Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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107 Das erste Trinkgeld

Kleider machen Leute. Die Wahrheit dieses Sprichwortes wird durch eine heitere Episode aus meinem Leben bestätigt. Als Vorstand und Leiter der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft der bayerischen Bauernvereine, die ich gegründet und jahrzehntelang geleitet habe, hatte ich den Grundsatz, keinen Reisenden und keinen Geschäftsvertreter von der Türe zu schicken. Ich hatte für jeden Zeit, selbstverständlich begrenzt. Allzu aufdringliche und zeitraubende Reisende wußte ich immer in höflichster Form hinaus zu bringen, dafür war ich Manns genug. Man kann von jedermann lernen, auch vom jüngsten Reisenden, und ich muß gestehen, daß ich durch diese Praktik ungemein viel gewonnen habe.

Ich habe in puncto Toilette immer wenig Umstände gemacht. Ich bin zu Hause gewöhnlich in meinen Geschäftsräumen im gestrickten Janker, einer echt bayerischen Kleidung, herumstolziert. Mein Personal war an diese Formlosigkeit gewöhnt. Eben den langen Gang, in den in unserem Hauptgebäude zahlreiche Bureautüren einmünden, durchschreitend, läuft ein Reisender an mich hin. 108 Er winkt mir zutraulich mit dem Zeigefinger und sagt: »Sie, geh'ns einmal her!« Ich habe ihm selbstverständlich Folge geleistet. »Womit kann ich dienen?« »Wo komm ich denn da zum Herrn Geheimrat Heim?« »Bitte, gehen Sie nur da vor, links die Tür.« Im selben Augenblick spüre ich in meiner linken Hand etwas Kaltes.

Er hatte mir eine Mark in die Hand gedrückt. Bemerken möchte ich, daß der Gang im Halbdunkel liegt. Ohne das Vorzimmer zu berühren, kann ich durch den Bibliotheksraum in mein Zimmer gelangen. Nach einiger Zeit meldete das Telephon des Vorzimmers bei mir den Besuch des Herrn X, Vertreter der Firma Y an.

Ich ließ ihn eintreten. Es war der Vertreter für eine Rechenmaschine, die er in seinem Musterkasten zur Vorführung dabei hatte. Wie er auf den Ruf »Herein« unter der Türe stand und den Mann mit dem Janker gewahrte, dem er vorher eine Mark Trinkgeld in die Hand gedrückt hatte, war er wie vom Schlag getroffen. Er konnte nur stammeln: »Habe ich die Ehre, Herrn Geheimrat Heim zu sprechen?« Worauf ich bemerkte: »Jawohl, mein lieber Herr, bitte, nehmen Sie nur Platz!« Er suchte dann gleich eine 109 Entschuldigungsrede zu stammeln, daß er mich derartig verkannt hatte, worauf ich ihm erwiderte: Ehrlich verdientes Geld sei nie eine Schande, und ich würde mit seinem Einverständnis die Mark für einen von ihm genannten Zweck bestimmen. Das wirkte auf ihn wie ein erlösendes Gewitter im Hochsommer. Er sagte: »Dann will ich aber ein Zehnmarkstückchen daraus machen.« Wir haben uns dann sehr rasch verständigt. Beim Abschied meinte er: »Das werde ich aber zeitlebens nicht vergessen.« Ein Beweis für die Richtigkeit des Satzes: Kleider machen Leute.


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