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Zehntes Kapitel

In einem üppigen, mit dem ganzen zugleich verschwenderischen und schlechten Geschmacke des reichen Emporkömmlings, ausgeschmückten und möblierten Boudoir, saßen der Mädchenhändler Sullecartes, die Kupplerin Raphaela und der Hausbesitzer und Bordellhalter von Brüssel, Pandarus, beisammen.

Dieses teuflische Kleeblatt war in diesem Augenblick nichts weniger als einig, denn die einen waren Verkäufer und der andere Käufer, und die widerstrebenden Interessen schickten sich an, einander einen Kampf zu liefern, der seine lächerliche Seite gehabt hätte, wenn der Gegenstand des Handels nicht ein menschliches Wesen, und die beteiligten Parteien nicht die elendesten und gefährlichsten Schurken gewesen wären.

Pandarus war von dem Anblicke Clarissens förmlich geblendet. Seitdem er seinem Geschäfte oblag, hatten seine Augen noch nie eine so überwältigende Schönheit gesehen, und er berechnete bereits die fabelhaften Einnahmen, die ihm eine solche Novize einbringen würde. Aber Geschäftsmann vor allem, suchte er doch so viel als möglich von ihrem Preise abzumarkten.

Auf der andern Seite kannten Sullecartes und Raphaela den Wert der »Ware«, welche sie feil boten, und in Anbetracht der außerordentlichen Umstände hatte Raphaela ihrem Geliebten streng befohlen, den Handel ihr zu überlassen.

»Verhalte dich still«, sagte sie zu ihm, »ich habe mehr als eine Klinge an meinem Messer, und wenn man schwere Geschütze abfeuern kann, muß man sie auch nicht sparen.«

»Laßt sehen, mein wackerer Jean, seid vernünftig«, sagte Pandarus, indem er damit das Feuer eröffnete, daß er der schönen Raphaela einen verliebten Blick zuwarf. »Rechnen wir zusammen, ich mache es nobel:

Drei Reisen, wovon eine überflüssig war, macht Frcs. 300
Unkosten in London " 100
Anzeigen in der »Times« " 100
Kaufpreis " 500
    _____
Summa: Frcs. 1000.«

Er nahm eine schöne neue Banknote von 1000 Francs aus der Tasche. »Da«, sagte er, »Jean, nun bist Du in vierzehn Tagen reich geworden, und für Dich, meine kleine Raphaela ist dieser Brillant, welcher mir baare 250 Francs gekostet hat.«

Statt aller Antwort nahm Raphaela ihren Hut ab, schenkte sich ein volles Glas Kognac ein, das sie auf einen Zug leerte, und brach in ein Gelächter aus, indem sie es sich in einem weichen Lehnsessel bequem machte, das sie endlich mit den Worten unterbrach: »Ach, Du scherzest wohl! Für wen hältst Du mich eigentlich; mach's kurz, keine Schwindeleien, es macht 10,000 Francs, oder ich nehme die Ware zurück.«

Jean nickte mit dem Kopfe, indem er die knappe Art und Weise bewunderte, in welcher die gewandte Frau mit einem Streiche die Bedingungen festgesetzt hatte.

»Kein Wort weiter!« sagte sie, als sie bemerkte, daß Pandarus fortfahren wollte, »kein Wort, oder es kostet Dich 15,000 Francs; es handelt sich nur um nehmen oder nicht nehmen; kein Anderer wie Du, der bei diesem Artikel mäkelt.«

»Nun denn, 5000 Francs und die Unkosten, das ist mein letztes Wort, und wenn Du zu einem andern gehst, lasse ich Dich einstecken; ich brauche nur zu sagen, daß ich Deine schmählichen Anträge abgelehnt habe, und ich habe den ganzen Magistrat und das Gesetz auf meiner Seite.«

Jean wurde blaß, aber Raphaela erwiderte kaltblütig: »Sehr schön, geh nur, und laß mich festnehmen, Du weißt sehr wohl, daß ich nicht allein im Käfig sitzen werde. Du vergißt Adeline, Du Dummkopf, die Du gemordet hast! – Aha, Du wirst blaß! Glaubst Du etwa, daß man ohne Waffen in den Krieg zieht?«

»Woher – weißt Du?« stammelte Pandarus, dem der kalte Schweiß auf die Stirne getreten war.

»Was geht's Dich an? Geträumt hab' ich's nicht. Willst Du etwa noch mehr hören? Du erinnerst Dich noch der schönen Amerikanerin, welche ich Dir abgehäkelt habe?«

»Nun –?«

»Nun, – Du hast sie zu einer Frühgeburt gebracht und ihre Familie befindet sich in London. Und dann ...«

»Höre auf, Du Teufelin«, schrie Pandarus, die Hand gegen sie ballend und am ganzen Körper zitternd, indem er die Augen schloß, wie wenn er die blutigen Bilder, die vor seiner Seele aufstiegen, nicht sehen wollte. »Höre auf, höre auf!« und der besiegte Käufer eilte zu einem geschickt in der Wand angebrachten Geldschrank, um die 15 000 Francs zu holen, die er vor die schlaue Kupplerin mit einer Bereitwilligkeit hinlegte, welche deutlich sein Bedauern über diesen etwas lebhaften Auftritt kundgab.

»Nun, das ist brav, mein Junge«, entgegnete dieselbe, »und jetzt, wie wäre es, wenn wir etwas frühstückten, bis das Mittagessen kommt, das Du hoffentlich besonders fein bestellt hast, um den glücklichen Abschluß des Geschäfts zu feiern. Ich fühle mich angegriffen, und muß Dir doch noch die Lage der Dinge auseinander setzen.«

Eine Stunde später hatten die drei Spießgesellen den Schlachtplan fertig und Pandarus, von Raphaela über alles Vorgefallene unterrichtet, hatte sich in seine Rolle als Graf von Brederode hineingefunden. Es wurde festgesetzt, daß ein im Hause vorübergehend untergebrachtes französisches Mädchen für die Tochter des Grafen ausgegeben werden und Clarissa übernehmen solle, dieselbe in die Schwierigkeiten der englischen Sprache einzuweihen.


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