Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Die heilige Familie
Von Raphael

Eine frühe Blume schöner Einbildung! Eins der ersten Stücke von Raphael; und auch schon deshalb für Meister und Fühler unschätzbare Augenweide; die gewiß den schüchternen, stillen, Gewalt und Mutvollen Jüngling, der bald über alle seine Mitwerber den Rang davon trug, in seinen ersten Liebesschwärmereien von Schönheit gern belauschen, wenn sie auch nicht alles begreifen könnten, was er wollte; wie hier nicht der Fall ist. Daß es eins seiner ersten Stücke sei, mehr von Phantasie und eignem Gefühl, als Erfahrungsquelle entsprungen, zeigt der noch unsichre Besitz von Licht und Schatten; Härtlichkeit in den Farben; der übergroße Fleiß in sorgfältiger Auspinselung von Nebendingen, als einiger Bäume und Hütten und Gebäude, die zu deutlich sind, und zu scharfe Ecken haben, für die weite Ferne von der Scene, und nicht die sich verlierende ungewisse täuschende Form; und der unfreie Himmel über der Gegend, der mehr eine wunderbare Erscheinung, ein blauer Wolkenhimmel, zu sein scheinet, als unabsehbare Tiefen des Oceans von Aether, in dessen ungeheuren Abgründen das Licht der Strahlen bläulicht wird, und sich verliert.

Doch ist dies unendlich kleiner Mangel gegen die hohen entzückenden Schönheiten darin.

Eine Raphael, Die Heilige Familie aus dem Hause Canigiani reizend geordnete Gruppe in einer ländlichen Gegend; an der Hütte der Maria, an ihrem Gärtchen vielleicht. Zusammensein derselben, und der alten Elisabeth, mit dem kleinen Jesus und Johannes; nebst dem Pflegevater Joseph. (Elisabeth wollte, wahrscheinlich, mit ihrem Söhnchen die Mutter Gottes besuchen; Joseph ging ihr entgegen; Maria erwartete sie hier in der Nähe. Joseph voran, Maria herbei, Zusammenkunft.)

Oben an, die Anhöhe hinauf, steht Joseph, mit beiden Händen an der linken Schulter auf einen Stab gelehnt. Gleich vor ihm, an seiner Linken, zu seinen Füßen vor dem Stabe ist Maria, in einer mit dem linken Beine knienden Stellung, dessen Fuß außer dem Gewand, im Ecke linker Hand des Gemäldes, in schönster Form, mit dem großen Zehen sich ein wenig stützend, zum Vorschein kömmt; mit dem kleinen Jesus am Schoße, den sie, halbsitzend und stehend, bei der Brust mit der rechten Hand hält:

Und an seiner (Josephs) Rechten die alte Elisabeth; die eben so den kleinen Johannes mit der Linken hält, mit dem rechten Beine kniend, dessen Fuß eben so, nur ältlich, schrumpfend, und nicht so gestellt, liegend, wie der junge linke der Maria, außer dem Gewande nach dem rechten Eck hervorgeht, welches, wie Beider Hände, einen reizenden Kontrast macht, und die Schönheit der Gruppe vollendet.

Joseph ist in ein hellgrünes Untergewand gekleidet, und hat einen weißgrauen Mantel, von der rechten Schulter an, um die linke Hüfte geworfen. Sein Kopf im grauenden Hinterhaupthaar, und Bart und kahler Scheitel, ist der Kopf eines gütigen verständigen Mannes, noch feuervoll im beginnenden Alter. Er blickt mit nachdenkender Stirn auf den kleinen Johannes, auf ihn und den kleinen Jesus, wie Neuton in die Bahnen der Kometen.

Und Elisabeth blickt wiederum von ihrem Sohn auf ihn mit offnem Mund in frohem Erstaunen, daß der Herr sie noch in ihrem Alter so erfreulich geseegnet, von seinem Pflegesohn, von beiden.

Maria hält ein Buch in der Linken, den Zeigefinger ihrer schönen zarten Hand dazwischen gelegt, worin sie vor Elisabeths Ankunft gelesen. In ihrem Gesicht leuchtet ein wahrhaftig süßes Herz, und ein himmlischer Geist hervor. Ihr zärtlicher Blick in die Kinder, aus den etwas zusehenden braunen heitern Augen, macht sie glücklich; und sie ist so heilig, und wie in einem Traum, einem Gefühl platonischer Art, und doch so junges herzstehlendes Mädchen dabei, daß sie nicht recht auf dieser Welt wachen zu dürfen scheint.

Die beiden nackenden Kinder haben einen Ausdruck, unglaublich für den, der sie nicht sieht. Der kleinere Jesus hat eine Art von sich wehendem Band in den Händen, worauf angedeutet ist: »Siehe! ich bin der, der da kommen soll;« und blickt und sagt dies aus seinem gottheitvollen, gnadereichen, und ferntraurigen Gesichtchen. Und der kleine Johannes hats gelesen, und sieht ihm, wie mit ernstem verwunderndem Entzücken und Verehren, darauf in die Augen, und doch wieder so in aller Kindheit (und die Mutter Gottes muß selbst darüber das heilige Gesicht ein wenig zum Lächeln bewegen) daß es das vergnüglichste und unbegreiflichste Kinderspiel ist, das je dargestellt worden. Alles lautere Ahnung, Blüte in der Knospe der Zukunft. Es ist eine unbeschreibliche Grazie und Schönheit in diesen beiden gar kleinen nackenden Bübchen. Der größere Johannes hat ein bräunlicht blondes Krausköpfchen, und Jesus die ersten blonden Härchen.

Maria ist gekleidet, so schön, und geziemend, und sittsam, als es immer die schönste der Grazien des Sokrates sein konnte. Ihr blondes Haar ist bloß mit einem dunkelroten Band, über dem ersten Haarsaum von der Stirn an, herum zusammengehalten; und um den Nacken herab wird ein äußerst dünner Schleier von Nesseltuch sichtbar. Alle haben einen feinen goldnen schrägen Zirkelstrich von Heiligenschein an den Häuptern schweben, der, vom rechten Standpunkt aus, in der Magie der Täuschung, wirklich eine Eigenschaft höherer Natur zu sein scheint. Oben am Brustlätzchen der Maria steht die Jugend Raphaels in naiver frommer Freude geschrieben: Raphael Vrbinas. Hinten ist nach einigen Landhäuserchen und Bäumen in der Ferne bergauf eine Stadt zu sehen, und weiter blaue Gebürge.

Die Zeichnung ist, nach dem Geständnis der größten Zeichner, höchst fürtrefflich, und die Gewänder schön gefaltet; hingegen die Umrisse trocken, so wie überhaupt, wie schon gesagt, die Malerei härtlich.

Der verschiedene Geist im Ganzen aber ist dabei noch so Eins geworden, wie die verschiedenen Farben im Sonnenstrahl; und die schöne Erscheinung der himmlischen Idee entzückend. Und bloß aus der Idee, der Einheit im Mannigfaltigen, dem Zuge der Natur nach wahrem Leben, kann man bey einem jungen Künstler sehen, ob er groß werden wird.


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