Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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25 Das erste Mal vor Gericht

Amtsgericht München I, Abteilung für Strafsachen, im »Justizpalast« von Anno dazumal in der Gruftgasse. Ein Labyrinth von engen Gängen. Menschengewoge, auf- und abgehende Richter und Rechtsanwälte in Roben und im Frack . . . Heute ist wieder Mittwoch; damit hat es eine besondere Bewandtnis. Das ist der Tag, an dem in einem bestimmten Saale vor einem bestimmten Richter nur Studenten abgewandelt werden. Den Vorsitz führt immer der gleiche Richter, ein alter Herr. Er ist mir später wieder über den Weg gelaufen, und ich konnte ihm einmal, merkwürdig, wie es im Leben oft geht, einen Dienst erweisen. Er war indessen Referent im Justizministerium geworden, und ich Landtagsabgeordneter. Er hatte die Strafanstalten unter sich. In dieser seiner Eigenschaft wurde er offenbar von Untergebenen, denen er auf die Hühneraugen treten mußte, angefeindet. Die Unterlagen für diese Angriffe waren Bagatellsachen.

Meine Sache wurde als Nr. 1 aufgerufen. Der Universitätsstudent Georg Heim trat in den Saal . . . wegen eines Strafbefehls, weil er seinen Hund 26 ohne Maulkorb, gegen die damals geltende Vorschrift, laufen ließ. Der Richter, der jede Woche ein halbes Dutzend Studenten abwandelte, kannte seine Kundschaft ganz genau. Nach Feststellung der Personalien und Bekanntgabe des Reates richtete er an mich die Frage, ob ich die Anzeige des Gendarmen X. als richtig zugebe. Dazu war ich leider nicht in der Lage. Meine Antwort lautete: »Nein.« »Bestreiten Sie, daß Sie am 9. November mit Ihrem Hund durch die Adalbertstraße gingen, und daß Ihr Hund keinen Beißkorb anhatte?« Antwort: »Ja, das bestreite ich.« »Nun gut, wir werden ja sehen, der Gendarm ist ja als Zeuge da.«

»Wollen Sie einen Gegenbeweis antreten?« »Jawohl, Herr Vorsitzender, ich habe meine Zeugen mitgebracht.« »So, Sie haben Zeugen dabei; wo sind die, stehen die noch draußen?« »Jawohl.« »Wieviele sind es?« »Vierzehn.«

Schallende Heiterkeit im Zuhörerraum.

»Ja, mein lieber Freund, glauben Sie wirklich, daß wir wegen einer solchen Lappalie vierzehn Zeugen vernehmen und den ganzen Morgen mit Ihrer Hundsgeschichte verbringen? Nein, mein lieber Freund, das werden wir kürzer machen. Nun, 27 jetzt sagen Sie einmal ganz offen, wie ist denn die Geschichte mit dem Hund?« »Herr Richter, ich möchte bitten, daß die Zeugen vernommen werden.« »Das ist meine Sache; ich habe Sie jetzt gefragt, ob Sie die Geschichte mit dem Hund uns nicht selbst aufklären wollen.« Er ließ den Gendarm, der die Anzeige erstattet hatte, durch den Gerichtsdiener in den Gerichtssaal rufen.

Der Gendarm erzählte auf Befragen des Richters unbeeidigt, daß er am 9. November, nachmittags halb 3 Uhr, mich mit meinem Hund an der Ecke der Universität und Adalbertstraße gesehen habe. Er hatte mich zur Rede gestellt. Der Hund hatte keinen Beißkorb an, er trug auch nicht die vorschriftsmäßige Hundemarke, und wie sich dann später herausgestellt habe, sei er auch nicht zur Steuer angemeldet.

Der Hund sei eine Bulldogge gewesen, braun und weiß gesprenkelt, und er habe mich mit dem Hund auch in den darauffolgenden Tagen, allerdings dann mit Beißkorb und an der Leine geführt, noch einige Male beobachtet.

