Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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IV. Über einige Gemälde der Düsseldorfer Galerie

An Herrn Canonicus Gleim

Es geht mir im Kopfe herum, teurer Freund, daß ich Ihnen Gemälde von Rubens zu beschreiben versprochen; und fast gereut es mich. Gemalt und beschrieben ist schier so sehr von einander verschieden, wie sehen und blind sein: wie der Zeiger einer Uhr im Julius auf der Ziffer Vier – von dem Morgenrot auf der Höhe des Brocken. Selbst die Beschreibungen Winkelmanns sind nur Brillen; und zwar Brillen nur für diese und jene Augen. Und ich verzweifle beinah in dergleichen Sachen an allen Worten.

Indessen, denk ich, würde doch jeder der in gleicher Verzweiflung schwebte, eine aufgefundne alte Handschrift, welche Beschreibungen der schönsten griechischen Gemälde zu Alexanders Zeiten enthielt, mit Hoffen und Erwarten zur Hand nehmen, und daran in Entzücken bangen, wenn sie nur einigermaßen trefflich wären. Man hätte wenigstens Idee, Zusammensetzung, Vergleichung: und manches leicht feuerfangende Herz weinte wohl gar dabei noch Tränen, so süß, als läg es an der Urne seiner Geliebten.

Und dies macht mir wieder Mut.

Jedoch geb ich Ihnen aus keinem Gemälde mehr, als die Idee und das Malerische derselben, so wie ichs erkenne; weil ich zu überzeugt bin, daß alles andre mit eignen Augen muß gesehen werden, wenn man keine Ausgabe in vsum Delphini zu besorgen hat.

Wir haben soviel Gemälde von Rubens, daß unsere Sammlung für eine der stärksten davon gelten darf; aber doch fehlen uns seine zwei höchsten Meisterstücke. Nämlich: seine Odyßee über Heinrichs Gemahlin Königin Maria von Medicis zu Luxenburg in 24. Gesängen, worin leider! einige Heiligen das Schönste, was Rubens nach Kennern gemacht hat, die drei nackenden Grazien verdorben haben; und seine Abnehmung von Kreuz zu Antwerpen. Und außer diesen fehlen uns noch die meisten seiner Lieblingsstücke, die er bloß für sich, und seinen Freunden zur Lust, gemacht hat; welche mir unter allen von ihm am liebsten sein würden, weil man darin den schönsten Schatz seines Lebens findet.

Überhaupt kann man aus hundert Gemälden von Rubens, mit den besten Gründen, über ihn das ungerechteste Urteil fällen, da wenig Maler so viel Stücke als er gemalt haben, so daß sie nach den Nachrichten der Liebhaber sich auf einige Tausend belaufen. Es ergibt sich aus dem gesunden Menschenverstande, daß er die wenigsten selbst ganz hat ausmalen können, daß er zu verschiedenen nur die Skizze gemacht, und zu manchen bloß die Idee hergegeben. Zwar war er, bis auf die letzten Jahre seines Lebens, immer gesund und stark und geschäftig, und alle seine Arbeit schnell; allein er mußte noch, außer der Menge, oft wichtige Reisen tun, und Frieden stiften zwischen großen Mächten, und von zween Königen zum Ritter geschlagen werden; weswegen er sich doch nichtsdestoweniger bloß für einen Collegen aller Maler hielt. Und während der Zeit arbeiteten für ihn seine herrlichen Schüler, die manchen Fehler begehen konnten, der itzt auf seine Rechnung geschrieben wird.

Und dann, was für Unsinn wird einem Maler oft nicht aufgetragen, den er aus hundert Ursachen nicht von sich ablehnen darf, womit Apelles, Aristides und Protogenes samt dem Pamphilos in einer Generalversammlung nichts gescheutes anzufangen wissen würden?

Und wer hat endlich immer Lust, etwas durchaus fürtreffliches zu machen unter hundert und tausend Stücken für allerlei Leute? Einen großen Mann sollte man allein nach seiner eignen uneingeschränkten Idee schätzen: alles andre ist Zeit und Zufall unterworfen.

Und diesen Maßstab muß man auch bei Rubensen brauchen, wenn man ihn richtig beurteilen will, wenn man ihn als Maler beurteilen will. Es könnte einer überdies, wo möglich, Bedeutung haben, in gewisser Rücksicht, wie Raphael, Anmut wie Correggio, und Wahrheit der Farbe wie Tizian, und doch nur im Grund ein mittelmäßiger Maler sein, wenn er keinen Instinkt und kein Auge hätte, wenn ihm die Naturgabe fehlte, das Malerische in einer Begebenheit, an Ort und Stelle, in einer Gegend zu fassen, oder hinein zu dichten, und in ein neues lebendiges Ganzes zu bringen, woran das Herz sich laben und die Seele sich erquicken kann. Was sollen uns alle die klassischen Figuren, die keinen Genuß geben? – O heilige Natur, die du alle deine Werke hervorbringest in Liebe, Leben und Feuer, und nicht mit Zirkel, Lineal, Nachäfferei, dir allein will ich ewig huldigen!

Doch einmal voran.

Ich werd Ihnen nur wenig Gemälde, die wir von Rubens haben, beschreiben, weil er sonst zu viel dabei verlöre; und ohne weitere Ordnung, als wie sie hier im Saal mich an sich ziehn: weder nach ihrer Größe, noch ihrem Berühmtsein, noch dem Urteile der Kenner mich richten, sondern bloß und allein dabei in Unschuld eignem Herz und Sinn folgen. Wie könnt auch hier die Gelehrigkeit selbst auf die Stimme der großen Richter merken: da Herren unter ihnen von gleichem Rang und Ansehn (dem Vorgeben des Publikums nach) Dieser das nämliche an Rubens als Schönheit preist, was jener als Fehler tadelt; und zum Unglück jeder ein Franzos ist, Kunstrichter aus dem Lande der Theorie, der Kritik und des Geschmacks.


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