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Siebzehntes Kapitel

Der Kampf sollte also zwischen der Jugend, der Tugend und allen edlen Gefühlen der Menschheit auf der einen Seite, auf der andern dem Laster, der rohen Gewalt und den blinden Behörden eines kleinen Landes beginnen. Es war Hundert gegen Eins zu wetten, daß die ersteren trotz aller Anstrengung nicht den Sieg erlangen würden, aber man sagt ja, daß Glauben Berge versetzt, und William hatte sich einen heiligen Schwur gethan, nicht abzulassen, bis er wußte, was aus dem heißgeliebten Wesen geworden war. Mochte die Wahrheit sein, welche sie wollte, er mußte sie wissen. Und mit der ganzen Zähigkeit der Engländer wußte er sein Ziel zu erreichen.

Sofort nach seiner Ankunft in Brüssel ließ er sich zu dem Konsul Ihrer Britischen Majestät führen, und sein Verdacht eines niederträchtigen Verrats wurde durch das Konsulat durchaus bestätigt.

In einer langen Unterredung unterrichtete William den würdigen Vertreter Englands über alles, was er wußte.

»Sie sind betrogen wurden«, sagte ihm der Konsul. »Ich habe Brüssel in den vierzig Jahren, die ich hier wohne, genau kennen gelernt; es lebt hier kein Graf von Brederode. Eine Familie dieses Namens hat vor Jahrhunderten existiert, aber sie ist längst ausgestorben. Nach dem, was Sie mir erzählen, kann ich leider nicht daran zweifeln, daß Ihre Braut in einem der sogenannten Freudenhäuser eingesperrt worden ist; zugleich muß ich Sie aber auch darauf aufmerksam machen, daß die Polizei mit den Besitzern dieser Häuser, von denen sie eine Menge Vorteile hat, wie alle Welt in Brüssel weiß, unter einer Decke steckt.«

Dem Rate des Konsuls folgend, begab sich William zu dem Bürgermeister der Stadt. Dieser, ein dicker Bierbrauer, that sehr zerstreut, und sagte zuletzt zu William:

»Ihre Erkundigungen sind ziemlich unklar und ich kann unter diesen Umständen nichts thun. Wenden Sie sich gefälligst an den Staatsanwalt.«

Man erfuhr später, daß dieser ehrenwerte Herr Bürgermeister an einem öffentlichen Hause beteiligt war. Er wäre in Folge dessen nicht einmal stimmberechtigt gewesen, aber die Brüsseler hatten ihn auf Treu und Glauben zu ihrem Oberhaupt erwählt.

Der Staatsanwalt, den William aufsuchte, machte Einwendungen gegen die Befugnis des jungen Engländers, Nachforschungen anzustellen, er sei weder der Vater, noch der Bruder der Verschwundenen, und überdies sei es Sache der Polizei, sagte er. Von den höheren Behörden abgewiesen, begab sich der unglückliche junge Mann, trotz der Warnungen des Konsuls, zur städtischen Polizei. Hier wurde er kaum angehört, man gab ihm zu verstehen, die Polizei sei nicht dazu da, junge Fremde in den öffentlichen Häusern herumzuführen, und fügte hinzu, daß sie die Besitzer solcher Häuser in Anbetracht der vielen Kosten, mit welchen sie Engländerinnen für ihre Anstalt gewönnen, in deren Besitz schützen müsse.

Als William auf seinem Verlangen beharrte, erklärte ihm schließlich der Kommissar rund heraus, er habe von ihm keine Hülfe zu erwarten; wahrscheinlich sei er selbst nichts weiter als ein Hausbesitzer, der einem festländischen Konkurrenten ein Mädchen abjagen wolle.

»Wenn Sie zu viel Lärm machen,« fuhr er fort, »werden wir Sie aus Belgien ausweisen. Die öffentliche Sicherheit verlangt es, daß wir die Mädchen behalten und die Männer nach Hause schicken. Bilden Sie sich nicht ein, daß Sie uns mit Ihrer Großsprecherei imponieren. In einem Lande, wo man einen Viktor Hugo verjagt, macht man nicht viel Umstände mit einem jungen Menschen, der nach seiner Geliebten heult. Gehen Sie, gehen Sie, Ihre Kleine befindet sich dort sehr wohl, wo sie ist!«

William, der einen Dolmetscher mitgenommen hatte, traute seinen Ohren kaum. Wie? hielten ihn alle diese Leute für einen Narren, einen Beutelschneider oder einen Kuppler?