Darauf der Richter: »Nun, Sie, Studiosus, was sagen Sie jetzt?«

»Herr Richter, ich kann Ihnen bloß versichern, 28 daß ich vollständig unschuldig bin, die Zeugen werden das bestätigen.« »Da steckt irgendeine Lumperei dahinter; ich kenne euch doch. Wollen Sie denn jetzt nicht herausrücken?« »Herr Richter, ich bitte doch meine Zeugen zu vernehmen.« »Wen haben Sie denn als Zeugen mitgebracht?« »Meinen Hausherrn, den Schneidermeister X., seine Ehegattin.« »Die brauchen wir schon gar nicht; da genügt der Hausherr vollständig.« »Außerdem die Milchhändlerin Zenzi Huber, die in unserem Haus einen Milchladen hat und bei der ich für meinen Hund . . . immer die blaue Milch kaufe.« Der Richter: »Für Ihren Hund? Ja, das geben Sie ja zu, daß Sie einen Hund haben?«

»Ja, Herr Richter, das habe ich ja nie bestritten.«

»Ja, da scheint es sich um zwei Hunde zu handeln.«

Der Richter: »Was haben Sie außerdem noch für Zeugen?« »Noch elf Freunde von mir.« Der Richter: »Studenten natürlich?« Heiterkeit im Zuhörerraum. »Von ihren elf Freunden werden wir wohl kaum einen als Zeugen brauchen. Es sollen zunächst einmal der Schneidermeister X. und die Milchhändlerin Huber eintreten.« Es geschah. Der Richter: »Sie wissen, um was es sich handelt.« »Ja, wir haben das Strafmandat 29 gesehen.« »Kennen Sie den Beklagten?« Der Schneidermeister hierauf: »Er wohnt bei mir«, und die Milchhändlerin versichert: »Ich kenne den Herrn auch; er trinkt immer sein Frühstück bei mir und kauft die blaue Milch für seinen Hund.« Hierauf der Richter: »Also, Sie kennen den Hund? Das ist eine Dogge, hoch, braun gefleckt. Es ist eine Dogge.« »Nein, es ist keine Dogge«; worauf Schneidermeister und Milchhändlerin übereinstimmend sagen, daß der Hund des Beklagten keine Dogge ist, auch nicht braun mit weißer Sprenkelung, sondern ein schwarzer Dackel, klein und krummbeinig.

Der Richter: »Ja, da haben wir ja die Sache schon. Da dreht es sich um zweierlei Hunde. Ja, Herr Schneidermeister X., sagen Sie einmal, hat vielleicht der Student Heim, der bei Ihnen wohnt, einmal kurze Zeit eine Dogge besessen?« »Ja, er hat einmal fünf oder sechs Tage lang, das war so im November, eine Dogge bei sich gehabt. Die hat er dann wieder hergeben müssen. Warum, weiß ich nicht.«

Der Richter zum Angeklagten: »Wollen Sie dann jetzt den Fall aufklären? Jetzt wäre es doch endlich an der Zeit, daß Sie einmal sagen, wie sich 30 die Geschichte mit dem Hund verhält. Soviel steht fest, Sie haben einen Hund. Ist das richtig?« Antwort: »Jawohl.« »Und Sie hatten auch vorübergehend im November eine Dogge?« »Nein, Herr Richter, die war nicht mein Eigentum.« »Darauf kommt es jetzt an. Wie verhält es sich mit der Dogge?« »Darf ich das genau auseinandersetzen?« »Ja, aber nur nicht zu genau; nur das, was notwendig ist.« Unterdessen waren meine elf Freunde im Zuhörerraum eingedrungen. Die Studentenverhandlungen waren immer gut von Zuschauern besetzt; denn es gab immer etwas zu hören. »Nicht wahr, Herr Richter, ich habe also das Wort.« »Ja, Sie haben das Wort, um das Notwendigste zu sagen.« Hierauf führte ich aus: »Es war nachmittags nach 2 Uhr an einem wunderschönen Herbsttag. Die Sonne lachte am Himmel.« Große Heiterkeit im Zuhörerraum. Der Richter verwies dem Publikum seine Aufführung und bemerkte: »Ein Gerichtssaal ist kein Theater, und wenn Sie lachen wollen, müssen Sie zu Geis & Seidenbusch im Oberpollinger.« (Das war die Stätte, wo jeden Abend Geis & Seidenbusch als die beliebtesten Münchner Komiker Lachsalven der Zuhörer auslösten.) »Vollständig ahnungslos 31 schlenderte ich in der Richtung gegen das Siegestor des Wegs, als ich plötzlich an meiner linken Hand eine kalte Hundsschnauze spürte, und ich gewahrte an meiner Seite eine schöne, starke, gutmütig dreinschauende Dogge, bis dorthin mir nach Name, Stand und Wohnort vollständig unbekannt.« Schallende Heiterkeit.

