Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Dies voreilige, ich mag wohl sagen, sinnlose Abreißen der Antiken ist die Hauptquelle, woraus die andern Übel entspringen. Fürs erste gewöhnt sich der Knabe an eine Gestalt und Proportion, die er im wirklichen Leben nie wieder findet, weswegen er denn alles verachtet und lästert, was unser Herr Gott gemacht hat. Etwas eignes zu erfinden, das einem alten Apoll oder einer Venus gleich, und doch nicht sie selbst, nicht Kopie sei, ist ihm natürlicher Weise hernach nichts destoweniger nicht möglich, so wenig möglich, als einer fliegen kann, der aufwacht nachdem er sich im Schlaf zum Adler geträumt. Was tut er denn? er verzerrt ein griechisches Bildsäulengesicht in hundert andre zu seinen Figuren, so daß der wahre Kenner der Natur und Kunst seinen Greuel daran haben muß: denn da kann nichts lebendiges, nichts gefehltes sein, sondern lauter aegri somnia. Auf solchem Wege werden die Neuern nie wieder die hohe Staffel der Alten erlangen.

Die Antiken sind eine Bande Komödianten, mit denen sie dann in der Welt herumstreichen, und denselben die Kleider anziehen, nach den Rollen, die sie spielen sollen. Zeus macht Gott den Vater, Apollo den Sohn, Niobe oder ihre Tochter die Mutter, und die Sklaven die Schächer am Kreuze; Merkur den Engel Gabriel, Herkules den Simson, Venus die Eva, Pan Mosen, und Laokoon irgend einen Propheten.

Glauben Sie nicht, daß dies ein Scherz sei. Auf solche Weise hat selbst der erfindrische Poussin die vornehmsten Antiken, z. Ex. in seinem berühmten Manna, auftreten lassen.

Laokoon stellt darinnen vor den kranken alten Juden. Die Königin Niobe, die Frau die ihrer Mutter die Brust reicht. Einen andern alten Israeliten, die Bildsäule des Seneca in der Villa Borghese. Antinous einen jungen Menschen, der mit diesem spricht. Die zween Buben, die sich zusammen um das Manna balgen, ein Sohn des Laokoon, und ein Fechter aus dem Mediceischen Pallaste. Eine andre Frau, die Diana im Louvre. Einen jungen Juden, der Vaticanische Apollo. Ein Mädchen, das ihre Schürze aufhält, die Mediceische Venus; und einen andern Mann auf den Knien, Herkules Commodus; wie Sie sich davon in seinem Evangelisten Felibien überzeugen können, wenn Sie meinen Worten nicht Glauben beimessen.

Es ist freilich kein Wunder, daß dieses Stück so sehr bewundert ward, da es eine Truppe vorstellte, dergleichen nie kein Dichter gehabt hat.

Wenn noch jeder, der gleiches sich unterfing, so sinnreiche Schauspiele machte, wie Poussin, und so Römer wär, als er; dann immerhin. Es könnte doch mancher Heide seine Lust daran haben; müßt' es auch gleich den Liebenden wehe tun, ihre Idolen des Götterstandes so entsetzt, des süßen Lebens und der ewigen Herrlichkeit so beraubt, und zu dem Nichts von Kömödianten herabgewürdigt zu sehen: so aber braucht man sie oft zu schlechtern Diensten, als Marionetten, und hext sie noch dazu krumm und lahm. Kurz; man schreit mit den Versen, worin Homer den Zorn des Achilles sang, einen Seidenstrumpf aus.

Ich kehre wieder zurück zu dem was ich gesagt habe. Jede Form ist lebendig, und es gibt eigentlich keine abstrakte. Alle Schönheit entspringt aus Art und Charakter, so wie jeder Baum aus seinem Keim wächst. Die Natur bringt nichts geflicktes hervor; und demnach darf es auch die Kunst nicht. Der Kopf des Apollo würde auf dem Rumpfe des Antinous Prahlerei sein, und an der Diana die eingezogenen Schenkel der Mediceischen Venus Notzüchtigung. Und was kann anders herauskommen, wenn die Virtuosen da ein Bein abmalen, dort einen Kopf, und hier einen Hintern? Da etwas von Raphael noch dazu nehmen, dort von Tizian, und hier von einem andern? Daher sind denn verschiedene Galerien auch so voll von Weltbürgern, daß wenige darin recht wissen, woher sie zu Hause sind.

