Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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21 Die unheimliche Hand

Es war wieder einmal Oktoberfest in München, so in den neunziger Jahren. Ein Trupp Studenten, zogen wir durch die Budenstraßen der Festwiese. Da entdeckte ich an einer Ecke einen merkwürdigen Zigarrenladen. Auf einem niederen Tisch stand eine große, viereckige Kiste mit einem Ochsenfell umkleidet, und diese Riesenkiste war angefüllt mit Zigarren. Auf der primitiven Holztafel stand die Bemerkung: »Ein Griff 40 Pfennig.« Über die Qualität der Zigarre war nichts bemerkt. Es war offenbar die Sorte »Du sollst mich nicht befragen.« Das Geschäft lockte mich. An einem Körper von 1,93 Metern Länge hängt meistens eine entsprechend große Hand, und somit schien das Geschäft für mich aussichtsvoll. Ich berappte meine vierzig Pfennig, umgeben von meinen Freunden, und griff nun hinein mit ausgespreizten Fingern, um so viel Zigarren wie möglich zu fassen. Die Ausbeute war ergiebig. Ein nebenstehender Bauer gab mir vierzig Pfennig und fragte mich, ob ich bereit wäre, auch für ihn Zigarren um vierzig Pfennig zu »derglangen«, wozu ich mich selbstverständlich sofort bereit erklärte.

22 Es mehrten sich die Zuschauer. Bei jeder Manipulation wächst durch die Übung die Fingerfertigkeit. Der zweite Zug war eher noch ergiebiger. Der Bauer zählte seine Zigarren glückstrahlend. Er hatte noch zwei mehr wie ich. Er war so zufrieden, daß er mich noch einmal ersuchte, einen zweiten Griff für ihn zu tun. Der Erfolg war der gleiche, und nunmehr wurde ich zum Medium. Ein Packträger, der unter den Zuschauern war, bat mich ebenfalls, für ihn zu greifen, indem er bemerkte: »Die könna so schlecht sei', wia s' mög'n, die verschneid' i in mei' Pfeif, mei' Pfeifentabak kimmt mi teura. A Griff mit so an Bratzerl, wia Sie ham, is mehra als wia a Packerl Tabak.« Diesmal aber begegnete mein Griff dem Protest des Unternehmers. Er protestierte gegen meine Mediumrolle. »Jeder muß für sich selbst greifen«, so lautete das Gesetz, das er jetzt verkündete.

Der Packträger aber erblickte hierin eine große Rechtsverletzung und gab diesen seinen innersten Gefühlen in jener deutlichen Sprache Ausdruck, die die Münchener auszeichnet. »Eahm schaugt's o'! Was war denn nöt dös! Mei Liaba, da steht nix, daß ma' grad nur oamoi greifa därf. Daß di' auskennst, was steht do, ha: Ein Griff 40 Pfennig! 23 Der Herr do ko greifa, so oft er mag, bal er zahlt. Schaug den Schlawiner net o'! Da solln vielleicht nur Institutsfreiln greife?« In diesem Ton ging's weiter; der Packträger wurde immer heißer.

Unterdessen hatte sich eine lebhafte Erregung des umstehenden Publikums bemächtigt. Die Zahl der Umstehenden wuchs. Es redeten gleichzeitig zehn bis zwölf Personen auf den Unternehmer ein, und zuletzt waren wir Studenten es, die ihn wenigstens davor bewahrten, daß seine Zigarren im wahren Sinne des Wortes auf die Wiese flogen. Es hatten sich einige Elemente unter den anfänglichen Zuschauerkreis vermengt, die es scheinbar darauf abgesehen hatten. Wir hielten aber stand, und man vertröstete sich damit, daß der Packträger weggegangen war, einen Schutzmann zu holen. Dieser kam, bald darauf ein zweiter und dritter. Sie nahmen Kenntnis von dem Ausgangspunkt des Streites, und obwohl der Unternehmer wiederholt versicherte: »Wenn a jeda so vui derwischet wia der Herr do mit sein kloana Bratzerl, no war i do heit abend no bankerott«, so mußte er sich dem Urteil des Schutzmanns unterwerfen, und ich griff wenigstens noch die vierzig Pfennig für 24 den Packträger. Dieses Mal mit noch besserem Erfolg, zum großen Jubel der Umstehenden. Ich wär wohl noch am Abend am gleichen Fleck gestanden, so viel vierzig Pfennig wurden mir angeboten. Ich hatte aber ein menschliches Fühlen und ging.

Ich fühlte mich als Held des Tages. Am andern Tag war im Polizeibericht unter anderem erwähnt, daß es auf der Wiese eine Rauferei und in frühen Nachmittagsstunden einen Auflauf gegeben, wobei das Publikum gegen den Inhaber eines fliegenden Standes Stellung genommen habe. Alles um vierzig Pfennig!


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