Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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So viel denn für diesmal, Bester! Ich würde meinen Endzweck erreicht haben, wann ich Sie mit dieser schwachen Beschreibung, nur des hundertsten Teils unsrer Galerie, bewegen könnte, einmal Ihr Versprechen zu erfüllen, womit Sie uns so oft vergebliche Hoffnung gemacht; selbst hieher zu kommen. Wie würden Sie das bloße Wort alles so lebendig schauen! nicht mehr, an die dunkle Verheißung ewiger Schönheit denken! Inbrunstvolle Lieder singen für die Waller nach dem Johannes in der Wüste! Sie sollten alles nach einander in einem Taumel von Lust genießen, was F– und ich heiliges für Phantasie und Herz an den Ufern des Rheins in Natur und Kunst in manchen Frühlingstagen aufgespart hätten. Wollten Sie in den unvergleichlichen italienischen Pallast, mit schönen Gemälden ausgeziert, und voll sinnreicher, allegorischer und mythologischer Platfonds, auf das Schloß zu Bensberg führen, wovon ihre Blicke eine Gegend, wie Florenz, unter sich und weit und breit um sich her, betrachten würden; und eine reizendere, da Florenz keinen Rhein so gleich in der Nähe seine spiegellichte Wasserfluten vor sich her strömen sieht, wie Bensberg vor Cöln mit den zweihundert Tempeln. Wollten Sie nach Aachen und Spaa begleiten, wo Sie zwar keine olympische Spiele würden feiern sehn, aber doch die angenehmen Täler und Haine, und Hügel und Berge, wo der große Karl von seinen Siegen ausruhte; oder lieber geradeswegs weiter von Bensberg über das schöne Neuwied zur Aspasia der Sternheim.

Will sehen, was ich kann und vermag. Nächstens noch einen Brief, und einen allein über Rubens, den wahrhaftigen Herkules der Malerei, so wie Raphael der Apollo derselben ist. Wir haben von ihm allein einen ganzen großen Saal voll der herrlichsten Gemälde. Glauben Sie nicht, daß ich aus Not einen zu großen Sprung tue, von Rom nach Antwerpen, (oder vielmehr nur von Italien über die Alpen nach Teutschland; denn Rubens ist in Cöln geboren und getauft; wovon er selbst, als Geschenk, das Zeugnis mit einem seiner stärksten Gemälde, der Kreuzigung Petri, in der Peterskirche da hinterlassen hat.) Wir besitzen noch Stücke die Menge von Italienern; aber die Beschreibung derselben ist keine Sache für einige Briefe, und es gehört ein wenig mehr Bequemlichkeit darzu, als ich habe. Es sind hier nicht wenig der besten Stücke von Luca Jordano, Paolo Veronese, Zanetti; und einzelne schöne von Tizian, Cignano, Andrea del Sarto, Maratti, Procaccini, Pietro de Cortona, Albano, Salvator Rosa, den Carrachen und andern.

So Tizian-Schule, Maria mit dem Kind, Johannes dem Täufer und einem Stifter eben fällt mir noch eine Madonna ein von Tizian, wovon die Malerei nur sich nicht wohl erhalten hat, die ich auf der Galerie aus der Acht gelassen habe, und hier auf meinem Zimmer den oben beschriebenen noch hinzu gesellen will. Es ist eine Madonna mit dem kleinen Jesus noch in der Windel, dem Johannes und einem Einsiedler.

Die Mutter Gottes ist in einer so schön erfundenen Stellung, daß alles dadurch an ihr vom eben sichtbaren Fuß bis zum Wirbel reizend wird. (In der Grazie weiblicher Stellung sind die Italiener überhaupt immer die größten Meister; Psyche von Raphael, Venus, Danae vom Tizian u. s. w. werden Ihnen sogleich beifallen.) Johannes an der rechten Seite des Gemälds hat das Kind im Arm, und reicht es wieder der Mutter; die in der Mitte, gerade nach der linken Seite zu, auf einem etwas hohen Schemel sitzt, und sich mit dem Oberleib herumwendet, mit den Füßen, bis auf die Drehung, an ihrer Stelle bleibend, und es von ihm mit der Windel nimmt, um es einem, am Ende der linken Seite, knienden Einsiedler, auf welchen sie dabei immer noch das Gesicht richtet, anbeten zu lassen. (Gleichsam Widerschein der Gottheit des Kindes.) Die ganze schöne Form ihres Leibes zeigt sich dadurch unter dem davor enger anliegenden, und sanft sich faltenden, und am Unterleib ebnenden roten Gewande. Unten sind die Zehen des rechten Fußes dadurch sichtbar geworden, die die Schönheit des Übrigen verraten, und davon klares Zeugnis geben. Ihr Gesicht gehört unter die schönsten achtzehnjährigen Mädchengesichter von Italien, voll immer lebendiger Empfindlichkeit, und himmlischer Güte gegen den Einsiedler. Das Fleisch im Ganzen ist täuschende Wirklichkeit, insonderheit an den Männern; ist nicht Farbe, sondern Haut und Zug, und Blut und Nervensaft darunter. Man begreift nicht, (weniger noch bei den andern unverdorbenen, die wir von ihm haben,) wie der Mann das der Natur mit fester Materie nachzumachen gelernt hat.


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