Zwar muß ich eingestehen, daß die Kunst der Natur im Natürlichen nimmer gleich kommen kann, das Ideal mit unter verstanden. Bis so weit reichen unsre Sinnen nicht, und unser Gefühl vom Ganzen. Und wer ist auch der ewige Jude, der an jeder Figur sagen wollte: dies Nasenloch ist wahr, dieses falsch? Aber wir können doch bis aufs unendliche Feine gelangen. Der höchste Ausdruck in den Gestalten Raphaels kömmt zuweilen von einer so zarten Schwingung von Linie, daß sie dem schärfsten Zeichner kaum zu wiederholtenmalen gerät. Hat jeder nicht dieses glückliche Bewußtsein, so geb er uns wenigstens nicht lauter gläserne Augen, angesetzte Ohren, und ausgeschnittne Nasen.

Der Schluß von allem.

Die Iliade ist bis itzt das erhabenste epische Gedicht geblieben, und wir haben noch nicht einmal Perser des Aeschylus wohl; geschweige einen Vatikanischen Apollo, eine Niobe und mediceische Venus. Woher? Weswegen? weil nach dem griechischen Volke kein andres in der Blüte und Reife seiner Weisheit so jung, so eins, und unter beständigem Kampf so frei war, und so in guter Natur lebte und webte, von keiner fremden Kunst übermeistert. Nach ihnen gingen hervor die Römer, die nicht so jung waren, und nicht so ein ursprüngliches Ganzes ausmachten in Klima, Religion und Regierungsform, und sich von den Griechen in aller Kunst meistern lassen mußten. Und wir sind Barbaren aus allen Ecken der Welt zusammengestäubt.

Als der Mensch, nach unzähligem Ungemach, in den letztern Zeiten dem Genuß seiner ihm eignen Glückseligkeit wieder auf die Spur gekommen, so war er noch zu matt und zu schwach, aus eigner Kraft dieselbe sich zuzubereiten, und trug zusammen; Und raubte dann, davon verwöhnt und lecker gemacht, und plünderte. Und von dieser heillosen Unart haben wenige seit dem nachgelassen.

Was sollen aber die jungen Leute treiben? Womit den Anfang machen, Fortgang, Mittel und Ende? Da mögen sie zusehn! Das lernt sich nicht, wie das Rechnen: ist freie Kunst, keinem Lehrer unterworfen. Zur Nachtigall läßt sich kein Spatz abrichten, und kein Esel zu der Stute, die in Warschau den Preis davon getragen.

Es war einmal ein Mann, welcher unter den glücklichsten Einflüssen von Sonn und Mond und Wind und Wetter aus dem Chaos ins Dasein den wundervollen und unbegreiflichen Sprung getan. Und als er in frischer und reiner Kraft da war, hegte und pflegte ihn Mutter Nacht als ein liebes gutes Weib.

Und er ward geboren, und wuchs auf.

Überall herum wurd es nun nach und nach seinen Sinnen Tag; Und er hing sich an jedes gute Ding, eins nach dem andern, mit so viel Lieb und Wärme, als ob es Braut und Bräutigam wäre. So gewann er denn alles, was ihn rings umgab, und macht es sich sein eigen; und wurde Knab und Jüngling und an Natur immer reicher.

Er hatte zu viel, um alles zu behalten, und mußte mitteilen: mitteilen seinen Mädchen und Freunden, und deren Mädchen und Freunden, und den unschuldig Verunglückten, welche wenig von Gottes Gütern erhalten.

Auf was Art und Weise?

Nicht mit Worten. Ach! diese schienen ihm so lediglich von der Oberfläche abgegriffen und abgehört, so bloß zum Handel und Wandel erdichtet und eingerichtet, so allgemein, so verbraucht, so verstümpert, und schon so von alten Zeiten her, daß die meisten sie auswendig gelernt, als ein totes Kapital, und selten einer mehr weiß, woher er sie hat. Er fühlte dabei seine herrlichsten Früchte so oft als leere Hülsen in den Mund genommen, und so das hunderste für das tausendste, daß ihm alle Lust zu diesem Mittel verging, und er ein andres wählte, welchem mehr Freude beschieden; und zwar das natürlichste, nach der zu beschränkten Bildhauerei, der ersten und edelsten unter allen Künsten: jedes Ding durch eine zauberische Täuschung so eigen wie möglich wieder zu geben, als es ihm geworden. Er lernte die Sprache von Tag und Nacht, Kolorit und Licht und Schatten; die Linien des Lebens kannt er schon. Und dann Ferne und Ideal. Und brauchte dazu Schulmeister, die in deren Grammatik ziemlich bewandert waren, und versuchte sich an Hunden und Katzen und Mädchen und Buben und Vögeln und Bäumen zu allerlei Stunde.