War es möglich, daß man ihm Hilfe und Schutz verweigerte, Wo es sich um ein verkauftes, verratenes, vielleicht schon gemordetes Mädchen handelte? Man ging soweit, ihm zu drohen! In kurzem legte man ihm vielleicht sogar Handschellen an, um ihn über die Grenze zu führen!

Und Clarissa! Die Worte des Polizeikommissars: »man behält die Mädchen und schickt die Männer nach Hause,« hatten ihm die Augen geöffnet. Er kannte aus den englischen Zeitungen die furchtbare Geschichte der jungen, nach Belgien verkauften Holländerin, und seine Haare richteten sich zu Berge. Er erinnerte sich jetzt aller Einzelheiten. Der Vater des jungen Mädchens war nach einjährigen Nachforschungen gerade zurecht nach Brüssel gekommen, um die Leiche seines Kindes, das er monatelang vergeblich von den Behörden reklamiert hatte, mit heim zu nehmen.

Das Entsetzen gab dem unglücklichen jungen Manne Mut und Ausdauer und zugleich die kalte Überlegung zurück, die ihn der Polizei gegenüber zu verlassen gedroht hatte. Er kämpfte die innere Wut nieder, die ihn am liebsten den Polizeikommissar oder einen dieser Hausbesitzer hätte niederschlagen lassen. Und Gott weiß, ob unsere englischen jungen Leute so unrecht hätten, wen ihre eisernen Fäuste sich so weit verirrten, mit irgend welchem dieser Schädel in Berührung zu kommen.

Williams Reise war vergeblich gewesen, aber doch übersah er die ganze Lage jetzt klarer. Die Worte des Konsuls, sowie die Erklärungen und seine barsche Abweisung von Seiten der Polizei bewiesen ihm, daß Engländerinnen in den öffentlichen Häusern gefangen gehalten wurden, und er mußte sich sagen, daß Clarissa leicht ebenfalls darin eingesperrt sein konnte. Zugleich sah er aber ein, daß er mit der größten Vorsicht handeln und im Notfall bei starken Fäusten Hilfe suchen mußte, um das junge Mädchen zu finden und zu befreien.

Nach einer zweiten längeren Unterredung mit dem englischen Konsul, sagte ihm dieser: »Ich bin jetzt überzeugt, daß Ihre Braut in irgend einem dieser Häuser verborgen ist. Es giebt geheime Zimmer darin. Sehen Sie sich aber vor, bei der geringsten Unvorsichtigkeit schickt man sie nach Paris oder Wien, denn alle diese Menschenhändler stehen unter sich in Verbindung, und das junge Mädchen ist dann leicht für immer verschwunden.«

An demselben Abend machte William die Runde durch verschiedene Freudenhäuser (welcher Name!), hütete sich jedoch irgend welche Fragen zu thun. Nur eine junge Landsmännin von ihm beklagte sich ungefragt, daß man sie seit acht Monaten in dem Hause gefangen halte, und daß sie die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal das Tageslicht gesehen habe. Das junge Mädchen wurde später befreit, ohne zu wissen, daß sie es William verdankte.

Der Einblick in die öffentlichen Häuser bezeugte thatsächlich dem jungen Mann, daß der Konsul nicht zu viel gesagt hatte, als er ihn zur äußersten Vorsicht ermahnte, denn alles darin bewies, daß hier jedes Verbrechen straflos begangen werden konnte, und daß die Gefangenschaft der Einwohnerinnen als unerläßlich betrachtet werden mußte. Eine halbe Stunde brachte er auch in dem Hause in der Rue St. Laurent Nr. 40 zu, ohne zu ahnen, wie nahe er Clarissa war. Und vielleicht war es gut so, denn er hätte sich wohl schwer enthalten können, irgend welchen Versuch zu ihrer Befreiung zu machen, der leicht alle späteren Schritte hätte vereiteln können.


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