Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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15 »Fischfrevel«

Ort der Handlung: Würzburg, Universitätsstadt am Main, umschlossen von Rebenhügeln, türmereich, Studentenstadt.

Zeit der Handlung: Vor ungefähr 40 Jahren, also Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Handelnde Personen: Drei Studenten in Würzburg, gemeinhin Doktoren genannt. Jedermann aus dem Volk sagt dort zum Studenten Herr Doktor. Das erklärt sich daraus, daß die Studierenden der Medizinischen Fakultät in Würzburg an Zahl die aller anderen Fakultäten weit übertreffen. An Personen ferner ein, später drei Nachtwächter, von den Studenten ihrerseits als Herr »Nachtrat« bezeichnet. Diese spezielle Würzburger Einrichtung ist meines Wissens erst vor 20 Jahren verschwunden.

Während der Nacht hatte nicht die Polizei, sondern der Nachtwächter für die Sicherheit der Musenstadt und ihrer Bewohner zu sorgen.

Zwischen Student und Nachtwächter bestand zu jeder Zeit ein gespanntes Verhältnis. Die Nachtruhe, für die die Nachtwächter ebenfalls 16 verantwortlich waren, wurde von den Studenten, besonders nach Schluß der Kneipen, oft in frevelhaftester Weise gestört. Die Reibereien zwischen diesen beiden Gegensätzen fanden nie ein Ende. Das hat aber nicht daran gehindert, wenn in Bärs Keller oder sonst einem Bierlokal ein Student einen ihm bekannten Nachtwächter am hellen Tag traf, der im bürgerlichen Leben nebenbei ein ehrsames Handwerk als Schuster oder Schneider ausübte, mit seinem vermeintlichen Gegner gemütlich eine Maß Bier oder einen Schoppen Most zu trinken.

Es war eine heiße Julinacht. Ich kenne keine Stadt in Deutschland, in der es so heiß sein kann wie in Würzburg. Selbst während der Nacht tritt an besonders heißen Tagen keine Abkühlung ein. Am kühlsten ist es noch in den engen Gäßchen der alten Festungsstadt, und in diesen wieder in den alten Stammkneipen mit ihren dunklen Gelassen.

Der Vorfall, den ich erzähle, ereignete sich nach Mitternacht. Auf der wunderschönen alten Mainbrücke, die Groß- und Klein-Würzburg seit vielen Jahrhunderten miteinander verbindet, standen drei Studenten, ruhig, wortlos, das Antlitz über den 17 Brückenrand gebeugt, jeder in der Hand eine riesige Angelgerte. Sie standen unverdrossen, unbehelligt, schon längere Zeit. Ab und zu ging ein Spätheimkehrender über die Brücke, stellte sich neben die Studenten und schaute ihnen einen Augenblick zu, wie sie ihre Angelruten an unendlich langen Schnüren hinunterließen in die warmen Fluten des Mains. Und sie standen immerfort. Da näherte sich ein Nachtwächter, vorsichtig und von fern die drei Gestalten beobachtend, alsdann näher kommend, den Blick scharf hinuntergerichtet, genau so wie die drei Studenten.

»Meine Herren, was machen Sie hier?« Keine Antwort. »Meine Herren, Sie fischen!« Keine Antwort. »Meine Herren, haben Sie Fischkarten?« Keine Antwort. »Meine Herren, dann muß ich Sie bitten, mir ihre Legitimationskarten zu zeigen.« (Jeder Student konnte sich mit der Legitimationskarte ausweisen und dadurch einer eventuellen Festnahme entgehen.) Keine Antwort. »Dann, meine Herren, muß ich Sie bitten, mit mir auf die Polizei zu gehen.« Keine Antwort. Der Nachtwächter greift nach seinem Horn und ruft mittels seines Signals Verstärkung herbei. Es kommen zwei weitere Nachtwächter. Das 18 Fragespiel wiederholt sich. Die Antwort war die gleiche. Jetzt wurden die drei ungemütlich; jeder nahm einen von uns am Arm: »Bitte, folgen Sie uns!« Wir hoben unsere Angelstecken hoch. Und richtig! An jeder Angel hing ein Fisch. Für die Nachtwächter war das Wasser auf die Mühle. »Der Fall ist einwandfrei festgestellt. Die Herren haben gefischt!« Von der Brücke bis zum Polizeigebäude sind es nur wenige hundert Meter. Im »Nachtjourzimmer«, auf deutsch »Nacht-Tagzimmer«, saß ein jourhabender Offiziant. Einer der Nachtwächter tritt vor und meldet: »Drei Studenten ohne Angelkarten beim Fischen auf der Mainbrücke erwischt. Ihre Legitimationskarten vorzuzeigen haben die Herren verweigert.« Der Jourhabende richtete an uns die Frage, ob das richtig sei, worauf einer von uns zur Antwort gab, das sei alles richtig, nur hätten wir nicht gefischt. Darauf erklärten alle drei Nachtwächter triumphierend: »Ja, die Herren haben die Fische noch an der Angel!« Der Offiziant, der seine Studenten gut kannte, forderte uns auf, die Fische vorzuzeigen. Wir hatten aber die Angelstecken vor der Tür im Gang niedergelegt; denn es war unmöglich, sie bei ihrer Länge ins Zimmer mit 19 hereinznnehmen. Der Offiziant sagte: »Wo sind die Fische?«»Die Angelstecken waren zu groß,« sagte der Nachtwächter, »darum haben wir sie draußen vor der Türe niederlegen lassen.« Es wäre nun nahegelegen, daß der ganze Zug sich zur Feststellung vor die Türe begeben hätte. Aber der Offiziant rückte nicht vom Platz. »So, meine Herren, gehen Sie einmal hinaus, schneiden Sie die Schnüre ab und bringen Sie die Fische herein!« Dazu waren wir sofort bereit. Wir kamen zurück und jeder von uns hatte ein Stück Angelschnur und Angel und einen Fisch in der Hand. Es waren – Heringe.

Der Offiziant sagte zu den Nachtwächtern: »Ja, gibt's denn im Main Heringe? Da seid ihr wieder einmal einer Lumperei aufgesessen. Übrigens, meine Herren,« bemerkte der Offiziant, »kommen Sie doch nicht um die Ecke, denn das ist grober Unfug.« Als wir ihm aber alle drei ernstlich versicherten, daß wir an groben Unfug gar nicht gedacht hätten, daß wir ganz harmlos auf der Brücke gestanden seien, daß wir nur im Interesse unserer Gesundheit unsere Heringe gewässert hätten, damit wir nicht am anderen Tag wieder so großen Durst bekämen, daß es uns leid wäre, daß es in 20 Würzburg so heiß sei, daß man immer so viel Durst habe, daß es oft nicht möglich wäre, den Durst zu stillen, daß das für jeden Studenten ein Schaden sei, und besonders für die Eltern usw., da schmunzelte der alte Menschen- und Studentenkenner und sagte: »Ist schon recht, meine Herren, die Sache ist erledigt. Wenn Sie aber wieder einmal einen Hering brauchen, dann wässern Sie ihn zu Hause bei ihrer Hauswirtin und nicht im Main. Und nun gehen Sie.«

Die drei Nachtwächter aber blieben noch zurück. Was er dann wohl mit ihnen geredet hat?


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