Nachdem ihm dies gelungen, so ging er auf die hohe Schul Italien, und las und studierte da die Meisterstücke der Griechen vor zwei tausend Jahren, zu Venedig, Florenz und Rom, dem Königinmütterchen der Welt, und schrieb sich die schönsten davon ab; und sang die Oden von Buonarotti, und die Volkslieder von Caravaggio, und studierte wieder die Werke des Tizian und seiner Vorfahren ihre, und hörte dann die andern trefflichen Komödien und Tragödien und Schäferspiele und Opern der großen welschen Meister aufführen, und ergötzte sich an ihren Heldengedichten.

So trieb er da Wirtschaft sieben Jahr lang. Machte während der Zeit Bekannt- und Freundschaft mit verschiedenen Vornehmen. Gab selbst Stunden und las Collegia, und dichtete unterweilen für sich ein Lied voll Saft und Kraft; und reiste dann mit einem ganzen Beutel voll Geld und vielen Kostbarkeiten oben drein wieder nach Hause.

Als er da wieder warm geworden, und ausgeruht und ausgeschlafen und wieder herumspaziert, und wieder unter seinen trauten Angehörigen war, in ihren Kammern und Klöstern und auf ihren Äckern und Wiesen und Weiden, und in ihren Marställen, und zwischen seinen Hügeln, in Wald und Tal und Hain und Flur, an Bach und See, so lieb und gut und allem so treu, und mit so viel Gaben des Glücks und Geistes ausgerüstet; so konnt es nicht fehlen, daß er bald gänzlich der Liebling seines Volks wurde. Er rede nur die unmittelbare Sprache seiner Natur so meisterlich und mit dem Verständnis, womit Homer und Aristophan die ihrige sprachen, und sein Ruhm ging aus in alle Lande.

Und dieser Mann heißt Rubens.

Vergeben Sie, Gütiger, daß ich Ihnen dies alles in Gedanken, was Sie wohl besser wissen, nach einander hergeschrieben. Weil es steht, mag es bleiben. Vielleicht macht es Ihnen Vergnügen, wenn wir hier und da zusammentreffen; und wo nicht, desto besser für mich.

Freilich war Rubens ein solcher Mann; ein solcher Mann und weit mehr. Großer Maler voll Gefühl und Umfassungskraft, großer Mensch und Staatsmann, liebevoller Gatte, zärtlicher Vater, treuer Freund gegen seine Schüler, und wahr und herzlich und überaus gut; nicht neidisch und falsch und grausam, ja grausam gegen sie, wie Tizian und andre gegen die Ihrigen, und sonder Neid und Verläumdung bei allem Schönen, wo er's fand: ganz in sich selbst ohne viel Worte gegen Großsprecher und Schwätzer, und warmer Patriot; und bei diesem allen noch immer jung und voll Liebesleidenschaft, und herrlich und prächtig, wie der König Adler in den Lüften.

Und dies wird er immer sein und bleiben, so lange sein Name und seine Werke dauren, trotz aller Verkleinerungen und Aneckelungen verschiedener Schulmeister und Schüler. Für ihn eine Apologie zu schreiben, wär' eben so überflüssig, als eine Apologie der Natur. Griechische Schönheit konnt er nicht, wie keiner, aus nichts erschaffen; Römische war schon da, von Raphael und Polydor und Julio; und warum nicht besser Flamändische für Flamänder? Fülle und Feuer gleichen Gefühls, als sie und die Griechen hatten, auf seinem Boden empfangen und geboren? Wer nicht nach Flandern reisen will, der reise nach Rom und Athen: aber dem Lande seiner Schönheit unbeschadet. Ich für mein Teil will freilich auch lieber im Julius auf dem Kessel des Aetna die Sonne aus dem Meere steigen und die Tiefe in einen Brand von Entzücken stecken seh'n, als auf einem Holländischen Damm mich setzen und Pfeffer und Kaffee heransegeln seh'n: und lieber in den Vatikanischen Hof und die Mediceische Tribune mich einsperren lassen, als in irgend einen andern Kunstort in der Welt: und möchte freilich auch gerner eine schöne reizende junge Georgianerin zum liebenden Engel haben, trauter Papa, als alle Farben samt und sonders, die je die Niederländer mit ihren fünf Fingern auf Holz und Leinewand getragen. Aber ich lasse nichts destoweniger jedes in seinen Würden. Und dann sollte überdies noch mancher Sultan sich in Rubensens schöne nackende Weiber vergaffen; so vergaffen, bei'm Jupiter! daß er in seines großen Propheten Paradiese zu sein meinen würde; wo alle Lust voller, alle Feldnelken gefüllte, und jede Dornblüte in eine Gartenrose verwandelt wäre. Wie es denn oft in der Tat so ist.

Künftig die Beschreibung verschiedener Gemälde von ihm.


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