Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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63 Wie ich Wettermacher war . . .

Ich hatte einen Kalender herauszugeben. Er erschien im ersten Jahrgang; ich war der Redakteur. Jeder Anfang ist schwer. Alles Mögliche ist bei jeder Kleinigkeit zu beachten, und jede Sache will gelernt sein, auch das Kalendermachen.

Ein Kalender muß mindestens ein halbes Jahr vor dem 1. Januar des Jahres, für das er geschrieben ist, fertig sein – von wegen der Konkurrenz. Es war schon Ende Juni, und unser Kalender war noch nicht fertig. Man stößt das erste Mal, wie bei jeder Sache, auf alle möglichen Schwierigkeiten, die man vorher nicht einschätzt und nicht überblickt.

Endlich war ich mit meinem Teil als Redakteur fertig, aber da gab es eine unangenehme Verzögerung. Das Verzeichnis der Märkte und Viehmärkte, das als Anhang für den Kalender unentbehrlich war, wurde um vierzehn Tage zu spät geliefert, aber endlich kam auch hiefür die Erlösungsstunde; das Verzeichnis kam.

Ich war eben im Begriff, eine Reise anzutreten und stand schon mit meinem Reisegepäck unter der Türe. Da werde ich zurück ins Hans gerufen: 64 Dringendes Telephongespräch. Der Kalenderdrucker war am Telephon. Ja, Donnerwetter, was ist denn los? Ich habe geglaubt, es wäre alles in Ordnung!

Hilft alles nichts, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: ein wichtiger Teil fehlt noch, und ich habe kein Manuskript dafür. Wir brauchen unbedingt einen hundertjährigen Kalender, und ich weiß nicht, wo man einen solchen bekommt.

Potz, Blitz und Donner und Doria, wegen des hundertjährigen Kalenders bleibe ich nicht zu Hause, ich muß eben verreisen, aber Sie haben in achtundvierzig Stunden einen hundertjährigen Kalender. Und nun fabrizierte ich unterwegs im Eisenbahnwagen, in Gottes Namen, einen hundertjährigen Kalender. Vollmond, Neumond und sonstige Veränderungen an dem großen Dach, das diese sündige Menschheit überspannt, bildeten die Unterlagen für meine Konstruktion.

Zu jener Zeit war der berühmteste Wettermacher Falb, heute haben wir den Pfarrer Schmucker. Nach zwei Stunden war der hundertjährige Kalender fertig, und in Leipzig habe ich ihn als Eilbrief in den Briefkasten geworfen; nach vierundzwanzig Stunden war er an Ort und Stelle.

65 Im Jahre darauf war ich gewitzigt, da habe ich die Bezugsquelle für hundertjährige Kalender erkundet, und schon im Juni konnte er mit dem Hauptbündel der Manuskripte in Satz gegeben werden, und so vergingen zwei Jahre seit jenem ersten Erlebnis.

Zwei Jahrgänge Kalender waren erschienen, der erste Jahrgang mit meinem hundertjährigen Kalender, der zweite Jahrgang mit dem fachmännischen. Ich hatte doch ein schlechtes Gewissen und sah mit Bangen jeden Tag gewissenhaft in meinen hundertjährigen Kalender und stellte die Vergleiche mit der wirklichen Witterung an. Die Sache hatte ebensogut geklappt wie bei anderen. Fünfzigmal hatte ich mindestens recht – und wenn es nicht gerade im Bezirksamt Rosenheim regnete, dann hat es doch mindestens im Bezirksamt Traunstein geregnet. Ja, die Sache kam noch viel besser. Im dritten Jahr bekam die Redaktion Zuschriften aus dem Leserkreis. Als mir die Briefe vorgelegt wurden und ich las Stichwort »Hundertjähriger Kalender«, ist mir etwas blümerant geworden vor den Augen. Die Sätze, auf die es in dem Briefe ankam, waren unterstrichen. Ich wagte schnell einen Blick auf die angestrichenen 66 Stellen. Mein Erstaunen war grenzenlos. Die Zuschriften konstatierten übereinstimmend, daß im ersten Jahrgang der hundertjährige Kalender viel besser gewesen sei wie im zweiten. Ich hatte einen namenlosen Respekt vor mir und war fast verführt, das Wettermachen als Beruf zu ergreifen.

Zum Glück siegen beim Menschen nicht immer die ersten Anwandlungen, und so habe ich meinen Beruf nicht geändert, und im dritten und vierten Jahrgang erschien wieder der fachmännische »Hundertjährige Kalender«.


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