Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Madonna mit dem kleinen Jesus
Von Carlo Dolce

Diese Madonne wird von den meisten für die schönste gehalten, die wir haben, und von nicht wenigen für das schönste Stück, das auf der Galerie ist; weswegen sie auch, samt dem kleinen Jesus, als ein Wunder der Kunst nicht wenigen Fremden vorzüglich gezeigt wird.

Maria Carlo Dolci, Maria mit dem Jesuskind steht lebensgroß bis an den Oberleib an einem Körbchen voll Blumen auf einem Tische, worauf noch ein Stück weißer Frauenzimmerarbeit liegt: hat daraus den vollaufgeblühten Busch einer Lilienblume genommen, nebst einer braunroten stark gefüllten Nelke, beide mit langen Stengeln, und hält sie in der linken Hand zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger, an der Brust auf, nach der linken Schulter hin, und betrachtet aufmerksam die Staubfäden der Lilien; den Kopf nach dem kleinen Jesus hinneigend, den sie mit der Rechten bei dem rechten Hüftchen an einer zusammengefalteten feinen weißen Binde (die ihm hinterm Rücken von der linken Seite herum unter der Brust, und wieder herum um das Gemächtchen läuft, davon die beiden Enden unter ihrer Hand angehalten werden) auf eben dem Tische nackend stehen hält; welcher auch in dem linken Händchen einen Rosenzweig mit Laube, einer aufgeblühten Rose, und einer trefflich schönen Knospe hat, und sich kindlich darüber freut; und die zween ersten Finger und den Daumen des vor Lust aufgeschlagnen rechten Händchens in die Höhe richtet.

Eine schöne ungezwungne natürliche Stellung, samt der herumgezogenen Scherpe!

Maria ist im roten Gewande, so weit man sie sehen kann, (denn mit der kleinen Tafel des Tisches fängt das Gemäld unten an) das am Halse blau eingefaßt, und noch mit einem dünnen blauen Nessel umgeben; und hat um die Arme ein blaues Malertuch herumgezogen. Auf dem lichtbraunen Haare liegt eine besondere Art von grünem Aufsatz; und über den Köpfen beider schweben Heiligenscheine, schön gemalt, aber nicht geistig genug, und zu völlig, so daß sie vielleicht den Dunstkreisen der kleinern Monden Jupiters gleichen.

Ihr Gesicht ist das schöne Gesicht einer Heiligen, ganz Bescheidenheit und Demut, die kaum sich über die Blumen zu freuen wagt; und das Madonnenhafte darin – holdselige keusche junge Frau, die fern von ihrem Mann ist, und sich unterdessen mit ihrem Kind an Blumen ergötzt.

Der kleine Jesus ist eins der schönsten Kinder; dem nur, statt des Göttlichen, etwas anhängt, als ob er dereinst ein großer Moralist werden würde; welches die Schönheit des Kindlichen ein wenig schwächt, da es keine wesentliche Eigenschaft höherer Natur sein, und sich nicht mit Kindheit vertragen kann, sondern zu den gelernten Vollkommenheiten gehört.

Unter uns: die Holdseligkeit beider scheint ein wenig übertrieben; oder doch zu entblößt von höhern Eigenschaften; und harmoniert nicht so ganz mit Mutter Gottes, und Gottes Sohne. Es fehlt himmlischer Geist, das Göttlichfreie der Schönheit, und echtes Jugendleben. Meinem Bedünken nach hätte sie wenigstens, nach dem Glauben des Dolce, nicht wohl so Königin des Himmels werden und vorstellen können, wie die Madonnen des Raphael und Guido, bei denen das Hochgeborne zu diesem herrlichen Throne sogleich mit dem ersten Blicke faßt, wer Gefühl für solche Schönheit hat.

Die Malerei ist, bis auf die Blumen, die dem andern nicht gleich kommen, außerordentlich schön, und die Farbe des Fleisches im äußersten Grade zart und fein und blühend und leibhaftig; vielleicht ein wenig zu zart. Und dies ist es hauptsächlich, nebst der stillen süßen Huld, deren Fülle den ersten Augenblick wirken muß, was jeden Liebhaber, und Gutheit liebende, oder bewundern wollende Menschenkinder in Lust und Entzücken hinreißt; da die Schönheiten Raphaels, weil sie mehr in Geist als Farbe bestehen, einen geübtern Sinn und tiefer eindringende Schärfe erfordern. Weswegen denn auch Viele ganz kalt von den letztern, wie von etwas im Grunde doch unbedeutendem, weiter gehn, und wieder aufmerksamer wo stille stehn, und in ihren Gedanken dabei einen Carlo Dolce weit über ihn setzen. Als ich jüngst das kleine Stück von Michel Angelo herunter genommen, und daran Herz und Phantasie weidete; kam ein holländischer Kenner dazu, und betrachtete auch ein wenig. Nahm es, stellte es in dieses und jenes Licht, und stellte es endlich neben diese berühmte Madonna, und schüttelte den Kopf, und gab es, die Gedanken ganz davon weggewandt, mir als ein mittelmäßiges Ding wieder zurück – und ging weiter, und stand aufmerksamer wieder wo stille.

Der Schatten ist durchaus bräunlicht; sanft, wie alles, und überaus angenehm; zwar hier und da erkünstelt, erhöht aber dafür ungemein die schönen Formen.

Bei diesem allen bleibt es doch noch eine gar schöne Madonna, und eins der höchsten Meisterstücke für ein Nonnenkloster, und für junge Mädchen; und ich habe noch niemanden dabei, mit einem Laute nur, oder einem Lippenzug, in seinem Vergnügen gestört. Jedoch darf man sagen, daß Dolce und Raphael zwei himmelweit verschiedene Wesen sind; woran der erstere nun auch gar keine Schuld hat, da er von Ewigkeit nicht zu einem Raphael bestimmt worden, und mit seinem Pfunde, vorzüglich bei diesem Stücke, nach bestem Vermögen gewuchert hat.


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