Der Richter ermahnt mich, hier im Gerichtssaal keine Späßchen zu machen, er hätte auch noch andere Mittel, um mir dies Handwerk als Spaßmacher im Gerichtssaal sofort zu legen. Dabei blinzelten seine Äuglein durch seine funkelnden Brillengläser schalkhaft. »Die Sache ist nun sehr einfach, der Hund ist dann mit Ihnen nach Hause gelaufen, nicht wahr?«

Ich fahre fort: »Ja, ganz merkwürdig. Sympathien, die Hunde oft ganz fremden Personen im ersten Augenblick zeigen, übertrug er sofort auf meine Person, und ich war über die Zutraulichkeit des Tieres erfreut.« Steigernde Heiterkeit im Zuhörerraum.

Der Richter erklärte mir nunmehr, daß ich weiter nichts zu erzählen hätte, er würde mich jetzt fragen. »Sie sind alsdann mit dem Hund nach Hause gegangen?« »Nein, der Hund ist mit mir nach 32 Hause gegangen.« Gesteigerte Heiterkeit. Laute Ermahnung des Richters für die Zuhörer, andernfalls Räumung des Auditoriums. »Und Ecke der Universität und Adalbertstraße ist Ihnen der Gendarm begegnet und hat Sie zur Rede gestellt?« »Jawohl.« »Und Sie haben ihm nicht gesagt, daß der Hund Ihnen zugelaufen sei?« »Nein.« »Warum haben Sie dem Gendarm diesen Aufschluß nicht gegeben?« »Weil er mich nicht danach gefragt hat. Er hat mich gleich gefragt, warum mein Hund keinen Beißkorb hätte.« »Haben Sie mit dem Gendarm schon einmal zu tun gehabt?« »Jawohl, er hat mich einmal angezeigt, weil ich bei offenem Fenster gesungen hatte, und das hat mich empört.« »So, so, und da haben Sie ein Strafmandat bekommen? Es fragt sich nur, wann Sie gesungen haben und wie laut. Wann war das, um welche Stunde?« »In den Morgenstunden.« »Aha, um 1 Uhr, wie?« »Nein, Herr Richter, es war 3 Uhr.« »So, so, und da wundern Sie sich darüber, daß man einen Menschen, der um 3 Uhr nachts auf seinem Zimmer singt, der die Ruhe von schlafenden Mitmenschen stört, bestraft. Und so hatten Sie auf den Gendarm einen Pick und wollten ihm bei der Gelegenheit eines heimzahlen?« 33 Schweigen meinerseits. »Also Zeugen werden nicht vernommen.« Das Gericht schließt sich zur Beschlußfassung zurück. Der Amtsanwalt war bei der ganzen Geschichte zunächst vollständig passiv geblieben. Jetzt ergriff er das Wort und sagte: »Herr Richter, ich ziehe den Strafantrag zurück.« Beifälliges Gemurmel im Zuhörerraum seitens meiner Freunde. Der Richter gibt mir die Ermahnung, zu vermeiden, künftig mit der Polizei und mit dem Gerichte in Berührung zu kommen, worauf ich ihm erklärte, daß ich noch zwei Berufungen eingelegt hätte, denn ich hätte ein Strafmandat bekommen, weil mein Hund kein Hundezeichen trug, und Geldstrafe, weil mein Hund nicht zur Steuer angemeldet war, dieser mein Hund, der fünf Tage später bei mir wieder abgeholt wurde gegen Rückersatz des Futtergeldes und der Kosten für ein Inserat. Auch gegen diese beiden Strafmandate hatte ich Berufung eingelegt. Das wurde auch noch im Gerichtssaal festgestellt, worauf der Richter bemerkte: »Da wollen Sie dann wieder mit Ihren 14 Zeugen kommen?« »Selbstverständlich, Herr Richter, denn das ist mein gutes Recht angesichts der falschen Beschuldigungen, die gegen mich erhoben werden.« Gelächter, Heiterkeit im 34 Zuhörerraum. »So, jetzt ist es aber genug. Jetzt treten Sie ab, das andere wird sich ergeben.«

Der Amtsanwalt machte sich eine Notiz. Für meine beiden Berufungen wurden nie Termine angesetzt. Siegreich auf der ganzen Linie. Das erstemal unschuldig vor Gericht.


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