Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Madonna mit dem kleinen Jesus
Von van Dyk

Maria Van Dyck, Madonna mit dem Kind und dem Jesusknaben steht da malerisch gekleidet, in rot, und bräunlich und blau, in Lebensgröße bis zu den Füßen, wo das Gemälde sich verliert; und hält den kleinen Jesus, linker Seite, nackend auf einem Tische, mit den Fingern der schönen rechten Hand, worin sie eine herabfallende weiße Leinwand hat, an dessen Brust; und der linken, den Rücken herum, der nicht zu sehen ist, unter dem linken Arm am Haarwachs. Jesus hingegen hat sie mit dem rechten Fäustchen am bräunlichten Übermantel, oder Übergewund, bei der Brust, gefaßt, und zeigt mit dem Zeigfinger der Linken, (seitwärts linker Hand auf diejenigen blickend, die vor ihm stehen, und nicht im Gemälde sind,) rechter Hand auf einem weißen Streif unten, worauf ein Siehe steht, den der herauf- oder hereinkommende Johannes, an der rechten Seite vor der Mutter, aufgehoben und gelesen hat, und noch in der Rechten hält; und ihn darauf mit Erstaunen, und Aufmerksamkeit, und Froheit betrachtet.

Maria hat, auf den Johannes herabblickend, im schönen Gesicht ernste Würde, banges mütterliches Ahnden der Zukunft, Großheit, und eignes mehr adeliches, als göttliches Wesen; als ob das Gemäld ein Meisterstück für eine Kirche zu Madrid hätte werden sollen.

Der Ausdruck im Gesichte des völligen kleinen Jesus, mit dem blonden Köpfchen und blauen Augen, ist etwas unbestimmt, ob er gleich auf das Ecce zeigt. Van Dyk wußte den Schöpfer der Sonne, der Fixsterne und Planeten nicht recht ins Knabengesicht hineinzubringen; indessen ist doch Mitleiden und weise Seele in Kindheit darin.

Zeichnung ist ohne Fehl; der Ton des Lichtes feierlich mit sanften Schatten, und das Kolorit fürtrefflich: der nackende Knabe so lebendig, so wie alles Fleisch im Gemälde, samt den Gewändern, wie von Tizian gepinselt. Für junge Künstler im Kolorit ist diese Schilderei ein vollkommnes Meisterstück; und selbst dem Wesentlichen von Madonna (das sittliche zur Schau darstellende des Kindes abgerechnet,) dem Weniger und Mehr als jüngste Mutterliebe, vorzüglich dem letztern, (welches auch um vieles leichter ist, als das jungfräuliche in, mit, und unter der Mutter,) kömmt van Dyk näher, als Dolce, (der überhaupt keine bestimmte Idee, sondern nur eine himmlische Täuschung gehabt zu haben scheint,) – dessen höchste Schönheit Raphael unübertrefflich mit seinem Verstande gefaßt, und seiner Phantasie und Kunst hervorgebildet; insonderheit in seiner Madonna mit dem kleinen Jesus zu Florenz, wovon ich leider nur noch eine Kopie im kleinen gesehen; jedoch eine Kopie von Mengs (nach dem Meister bei dem ich sie sah, und dem sie nicht selbst gehörte,) ein Gesicht, das mich unaussprechlich glücklich gemacht hat, und woran meine ganze Seele Wonne gesogen, und mein Wesen wie an Liebe gehangen.

Vielleicht bin ich in der Laune, umständlicher über diesen Vorwurf zu rhapsodieren, wenn ich an die Madonna von Rubens komme, und seine Anbetung der Hirten.

Bei Gelegenheit des kleinen Jesus von diesem Niederländer will ich Ihnen noch einen andern beschreiben, von dem man nicht recht weiß, warum er dergestalt da ist.

Neben Bernardo Luini (?), Jesuskind der Madonna von Dolce hängt ein gar kleines Gemäldchen von Leonardo da Vinci [von Bernardo Luini], einem der ältesten Patriarchen der neuern Kunst, und dem größten Meister zugleich in Malerei, Baukunst und Musik, wie Sie wissen. Um den gegenwärtigen Gott, und den künftigen Heiland im Kinde vorzustellen, hat er einen Einfall gehabt, der ganz von dem Manne zeugt, der einen Klockenklöpfel schraubenförmig zu drehen vermochte, (Unbegreiflichkeit bei einem Virtuosen! zumal für uns ausgeartetes Gesindel) und sich nicht länger mehr den Kopf darüber zerbrechen wollte; aus etwas bei nahe unmöglichem für Menschen etwas wirkliches zu machen.

Das Kind sitzt auf einer Rasenbank, und tritt mit dem rechten Füßchen auf einen greulichen Totenkopf, hält in dem linken Händchen auf der rechten Kniescheibe ein dünnes Kreuz fest, und drückt mit dem auswärts von sich gehaltnen rechten einer giftgeschwollnen Schlange unter dem Kopf den Hals so stark zu, wie geschnürt, daß sie die Zunge weit heraus sticht, und den langen Leib hinauf zu schlingen strebt. Die Blicke dreht es froh davon weg, und kindlich lüstern nach einem schönen Apfel, der linker Hand an einem Zweig ins Gemäld herein hängt, als ob es den dafür bekommen sollte.

Es hat übrigens ein schönes Gesichtchen und Köpfchen voll wunderbarlichen Ausdrucks, insonderheit im Auge, und in den Lippen; und verspricht an Mut einen künftigen Herkules: der schon wirklich daraus hervorsieht, wie ein frohlockender Tigerzerreißender Löwe aus einer Lammshaut.

Denken Sie, großer Dichter, sich das einmal zusammen!


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