sie, als sie sich neben die Alte auf die Treppe setzte, ich gehe nicht wieder zu ihm hinein. Er hat so Augen, wie der Märtyrer in der kleinen Kapelle San Stefano. Ich kann nicht lachen, wenn er mich ansieht.

Was sie wohl gesagt hätte, wenn sie einige Stunden später ins Zimmer getreten wäre? Er stand, während die Nacht draußen über den Kanal wehte, am Fenster, im Gespräch mit der Zofe drüben, eifrig bemüht, seinen Augen einen weltlichen Ausdruck zu geben.

Schöne Smeraldina, sagte er, ich konnte die Zeit nicht erwarten, dich wiederzusehen. Ich habe im Vorbeigehen bei einem Goldschmiedladen an dich gedacht und dir eine Nadel gekauft, von Filigran, die freilich zu gering für dich ist, aber dennoch echter als die Agraffe an deinem Turban. Öffne das Fenster, so werf' ich sie hinüber, in der Hoffnung, bald einmal denselben Weg durch die Luft zu machen und dir zu Füßen zu fallen.

Ich seid sehr artig, lächelte das Mädchen und fing das Geschenk, das er in ein Papier gewickelt hatte, mit beiden Händen auf. Ei, was Ihr für einen guten Geschmack habt! und Ihr sagtet doch Ihr wäret arm? Wißt Ihr, daß es mir heute besonders not tut, eine Freude zu haben? Wir haben viel ausgestanden über Tag, die Gräfin ist schlechter Laune. Ihr Liebster, der junge Gritti, des Senators Sohn, hat sich vierundzwanzig Stunden nicht blicken lassen. Sie hat nach seinem Hause geschickt; und da wurde er vermißt, und man glaubt, das Tribunal habe ihn heimlich aufheben und gefangen nehmen lassen. Meine Gräfin ist außer sich, sie empfängt niemanden, sie liegt auf ihrem Sofa und weint wie eine Unsinnige und hat mich geschlagen, als ich sie trösten wollte.

Ihr habt keine Ahnung, wessen man den Jüngling angeklagt?

Nicht die geringste, Herr. Ich wollt' auch Gelübde tun, ewig Jungfer zu bleiben, wenn er das mindeste gegen den Staat im Kopf hatte. Lieber Himmel, er war eben dreiundzwanzig Jahre, und nichts lag ihm am Herzen, als meine Gräfin und allenfalls das Spiel. Aber diese Herren von der Inquisition wissen Euch aus einem Spinneweb ein Seil zu drehen, stark genug, um die stärkste Kehle zuzuschnüren, und wer weiß, ob es diesmal nicht allein gegen seinen Vater, den Senator, gemünzt ist!

Sprecht vorsichtiger von den obersten Behörden dieser Stadt, sagte Andrea leise. Die Weisheit der Väter hat sie eingesetzt, und die Torheit der Enkel soll sie nicht antasten.

Das Mädchen sah ihn an, ob es sein Ernst sei; es war nicht leicht, das Rätsel dieser Mienen zu lösen. Geht, sagte sie, Ihr werdet ernsthaft, und das mag ich nicht leiden. Ihr seid noch nicht lange hier, darum habt Ihr Respekt vor den alten Blutrichtern und Henkern, die sich von fern oder etwa gemalt sehr ehrwürdig ausnehmen mögen. Ich aber habe sie schon manchmal in der Nähe gesehen, am Farotisch, wenn meine Gräfin Bank hielt, und ich kann Euch sagen, sie sind auch Menschen, wie Adam war.

Mag sein, Kind, antwortete er, aber sie haben die Gewalt, und ein armer Bürger wie ich tut nicht klug, so verfängliche Reden hier am offenen Fenster zu wechseln. Wenn es zu bösen Häusern kommt, daß wir beide die inkarnierte Gerechtigkeit Venedigs für nichts Besseres als eine Handvoll sterblicher Menschen halten, so beschützt dich, meine teure Smeraldina, der Zauber deiner Schönheit; ich aber wandere den bekannten nassen Weg oder tausche wenigstens mein Quartier in der Calle della Cortesia mit einer viel bescheideneren Kammer in den Brunnen oder unter den Bleidächern.

Ihr könnt hier reden, was Euch beliebt, sagte die Zofe; es gehen wenig Fenster auf den Kanal hinaus, und da hat um diese Zeit niemand was zu schaffen. Auf Eurer Seite drüben ist nun vollends die leere Mauer; denn wer's besser haben kann, sucht sich unsere trübe Kloake da unten nicht gerade zum Spiegel aus. Aber wißt Ihr was? Ihr solltet auf ein Stündchen herüberkommen; man hätte es doch immer bequemer, miteinander zu plaudern, und ein Glas Wein, guter Moscat von Samos und eine Partie Tarock würden mir die Nerven sehr beruhigen nach den Ohrfeigen der Gräfin.

Ich käme gern, sagte er, aber es würde Aufsehen machen, und meine Wirtin ließe mich um Mitternacht schwerlich wieder ein.

Nicht doch, lachte die Zofe. Einen solchen Umweg braucht es nicht. Ich habe hier ein Brett, womit wir ohne viel Umstände eine Brücke schlagen können. Man kann sich ja mit den Händen abreichen über dem Kanal; warum nicht mit den Füßen? Oder seid Ihr schwindlig?

Nein, schöne Freundin. Nur einen Augenblick, und ich bin bereit.


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