Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Sanherib

Dies kleine Stück könnte der Triumph des Niederländers heißen über Julio Romano und Le Brün.

Zuvor die Geschichte.

»Als die Kinder Israel in der Babylonischen Gefangenschaft sich befanden, und der Stamm Juda unter dem guten König Hiskia allein noch frei war, wollte der König von Assyrien denselben vollends unterjochen, und forderte von ihm, wie er glaubte, eine unerschwingliche Schatzung. Nachdem Hiskia wider dessen Erwartung doch die verlangten dreihundert Centner Silber und dreißig Centner Gold herbeigeschafft; so überzog er nichtsdestoweniger Jerusalem mit Krieg, und sprach allen Göttern, samt dem, welcher Himmel und Erden gemacht hat, Hohn, und lagerte sich davor. Aber der Herr beschirmte seine Kinder auf das Gebet der Gerechten, und sprach zu ihnen durch den Mund des Jesaia, daß ihre Feinde werden sollten wie das grüne Kraut zum Heu auf den Dächern, das verdorret, ehe denn es reif wird. Und in derselben Nacht fuhr aus der Engel des Herrn, und schlug im Lager von Assyrien hundert und fünfundachtzig tausend Mann. Also brach Sanherib, der König von Assyrien, auf, und zog weg, und kehrte wieder heim, und wurde von seinen Söhnen im Tempel seines Gottes Nißroch erschlagen.«

Wie würden neunundneunzig andere die Geschichte vorgestellt haben?

Ein weites Feld voll Leichen zwischen Zelten und Pferden mit einem Häuflein Überbliebenen, die sich bei Anbruch des Morgens höchlich darob verwundern. Und in der fernen Dämmerung irgend einen Scharfrichter mit Schwanenflügeln.

Nicht also Rubens.

Ein Rubens, Die Niederlage Sanheribs schwarzer Donnerwolkenhimmel von Wetterstrahlen zerrissen – Der Engel herunter in die Nacht auf die Feinde – Der Luftraum steht in Flammen, und alles ist taghell, wohin die Rache brennt.

Ein großes erhabenes Bild vom Zorne des Mächtigen mit allem Schrecken und Grausen, fürchterlich lebendig im sinnlichsten Augenblicke.

Die größte Masse vom Licht des verzehrenden Feuers fällt in die Mitte auf die Hauptfigur und Hauptgruppe, auf den Sanherib, der vom Pferde stürzt, (welches scheu geworden, und nicht in den Blitz will, und sich zurück in die Höhe bäumt) die rechte Hand an die letzte Mähne klammernd mit dem linken halben Schenkel noch im Sattel hängt, und mit der linken Seite und dem rechten Schenkel hinterrücks übers Kreuz rechts herausschlottert. Neben ihm fällt ein Getroffener in einem herrlichen Fall und Pferdesturz, welches die Hinterfüße weit hinausschleudert: und unter ihm liegt ein Haufen Erschlagener, noch warm tot, und schon verbuchen im stillestehenden Wetter zwischen Rossen und von Rossen zertreten, worunter dieser und jener in der Höllenangst sich zu verbergen sucht. Eine schreckliche Gruppe! Manchem ist nur die Hälfte des Lebens verzehrt, daß der untere Teil des Leibes auflastet.

Linker Seite des Gemäldes geht alles in Flucht, nackt und bekleidet, von der Heiße des Lichts geblendet, und teils noch außer sich, daß es sie nicht treffe, zurücksehend.

Diesseits des Wetterstrichs zur Rechten sind Zelten, und davon einige in der Dämmerung auf schnaubenden und entsetzten Streitrossen mit Mäulern und Stirnen und Augen und Nasen empor voll Schrecken und Erstaunen.

Dies ist nur das äußerste Flache von der großen Idee. Das Leben, die schier handgreifliche Natur überall darin muß man selbst sehen; davon läßt sich nichts mit Worten melden.

Zuförderst noch den Kopf des Sanherib.

Ein Gesicht voll lebendigen Todes, ohne Besinnung, wie eines in der Flut Untergehenden. Das Entsetzen in den aufgesperrten Augen und der ausgedehnten Stirn, die Losgelassenheit der Furcht und Angst in allen Muskeln am offnen Munde, der Stolz überall an dem grausamen Kerl zu Brei an die Wand geschmettert, ist mehr vielleicht, als der berühmte Kopf des Maxentius; ist Löwenstärke von Einbildungskraft.

Und dann sein edles Streitroß, das vor dem Wetter scheu wird, sich umkehrt, und vom schrecklichen Schlage, der Reuter und Pferd eben neben ihn hinstreckt, schaumend zurücke stürzt. Ein Meisterstück von schöner Gestalt, kühner Stellung, Tieradel, und der fürtrefflichsten Zeichnung: und wohl eins der vollkommensten, die je aus seinem oder irgend eines andern Malers Pinsel gekommen. Beides, Roß und König im Fall, gehört zu dem, was Rubens in seinem höchsten Leben und Feuer gemacht hat.

Das Dasein eines jeden der andern bei der Scene, das Vergehen der Menschen, und das Bäumen und Stürzen und gräßlich Scheuwerden der Pferde, die Gegenwart, die Einheit des Ganzen ist solchergestalt, daß man dabei an nichts einzelnes denken, und auch nichts einzelnes in Beschreibung herausheben kann.

Das Kolorit ist durchaus kräftig und wahr, und mehr nach der Natur verschieden, als in einigen seiner andern Stücke: und der Pinsel so leicht und in Gewalt dem Feuer der Seele gleich geführt, daß er da und dort die Farbe des Holzes bis auf die Lasur gelassen, wo sie die Gestalt schon unverbesserlich für sich deutete.

Die Lichter und Schatten sind darin so verbreitet, Morgen, Nacht und Wetter so unter einander und getrennt und vermischt, als vielleicht die Kunst der Natur nur je nachzubilden vermag: Der schwarze Wolkenhimmel von Wetterstrahlen durchschlagen, die Dämmerung um die Zelte, der helle Tag auf den Assyrerkönig und die Toten zwischen Nacht, und auf die Rücken der Fliehenden, die sich immer weiter in die Finsternis drängen und verlieren.

Wahrscheinlicher Weise hat Rubens die Idee zu diesem Gemäld einmal unterwegs geschöpft bei einem fürchterlichen Ungewitter, das über ein Heer sich gelagert hatte, und seine Blitze mit den Flinten und Kanonen nach der Taktik der Elektricität spielen ließ; wie mir gleiches Preußische Officiere von ihren Schlesischen Märschen versichert haben – und er sah vielleicht einen erschlagen werden, und einen daneben von einem Spanischen Hengste stürzen. Und als er nach Hause kam, wards gleich zum Sanherib unvergänglich aufs Holz getragen.

Dem gemeinen Mann hat Rubens mit halben Monden in einer Fahne die Geschichte näher ans Herz gebracht.


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